Essenz: Waschbären und Menschen

Nachdem wir nun den Waschbären als Tier mit seinen für ihn eigentümlichen Merkmalen und Lebensweisen kennengelernt haben, möchte ich mich in dem folgenden Abschnitt nun ausführlichst mit der Beziehung zwischen Waschbär und Mensch allen voran aus literatur- sowie kulturwissenschaftlicher Perspektive heraus beschäftigen. Dazu ist es zunächst wichtig zu beleuchten, wie der Waschbär als sogenannter „Neozoon“ sich überhaupt seinen Weg in unser Ökosystem, unser Leben und damit in unsere Kultur gebahnt hat. Darauf aufbauend soll dann der Frage nachgegangen werden, wo der Waschbär eine zentrale Gestalt in unserer Kultur darstellt. Der Kleinbär wird dabei als literarisches bzw. kunstgeschichtliches Tier betrachtet, welches maßgeblich Einfluss auf unsere Städte nimmt und genommen hat. Ein Vergleich zwischen der amerikanischen Kultur, aus der der Waschbär ursprünglich stammt, und der deutschen Kultur sowie ein Blick in die Vergangenheit wird in diesem Zusammenhang ebenfalls angestrebt. Abschließend möchte ich noch einmal die Konflikte zwischen Waschbären und Menschen in den Mittelpunkt meiner Betrachtung rücken.

Die (Verbreitungs-)Geschichte der Waschbären

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit kam der Waschbär ausschließlich in Amerika, um genau zu sein zwischen dem südlichen Kanada und Panama, vor. Heute besiedelt er weite Teile Europas und sogar Asiens. Doch wie gelang dem Kleinbären dieser erfolgreiche Streitzug?

Fangen wir ganz von vorne an: Bereits vor rund 40 Millionen Jahren waren sogenannte „Ur-Waschbären“ im tropischen Mittelamerika beheimatet. Diese wurden vor rund 10 Millionen Jahren aufgrund der Eiszeit dazu gezwungen, sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Daraus ging die Gattung der „Procyon“, also der eigentlichen Waschbären, wie wir sie heute kennen, hervor. Der nordamerikanische Waschbär existiert also bereits seit 2,5 Millionen Jahren auf dieser Erde und schaffte nicht nur den Sprung aus subtropischen Bereichen in die kalt-gemäßigten Breiten Südkanadas, sondern auch zu uns nach Europa. Hat Kolumbus dabei etwa seine Finger im Spiel gehabt?
Auch wenn große Seefahrer und Weltenentdecker wie Kolumbus und John Smith auf ihren Reisen in die „Neue Welt“ durchaus Bekanntschaft mit den Waschbären machten und versuchten, ihnen bereits erste Namen zu geben, sind sie nicht dafür verantwortlich, dass das Tier sich in unseren Breitengraden niederlassen konnte.[1] Dies geschah erst Mitte des 20. Jahrhunderts aufgrund von drei Kernereignissen: So wurden im Jahre 1934 zunächst zwei Waschbärpärchen vom damaligen Forstamt Vöhl am Edersee (Hessen) ausgesetzt. Überliefert ist von diesem Ereignis ein Schreiben, in dem ein Geflügelzüchter dem Forstmeister von Berlepsch von zwei Waschbärpärchen berichtet, die er in seinen Gehegen hielt und ihm vorschlug, die Exoten freizulassen, „,aus Freude unsere heimische Fauna bereichern zu können‘“[2]. Dieser Brief markiert also den Beginn der Geschichte des Waschbären in Deutschland. Warum der Forstmeister dem benannten Vorschlag zugestimmt hat, ist aus heutiger Sicht schwer zu sagen. Zumindest machte der Geflügelzüchter sich keine großen Sorgen um mögliche Auswirkungen des Waschbären auf das Ökosystem und schob trotzdem jegliche Verantwortung von sich:

„,Wenn auch nicht zu erwarten ist, daß die Waschbären irgendwelchen nennenswerten Schaden machen werden, da sie […] Allesfresser sind und sich hauptsächlich von Kleintieren […], Waldbeeren und Mäusen ernähren, muß ich irgendwelche Haftung für eventuellen Schaden ablehnen. Ich würde mich freuen, wenn die harmlosen und netten Waschbären in den kurhessischen Wäldern heimisch würden[.]‘“[3].

