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Aktuelles von der Initiative „Vermögenssteuer jetzt!“

Was sonst noch in der Welt passiert

Hier ein Auszug aus dem aktuellen Newsletter:

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer der Vermögensteuer,

am 27. Juni 2011 fand in Berlin ein bundesweites Treffen von Unterstützerinnen und Unterstützern der Initiative „Vermögensteuer jetzt!“ statt, mit interessanten Diskussionen zur möglichen Ausgestaltung und Wirkung einer Vermögensteuer, zur Haltung der Parteien, und zu Anforderungen an weitere Aktivitäten. Auf der Website sollen in den kommenden Monaten weitere Materialien und Hilfen für Diskussion und Aktionen eingestellt werden. Es sollen Eckpunkte und Varianten eines konkreteren Konzeptes zur Vermögensteuer mit Beispielrechnungen entwickelt werden sowie weitere Bündnispartner angesprochen werden. Entscheidend wird sein, in Richtung 2013 das Thema in der Diskussion zu halten bzw. zu bringen, in die Wahlprogramme der Parteien, in Diskussionen in den Wahlkämpfen und insbesondere im Bundestagswahlkampf 2013, in Aktionen um öffentlichen Druck zu entwickeln, dies dann auch tatsächlich in Angriff zu nehmen und durchzusetzen.

Ein ausführlicherer Bericht von der Veranstaltung findet sich auf der Website: http://www.vermoegensteuerjetzt.de/topic/14.veranstaltungen.html

Die Präsentation von Stefan Bach vom DIW:
http://www.vermoegensteuerjetzt.de/images/studien/Praesentation_Bach.pdf

Auf der Website gibt es jetzt auch eine virtuelle „Reichtumsuhr“, die den ständigen Anstieg des privaten und hoch konzentrierten privaten Vermögens in Deutschland anzeigt. Die Reichtumsuhr kann und soll auf anderen Websites eingebunden werden: http://www.vermoegensteuerjetzt.de/topic/17.reichtumsuhr.html

 

eigene Anmerkung: Wer die Einführung der Vermögenssteuer unterstützen möchte, sollte den Aufruf der Initiative unterschreiben: http://www.vermoegensteuerjetzt.de/

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Lesenswerte Analyse des Lybien-Konflikts

Was sonst noch in der Welt passiert

Hier eine dringend zu empfehlende Analyse der gewaltsamen Entwicklungen in Lybien. Daniela Dahn hat in den Blättern für deutsche und internationale Politik die ganze Widersprüchlichkeit des Rebellenaufstandes und der des Krieges der NATO gegen Gaddafi dargestellt. Mit 15 Jahre alten Fotos und frei erfundenen Massakern von Gadafi an seiner „freidlichen“  Bevölkerung (in wahrheit bewaffneten Rebellen) wurde ein Schreckensbild von Gaddafi gezeichnet, dass unter anderem vom katholischen Bischof von Tripolis, Martinelli, widerlegt wird. Ehemalige treue Weggefährten Gaddafis sind plötzlich zu demokratischen Anhängern der Übergangsrats in Bengasi geworden. Wie passt das alles zusammen?

Gut zu lesen!

http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2011/juli/stoerfaktor-gaddafi

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Neues vom Wirtschaftwunderland BRD

Antikapitalismus

Es ist zwar eigentlich Sommerloch, doch in den Medien erfährt man Sonderbares. Nach dem wir ein halbes Jahr mit Erfolgsmeldungen wie „Jobwunder“ und „boomende Exportwirtschaft“ traktiert wurden, erfährt der aufmerksame Medienkonsument mal die Schattenseite unserer wirtschaftlichen „Erfolgsgeschichte“. Und das nicht von (sog.) linksextremen Publikationen a la Junge Welt, sondern vom DIW und vom Statistischen Bundesamt. Die beiden Institutionen brachten diese Woche folgende Meldungen heraus:

