Vorbetrachtung: Waschbären als solche

Natürlich könnte ich an dieser Stelle damit beginnen, die allgemeinen Merkmale des Waschbären wie seine Körperlänge und -gewicht oder seine bevorzugte Nahrung aufzuzählen. Aber solche Fakten kann ein jeder heutzutage in wenigen Sekunden bei Wikipedia nachlesen. Mir geht es bei der (biologischen) Betrachtung des Waschbären hingegen um Merkmale und Lebensweisen, die ihn auszeichnen, in denen er sich von anderen Tieren unterscheidet und die dafür sorgen, dass er sowohl auf dem Land als auch in der Stadt bestens leben kann.

Einer der führenden Experten, wenn es um Waschbären in Deutschland geht, ist der Verhaltensforscher Ulf Hohmann. In seinem einschlägigen Werk „Der Waschbär“ beschreibt er eindrucksvoll, was das Tier auszeichnet und wie es sich in seinem Lebensraum bewegt. So zählen die Vorderpfoten des Waschbären beispielsweise zu seinem mit Abstand wichtigsten Werkzeug. Alleine die Verarbeitung der Reize, die der Waschbär über diese empfängt, nimmt zwei Drittel seiner Gehirnkapazität ein. Mit seinen „Wunderhänden“[1] oder „unumstrittene[n] Geheimwaffe[n]“[2], wie Hohmann die Waschbärpfoten betitelt, macht der Kleinbär sich ein so differenziertes Bild von der Umwelt, wie es dem Menschen nur mit seinen Augen gelingt. Die Sensibilität der Waschbärpfoten wird unter Wasser sogar noch erhöht:

„Oft amüsieren sich Besucher zoologischer Gärten über das Tastverhalten der Waschbären. Denn während die Tiere im Wasser planschen, blicken sie ins Leere und wirken dabei merkwürdig abwesend. Ein Fehlschluss. Wir lassen uns zu diesem Eindruck verleiten, weil wir Augentieren sind. Würde ein Waschbär derartige Überlegungen anstellen, hielte er mit Sicherheit viele der ihn betrachtenden Menschen für abwesend, da sie ihre Hände in den Hosentaschen tragen[.]“[3].

Interessanterweise kann der Waschbär seine Vorderpfoten stundenlang im eiskalten Wasser benutzen, ohne dass seine „Finger“ taub werden.

Bildnachweis: Foto Kieran Wood auf Unsplash

Weiterhin hat auch seine typische, kontrastreiche Fellzeichnung in Form einer „schwarzen Maske“ eine wichtige Funktion, denn so können Artgenossen und andere Tiere seine Körperposition und -haltung auch im tiefsten Dämmerlicht einordnen. Zusätzlich weist der Waschbär ausgezeichnete Seh- und Hör- und Geruchsleistungen auf. Diese hervorragend ausgeprägten Sinnesorgane und nicht zuletzt seine hohe Lernfähigkeit, die mit der von Rhesusäffchen vergleichbar ist, machen den Waschbären zu einem echten Multitalent, das sich an unterschiedlichste Lebensräume anpassen und in ihnen leben kann.[4]

Doch wie muss ein Gebiet aussehen, damit sich der Waschbär darin wohlfühlt? Grundsätzlich bevorzugen Waschbären eine dreidimensionale Umgebung, wo sie auf beispielsweise Bäume klettern- und sich entsprechend in Sicherheit bringen können. Schließlich sind sie aufgrund ihrer Körpermasse eher gemächlich unterwegs und würden bei einer schnellen Distanzflucht verlieren. Als Unterschlupf bevorzugen sie „Mehrbettquartiere“ in Eichen – am besten in gewässerreichen Mischwäldern, die ihnen vielfältige Nahrungsressourcen bieten – oder aber auch in Steinbrüchen. Buchen hingegen mögen die Tiere gar nicht, da die glatte Rinde ihren Krallen nicht genügend Halt bietet. Die menschengemachte, gezielte Förderung von Eichen und Zurückdrängung von Buchen „[…] ist [daher] letztlich [der] Prozess gewesen, der heute dem vierbeinigen ,Eichenschwärmer‘ mit seiner ausgeprägten ,Buchenphobie‘ den Weg für eine reibungslose Einnischung ebnete[.]“[5].