Bemerkenswert ist auch, dass von Berlepsch die vier Tiere zunächst ohne Erlaubnis aussetzte. Diese wurde ihm später zwar zuteil, jedoch mit einer Einschränkung, dass die Tiere unter Beobachtung bleiben sollten und über eventuelle Schäden spätestens in einem Jahr Meldung gemacht werden müsste. Das zweite Ereignis spielte sich in den letzten Kriegstagen ab, als 25 Waschbären aus einer Waschbär-Farm nahe Berlin entkamen, da ihre Gehege durch die Detonation einer Bombe zerstört wurden. In den laubholz- und gewässerreichen Landstrichen der Märkischen Schweiz fanden sie jedoch Zuflucht. Zum Dritten zwang der eskalierende Vietnamkrieg 1966 die bei Laon in Nordfrankreich stationierten US-Soldaten dazu, ihren Stützpunkt unerwartet zu verlassen, sodass sie ihre aus der Heimat mitgebrachten Waschbär-Maskottchen kurzerhand in die Freiheit der umliegenden Wälder entließen. Diese drei Kerngebiete der Waschbären lassen sich auch heute noch gut voneinander abgrenzen und bilden die Ausgangspunkte für nahezu die gesamte Waschbärpopulation in Deutschland und Umgebung. Aufgrund von Bedenken einzelner Zoologen, dem Preisverfall auf dem Pelzmarkt sowie Meldungen von geplündert Obstbäumen stießen die Neulinge jedoch schnell auf allgemeine Ablehnung seitens der Bevölkerung. So schrieb der Verhaltensforscher Konrad Lorenz in einem Brief beispielsweise:

„,Ich halte das Einführen einer fremdländischen Tierart, noch dazu, wenn es sich um eine so anpassungsfähige wie den Waschbären handelt, für ausgesprochen gefährlich. Es ist nie abzusehen, welche Rückwirkungen das haben wird[.]‘“[4].

Dies hatte zur Folge, dass der Waschbär in den 1950er-Jahren zur Jagd freigegeben wurde mit dem Ziel, ihn auszurotten. So ging es in den 1970er- und 1980er-Jahren Tausenden von ihnen an den Kragen, jedoch ohne dem anfangs angestrebten Ziel auch nur ansatzweise nah zu kommen. 

Mittlerweile haben sich die Waschbären in ganz Mitteldeutschland, den Benelux-Staaten, Ostfrankreich, Nordschweiz, Österreich, Tschechien und Dänemark niedergelassen. In Deutschland wird er nach dem Naturschutzgesetz bereits als heimische Tierart bzw. nach dem Jagdrecht als nicht-fremde Wildart betrachtet. Die Chancen stehen gut, dass sie auch bald schon den Laubwaldgürtel der gesamten nördlichen Hemisphäre erobert haben werden und so sollte einem jeden bewusst sein: „Der Waschbär ist aus unserer Heimat nicht mehr wegzudenken, egal was man davon halten mag[.]“[5].[6]

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Waschbären in der Kultur der Menschen