Das DIW hat die Entwicklung der Einkommen in der Ober-, Mittel- und Unterschicht analysiert. Von 2000 bis 2009 hat der Anteil der Haushalte im unteren Einkommenssektor (definiert als 30 % unter dem Medianeinkommen in Gesamtdeutschland) von 17 auf 22 % zugelegt. In gleicher Größenordnung ist der Anteil der Mittelschicht zurückgegangen, obwohl sich doch von SPD bis FDP alle immer so rührend um diese Menschen kümmern  und sie von Steuern und Abgaben entlasten wollten. Der Anteil der oberen Einkommenshaushalte ist im Vergleich 2000/2009 relativ konstant geblieben, aber es ist ein großer Sprung von 2008 zu 2009 zu sehen (vgl. DIW: S. 4), obwohl die Krise in dieser Zeit noch nicht ganz ausgestanden war. Auch die Einkommenshöhe entwickelt sich auseinander. Lag im Jahr 2000 noch der Durchschnitt aller unteren Einkommen 607 € (47,2 %) unter dem Durchschnitt der mittleren Einkommensgruppe, so waren es 2009 634 € (48,3 %). Die oberen Einkommen lagen im Durchschnitt 1282 € (99,7 %) über dem Durchschnittseinkommen der mittleren Gruppe in 2000, in 2009 waren es 1360 € (103,7 %) darüber. Sowohl die unteren als auch die oberen Einkommen entfernen sich also vom Durchschnitt der mittleren Einkommen. Eine klare Polarisierung der Einkommen und damit auch der sozialen Schichtung ist zu konstatieren. Damit hat sich Deutschland einem Trend angepasst, der zuvor schon lange in den USA bekannt war. Die Ursache ist aus meiner Sicht klar zu benennen: Gerhard Schröders (SPD) neoliberale Agenda 2010-Politik, die er mit Unterstützung der Grünen, CDU und FDP durchsetzte und deren eigentliches Ziel ja genau das war, was heute beklagt wird: ein Angriff auf den angeblich völlig überzogenen Sozialstaat und durch eine Abgaben- und Steuerentlastung der oberen Einkommen den Arbeitsmarkt entspannen.

Zu Letzterem hat das Statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht. Die Zahl der atypisch Beschäftigten – darunter fallen Zeitarbeiter, befristete und geringfügige Beschäftigte und Teilzeitarbeiter bis zu 20 Wochenstunden im Alter von 15 bis 64 Jahre ohne Azubis, Studierende und Rentner – hat sich in 2010 um 243 000 Personen auf 7,84 Mio. Menschen erhöht. Damit war der Beitrag der atypischen Arbeitsverhältnisse 75 % hoch, da im Jahr 2010 insgesamt 322.000 mehr Menschen beschäftigt waren. Vor allem die Zeitarbeit hat enorm zugelegt. Zwar sind immer noch mehr Frauen als Männer atypisch beschäftigt, aber die Zahlen der Geschlechter nähern sich an, was in diesem Fall nicht unbedingt erfreulich ist.

Wahrhaft klassenkämpferisch hat beinahe die sonst so biedere MZ die Entwicklung der Einkommensungleichheit kommentiert: „Das Problem liegt woanders. Unternehmen können oft extrem niedrige Gehälter durchsetzen, weil sich die Machtverhältnisse zuungunsten der Arbeitnehmer verschoben haben. Die Angst vor Hartz IV sorgt dafür, dass sie Lohneinbußen akzeptieren und notfalls auch extrem schlecht bezahlte Minijobs oder Leiharbeiter-Stellen annehmen.“ Dass die MZ damit implizit der Linkspartei recht gibt, die von Anfang gesagt hat, dass Hartz IV einzig der Verfestigung von Armut und der Verunsicherung der Noch-nicht-Arbeitslosen dient, hätte man nicht erwartet. Aber es kommt fast noch besser: „Die Politik hat bei der Liberalisierung des Arbeitsmarkts überzogen. Sie muss umsteuern. Das wird sie erst tun, wenn die Bürger Druck machen.“ (beide Zitate auf: mz-web.de) Das ist ja fast eine Anstachelung zu ägyptischen oder griechischen Verhältnissen! Die Arbeitnehmer müssen sich organisieren und zumindest in die Gewerkschaften eintreten. Die Erfahrung, dass man als Kollektiv aller Arbeiter viel mehr Macht hat als die kleine Schicht der Unternehmer, muss wiedererlangt werden. Wenn man dann noch begreift, dass SPD und Grüne auch nur einen leicht regulierten angehauchten Kapitalismus (mit gleichen Macht- und Eigentumsstrukturen) wollen und dann bei Wahlen entsprechend den eigenen Interessen wählt, könnte auch Deutschland zu einem sozial progressiven Land werden. Träumen muss erlaubt sein.

Quellen:

http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.357505.de/10-24-1.pdf

http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.357507.de/10-24-2.pdf

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Arbeitsmarkt/Aktuell,templateId=renderPrint.psml

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Ausgrenzung (Teil 2)

Was sonst noch in der Welt passiert

Heute folgt Teil meiner Auseinandersetzung mit sozialer Ausgrenzung und der Unfreiheit liberal-demokratischer Gesellschaften. Heute geht es vor allem um Max Adlers Kritik an der bürgerlich-liberalen Demokratievorstellung.

