Lukas und Niklas enga­gie­ren sich seit 2019 beim Arbeitskreis Asyl (Asyl AK) der Hochschulgruppe Amnesty International. Im Interview erzäh­len sie von ihrer Arbeit, von Erfolgserlebnissen und schwie­ri­gen Beratungen.  

Foto: Manuel Klein

Was ist der Asyl AK? Was macht ihr? 

Lukas: Wir bie­ten sowohl Asylbegleitung als auch Asylverfahrensberatung an. Bei der Asylbegleitung gehen wir zum Beispiel mit geflüch­te­ten Menschen zum Amt. Dazu braucht es auch kei­ne juris­ti­schen Kenntnisse. Meistens ist es dort ein­fach hilf­reich, wenn jemand dabei ist, der deut­scher Muttersprachler ist. In der Asylverfahrensberatung bie­ten wir dann tat­säch­lich recht­li­che Hilfe an und erar­bei­ten häu­fig auch Möglichkeiten für eine Bleibeperspektive. 

Niklas: Das ist auch kein ein­zig­ar­ti­ges oder neu­es Konzept. Den Asyl AK gibt es deutsch­land­weit in Amnesty-Hochschulgruppen. 

Lukas: Neben Asylverfahrensberatung und ‑beglei­tung machen wir so ziem­lich alles, was mit dem Thema Asyl zu tun hat. Wir haben auch viel poli­ti­sche Arbeit geleis­tet. Zum Beispiel bie­ten wir auch Deutsch-Cafés in der Innen- und Neustadt an, bei denen Menschen unter­stützt wer­den sol­len, Deutsch zu ler­nen. Sonst enga­gie­ren wir uns noch mit Demos und Infoständen oder arbei­ten tat­säch­lich poli­tisch. Kürzlich haben wir bei­spiels­wei­se einen Antrag beim Stadtrat ein­ge­reicht, der wahr­schein­lich auch durchgeht. 

Um was geht es da? 

Lukas: Wir wol­len, dass der Stadtrat beschließt, kei­ne Abschiebungen nach Afghanistan mehr durch­ge­führt wer­den. Das ist ein biss­chen schwie­rig, weil das kom­pe­tenz­recht­lich gar nicht bei der Stadt liegt. Das ist Bundes– bezie­hungs­wei­se Ländersache. Aber wenn die Stadt sich dafür aus­spricht, muss der Bürgermeister das auf dem deut­schen Städtetag vor­tra­gen. Halle wür­de sich damit auch ver­pflich­ten, auf Landesebene dafür ein­zu­tre­ten, dass das Land beschließt, für min­des­tens drei Monate (mehr geht gesetz­lich erst­mal nicht) kei­ne Abschiebungen nach Afghanistan durch­zu­füh­ren. 
Der Antrag wird von den Fraktionen der LINKEN, der SPD, der Grünen, der Mitbürger und Die PARTEI ein­ge­reicht. Sie zusam­men haben schon mehr als 50 % im Stadtrat. Deswegen gehen wir davon aus, dass die Stadt Halle sich dafür ein­set­zen wird. 

Was ist euer Anspruch im Asyl AK? 

Niklas: Entsprechend dem über­ge­ord­ne­ten Ziel von Amnesty: Der Schutz von Menschenrechten. 
Allgemein ver­su­chen wir den Menschen zu hel­fen und eine Bleibeperspektive aufzuzeigen. 

Lukas: Es gibt auch Fälle, zum Beispiel beim Familiennachzug, wo wir eigent­lich schon wis­sen, dass wir nicht viel machen kön­nen. Dann ist es ein­fach wich­tig, den Leuten zu erklä­ren, was die recht­li­chen Gegebenheiten sind und auch ein­fach als Ansprechpartner da zu sein. 

Wie geht man emo­tio­nal mit sol­chen Beratungen um? 

Niklas: Bei mir ist es so, dass ich meist mei­ne Moral aus­klam­me­re und mich nur auf das Juristische kon­zen­trie­re, wenn es in die Beratung geht. Weil mich die Fälle sonst zu krass mit­neh­men. Die Distanz, die ich dann wah­re, ist viel­leicht nicht immer gut, hilft mir aber. 