„Waschbär“ – spricht man dieses Wort einmal ganz bewusst, laut und langsam aus, kann man sich ein kleines Schmunzeln, gefolgt von vielen Fragezeichen kaum verkneifen: Ich persönlich bin der Vorstellung, wie ein Waschbär meine Wäsche wäscht, nicht ganz abgeneigt und wenn das putzige Fellknäul sie danach auch noch zum Trocknen aufhängt, da wär’s um mich geschehen. Was nach einer albernen Vorstellung klingt, ist gar nicht mal so weit von der Realität entfernt, wie man meinen würde. Aber betrachten wir die Sache doch von Beginn an: Kolumbus machte 1492 den ersten Versuch, unserem heutigen „Waschbären“ einen passenden Namen zu geben und bezeichnete ihn übersetzt als „stummen Hund“. Kapitän John Smith versuchte 1612 gar nicht erst, sich einen Namen für das Tierchen auszudenken, sondern zitierte die Indianer der Ostküste Amerikas, die den Waschbären „Aroughcun“ oder „Ahrah-koon-em“ nannten. Aus diesen Begriffen formten die weißen Siedler schließlich das heute gebräuchliche, englische Wort „raccoon“. In Deutschland taten sich die Wissenschaftler der 17. Und 18. Jahrhunderts hingegen sehr schwer, einen passenden Namen für den Waschbären zu finden und ihn damit einer Tiergattung zuzuordnen. Die heutige, wissenschaftliche Bezeichnung für den Waschbären lautet „Procyon lotor“. Dabei indiziert das Wort „Procyon“, dass der Waschbär eine Art „Vorhund“ sowie eine eigenständige Raubtiergattung darstellt. Der Begriff „lotor“ hingegen bedeutet „waschen“ und gründet auf dem Irrglauben, der Waschbär wasche seine Nahrung. Tatsächlich aber waschen nur in Gefangenschaft gehaltene Kleinbären teilweise ihr Nahrung und führen damit eine Art Leerlaufhandlung us, freilebende Tiere tun dies nicht.[7]

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In älteren Deutschen Werken findet man außerdem die heute selten genutzte Bezeichnung „Schupp“, die laut dem Grimms Wörterbuch von dem russischen Wort für „Pelz“ abstammt.[8] Was in Anbetracht dessen, dass der Waschbär in unsere sowie in der nordamerikanischen und russischen Kultur vor allem durch seinen Pelz und dessen Verarbeitung Spuren hinterlassen hat, als sehr interessant erscheint. Denn bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde Waschbärpelz für Besätze und Mäntel verwendet. Dabei fungierte Halles Nachbarstadt Leipzig als einer der wichtigsten Umschlagsplätze für den Weitertransport der Felle nach Russland. Doch erst in den 1920er-Jahren begann man in Deutschland damit, Waschbären zur Nutzung für Pelzzwecke zu züchten. Seitdem genießt der Waschbärpelz weltweit mal mehr, mal weniger Aufmerksamkeit in der Modewelt. So galt der Waschbärmantel mit der Erfindung des Kraftfahrzeuges als das Chauffeurkleid schlechthin. Bis über die 1930er-Jahre hinaus wurde als Statussymbol angesehen und sogar als „,hundred Dollar coon coat‘“[9] bedichtet. In den 1950er-Jahren löste Walt Disney einen regelrechten Hype um den Waschbärpelz aus, als ihn er mit der Fernsehserie über den amerikanischen Politiker Davy Crocket, der stets eine Waschbär-Mütze mit Schweif trug, zum It-Piece machte. Eine solche Kopfbedeckung bekam man zu dieser Zeit bereits für 17,50 Dollar.[10] Doch wie steht es heute um die Rauchware? Momentan spielt Waschbärpelz in der Modeindustrie eine eher kleine Rolle. Von einem „Trend“ o.ä. kann man dabei auf jeden Fall nicht sprechen. Nichtsdestotrotz verkaufen noch immer Luxusmarken wie Yves Saint Laurent[11] oder Woolrich[12] Mäntel mit Waschbärpelz-Besatz, sodass man davon ausgehen kann, dass das Fell nach wie vor als attraktive Luxusware betrachtet wird.