Max Adlers Kritik der liberalen Demokratie

In „Demokratie und Rätesystem“ versucht Max Adler (Prof. für Sozialphilosophie in Wien, 1873−1937) eine sozialistische Demokratie zu beschreiben und analysiert das liberale Demokratiemodell. Für ihn ist „die bürgerliche Demokratie […] eine große und tragische Weltillusion“ (Adler: 245). Er begründet dies damit, „daß politische Gleichheit und Freiheit bloße Worte ohne Inhalt bleiben müssen, wenn ihnen die wirtschaftliche Gleichheit fehlt“ (ebd.: 246). Einem Arbeiter nützt Freiheit vor politischer Unterdrückung nicht viel, wenn er gleichzeitig in völliger Abhängigkeit von seinem Arbeitgeber arbeiten muss. Er könnte theoretisch gegen Rechtsverletzungen des Unternehmers vor Gericht ziehen, doch auf Grund der großen Vermögensunterschiede und der begrenzten Mittel eines kleinen Arbeiters bleibt dies ein theoretisches Recht. Auch der Rechtsstaat ist nicht kostenlos nutzbar. Für Adler folgt: „unter der bürgerlichen Eigentumsordnung, unter der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die ganz notwendig aus sich heraus den Unterschied von reich und arm, von Unternehmer und Arbeiter, von Herr und Diener erzeugt und aufrechterhält, müssen alle Ideen der Demokratie immer wieder als bloßer Trug erweisen, als ein tragischer Selbstbetrug eines Strebens, das wohl das Gute will, doch stets das Böse schafft“ (ebd.: 246f.). Die Welt ist natürlich nicht mehr so übersichtlich, doch die Unterschiede zwischen Vermögenden und Armen existieren immer noch, Unterschiede zwischen den Interessen einiger weniger Großunternehmen und dem Gemeinwohl (siehe Stuttgart 21, siehe Finanzmarkt- und Bankenkrise). Unvorstellbar große Summen, die für die Rettung vorgeblich „systemrelevanter“ Banken oder das Vergraben eines Bahnhofes unter die Erde ohne große Diskussionen im Parlament verplant werden, sind im Bereich der Sozialpolitik oder Umweltschutz ein unbezahlbarer Haufen Geld und eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II muss intensiv durch alle Instanzen bis hin zum Vermittlungsausschusses ausdiskutiert werden.

Demokratie endet für Adler nicht in der Sphäre der Politik, nicht bei politischer Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Soziale Demokratie muss auch Wirtschaftsdemokratie und soziale Gleichheit umfassen und Volksherrschaft im wortwörtlichen Sinne heißen. Er kritisiert auch die Verwechslung von Demokratie und dem Mehrheitsprinzip. Entscheidungen der Mehrheit sind nicht allgemein vernünftiger, legitimer als der Gemeinwille (vgl. ebd.: 249-251). Auch sind für ihn Demokratie und Parlamentarismus nicht untrennbar zueinander gehörig, denn „[s]olange die besitzenden Klassen die Majorität im Parlament haben, üben sie durch dieselbe eine Diktatur aus, wie sehr dies auch durch den Schein des Parlamentarismus verhüllt wird“ (ebd.: 252). Abgesehen davon hat der in Deutschland praktizierte Parlamentarismus m. E. auch deshalb ein Demokratiedefizit, weil die Abgeordneten von ihren Fraktionen mehr oder weniger zum Fraktionszwang getrieben werden. Das ist aber auch ein konstitutionelles Problem, weil Exekutive und Legislative so stark verschränkt sind, im Gegensatz z. B. zur Schweiz, wo Exekutive und Legislative sehr unabhängig voneinander sind und die einzelnen Abgeordneten völlig frei über die Gesetzesvorlagen abstimmen.

Leider wird in dem kurzen Auszug nicht näher ausgeführt, wie Adler sich eine optimale Demokratie konkret vorstellt. Doch sollte seine Kritik an der liberalen, repräsentativen Demokratie schon genug Diskussionsstoff auslösen, um die Freiheit in unserer Gesellschaft zu hinterfragen. Wie viel politische Freiheit hat der Bürger in unserem Land? Seine Freiheit beschränkt sich auf Bundesebene, alle vier Jahre die Bundestagsabgeordneten zu wählen oder sich selbst wählen zu lassen. Er darf relativ ungehindert seine Meinung äußern, ohne allerdings „fürchten“ zu müssen, dass sich deshalb zwingend etwas ändert. Der Bürger darf gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sein, gegen die Verlängerung der Laufzeiten der AKW und für die Einführung einer Vermögenssteuer. Dies ist alles irrelevant, solange die Mehrheit der Abgeordneten in den Parlamenten eine andere Meinung hat und es auf Bundesebene keine Möglichkeiten der Volksinitiative oder Volksentscheide gibt. Auf Länder- und kommunaler Ebene gibt es diese Möglichkeiten, doch sind die Hürden in manchen Ländern sehr hoch. Außerdem betreffen diese Möglichkeiten nur Gesetze von untergeordneter Wichtigkeit, im Gegensatz zur Schweiz, wo gerade die Gesetzesänderungen mit höchster Wichtigkeit obligatorisch dem Volksreferendum unterliegen (vgl. Linder 2007: 110). Stuttgart 21 hat Demokratiedefizite offen gelegt; unsere Demokratie fehlt auch das diskursive Element, fehlt die ergebnisoffene, sachgerechte und am Gemeinwohl orientierte Debatte. Zu oft siegen die Lobbyinteressen von Wenigen über das Interesse der Allgemeinheit.