Lukas: Teilweise ist es schon sehr krass. Dann sind das Schicksale, die einen rich­tig mit­neh­men. Ich las­se da nicht so rich­tig mei­ne Moral drau­ßen. Wir hat­ten auch schon Leute im Asyl AK, die dann wirk­lich alles ver­sucht haben, um den geflüch­te­ten Menschen zu hel­fen. Zum Beispiel indem sie Menschen mobi­li­siert haben. Es ist schon manch­mal nicht leicht. Aber bis jetzt hat­te ich zum Glück noch nie den Fall, mich mit einem Thema beschäf­ti­gen zu müs­sen, das mich gar nicht mehr los­ge­las­sen hat. 

Niklas: Ich hat­te ein­mal eine sehr kras­se Beratung. Da ging es um eine Frau, die mit ihren Kindern und ihrem Mann nach Deutschland geflo­hen ist und bei uns einen Termin zur Asylberatung hat­te. Ihr Ziel war es, ihre Familie nach Deutschland zu holen. Dabei ging es um die Großeltern und Geschwister und deren Kinder, die in einem Flüchtlingscamp in desas­trö­sen Umständen leb­ten. Die Mutter konn­te kein Deutsch, nur ihr sechs­jäh­ri­ger Sohn. Ich muss­te dann dem sechs­jäh­ri­gen Sohn erklä­ren, dass es kei­ne Möglichkeit gibt, die Familie nach Deutschland zu bekom­men. Er muss­te das dann sei­ner Mutter erklä­ren, hat selbst nicht ver­stan­den, was gera­de Sache ist und sei­ne Mutter ist so krass in Tränen aus­ge­bro­chen. Der klei­ne Junge war wirk­lich hef­tig über­for­dert. Die Beratung hing mir auch noch eine gan­ze Weile nach. Wir haben da auch viel pro­biert. Zum Beispiel haben wir mit Leuten aus Mecklenburg-Vorpommern tele­fo­niert, weil die da spe­zi­el­le Aufnahmeprogramme haben, die Sachsen-Anhalt nicht hat. 

Gibt es eigent­lich Schlupflöcher, zu denen ihr raten dürft, und wo lie­gen die Grenzen? 

Lukas: Es gibt ein paar. Zum Beispiel wer­den Leute nach Afghanistan abge­scho­ben. Das wird aber natür­lich nicht ange­kün­digt vor­her. Diese Termine bekommt man aber vor­her manch­mal raus. Es ist dann mög­lich, den Leuten, die das betref­fen könn­te, eine Mail zu schrei­ben und nur die Info wei­ter­zu­lei­ten. Was die Personen dann damit machen, liegt in ihrem Ermessen. Das pas­siert auch nicht im Namen von Amnesty. 

Niklas: Bei der Einreise gibt es auch rela­tiv vie­le Schlupflöcher. Oft infor­mie­ren sich die geflüch­te­ten Menschen über die­se bezüg­lich des Familiennachzugs. Grundsätzlich ver­langt das Gesetz für die lega­le Einreise (also nicht den Fluchtweg) einen Zweck. Zum Beispiel in Form eines Studienvisums. Die Leute ver­su­chen oft mit fal­schem Zweck ein­zu­rei­sen. Man holt sich zum Beispiel ein Touristenvisum und bean­tragt dann Asyl. Das kann prin­zi­pi­ell funk­tio­nie­ren, ich rate dazu trotz­dem nicht. Da der Gesetzgeber natür­lich die Fälle auch bedacht hat und die Konsequenzen für alle Beteiligten rela­tiv unschön sind. 
Wir haben aber zum Beispiel einen Pfarrer bei uns im AK, der oft mehr ver­sucht. Stichwort Kirchenasyl. 

Was ist das genau? 

Niklas: Kirchenasyl ist kein rich­ti­ges Rechtsinstitut. Die Kirche kann Menschen, die schon in Deutschland sind und von Abschiebung bedroht sind, auf­neh­men. Der Staat schiebt die­se Person dann nicht ab, weil er sich nicht in Kirchenangelegenheiten ein­mischt. Häufig soll dadurch auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens oder erneu­te Überprüfung des Asylantrags bezweckt werden. 

Lukas: Das ist aber eher so der letz­te Ausweg und auch schwie­rig. Die Kirchen kön­nen auch nicht unbe­dingt allen Menschen Asyl geben. Da braucht es auch einen star­ken zivil­ge­sell­schaft­li­chen Rückhalt. 