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Doch nicht nur sein Pelz macht den Waschbären zu einer Art „Kulturgut“. Vor allem in den USA wird kein Tier so stark mit der Geschichte des Landes assoziiert wie der „raccoon“, der seit vielen Jahrhunderten eng mit der nationalen Kultur verbunden ist. Manch einer wie der Zoologe Samuel I. Zeveloff fordert sogar, das Nationalsymbol des Adlers durch das des Waschbären zu ersetzen. Doch auch Experten wie Zeveloff kommen nicht umhin festzustellen, dass sich die Wahrnehmung des Waschbären aus Menschensicht mit der Zeit verändert hat. Nichtsdestotrotz nimmt der kleine maskierte Räuber eine besondere Rolle in verschiedensten Kulturen verschiedenster Regionen ein. Besonders in der Kultur der indigenen Völker Amerikas haben Waschbären als Nachbarn, Nahrungsmittel, Kleidungsstück, Haustier und Symbol eine tragende Bedeutung. Denkt man beispielsweise an den allseits bekannten Disney-Film „Pocahontas“ so taucht auch dort ein Waschbär namens „Meeko“ als treuer Freund der Hauptfigur auf. Meeko wird in dem Film als schlaues und gieriges Tier dargestellt, welches gerne von anderen stielt. Auch Hohmann stellt fest, dass die Intelligenz und geistige Beweglichkeit des Waschbären ihm innerhalb der amerikanischen Folklore zu einem ähnlichen Image verholfen haben, wie es hierzulande dem Fuchs zugeschrieben wird[13] Und nicht nur die Disney-Verfilmung steht in engem Bezug zu dem Kleinbären. Auch in der realen Geschichte ist es Pocahontas, die John Smith ihre Sprache lehrt und damit den Grundstein für den heute in der englischen Sprache gebräuchlichen Begriff „raccoon“ legt. Der Waschbär wird rückblickend also nicht nur mit seinem Pelz und seiner wilden Natur-, sondern vor allem mit den indigenen Völkern Amerikas assoziiert und „[t]his relationship would define the raccoon’s symbolism as a colonial commodity and emblem of North America[.]“[14]. Mit der Entwicklung der Britischen Kolonien in Nordamerika im 18. Jahrhundert wendet sich das Blatt jedoch: Der Kleinbär wird weniger mit den indigenen Völkern- und vielmehr mit der Wildheit der maskulinen, oft wenig-gebildeten Kolonisten in Verbindung gebracht. Dies wirft zwar einerseits kein gutes Licht auf ihn, andererseits machen die für die Kolonisten typischen und bereits erwähnten Kappen aus Waschbärfell den kleinen Räuber zu einem nationalen Symbol des Patriotismus: „Raccoons became inextricably associated with American political identity and commercial expansionism in the years following the Revolution[.]“[15]. Mit der zunehmenden Verstädterung, dem Pelzhandel sowie dem rasanten Anstieg der Waschbärpopulation verlor der Waschbär trotzdem nach und nach seinen Status als Nationalsymbol der USA, sodass er zusehends negativ dargestellt wurde, wie beispielsweise anhand der Karikatur von Abraham Lincoln als Waschbär, der dem Tode geweiht ist, abzulesen ist. Hinzukommt, dass die immer weiter wachsende, „weiße“ Mittelschicht ab Ende des 19. Jahrhunderts die Abkürzung „coon“ als Bezeichnung für Afro-Amerikaner verwendet. Das „racoon-hunting“ bekommt in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutung in dem Sinne, dass „[…] slow, dull-witted, even degenerate Black men wasting time in brutish pleasure and avoiding respectable labor at night to chase after racoons […]“[16]. Anfang des 20. Jahrhunderts bedient sich auch der Ku-Klux-Klan solchen und ähnlichen Bezeichnungen. Dementsprechend wird das Wort „coon“ lange Zeit als rassistische Äußerung gegenüber Afro-Amerikaner sowie indigenen Völkern verwendet. Doch wie steht es heutzutage um den Waschbären in der amerikanischen Kultur? Nach wie vor betreiben einige sozioökonomisch schlechter gestellte US-Amerikaner vor allem im Süden des Landes Jagd auf Waschbären, um sie anschließend zu verspeisen. Mit den Südstaaten ist der Waschbär generell besonders verbunden, denn er taucht in vielen regionalen Gedichten, Geschichten und Liedern oftmals gemeinsam mit einem Opossum auf. In South Carolina erfreut sich darüber hinaus die Jagd nach Waschbären mit Hunden, das sogenannte „Coonhound“, steigender Beliebtheit. Dabei stehen jedoch vor allem die Fähigkeiten des Hundes- und weniger die des Waschbären im Vordergrund.[17] Alles in allem wird den Waschbären in Nord-Amerika heute kaum mehr große Aufmerksamkeit zuteil, schließlich gehören sie in vielen Städten mittlerweile zum festen Inventar und fallen daher auch kaum noch auf. Doch genauso, wie sie das Land schon seit vielen Jahrhunderten besiedeln, werden sie den Menschen auch weiterhin erhalten bleiben: „Whatever the future holds for our current imperial age,  raccons are very likely to survive it[.]“[18].[19]