 

Unvermeidbare und vermeidbare Unfreiheit

Die Ausgangsfrage „Gibt es in unserer Gesellschaft Freiräume?“ kann natürlich nicht kategorisch verneint werden. Selbstverständlich leben die Bürger in Deutschland nicht verknechtet und unterjocht wie zu Kaisers Zeiten das Proletariat. Es hat Fortschritte gegeben: allgemeines Wahlrecht, Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts, betriebliche Mitbestimmung. Und es gibt für jeden, der mit den hiesigen Verhältnissen nicht zu Recht kommt und nicht völlig mittellos ist, die „exit“-Option, d.h. er kann auswandern und woanders sein Glück versuchen. Doch erstens ist es woanders mit der Freiheit auch nicht viel anders als hier und zweitens kann Auswandern wohl kaum die Lösung für alle Menschen sein.

Die Antwort auf die Frage lautet, dass es zu wenig Freiräume gibt bzw. das die Freiräume extrem ungleich verteilt sind. Außer durch innergesellschaftliche soziale Kontrolle – dieser Teil der Unfreiheit ist, wie Elias zeigt, in allen Gesellschaften kaum zu vermeiden – büßen die Menschen, vor allem die Arbeitslosen, Geringverdiener, Alleinerziehenden, Asylbewerber etc., sehr viel Freiheit durch die Gesetze der Marktwirtschaft und des Kapitals ein. Wem es an Geld mangelt, dem mangelt es an Freiheit. Denn Geld braucht man, um die lebensnotwendigen Güter zu kaufen, um zum Arzt zu gehen und Medikamente zu kaufen, um seine Kinder zu bilden und zu erziehen usw. Nur wenige Dinge sind umsonst im Kapitalismus. Ein Übermaß an Freiheit besitzen dagegen die Millionäre, Großunternehmer, Manager und dergleichen. Das sollte nach der Aufzählung eben nachvollziehbar sein. Politisch (und dadurch auch ökonomisch) bedingte Unfreiheit ist sehr wohl veränderbar. Welche Schlüsse die Menschen daraus ziehen, bleibt ihnen überlassen. Wichtig wäre in jedem Fall, dass man diese Freiheits-Ungleichheit überhaupt wahrnimmt.

Quellen:

Adler, Max (1983): Demokratie und Rätesystem, in: Mozetič, Gerald (Hrsg.): Austromarxistische Positionen. Wien/Köln/Graz: Böhlau Verlag, S. 244-254.

Elias, Norbert (1990): Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Linder, Wolf (2007): Direkte Demokratie, in: Klöti, Ulrich et. al. (Hrsg.): Handbuch der Schweizer Politik (Manuel de la politique suisse). Verlag Neue Zürcher Zeitung.

 

Leseempfehlungen:

Düperthal, Gitta (2010): Die Behörden spielen mit unserer Gesundheit, in: Junge Welt vom 06.12.2010, URL: http://www.jungewelt.de/2010/12-06/034.php (Stand: 01.03.2011).

Düperthal, Gitta (2011): Behörde in Gifhorn schikaniert Flüchtlinge, in: Junge Welt vom 09.02.2011, URL: http://www.jungewelt.de/2011/02-09/063.php?sstr=asylbewerber (Stand: 01.03.2011).

Wangerin, Claudia (2011): Kostenfaktor Flüchtling, in: Junge Welt vom 08.02.2011, URL: http://www.jungewelt.de/2011/02-08/053.php?sstr=asylbewerber (Stand: 01.03.2011).

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Ausgrenzung aus soziologischer Perspektive

Was sonst noch in der Welt passiert

Der folgende Beitrag ist die nicht lektorisierte und ungekürzte Version eines Artikels, der zuerst auf dem Blog des studentischen Soziologiemagazins zum Thema „FreiRäume“ veröffentlicht wurde. Darin setze ich mich im ersten Teil mit Elias Figurationstheorie und Prozessen der Ausgrenzung auseinander. Der Text ist eine Provokation für alle, die meinen, Deutschland gehe es gut und Armutsprobleme kennen nur die aktuellen Krisenländer. Der zweite Teil inklusive der Quellen, in dem es um eine Kritik des bürgerlich-liberalen Demokratieverständnisses geht, erscheint im Laufe der Woche.

