Repression und Alltag an einer „Problemfakultät“

Als religiöse Einrichtungen waren die theologischen Fakultäten von vornherein Fremdkörper im Staatsapparat der atheistischen DDR. Da die evangelische Kirche in den 40ern noch über großen Rückhalt verfügte und mehrheitlich staatskritisch war, versuche die SED sie zu schwächen und zu kontrollieren. Die theologischen Fakultäten spielten dabei eine wichtige Rolle, da auf sie als staatliche Einrichtungen starker Einfluss genommen werden konnte. Regimetreue, sogenannte ›fortschrittliche‹ Theologen wurden gefördert, das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (kurz MHF) mischte sich zu diesem Zweck rigoros in die Besetzung der Lehrstellen ein, während die Stasi die nötige Überwachungsarbeit leistete.

Bis Mitte der 60er wurde diese repressive Politik an den theologischen Fakultäten betrieben, danach führten personelle Wechsel im Ministerium zu einem Rückgang der Einmischung und einem verringerten Einfluss der Stasi. Eine vergleichbare Tendenz zu mehr Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten lässt sich, wenn auch zeitlich etwas versetzt, in den 60ern für die DDR-Gesellschaft insgesamt beschreiben. 1968 brachten ein neues Strafgesetzbuch, eine neue Verfassung und die dritte Hochschulreform allerdings gerade für Kirchen und Theologie neu staatliche Eingriffe mit sich. Gab es deswegen Protest und Widerstand?

Der Eindruck: „Da war doch nichts los“ lässt sich für die Theologische Fakultät Halle 1968 in gewisser Weise bestätigen. In Jena, Berlin, Leipzig und Greifswald übten Studierende bzw. Lehrende Kritik an der neuen Verfassung. In Leipzig protestierten beide Gruppen erfolglos gegen den Abriss der Universitätskirche. Die Niederschlagung des Prager Frühlings rief ebenfalls Protest hervor, während ›fortschrittliche Theologen‹ den Einmarsch als Abwehr gegen aggressive Politik des Westens deuteten.

Die III. Hochschulreform – Engagement als ›Disziplinierung von oben‹

In Halle hatte jedoch von den verschiedenen größeren Ereignissen und Entwicklungen des Jahres 1968 nur die III. Hochschulreform nachweisbare Auswirkungen. Im Fakultätsrat und bei diversen Veranstaltungen war sie Kernthema. Es wurden Arbeitsgruppen aus Studierenden, Lehrenden und Forschenden gebildet. Der Studentenwettstreit 1968 wurde als wichtiger Wegbereiter für die Reform verstanden, sollte diese doch gerade auch das Engagement der Studenten steigern, oder wie es der Dekan der Theologischen Fakultät am 23. Mai 1968 formulierte: „Das studentische Engagement […] das […] nicht nur auf die von sich aus Interessierten beschränkt bleiben darf.“[1] Engagement war hier nicht freie Entscheidung, sondern von oben verordnet, sowohl in Bezug auf die Mitgestaltung der Reform als auch in Bezug auf die politisch-ideologische Ausrichtung: es bedeutete letztlich Loyalität zum Staatssozialismus.

Beim Universitäts-Konzil von 1968, aus dessen Vorlauf das Zitat stammt, räumte der Vertreter der Theologischen Fakultät in seinem Redemanuskript beim Konzil Fehler ein, betonte aber die Fortschritte, die es bei der Umgestaltung des Studiums und auch beim Studentenwettstreit gegeben habe. Trotz der gestiegenen Beteiligung am Wettstreit blieb die theologische Fakultät jedoch unterrepräsentiert. Die Politik der III. Hochschulreform brachte Veränderung, jedoch noch nicht im staatlich erwünschten Maße, wohl auch weil die Fakultät nicht so an der Reform mitarbeitete wie die offiziellen Aussagen es vermuten lassen. Tatsächlich galt Halle als eine der Fakultäten mit den geringsten staatlichen Einflüssen.

Halle – die Problemfakultät?

In einer privaten Aussprache zwischen einigen leitenden Akteuren der Fakultät und des MHFs am 21.11.1968 wurde dann auch eine intensivere Erziehung der Studenten „zur Erhöhung ihres Staatsbewußtseins und ein stärkeres Engagement der Lehrkräfte dieser Fakultät in diesem Sinn“[2] die Hauptforderung an die Fakultät. Auch das Fehlen von FDJ-Mitgliedern in der Studierendenschaft wurde angeprangert, denn die FDJ spielte eine überaus wichtige Rolle bei der Überwachung der Mitglieder der Fakultät.