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Ganz so gleichgültig wie in Amerika steht man hierzulande dem Kleinbären nicht gegenüber. Artikelüberschriften wie „Deutschland wird zum Land der Waschbären“[20], „Der Waschbär – Ein Spitzbube mit Zerstörungspotenzial“[21], „Der Waschbär – Ein Problembär!“[22] oder „Süßer, böser Waschbär[23] machen deutlich, dass die deutsche Bevölkerung dem Tier und vor allem seiner rasanten Verbreitung eher kritisch gegenübersteht. Auch in meiner Heimatstadt Halle an der Saale haben die Waschbären schon für die ein oder andere Schlagzeile gesorgt. So habe ich zunächst mit Belustigung gelesen: „Ein Waschbär hat am Dienstagnachmittag einen Feuerwehreinsatz an der Moritzkirche in Halle (Saale) ausgelöst. Das Tier saß über dem Eingangsportal der Kirche und schien dort nicht wegzukommen[.]“[24]. Doch ist auch dieser Artikel nur ein weiterer Beweis dafür, dass die Waschbären sich meine Stadt längst zu eigen gemacht haben. Wurden 2010 noch gerade einmal neun Waschbären im Stadtgebiet erlegt, so waren es 2015 bereits über 100.[25] Man kann davon ausgehen, dass die Zahlen bis heute angestiegen sind und auch in Zukunft weiter steigen. Kein Wunder also, wenn das Hallespektrum titelt „Waschbären: Putzige Lästlinge“[26] und dazu passend schreibt: „Immer weniger scheu, geradezu dreist nisten die schlauen Tiere sich ein und bedienen sich schamlos in unseren Nutzgärten und Mülltonnen. Manche Vogelbrut und hoffnungsvoll reifendes Obst und Gemüse fielen ihnen schon zum Opfer[.]“[27]. Der Waschbär genießt in Deutschland also allem Anschein nach keinen sonderlich guten Ruf. Vor allem die Frage, was man als Privatperson gegen die Sesshaftwerdung vom Waschbären im eigenen Garten tun kann, steht für viele im Vordergrund. Auch der Verzehr von Waschbärfleisch ist in unseren Gefilden noch nicht wirklich angekommen und das, obwohl es für das Klima „,[…] deutlich besser [ist] einen Waschbären zu essen als Billigfleisch aus den Discountern[.]‘“[28].[29] Ganz anders als in Amerika haben wir in Deutschland anscheinend keinen Platz in unserem Ökosystem für den kleinen „Neuankömmling“ und schon gar nicht erst in unserem Speiseplan oder unserer Kultur – außer vielleicht für seinen Pelz, aber auch nur, wenn der gerade in Mode ist.