Zur ungleichen Verteilung von Freiheit

FreiRäume – gibt es in unserer Gesellschaft Freiräume? Das ist eine sehr provokante Frage, schließlich meinen wohl die meisten Menschen unserer Gesellschaft, dass wir in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit garantierten Menschen- und Bürgerrechten, Rechts- und Sozialstaat leben. Also Freiräume, wohin man schaut, und unbegrenzte Möglichkeiten? Mein Artikel hätte aus meiner Sicht schon Erfolg, wenn der kritische Leser diese Annahme überdenken würde und vielleicht eine andere Sicht auf unsere Gesellschaft entwickelt. Mit Hilfe von Elias
Figurationstheorie und Adlers Kritik der bürgerlichen Demokratie will ich versuchen, diese Frage zu beantworten. Sie führt mich zu einer sehr grundsätzlichen Problematik einer Gesellschaft: dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft oder, anders gesagt, um die Freiheit des Individuums in unserer demokratischen Gesellschaft.

Norbert Elias, deutscher Soziologe und einer der Klassiker der Soziologie, beschäftigte sich zeitlebens mit solchen Fragen. Die Begriffe Gesellschaft und Individuum, Zivilisation und Figuration sind eng mit ihm verbunden. Gleichwohl habe ich das Gefühl, dass Elias noch immer als Außenseiter behandelt wird und seine Erkenntnisse in der zeitgenössischen Sozialwissenschaft eine untergeordnete Rolle spielen. Noch immer, weil Elias schon zu Lebzeiten Schwierigkeiten hatte, als Wissenschaftler Anerkennung zu finden. Elias war jüdischer Abstammung, sehr klein gewachsen, homosexuell, kränklich und konnte nur schlecht sehen. Als er nach Deutschland kam (wurde in Breslau geboren), wurde er auch noch Migrant, sodass er viele Außenseitermerkmale in sich vereinigte. Das hinderte ihn zwar
nicht zu promovieren und zu habilitieren (Habilitationsschrift: „Die höfische Gesellschaft“), doch 1933 musste er vor der Nazi-Herrschaft fliehen und stand im Exil wieder vor einer schwierigen Existenz. Das soll hier aber nicht Thema
sein.

Elias Figurationstheorie

Es kann nicht überraschen, dass Fragen von Ausgrenzung und Integration eines seiner wichtigsten Forschungsthemen wurde. Elias schrieb dazu einen Band, der „Etablierte und Außenseiter“ heißt und Ergebnis einer zwischen 1958 bis 1960 durchgeführten Gemeindestudie in Mittelengland, wo er nach der Flucht aus Deutschland lebte, war. Hier entwickelt er auch seine Figurationstheorie bzw. die „Theorie von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen“ (Elias 1990: 7ff.). Grundsätzlich distanziert sich Elias sowohl von der Makrosoziologie und holistischen Theorien, die gesellschaftliches Handeln als unabhängig von Individuen betrachten, als auch von mikrosoziologischen und atomistischen Theorien, die das soziale Handeln allein auf individueller Ebene betrachten  (vgl. ebd.: 261f.). Sein besonderer Ansatz ist, dass er von der Mesoebene ausgeht und damit die Beziehungen zwischen Gruppen von Menschen erklären will.

Elias meint, dass alle Individuen in interdependenten Beziehungen leben. Jede dieser Beziehungen ist eine Etablierten-Außenseiter-Beziehung. Das bedeutet, es gibt eine etablierte Gruppe, die sich selbst bessere Eigenschaften zuschreibt und als etwas Besseres ansieht, und eine Außenseitergruppe, die von den Etablierten ausgegrenzt wird und sich in ihr Schicksal scheinbar fügt. Wie entstehen diese Gruppen? Elias sagt, die Gruppenunterschiede beruhen auf Machtdifferentialen (vgl. ebd.: 11). In Winston Parva, was der fiktive Name der untersuchten Gemeinde ist, beruhten die Machtunterschiede aber nicht wie in anderen soziologischen Untersuchungen seiner Zeit auf Klassen-, Rassen- oder Nationalitätenunterschieden, sondern allein auf der unterschiedlichen Wohndauer der beiden Guppen. Winston Parva besteht aus drei „Zonen“: Zone 1 wird als typische Mittelklassesiedlung bezeichnet; Zone 2 ist das alte „Dorf“ und genau wie Zone 3 eine Arbeitersiedlung. Zone 3 entstand viel später als die beiden anderen Zonen und
wurde während des Zweiten Weltkriegs von Flüchtlingen aus London und anderen Gebieten Großbritanniens bewohnt (vgl. ebd.: 63).

