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Die Existenzweise der Religion [REL]

Spuren religiöser Seinsweisen lassen sich im alltäglichen europäischen Leben in historisch gewachsenen Bereichen, wie Sprache und Kunst etc. nachweisen. Leider sind die Partikel des Religiösen so stark mit anderen Bereichen verwoben, dass es schwer ist, die religiöse Seinsweise herauszukristallisieren.
Wie soll, laut Latour, vorgegangen werden, um diesen religious mode zu definieren? Zunächst stellt er sich klar gegen die allgemein verbreitete Auffassung, dass sich der Modus Religion alleinig in der institutionalisierten Religion manifestiert. Das Religiöse ist für ihn sehr viel tiefer vergraben, als das heutige verkürzte, teilweise falsche Bild von Religion. Die Vertreter des Religiösen im heutigen Sinn haben ein dem ursprünglich Religiösen entgegengesetztes Verständnis von Religion. Religion im ursprünglichen Sinn wurde relativ verstanden. Gott wurde als kreierte d.h. existierende und damit auch diesseitige Substanz und als bewegender Motor des Lebens, als etwas materielles angenommen. Heutzutage versteht man unter Religion und Gott genau das Gegenteil. Religion wird für absolut, ins Jenseits führend und als Supplement der Seele im Kampf gegen die Säkularisierung und den Materialismus in der Welt aufgefasst.

Some have gone so far as to take religion as a quest for the absolute, and even as a nostalgic portal to the beyond! Religion turned into a ‚rampart against relativism‘ and a ’supplement of soul‘ against the ’secularization‘ and the ‚materialism‘ of ‚the world here below‘.

Der französische Philosoph und Anthropologe kritisiert entschieden den heutzutage immer wieder vorkommenden Kategorienfehler, der bezogen auf das Religiöse begangen wird. Fast alle Menschen heutzutage definieren das Religiöse nicht über dessen Existenz, sondern versuchen die Substanz des Religiösen zu fassen. Die ursprüngliche Auffassung von Religion aber ist diejenige von etwas Diesseitigem, real Existierenden. Latour meint an einer Stelle ausdrücklich, dass es keine andere Welt außer der unsrigen gibt. Jeder Modus verändert aber diese unsere eine Welt in der ihm eigenen Weise, indem er einen unterschiedlichen Zugang zu ihr ermöglicht.

For those who use the term ‚religion‘ are really appealing to another world! And this is exactly the opposite of what we are trying to identify. There is no other world – but there are worlds differently altered by each mode. (299)

Wie konnte dieses falsche Bild von Religion und Gott sich über die Geschichte hinweg
ausprägen? Einige religiöse Vertreter waren nicht in der Lage die vielgestaltigen Werte in hierfür eigens eingerichteten Institutionen anzusiedeln und haben jene Werte, um sie zu verteidigen, deshalb außerhalb der Reichweite aller Kritik, auf den transzendentalen Gott als Träger aller Werte, übertragen.
Über welchen Zugang lässt sich nun der Modus Religion erfassen? Das Religiöse ist genauso rational erklärbar wie jeder andere modus of existence in der Welt. Nur das Wie, wie diese Rationalität eingesetzt wird, unterscheidet sich von der Herangehensweise an andere Modi. Um nach Latour rational an den Modus Religion heranzugehen, reicht es, so präzise wie möglich die Spezifizierungen und die types of veridiction (307) zu beschreiben bzw. zu erfassen, sowie die Umstände zu klären, die Religion ermöglichen.
Wie kann nun der Modus Religion laut Bruno Latour definiert werden. Bei Religion handelt es sich ebenfalls um einen modus of existence. Religiöse Seinsweisen sind nicht nur Wörter, weil Wörter niemanden bewegen, wirkliche ontologische Seinsweisen schon. Da also religiöse Wörter Seinsweisen transportieren, die Menschen retten, verändern oder wiederbeleben, muss es sich bei ihnen um wirkliche Seinsweisen handeln.

It would not be of much use to say that religious beings [REL] are ‚only words‘, since the words in question transport beings that convert, resuscitate, and save persons. Thus they are truly beings; there’s really no reason to doubt this. (308)

Wir müssen uns nun nicht mehr gegen eine tausendjährige Geschichte von Aussagen über die Religion stellen. Wir können mit dieser Auffassung von Religion der Pluralität von Erfahrungen Rechnung tragen und müssen die Berichte der Heiligen, Mystiker etc. über religiöse Seinsweisen nicht mehr als falsch abtun. Religiöse Seinsweisen werden nun also nicht mehr nur als Repräsentationen aufgefasst, sondern als wirklich existierende Seinsweisen, die unmittelbar erfahrbar sind.

By granting them their own ontological status, we can already advance quite far in our respect for experience. We shall no longer have to deny thousands of years of testimony; we shall no longer need to assert sanctimoniously that all the prophets, all the martyrs, all the exegetes, all the faithfull have ‚deceived themselfes‘ in ‚mistaking‘ for real beings what were ‚in fact nothing but‘ words or brain waves – representations, in any case. (308)

Verfassser: Niclas Kliebisch (niclas.kliebisch[at]student.uni-halle.de)

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