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Dies wird besonders deutlich, wenn man einmal den Begriff „Waschbär“ in eine einschlägige Suchmaschine eingibt, wie die angebrachten Zeitungsartikel bereits gezeigt haben. Auch in unserer Literatur erscheint der Waschbär als seltene Figur. Schließlich haben wir ja schon den Fuchs, der beispielsweise eine tragende Rolle in vielen deutschen Fabeln spielt, wie Hohmann bereits erkannt hat. Während meiner Recherche bin ich trotzdem auf zwei Kinderbücher gestoßen, die den Waschbären als Protagonisten implementiert haben. Zum einen beschreibt das Buch „Manuel und der Waschbär“[30] von Martin Meißner aus dem Jahre 1983, wie der kleine Junge Manuel nach langer Zeit endlich sein Schweigen bricht und seinen Sprachlehrer fragt, ob er auch die Sprache der Tiere beherrscht. Denn Manuel hat kurz zuvor das erste Mal in seinem Leben einen Waschbären gesehen, den er unwissend als „Dingo“ bezeichnet hat. Im Verlauf der Geschichte nähert sich der kleine Junge dem Waschbären nicht nur immer weiter an, sondern beschützt seinen Freund später auch davor, als Eierdieb bestraft zu werden.[31] Dass Manuel in seinem Alter noch nie einen Waschbären gesehen hat, erscheint in Anbetracht des Erscheinungsjahres des Buches als besonders interessant. Heutzutage ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gleichaltrige Kinder durchaus wissen, wie ein Waschbär aussieht. Dies zeigt auch das zweite Kinderbuch, auf das ich während meiner Recherche gestoßen bin. Es trägt den Titel „Über den großen Fluss“[32] und stammt von Armin Beuscher aus dem Jahre 2006. Das aufwändig illustrierte Buch ist für Kinder zwischen vier und fünf Jahren vorgesehen und soll ihnen auf kindgerechte Art und Weise den Umgang mit Trauer sowie mit dem Verlust eines geliebten Menschen nahebringen. Auch wenn der Waschbär auf dem Cover des Buches mit dargestellt wird, so ist es doch der Hase, der wie in vielen anderen deutschen Erzählungen die Hauptrolle in der Geschichte spielt.[33] Nichtsdestotrotz erscheint es als Indikator für den wachsenden Bekanntheitsgrad des Waschbären und damit auch für seine voranschreitende Ausbreitung innerhalb Deutschlands, dass dieser im Jahre 2006 eine Figur in einem Kinderbuch darstellt.

Auch wenn wir dem Waschbären hierzulande in freier Natur oder nachts in den Städten begegnen, kommt es in Amerika gelegentlich vor, dass Waschbären auch als Heimtiere gehalten werden. Experten wie Hohmann und Bartussek raten jedoch dringlichst davon ab, insofern es sich bei dem betreffenden Tierchen nicht um ein Findelkind handelt. Denn „[i]n Wahrheit ist der Waschbär, auch wenn er noch so putzig aussieht, ein Wildtier, dessen Bedürfnisse nicht immer mit denen des Menschen übereinstimmen[.]“[34]. So ist eine Haushaltung nur eingeschränkt möglich, da viele Tiere im Zuge ihrer Geschlechtsreife aggressiv werden können und nur eine frühzeitige Kastration Abhilfe schafft. Hinzukommt, dass in Gefangenschaft gehaltene Waschbären aufgrund mangelnder Bewegung und/oder falscher Ernährung oftmals verfetten und Verhaltensstörungen entwickeln. Daher ist die Haltung in vielen Bundesstaaten Amerikas sowie seit 2016 in der Europäischen Union verboten:

„Waschbären gehören nicht hinter Gitter oder ins Haus. Wer jemals einen wilden Bären an einem Waldbach beobachten durfte, der wird das nicht nur verstehen, sondern auch wollen[.]“[35].[36] [37]


[1] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 43-53.

[2] Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 9.

[3] Zit. Kampmann: Der Waschbär. Zit. n. Rolf Haag. S.9.

[4] Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. Zit. n. Konrad Lorenz. S. 18.

[5]  Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 20.

[6] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 9-21.

[7] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 43-45.

[8] Vgl. Wörterbuchnetz: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GS19257#0 (zuletzt abgerufen am 11.08.2021).

[9] Zit. Wikipedia: Waschbärfell. Zit. n. Richard W. Service. https://de.wikipedia.org/wiki/Waschb%C3%A4rfell#cite_note-Ewing-19 (zuletzt abgerufen am 12.08.2021).

[10] Vgl. Wikipedia: Waschbärfell.

[11] Vgl. Yves Saint Laurent: Oversize-Parka aus Baumwollgabardine und Waschbärpelz. https://www.ysl.com/de-de/mantel/oversize-parka-aus-baumwollgabardine-und-waschbarpelz-583272Y969V2840.html (zuletzt abgerufen am 12.08.2021).

[12] Vgl. Woolrich: Arctic Parka mit Waschbärpelz. https://www.woolrich.com/de/de/arctic-parka-mit-waschbaerpelz-CFWWOU0299FRUT0001_BLK.html (zuletzt abgerufen am 12.08.2021).

[13] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 70-71.

[14] Zit. Burton, Antoinette und Renisa Mawani: R is for Raccoon. In: Animalia: An Anti-Imperial Bestiary for Our Times. Durham:Duke University Press 2020. S. 156.