Was Elias nun beobachtet, ist eine systematische Ausgrenzung der Bewohner von Zone 3 vom sozialen Leben. In sämtlichen lokalen Vereinigungen, vom Gemeinderat bis zum Altenclub, wurden Führungspositionen nur an die alteingesessenen Familien verteilt und ihre Mitglieder stammten fast ausschließlich aus Zone 1 und 2.  Beim Klatsch und Tratsch wurde abfällig über die Neuankömmlinge gesprochen (vgl. ebd.: 166-186). Anfänglich gab es tatsächlich ein paar so genannte „Problemfamilien“, die sehr kinderreich waren und deren Kinder kriminell wurden. Aber ansonsten konnte Elias kein abweichendes Verhalten bei diesen Bewohnern beobachten, die eine Ausgrenzung rational erklärbar machten. Die Etablierten haben von den wenigen schlechten Bewohnern auf die ganze Gruppe von
Zone 3 geschlossen und alle Gruppenmitglieder stigmatisiert, selbst als die Problemfamilien weggezogen waren.

So entwickelte sich eine Machtüberlegenheit der Etablierten, die deshalb solange fortbestehen konnte, weil die Gruppe der Etablierten eine größere soziale Kohäsion aufwies. Die alteingesessenen Familien kannten sich seit zwei Generationen und haben in dieser Zeit einen gemeinsam geteilten Wertekanon entwickelt, den sie durch großen gruppeninternen Druck durchsetzen konnten. An diesem Wertekanon maßen sie auch die neuen Bewohner. Da diese die Werte und Normen der Etablierten nicht kannten und so lebten, wie sie es aus ihrer alten Heimat kannten, kam es
zu der bereits beschriebenen Stigmatisierung und Ausgrenzung (vgl. ebd.: 16-19).

Integration konnte nicht stattfinden, da jeder Bewohner der etablierten Zonen bei einer privaten Kontaktaufnahme mit einem Bewohner der „Rattengasse“, wie Zone 3 verächtlich von den Alteingesessenen genannt wurde (ebd.: 79), fürchten musste, vom Dorfklatsch schlecht gemacht zu werden und an Ansehen zu verlieren. Paradox an der Situation war, dass diese spannungsreiche Beziehung nur im Privatbereich existierte. In den Fabriken arbeiteten die Menschen völlig normal zusammen, ohne das die Statusunterschiede, die außerhalb der Fabriken ausgelebt wurden, eine Rolle spielten. Dieses Paradoxon zu analysieren, versäumte Elias, was nicht der einzige methodische Mangel dieser Studie war.

Im Kapitel „Ein theoretischer Schluss“ sagt Elias dann etwas über die Freiheit, was sehr interessant für das eigentliche Thema dieses Artikels ist: es gäbe den „Wunsch […] sich selbst und andere davon zu überzeugen, daß ein Individuum ‚im Grunde’ frei sei. […] Aber man mag wüschen, was man will: wenn man sich einfach die verfügbaren Belege ansieht, bleibt einem nur der Schluß, daß Figurationen die Reichweite individueller Entscheidungen beschränken und in vieler Hinsicht eine zwingende Kraft haben […]“ (ebd.: 267).

Wo sind denn die Freiräume der Menschen in Winston Parva? Die Menschen selbst schränken ihre Freiheit ein, indem sie einen sozialen Druck aufbauen, der Freundschaften oder enge Beziehungen außerhalb der alteingesessenen Familiennetzwerke verhindern. Unvorstellbar war eine Lebenspartnerschaft zwischen Kindern von einer etablierten und einer Außenseiterfamilie. Somit war natürlich auch die Handlungsfreiheit der Flüchtlinge aus London und der anderen „Außenseiter“ begrenzt. Ihnen wurde die Freiheit der politischen und sozialen Teilhabe verwehrt, obwohl sie verfassungsgemäß natürlich über die gleichen Rechte verfügten wie die Alteingesessenen. Sie konnten nur eingeschränkt über ihre Freizeitaktivitäten entscheiden, da sie als Arbeiter auch nicht über die finanziellen Mittel verfügten, in die nächste große Stadt zu fahren und dort teure Angebote zu nutzen.