Wer kann sich bei euch engagieren? 

Lukas: Bei uns kann jeder mit­ma­chen. Wir sind zwar offi­zi­ell eine HSG, aber bei uns kön­nen auch Nicht-Studierende mit­ma­chen. Nur wenn man bera­ten möch­te, muss man bei Amnesty Mitglied wer­den und ein Seminar besu­chen, bei dem man eine Einführung ins Asylrecht bekommt. 

Wie lan­ge seid ihr im Schnitt mit den geflüch­te­ten Menschen in Kontakt? 

Niklas: Das kommt sehr auf den Fall an. Man muss auch zwi­schen vor und wäh­rend Corona dif­fe­ren­zie­ren. Wir haben unse­re Beratungspraxis gänz­lich auf online umgestellt. 

Lukas: Normalerweise kön­nen die Menschen ent­we­der bei uns vor­bei­kom­men, uns anru­fen oder eine Mail schreiben. 

Niklas: Wir haben Flyer in Geflüchtetenunterkünften und so wer­den sie dann auf uns auf­merk­sam. Oder durch Mund zu Mund Propaganda. 

Lukas: Entweder haben wir uns dann vor­her im Plenum kurz über den jewei­li­gen Fall bera­ten oder die Person gleich ein­ge­la­den mit der Bitte, alles was sie jemals in Deutschland an Papierkram bekom­men hat in Deutschland, mit­zu­brin­gen. Dann ver­su­chen wir das Problem zu fin­den und Lösungen zu erar­bei­ten. Oft gehen wir dann auch mit zu Gerichtsterminen, weil es doch hilft, wenn im Gerichtssaal eine Person aus der Zivilbevölkerung sitzt. Je nach­dem wie das Interesse der Person ist, geht so eine Beratung dann unter­schied­lich lan­ge. Manchmal gibt es nur eine Beratung, manch­mal bis zum Gerichtstermin, manch­mal auch län­ger.  
Online läuft es jetzt ein biss­chen anders. Wir bit­ten die geflüch­te­ten Menschen ihre Dokumente in eine siche­re Amnesty-Cloud hoch­zu­la­den und dann bera­ten wir sie online über eine Videokonferenz. 

Wie groß ist da die Barriere für geflüch­te­te Menschen, an einer Videokonferenz teilzunehmen? 

Lukas: Leider sehr hoch. Die meis­ten, die jetzt dar­an teil­ge­nom­men haben, muss­ten das über die Psychosoziale Beratungsstelle machen. Weil häu­fig, gera­de wenn sie in der ZASt Halberstadt leben, das Internet sehr schlecht ist. 

Niklas: Für uns bringt es online aber gro­ße Vorteile, wenn wir das Material vor­her sich­ten kön­nen. Wir kön­nen uns dann vor­her noch in der Gruppe bespre­chen und dann viel prä­zi­ser bera­ten. Sonst muss­te man immer sehr spon­tan auf die Fälle reagieren. 

Wie sind denn eure Erfahrungen mit Anwält:innen? 

Niklas: Wir ste­hen nicht in Kontakt mit bestimm­ten Kanzleien, geben aber ab und zu Empfehlungen.  
Ich wen­de mich auch oft an das Praxisprojekt Migrationsrecht der Universität. Dort kann man eine ASQ erwer­ben, also das ist nicht nur für Jurastudierende zugäng­lich. Man bekommt da einen guten Einblick in die grund­sätz­li­chen Fragen des Migrationsrechts. Die bei­den wis­sen­schaft­li­chen Mitarbeitenden, die das lei­ten, hel­fen mir per­sön­lich auch manch­mal bei Fragen. 

Lukas: Aber noch­mal zu den Anwältinnen und Anwälten. Es ist schon krass, was für einen qua­li­ta­ti­ven Unterschied es gibt. Manche sind sehr moti­viert und enga­giert, man­che eben nicht. Man darf auch nicht ver­ges­sen, dass es ein­fach eine gute Möglichkeit ist, Geld zu ver­die­nen. Die Leute haben meis­tens kei­ner­lei Alternativen, als sich an einen Anwalt zu wen­den und das Geld zu bezah­len.  
Ich hat­te ein­mal einen Fall, da war ein jun­ger Mann, der kei­nen Aufenthaltstitel bekom­men hat und in eine Duldung gerutscht ist. Das heißt, er hät­te jeder­zeit abge­scho­ben wer­den kön­nen. Das hat ihn natür­lich sehr mit­ge­nom­men und er war fer­tig. Der Richter mein­te aber, dass er über sei­nen Schulabschluss einen Aufenthaltstitel erwer­ben kön­ne. Daraufhin mein­te sei­ne Anwältin dann, dass man dazu aber ja erst­mal den Abschluss schaf­fen müs­se. Das fand ich schon eine kras­se Aussage. Selbst der Richter war sicht­lich verwirrt. 

