PLÄDOYER FÜR EINE REICHE SPRACHE IN RAUEN ZEITEN

Schreiben ist nicht zuletzt eine Frage der Werte: Andreas Montag, Kulturredakteur bei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle, vermittelte uns Studierenden im gemeinsamen Gespräch via Webex Einblicke in seine langjährige publizistische Erfahrung. Sein kurioserweise um 90 Grad gedrehtes Videobild blieb dabei das einzig Schräge in unserer interessanten Runde.

Für ihn gehe es im Journalismus darum, Wirklichkeit abzubilden – gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen, und zu beleuchten, mit Neugier und Unvoreingenommenheit den Dingen zu begegnen. Er ermutigte uns dazu, Position zu beziehen: „Werden Sie sich darüber klar, wie sie etwas finden, ansonsten können Sie nicht darüber schreiben.“ Dazu gehört auch, sich den aus dem eigenen Standpunkt folgenden Konsequenzen zu stellen – wie Montag am eigenen Leib erfährt, sei es in Form eines Theaterintendanten, der nach einer unliebsamen Kritik zu einer Inszenierung versuchte Hausverbot zu verhängen, oder beleidigenden Zuschriften von Lesern. Eine Zensur, wie er sie noch aus DDR-Zeiten kennt, gibt es heute glücklicherweise nicht mehr. Dennoch: „Der Ton ist rauer geworden.“ Selbst auf Hassmails, in denen zumindest ein Funken inhaltlicher Aussagen auszumachen ist, schafft er es regelmäßig zu antworten, auch wenn es „Kraft und Zeit kostet“: „Sehr geehrter Herr XY, vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Ich hätte mich darüber gefreut, wenn Sie sich auch zu einer freundlichen Anrede hätten entschließen können.“, zitiert der Redakteur sich selbst beispielhaft.

Die allgegenwärtigen Einbrüche in der Sprache beklagt Montag. Vielfalt und Reichtum würden verloren gehen. Bereits kleine Verkürzungen im Radio stoßen ihm auf. Bei der Frage, ob eine umgangssprachlich geläufige Aussage wie von ihm konkret kritisiert („diese Woche findet ein Konzert statt“, anstelle von „in dieser Woche findet es statt“) schon ein anprangerungswürdiges Ärgernis darstellt, wird es unterschiedliche Meinungen geben. Doch muss man ihm nicht in allen Details zustimmen, um Montags grundsätzliche Haltung gutzuheißen. Insgesamt vergingen die anderthalb Stunden schnell, zumal in Bastian Zimmermann vom Musikmagazin Positionen ein weiterer spannender Gast anwesend war. Manche Fragen mussten so offen bleiben. Um auf den Wert, neuartigen Aussagegehalt sowie die Innovationskraft eines von der bürgerlichen Norm abweichenden Sprachgebrauchs durch spezifische subkulturelle Szenen, wie ihn beispielsweise Jugendliche entwickeln, und dessen Potential für eine Befruchtung der gesamten Gesellschaft einzugehen, bleib in Anbetracht der großen Vielfalt an besprochenen Themen und der fortgeschrittenen Zeit keine Gelegenheit mehr.

Zweifellos trifft Sprachkultur den Kern unserer Umgangsformen und ist höchst relevant, nicht nur angesichts gesellschaftlicher Konfliktthemen wie der Flüchtlingsfrage oder der Debatte über den richtigen Umgang mit der Coronaviruspandemie. Dabei geht es neben Genauigkeit und Differenziertheit in der Wortwahl auch um einen Ausdruck, der von Freundlichkeit und Menschlichkeit geprägt ist. Andreas Montag möchte mitwirken, eine humanistische Diskussionskultur herzustellen, für die er sich in seinen Artikeln, wie auch im direkten Kontakt mit seiner Leserschaft leidenschaftlich einsetzt. Häufig seien Einsendende überrascht, wenn er ihnen auf niveaulose Zuschriften antworte – die darauf folgende Rückmeldung sei vielfach kleinlaut, beschämt und um eine entscheidende Erkenntnis reicher: Es ist möglich, sich miteinander auszutauschen, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Für seinen wertvollen Beitrag zu unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt kann man dem Journalisten und Autor nur danken, und sich selbst vornehmen, diesem Anspruch in der eigenen Sprache gerecht zu werden.

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