Gesellschaftlich bedingte Beschränkungen

So kann man sehen, dass auch in freiheitlich konstituierten Gesellschaften wie Großbritannien keine unbegrenzten Freiheiten bestehen. Das Leben in der Gesellschaft bringt es laut Elias mit sich, dass wir in interdependenten
Beziehungen mit anderen Menschen leben, sei es in der Familie, bei der Arbeit oder in Freundeskreisen. Man begibt sich in (teils freiwillig gewählte) Abhängigkeiten und richtet sein eigenes Leben nach anderen aus. Natürlich gibt
es trotzdem gewisse Freiräume, z.B. bei der Berufswahl oder der Partnerwahl. Doch dürfen die Einschränkungen durch gesellschaftliche Normen nicht vergessen werden. Was Elias völlig vernachlässigt und mein größter Kritikpunkt an ihm ist, dass er seine Theorie allein auf Basis der besonderen Konstellation in Winston Parva herleitet, wo keine großen sozialen Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich Schicht- oder Rassenzugehörigkeit etc. bestanden. Wenn wir die Freiräume von Migranten, Homosexuellen, Menschen aus der Schicht des Prekariats und andere
sozial benachteiligten Gruppen anschauen, dann kann man bei einem objektiven Blick riesige Abgründe entdecken. Die Situation von Asylbewerbern in den Lagern und Heimen ist teils unmenschlich; ständige Angst vor der Abschiebung in mehrjährigen Verfahren mit nur befristeten Aufenthaltserlaubnissen – man wundert sich, dass man ab und zu in den Zeitungen von Kindern aus solchen Familien liest, die trotz widrigster Bedingungen Abitur machen und sich voll integrieren können. Auch bei der Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Partnerschaften gibt es trotz aller Fortschritte noch immer rechtliche und gesellschaftliche Unterschiede. Menschen, die auf Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) angewiesen sind, haben de facto nicht die gleichen Freiheiten wie normal beschäftigte Erwerbstätige. Sie müssen ständig für die Behörden erreichbar sein, d.h. sie müssen sich für Urlaubsreisen bei der Arbeitsagentur abmelden. Sie können nicht frei wählen, welche Jobangebote sie annehmen, sonst drohen ihnen Sanktionen bis hin zum völligen Streichen des soziokulturellen Existenzminimums. Das ganze Sanktionsregime von Hartz IV darzustellen, würde den Platz dieses Artikels sprengen – kurz gesagt ist es unbegreiflich, wie sich Deutsch-land (freiheitlicher) Sozialstaat nennen kann, wenn es möglich ist, mittellosen Menschen das ihnen grundgesetzlich zustehende Existenzminimum wegen bestimmter Tatbestände vollständig zu verweigern. Diese Menschen wären ohne zivilgesellschaftliches Engagement und Einrichtungen wie der Tafel und Kleiderkammern dem Hunger ausgesetzt.

Im folgenden Teil will ich noch näher beleuchten, wie in unserer Gesellschaft nicht nur sozial, sondern auch politisch die Freiräume der Menschen beschränkt werden. Dazu möchte ich exemplarisch einen Text des österreichischen Austromarxisten Max Adler vorstellen, der sich mit demokratietheoretischen Fragen beschäftigt und die Unterschiede zwischen bürgerlicher (liberaler) und sozialistischer Demokratie benennt.

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Arabische Revolution analysiert

Was sonst noch in der Welt passiert

Eine gute marxistische Analyse der arabischen Revolution, die im strengen Sinne bisher gar keine waren, findet man in der aktuellen Z., Zeitschrift für marxistische Erneuerung. Dort wurde ein übersetzter Beitrag von Adam Hanieh publiziert, der sich vorrangig mit dem Aufstand in Ägypten beschäftigt und dessen Vorgeschichte.

Nach Hanieh wurden nun politische Prozesse sichtbar, die konstituierend für die Entwicklung des Nahen Ostens waren: Komplizenschaft der USA und anderer mit den arabischen Diktaturen und die heuchlerische Rhetorik von Staatsmännern und -frauen wie Obama, das Scheitern der Despotien und die Allianzen zwischen Israel, USA und diesen Diktaturen. Die Regime in Ägypten und Tunesien brachen zusammen, weil Millionen Menschen ihre Angst ablegten und aufbegehrten gegen unhaltbare soziale Zustände. (Vgl. Hanieh: S. 18)

Ausgangsthese ist, dass Politik und Ökonomie, die der Liberalismus in verfälschender Weise immer auseinander denkt, als zusammengehörig begriffen werden müssen, denn es geht in Nahen Osten gerade nicht nur um die Demokratie und Freiheit, sondern um die Überwindung von Armut und sozialer Ungleichheit. Die Weltwirtschaftskrise sei entgegen den Behauptungen vieler Ökonomen auch an den Schwellenländern nicht spurlos vorbei gegangen. Drei Mechanismen haben dazu beigetragen: starke Abhängigkeit der nordafrikanischen Ökonomien von Exporten nach Europa (in Folge der europäischen Krise gesunken), Rückgang von Überweisungen von Wanderarbeitern, stark gestiegene Preise für Lebensmittel und Energie. Die Inflation bei Lebensmitteln betrug im Januar 2011 18,9 %. (Vgl. Hanieh: 19f.).