Habt ihr ein beson­ders posi­ti­ves Beispiel einer Beratung, das euch in den Sinn kommt? 

(Langes Schweigen, dann betre­te­nes Lachen. So wirk­lich will kei­nem der bei­den ein Beispiel einfallen.) 

Niklas: Das Ding ist, dass die­se posi­ti­ven Beratungen nicht so den Glückseffekt haben, weil sie sehr ein­fach sind und schnell gehen. Ich habe auch das Gefühl, dass es wirk­lich mehr nega­ti­ve Beratungen gibt, als positive. 

Lukas: Ich den­ke auch, dass posi­ti­ve Erlebnisse weni­ger hän­gen blei­ben, weil wir die Leute auch danach nicht mehr beglei­ten müs­sen. Ich hat­te aber einen geflüch­te­ten Mann hier letz­tens, dem ich ein­fach nur erklärt habe, was er machen kann. Weil er aber auf allen Ämtern nie so wirk­lich Hilfe bekom­men hat­te und nicht wuss­te, was er machen soll, hat die­se Beratung ihn sehr froh gestimmt, auch wenn ihm bezüg­lich sei­nes Aufenthaltstitels noch gar nicht gehol­fen war. Manchmal hilft es auch ein­fach schon, den Leuten ihre Möglichkeiten auf­zu­zei­gen. Das war, glau­be ich, das letz­te rich­tig coo­le Beratungserlebnis. 

Habt ihr Erfahrungen mit Anfeindungen gemacht? Wie ist die Rückmeldung aus eurem Bekanntenkreis? 

Niklas: Das Feedback war, bis auf mei­ne etwas kon­ser­va­ti­ve Oma, die das alles nicht so ernst nimmt mit mei­nem „Gutmenschentum“, bis­her immer posi­tiv. Mit Anfeindungen habe ich zum Glück kei­ne Erfahrung gemacht. 

Lukas: Bei mir eben­so. Nur von Nachbar:innen aus der Heimat, die auch bei Pegida unter­wegs sind, gab es mal einen Kommentar. Wir ste­hen ja aber auch nicht im Licht der Öffentlichkeit, man erkennt uns also auch nicht auf der Straße und könn­te uns anfeinden. 

Kommt es manch­mal zu Diskussionen inner­halb des AK über Vorgehen oder zum Beispiel auch über Politisches? 

Lukas: Manchmal gibt es Richtungsdiskussionen. Zum Beispiel in Bezug auf die vor­hin ange­spro­che­ne Information über Abschiebungen. Wir klä­ren das dann aber auch immer. Über Ziele gibt es kei­ne Diskussion. 

Niklas: Wer sich bei Amnesty enga­giert, ver­tritt eben eine bestimm­te Meinung. Nur zu juris­ti­schen Diskussionen kommt es manch­mal. Dann schau­en wir aber noch­mal nach und kön­nen auch die­se Meinungsunterschiede schnell lösen. 

Der Asyl AK trifft sich alle zwei Wochen diens­tag­abends. Wenn ihr Menschen kennt, die Beratungen suchen oder ihr euch selbst gern enga­gie­ren wollt, lei­tet sie ger­ne an den Asyl AK wei­ter: +49 163 96 20 493 / asyl [at] ai-cam­pus [dot] de.

Mehr Infos gibt es auch hier: https://www.ai-campus.de/de/ 

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2 Comments
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Klein
Klein
2 Jahre zuvor

Tolles Interview! ich stu­die­re zwar kein jura aber ich habe jetzt lust mich zu engagieren!

Joana
Joana
2 Jahre zuvor

tol­les inter­view, vie­len dank für die­sen inter­es­san­ten und wich­ti­gen Einblick in die­sen Bereich!