Vertiefung: Waschbären im Ökosystem

Als Heimtier ist der Waschbär also nicht geeignet. Auch in unserer Kultur scheint kein Platz für ihn zu sein und generell wird das zunehmende Ausbreiten des Kleinbären in Deutschland von allen Seiten kritisch betrachtet. Doch ist diese Perspektive überhaupt gerechtfertigt? Richtet der Waschbär tatsächlich einen solch großen Schaden in unserem Ökosystem an? Diesen und weiteren Fragen soll in dem nun folgenden, letzten Abschnitt dieser Betrachtung Rechnung getragen werden, indem verschiedene Experten-Meinungen vorgestellt und gegeneinander abgewogen werden. Darüber hinaus wird ein Blick auf den jagdlichen Umgang mit dem Tierchen geworfen sowie ein Zusammenhang zwischen seinem Einfluss auf das Ökosystem und der Jagd auf Waschbären hergestellt.

Waschbären als Neozoon

Richtet der Kleinbär als Neozoen, also als eine Art, die sich aufgrund von menschlicher Einflussnahme in einem Gebiet entwickelt hat, tatsächlich so viel Schaden in unserem Ökosystem an, wie von vielen befürchtet wird? Oder gliedert er sich nahtlos in die vorherrschende Flora und Fauna ein und bereichert darüber hinaus möglicherweise sogar unsere Umwelt? Eine endgültige Antwort auf diese und ähnliche Fragen gibt es im Anbetracht der mangelhaften Forschungsergebnisse im Moment noch nicht. Auch viele Experten sind sich uneinig. Die einen sehen Waschbären als „[…] ecological vandals upsetting the ecosystem, reducing biodiversity, and threatening rare species with extinction[.]“[1]. Erste Untersuchungen haben bereits belegen können, dass der Waschbär Auswirkungen auf die im Raum Bernburg lebenden Vogelpopulationen, allen voran auf den Graureiher, hat.[2] Auch bezogen auf den Harz konnte festgestellt werden, dass mit der Ausbreitung des Waschbären „[…] massive Verluste an Gelegen, Jung- und Altvögeln bei einzelnen Höhlenbrüterarten […]“[3] einhergingen.[4] Darüber hinaus verlangen viele Stimmen, die Jagd nach Waschbären weiter zu intensivieren, da sie keine natürlichen Feinde besitzen. Auf der anderen Seite gibt es bisher keine Beweise dafür, dass der Waschbär einen ernstzunehmenden Einfluss auf die Flora und Fauna Deutschlands hat. So ist der Rückgang der angebrachten Vogelarten sicherlich in erster Linie auf den Verlust von Lebensräumen zurückzuführen. Schließlich verzehrt der Waschbär als Allesfresser allen voran das, was ihm vor die Nase kommt und wenig Aufwand bedarf. Vögel oder andere Tiere, die er mit vergleichsweise viel Arbeit fangen müsste, zählen dazu eher weniger. Außerdem stellt der kleine Bandit keine Konkurrenz in Bezug auf Nahrung für andere Arten wie Füchse dar.[5] Ob durch den Waschbären tatsächliche negative Auswirkungen auf Vögel und andere Lebewesen zu verzeichnen sind, hängt letztlich von den betreffenden Gebiet sowie von der Populationsdichte des Waschbären darin ab.
Auch bezogen auf Krankheiten ist der Waschbär sowohl für den Menschen als auch für andere Tiere in seiner Umgebung eher ungefährlich. Im Gegensatz zu den in Nordamerika lebenden Waschbären weisen die Exemplare in Deutschland generell weniger Parasiten auf. Lediglich der unter den Kleinbären verbreitete Waschbärspulwurm kann beim Menschen in seltenen Fällen zur schwerwiegenden Erkrankung führen. Obwohl Waschbären bei der Verbreitung der Tollwut in Europa keine Rolle spielen und bisher nur wenige Fälle mit infizierten Waschbären bekannt sind, ist trotzdem Vorsicht im Umgang mit den Tieren in freier Wildbahn geboten.[6] Nicht zuletzt könnte die zukünftige Population des Waschbären in Europa von der Viruserkrankung Staupe negativ beeinflusst werden, wie es in Nordamerika bereits heute der Fall ist.[7]