Von Seiten der theologischen Fakultäten gab es ebenfalls Kritik. Auf Initiative des Berliner Dekans war eine ausführliche Stellungnahme gegen die angedachte Verkürzung des Studiums auf vier Jahre entstanden, hinter die sich auch die Fakultät Halle stellte. Auch die Umgestaltung zu Sektionen brachte Streitpunkte mit sich, bei denen das MHF der Fakultät in der erwähnten Aussprache sogar teilweise näherkam. Doch die erzielte Einigung hielt nicht lange vor – der stellvertretende Minister des MHF verschob Anfang 1969 den offiziellen Abschluss der Reform an der Fakultät, bis diese ihn sich „verdient“[3] habe. Das entscheidende Problem dürfte die ideologische Festigung und Erziehung gewesen sein.

Der Fall Bassarak

Um 1968 kam es an der Fakultät außerdem zum kuriosen Fall Bassarak. Gerhard Bassarak war ein fortschrittlicher, als IM ››Buss‹‹ von der Stasi geförderter Theologe, der 1967 pro forma in Halle Professor wurde. Als ich das erste Mal über seine Ernennung las, war ich ziemlich erstaunt, denn im ganzen Schriftverkehr der Fakultät und im Vorlesungsverzeichnis wird er nicht erwähnt. Das liegt daran, dass Bassarak zwar bis 1969 eine Professur in Halle innehatte, allerdings nie an der Fakultät tätig war.[4]

Gerhard Bassarak 1967 bei einer Tagung

Bassarak selbst wollte eigentlich eine Professur in Berlin; da dies ’67 nicht möglich war, erzwang die Stasi seine Berufung nach Halle. Dort war durch die Emeritierung des regimekritischen Arno Lehmann eine Professur freigeworden. Sie wurde nun unter Bassarak von einer missionstheologischen in eine ökumenische umgewandelt, was innerhalb der Theologie in der DDR eine Umwandlung von regimefern zu regimekonform bedeutete.

Bassaraks erzwungene ›Scheinprofessur‹ war Ende der 60er einer von wenigen Fällen, zuvor waren staatliche Eingriffe bei Besetzungen jedoch normal gewesen. Die Fakultät Halle hatte Glück ihre große Emeritierungswelle um 1966 in einer Phase relativer Freiheit zu erleben; das erlaubte ihr, die Ränge der Fakultät größtenteils autonom nachzubesetzen.

Die großen zeitgeschichtlichen Ereignisse von 1968 haben an der Theologischen Fakultät in Halle insgesamt keinen Protest hervorgerufen. Stattdessen wurden in dieser Phase die ideologische Festigung der Lehrkräfte und die ideologische Erziehung der Studierenden von staatlicher Seite vorangetrieben – allerdings nicht ohne den Widerstand der Fakultät, die sich ihre relative Freiheit auch durch die Hochschulreform hindurch erhalten konnte. Öffentliche Opposition wagte die Fakultät aber nicht.

 

Für Interessierte gibt es auch noch eine deutlich detailliertere Version dieses Textes.

 

Literatur und Quellen:

Rainer Eckert, Mechthild Günther u. Stefan Wolle: “Klassengegner gelungen einzudringen…“. Fallstudie zur Anatomie politischer Verfolgungskampagnen am Beispiel der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin in den Jahren 1968 bis 1972, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (1993), S. 197–225.

Matthias Middell: 1968 in der DDR. Das Beispiel der Hochschulreform, in: Etienne François u.a. (Hg.): 1968. Ein europäisches Jahr, Leipzig 1997, S. 125–146.

Dietrich Mühlberg: Wann war 68 im Osten? Oder: Wer waren die 68er im Osten, in: Berliner Blätter 18 (1999), S. 44–58.

Friedemann Stengel: Die Theologischen Fakultäten in der DDR. Als Problem der Kirchen- und Hochschulpolitik des SED-Staates bis zu ihrer Umwandlung in Sektionen 1970/71, Leipzig 1998.

Dorothee Wierling: Geboren im Jahr Eins. Der Jahrgang 1949 in der DDR. Versuch einer Kollektivbiographie, Berlin 2002.

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UAHW, Rep. 7 Nr. 1224.

UAHW, Rep. 7 Nr. 1263.

UAHW, Rep. 7 Nr. 1247.

UAHW, Rep. 27 Nr. 301.

UAHW, Rep. 27 Nr. 309.

[1] UAHW, Rep. 7, Nr. 1263, Brief des Dekans an den Rektor vom 23.5.1968.

[2] UAHW, Rep. 7, Nr. 1224, Aktennotiz über Aussprache vom 21.11.1968.

[3] UAHW, Rep. 7, Nr. 1224, Aktenvermerk vom 10.01.1969.

[4] Hier möchte ich mich noch einmal für die erhellende Auskunft von Eberhard Winkler bedanken, der Ende der 60er Dozent an der theologischen Fakultät war und mir die Scheinprofessur bestätigen konnte.

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