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Doch die Zeiten, in denen der Waschbär ausschließlich im Wald anzutreffen ist, sind lange vorbei. Längst haben sogenannte „Citycoons“ Entenhäuschen, Hochsitze, Abflussrohre etc. zu ihren privaten Wohnungen umfunktioniert. Dabei bevorzugen sie insbesondere die großzügigen Gärten der „Grüngürtel“ um die Städte herum, denn diese bieten ihnen Nahrung in Hülle und Fülle. Pro 100 Hektar Siedlungsfläche trifft man heutzutage 50 bis 150 Waschbären an. Manche von ihnen ziehen sich tagsüber in angrenzende Wälder zurück, andere wiederum haben den Kontakt zum Umland aufgegeben und werden zu Vollstädtern. Doch wie hat sich die Beziehung zwischen Mensch und Waschbär aufgrund der Verlagerung seines Lebensraumes verändert? Diese Frage gilt es an anderer Stelle zu erörtern.[6]

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Nachdem wir den Waschbären für sich genommen sowie seine bevorzugten Lebensräume eingehend betrachtet haben, soll uns nun das Leben der Kleinbären mit den Jahreszeiten sowie insbesondere ihre Fortpflanzung und die Aufzucht der Jungen interessieren. Ein neues Jahr beginnt für einen Waschbären, wie das alte endete: mit einer Winterruhe. Diese wird jedoch mit Beginn der Paarungszeit zwischen Mitte Januar und Anfang März, je nach Witterung, abgebrochen. Auf der Suche nach paarungswilligen Weibchen streifen die Männchen weit umher. Insgesamt dauert die Paarungszeit etwa vier Wochen. Nach einer erfolgreichen Paarung und einer Tragzeit von 60 bis 65 Tagen über das Frühjahr hinweg gebären die Weibchen zu Beginn des Sommers schließlich blinde und taube Jungen, die sie anschließend auch alleine großziehen. Erst im Alter zwischen sechs und neun Wochen verlassen die Jungen erstmals die Höhle, in der sie geboren wurden, um gemeinsam mit der Mutter Ausflüge zu unternehmen, bei denen sie lernen, wo sie Fressen und Unterschlupf finden sowie in den Sozialverband der Waschbären eingegliedert werden. Um die Mutter-Kind-Bindung weiter zu stärken und die Jungtiere vor drohenden Gefahren bei der Nahrungssuche zu beschützen, säugt die Mutter sie bis zum Erreichen des 3. Lebensmonats.[7] Die Mutterfamilien lösen sich anschließend mit dem Selbstständigwerden der Jungen zum Ende des Sommers auf, finden jedoch mit Einbruch der kalten Jahreszeit wieder zusammen.[8] Mit dem Beginn des neuen Jahres und den milderen Temperaturen beginnt der ganze Prozess von Neuem: Die im Vorjahr geborenen Waschbärweibchen sind bereits geschlechtsreif und bereit zur Paarung, die Männchen erst ein Jahr später.[9]

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[1] Zit. Hohmann, Ulf und Ingo Bartussek: Der Waschbär. 2. Auflage. Reutlingen: Oertel und Spörer 2005. S. 55.

[2] Ebd.

[3] Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 56.

[4] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 55-77.

[5] Zit. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 100.

[6] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 93-109.

[7] Vgl. Hohmann, Bartussek: Der Waschbär. S. 111-131.

[8] Vgl. Hespeler, Bruno: Raubwild heute: Biologie, Lebensweise, Jagd. München; Wien; Zürich: BLV 1995. S. 93-95.

[9] Vgl. Kampmann, Hans: Der Waschbär: Verbreitung, Ökologie, Lebensweise, Jagd. Hamburg: Parey 1975. S. 30-37.