„Instrumentenforschung 2.0“

Tagung in der Studiobühne der Abteilung Musikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Dachritzstr. 6, 4. Stock 12-14.11.2021

Eine Kooperation des musikwissenschaftlichen Seminars Paderborn/Detmold der Universität Paderborn und der Abteilung Musikwissenschaft der MLU Halle-Wittenberg

Worum es geht…

Die wissenschaftliche Erforschung von Musikinstrumenten galt lange Zeit als Domäne der klassischen Organologie sowie später auch der anwendungsorientierten und experimentalphysikalischen Erschließung von Instrumenten bzw. der Psychoakustik (Hall 1997). Im Fokus dieses traditionellen Fachbereichs westlicher Musikwissenschaft standen neben dem Instrumentenbau vor allem Taxonomien und Ordnungssysteme, wie beispielsweise das bis heute gültige und im Wesentlichen auch international noch verbindliche System von Sachs und Hornborstel (Sachs/Hornborstel 1914; MIMO Consortium 2011). Spätestens seit den 1990er Jahren mehrt sich jedoch die Kritik an der Auswahl der Instrumente (für einzelne Arbeiten), den thematisierten Aspekten und der Verschlossenheit der Organologie gegenüber anderen Fachdisziplinen wie z. B. den Science and Technology Studies (Bijsterfeld/Peters 2010). Auch die Ordnungssysteme selber wurden in diesem Zusammenhang – z. B. aus machtkritischer Perspektive – immer wieder in Frage gestellt (Kartomi 1990). Alternative Ansätze wurden vor allem durch die Entwicklung neuer Klangtechnologien und Musikstile angeregt (Kvifte 2007) und reichen teilweise bis in die 1950er Jahre zurück (Heyde 1975). Unter dem Schlagwort „Instrumentalität“ wurde schon früh darüber nachgedacht, welche Eigenschaften ein Instrument eigentlich ausmachen (Burrows 1987; Hardjowirogo 2017).

Mittlerweile hat auch die Organologie selbst Vorschläge für eine Erneuerung des Fachbereichs geliefert, z. B. indem zentrale Leerstellen formuliert und Brücken zu benachbarten Disziplinen geschlagen wurden (Tresch 2013, Magnusson 2009). Die Anzahl explizit musikwissenschaftlicher Forschungen, die das Arbeitsfeld der Organologie um die Frage nach der kulturellen Bedeutung der Instrumente ergänzen, blieb jedoch weiterhin – wie Straw es zuletzt 2012 anmerkte – überschaubar (Straw 2012). In den letzten Jahren mehren sich allerdings alternative Forschungsansätze, die sich Instrumenten als besonderen Gegenständen musikalischer Praxis dezidiert nähern. Häufig anschließend an Theorien und Methoden der material culture studies stehen in diesem Zusammenhang vermehrt kultur- und medienwissenschaftliche (Grossmann 2010), ökonomische, musikpädagogische sowie technik- (Pinch/Trocco 2002) und geschlechtersoziologische (Grotjahn et al. 2018) Fragestellungen im Vordergrund. Außerdem geraten zunehmend Instrumente der populären Musik (Waksmann 2001) und die durch das jeweilige Instrument erzeugten Kosmologien, sozialen Räume und Szenen ins Blickfeld (Dawe 2010; Schauberger 2019). Nicht zuletzt greifen auch qualitative und quantitative Studien zum Instrumentengebrauch (Herbst 2017) sowie künstlerische Forschung, wie sie prominent in der NIME betrieben wird, den Forschungsgegenstand auf unterschiedliche Art und Weise auf.

Was können Instrumente als besondere Gegenstände musikalischer Praxis über Gesellschaft und Geschichte erzählen? Welche spezifischen Bedeutungen kommen ihnen in unterschiedlichen Kontexten zu? Und welche theoretischen und methodologischen Perspektiven eröffnen sich im Umgang mit ihnen?