[15] Zit. Burton, Mawani: R is for Raccoon. S. 157.

[16] Zit. Burton, Mawani: R is for Raccoon. S. 159.

[17] Vgl. Zeveloff, Samuel I.: Raccoons. A Natural History. Vancouver/Toronto: UBC Press 2002. S. 165-177. https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=vnhVibvnzvIC&oi=fnd&pg=PP8&dq=holmgren+raccoons&ots=pm8YfEBW3R&sig=4znLMimAvjg30YvTCpd3zvcgVMA&redir_esc=y#v=onepage&q=holmgren%20raccoons&f=false (zuletzt abgerufen am 02.08.2021).

[18] Zit. Burton, Mawani: R is for Raccoon. S. 160.

[19] Vgl. Burton, Mawani: R is for Raccoon. S. 153-161.

[20] Zit. Körner, Peer: Deutschland wird zum Land der Waschbären. In: Welt. https://www.welt.de/wissenschaft/article137663390/Deutschland-wird-zum-Land-der-Waschbaeren.html (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[21] Zit. Lässig, Reinhard: Der Waschbär – Ein Spitzbube mit Zerstörungspotenzial. In: waldwissen.net. https://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/wald-und-wild/wildoekologie/der-waschbaer-in-der-schweiz (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[22] Zit. Laske, Dorothea und Stephan Held: Der Waschbär – Ein Problembär!. In: Region Hannover. https://www.hannover.de/content/download/689268/file/25664_36.24_Info%204.3_Der%20Waschb%C3%A4r-%20ein%20Problemb%C3%A4r_rz_neu.pdf (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[23] Zit. Berge, Hartmut: Süßer, böser Waschbär. In: Oberhessische Presse. https://www.op-marburg.de/Marburg/Population-angestigen-Waschbaer-spaltet-die-Bevoelkerung (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[24] Zit. Seppelt, Enrico; Waschbär an der Moritzkirche haut vor der Feuerwehr ab. In: Du bist Halle. https://dubisthalle.de/waschbaer-an-der-moritzkirche-haut-vor-der-feuerwehr-ab (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[25] Vgl. Falgowski, Michael: Plage in Halle?: Hundert Waschbären im Stadtgebiet erlegt. In. Mitteldeutsche Zeitung. https://www.mz.de/lokal/halle-saale/plage-in-halle-hundert-waschbaren-im-stadtgebiet-erlegt-3086869 (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[26] Zit. Ferenz, H.J.: Waschbären: Putzige Lästlinge. In: Hallespektrum. https://hallespektrum.de/nachrichten/umwelt-verkehr/waschbaeren-putzige-laestlinge/379871/ (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[27] Ebd.

[28] Zit. Hell, Anna: Wird Waschbärfleisch zum Lebensmittel in Deutschland?. In: Augsburger Allgemeine. https://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Waschbaer-Wird-Waschbaerfleisch-zum-Lebensmitteltrend-in-Deutschland-id58571411.html (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[29] Vgl. Hell: Wird Waschbärfleisch zum Lebensmittel in Deutschland?.

[30] Zit. Meissner, Martin: Manuel und der Waschbär. Godern: Pekrul & Sohn Gbr 2011. https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=cI8jBAAAQBAJ&oi=fnd&pg=PT2&dq=manuel+und+der+waschb%C3%A4r&ots=p8OBKtOsEh&sig=nfWtD3JBtdldlHCZ3wKclkToSZk&redir_esc=y#v=onepage&q=manuel%20und%20der%20waschb%C3%A4r&f=false (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[31] Vgl. Meissner: Manuel und der Waschbär.

[32] Zit. Beuscher, Armin: Über den großen Fluss: vom Abschiednehmen und Trauern, vom Mutfinden und Trostgeben; eine Geschichte. Düsseldorf: Sauerländer 2006.

[33] Vgl. Beuscher: Über den großen Fluss.

[34] Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 173 f.

[35] Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 188.

[36] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 173-188.

[37] Vgl. Wikipedia: Waschbär. https://de.wikipedia.org/wiki/Waschb%C3%A4r#Haltung_als_Heimtier (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).