Bildnachweis: Foto von Oliver Pacas auf Unsplash

Die Eindämmung der Waschbärpopulation

Es ist festzuhalten, dass der Waschbär in Deutschland – mit Ausnahme der Probleme in Siedlungsräumen – keine bedeutenden ökonomischen sowie epidemiologischen Schäden verursacht. Nichts destotrotz wurden seit der ersten erfolgreichen Aussetzung der Waschbären die Stimmen, die seine Wiederausrottung forderten, immer lauter – unter ihnen auch der Waschbärexperte schlechthin, Hans Kampmann, der noch im Jahre 1975 überzeugt war, „,[…] dass wenn wir alle eifrige Waschbärjäger werden, wir das Waschbärproblem doch noch in den Griff bekommen werden‘“[8]. Obwohl der Waschbär ab 1956 zur Jagd freigegeben wurde und die Jagdstrecke in Deutschland auf mittlerweile über 50.000 erlegte Tiere pro Jahr angestiegen ist, konnte der erwünschte Erfolg der Zurückdrängung nicht erreicht werden. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn der Kleinbär breitete sich in den vergangenen 70 Jahren kontinuierlich innerhalb Deutschlands aus und kommt mittlerweile in allen 16 Bundesländern vor. Einer der Forscher für Wildtierforschung, Frank-Uwe Michler, von der TU Dresden hat errechnet, dass die Jagdstrecke um ca. 800% gesteigert werden müsste, das entspricht 300.000 erlegten Waschbären pro Jahr, damit der jagdliche Eingriff einen reduktiven Charakter hat, oder wie Bruno Hespeler es ausdrückt: „Ganz sicher aber wird es nicht mehr gelingen, ihn zu tilgen. Dieser Zug ist längst abgefahren!“[9].[10]


[1] Zit. Jernelöv, Arne: The Long-Term Fate of Invasive Species. Aliens Forever or Integrated Immigrants with Time?. Jarpas, Schweden: Springer 2017. S. 224.

[2] Vgl. Helbig, Dirk: Untersuchungen zum Waschbären (,Procyon lotor Linné‘, 1758) im Raum Bernburg. In: Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 48. Jahrgang (2011). S. 17-18. http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/31504 (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[3] Zit. Tolkmitt, Dirk und Detlef Becker u.a.: Einfluss des Waschbären ,Procyon lotor‘ auf Siedlungsdichte und Bruterfolg von Vogelarten – Fallbeispiele aus dem Harz und seinem nördlichen Vorland. S. 44. https://www.zobodat.at/pdf/Ornith-Jber-Heineanum_30_0017-0046.pdf (zuletzt abgerufen am 17.08.2021).

[4] Vgl. Tolkmitt, Becker: Einfluss des Waschbären ,Procyon lotor‘ auf Siedlungsdichte und Bruterfolg von Vogelarten. S. 39-44.

[5] Vgl. Jernelöv: The Long-Term Fate of Invasive Species.S. 224-226.

[6] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 181 f.

[7] Vgl. Jernelöv: The Long-Term Fate of Invasive Species.S. 226 f.

[8] Zit. Michler, F.-U.: Prädatorenmanagement in deutschen Nationalparks?. Notwendigkeit und Machbarkeit regulativer Eingriffe am Beispiel des Waschbären (,Procyon lotor‘). https://www.projekt-waschbaer.de/fileadmin/user_upload/Textbeitrag_Michler_Tagungdokumentation_Wildmanagement.pdf (zuletzt abgerufen am 19.08.2021). Zit. n. Hans Kampmann. S. 19.

[9] Zit. Hespeler: Raubwild heute. S. 97.

[10] Vgl. Michler: Prädatorenmanagement in deutschen Nationalparks?. S. 16-20.