Diesen und weiteren Fragen möchten wir uns im Rahmen unserer Tagung widmen. Über den gemeinsamen Nenner „Instrument“ möchten wir unterschiedliche Disziplinen und Fachrichtungen miteinander ins Gespräch bringen, Diskussionen ermöglichen und so auf alternative Forschungsansätze aufmerksam machen. Zu diesem Zweck sind junge Forscher*innen und Studierende herzlich eingeladen, ihre Projekte, theoretisch-methodischen Konzepte und Forschungsgegenstände in unterschiedlichen Formaten zu präsentieren und ihre persönliche Perspektive auf konkrete Instrumente zur Diskussion zu stellen. Darüber hinaus soll unser Treffen als Netzwerkveranstaltung Gelegenheit dazu bieten, über forschungspraktische, finanzielle und politische Aspekte des Nachwuchsforscher*innen-Daseins ins Gespräch zu kommen. 

Literatur:

Bijsterveld, Karin; Peters, Peter Frank (2010): Composing Claims on Musical Instrument Development: A Science and Technology Studies‘ Contribution. In: Interdisciplinary Science Reviews (35/2), S. 106–121.

Dawe, Kevin (2010): The new Guitarscape in Critical Theory, Cultural Practice and Musical Performance. New York: Routledge.

Großmann, Rolf (2010): Distanzierte Verhältnisse? Zur Musikinstrumentalisierung der Reproduktionsmedien. In: Michael Harenberg und Daniel Weissberg (Hg.): Klang (ohne) Körper. Spuren und Potentiale des Körpers in der elektronischen Musik. Bielefeld: Transcript, S. 183–200.

Grotjahn, Rebecca; Schauberger, Sarah; Imm, Johanna; Jaeschke, Nina (Hg.) (2018): Das Geschlecht musikalischer Dinge. Hildesheim, Zürich, New York: Olms (= Jahrbuch Musik und Gender, Bd. 11).

Hall, Donald E. (1997): Musikalische Akustik. Ein Handbuch. Mainz: Schott.

Heyde, Herbert (1975): Grundlagen des natürlichen Systems der Musikinstrumente. Leipzig: VEB Deutscher Verlag für Musik.

Kartomi, Margaret J. (1990): On concepts and classifications of musical instruments. Chicago: University of Chicago Press.

Kvifte, Tellef; Jensen, Sverre (2007): Instruments and the electronic age. 2. Aufl. Oslo: Taragot Sounds.

Herbst, Jan Peter (2017): „Gear Acquisition Syndrome“. An empirical study of electric guitar players. In: Julia Merril (Hg.): Popular Music Studies Today. Proceedings of the International Association for the Study of Popular Music 2017. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 139–148.

Magnusson, Thor (2009): Of Epistemic Tools. Musical instruments as cognitive extensions. In: Organised Sound 14 (2), S. 168–176.

MIMO Consortium (2011): Revision of the Hornbostel-Sachs classification of musical instruments by the MIMO Consortium. Online verfügbar unter http://www.mimo-international.com/documents/Hornbostel%20Sachs.pdf, zuletzt geprüft am 03.09.2019.

Pinch, Trevor J.; Trocco, Frank (2002): Analog days: The invention and impact of the Moog synthesizer: Harvard University Press.

Sachs, Curt; Hornborstel, Erich Moritz von (1914): Systematik der Musikinstrumente. Ein Versuch. In: Zeitschrift für Ethnologie 46 (1/2), S. 553–590.

Schauberger, Sarah (2019): „Sometimes I sit and Think, and Sometimes I just Sit“. Eine ethnografische Erkundung zu Courtney Barnett – E-Gitarren, Gender und Empowerment. In: Laura Patrizia Fleischer, Florian Heesch (Hg.): „Sounds like a real man to me“ – Populäre Kultur, Musik und Männlichkeit (= Geschlecht und Gesellschaft, Bd. 69). Wiesbaden: Springer VS, S. 235–253.

Straw, Will (2012): Music and Material Culture. In: M. Clayton, T. Herbert, R. Middleton (Hg.): The Cultural Study of Music. A Critical Introduction. New York: Routledge, S. 227–236.

Tresch, John (2013): Toward a New Organology: Instruments of Music and Science. In: Osiris 28 (1), S. 278–298.

Waksman, Steve (2001): Instruments of Desire. The Electric Guitar and the Shaping of the Musical Experience. Harvard: Harvard University Press.