Die neoliberalen Reformen, von IWF und Weltbank initiiert, haben Ägypten mehr geschadet als genützt. Profitiert hat eine kleine Elite von führenden Politikern und Militärs, aber die große Mehrheit der Ägypter habe von dem vom IWF gefeierten BIP-Wachstum von 7 % jährlich (2006 bis 2008) und 4,6 % in 2009 nichts gespürt. Hier macht Hanieh deutlich, dass reine ökonomische Makrodaten nichts über die „Gesundheit“ eines Staates aussagen. Das sollte man sich merken, wenn man sich die gegenwärtige Aufschwungeuphorie in Deutschland anschaut. Wirtschaftswachstum kommt eben nicht automatisch allen zugute, sondern im Kapitalismus herrsche Ausbeutung, also der Reichtum der Elite ist die Armut der unteren Schichten. Die Armutsquote stieg von 2008 zu 2009 um 3, 4 % auf 23,4 %. Viele Menschen müssen auf dem informellen Arbeitsmarkt arbeiten. (Vgl. Hanieh: 21)

Ein Teil der neoliberalen Maßnahmen war (natürlich) die Privatisierung der Staatsunternehmen. Zwischen 1994 und 2001 halbierte sich die Zahl der öffentlich Beschäftigten und ein Fünftel des öffentlichen Bankensektors wurde der privaten Hand übertragen.

Diese Privatisierungswelle führte zu einer Streikwelle zwischen 2006 und 2008, die auf Grund der Verbundenheit der Gewerkschaften an den Staat von zahlreichen unabhängigen, neu entstandenen Arbeiterorganisationen. Allein 2006 gab es 220 große Streiks, die sich mit Bauernbewegungen verknüpften, die gegen den Verlust ihres Landes kämpften (was auch Teil der sog. Reformen war). Profiteure der neoliberalen Reformen waren die Großkonzerne Osman, Bahgat und Orascom und die sie unterstützenden Spitzenpolitiker mit Mubarak an der Spitze. „Das Ergebnis des Neoliberalismus war die Bereicherung einer kleinen – staatlichen und privaten – Elite bei gleichzeitiger Verelendung einer großen Mehrheit der Bevölkerung. Dies ist keine Verirrung des Systems […], sondern ein normales Merkmal der kapitalistischen Akkumulation, wie es sich in der ganzen Welt wiederholt.“ (Hanieh: 23)

Im zweiten Teil des Aufsatzes widmet sich Hanieh dem regionalen Kontext und stellt die US-Politik des Nahen Ostens dar, deren Ziel vorrangig ist, den Einfluss auf die Staaten mit großen Ölreserven zu bewahren und eine demokratische Kontrolle über die Ölfelder durch die arabische Bevölkerung zu verhindern. Israel sei dabei natürlich der wichtigste Partner und völlig abhängig von der politischen, ökonomischen und militärischen Hilfe der USA. Israel habe Interesse an der Erhaltung der Diktaturen – wie ist es auch sonst erklärlich, dass die nach eigener Aussage einzige Demokratie im Nahen Osten nicht unmittelbar nach dem Sturz von Ben Ali und Mubarak die Aufständischen in Tunesien und Ägypten beglückwünschte und Solidarität anbot? (Vgl. Hanieh: 24)

Zu Beginn des Aufstandes wurde das Militär ja oft als enger Verbündeter der Aufständischen dargestellt, da es die Proteste nicht brutal unterdrückte. Spätestens jetzt sieht man aber, dass das Militär eher Ausbremser als Antreiber der politischen Reformen ist. Auch Hanieh sagt, dass es illusorisch sei, das Militär als Teil des Volkes zu begreifen. Wie in Israel sei auch das ägyptische Militär von US-Militärhilfe (jährlich 1,4 Mrd. $) abhängig. (Vgl. Hanieh: 24f.) Mir scheint, dass man zwischen der Militärführung und den unteren Dienstgraden unterscheiden muss. Ökonomisch bereichert haben sich nur die Generäle, die Unteroffiziere standen dagegen auf Seite der Aufständischen.

Fazit des Beitrags von Hanieh ist, dass die westlichen Politiker mit Hilfe ihrer Medienindustrie versuchen, die jahrelange Förderung der arabischen Diktatoren vergessen zu machen und die beginnende Revolution in für den Westen nützliche Bahnen zu lenken. Der Klassenkampf, der Kampf gegen die herrschende Klasse um Mubarak, steht den westlichen Interessen im Wege, denn den Demonstranten geht es um reelle politische und sozioökonomische Machtverschiebungen zu Gunsten des Volkes. Das Militär hat die revolutionäre Situation anfangs nicht behindert, im Moment gibt es aber erhebliche Verzögerungen beim demokratischen Wandel.

Quellen:

Hanieh, Adam: Der Aufstand in Ägypten, in: Forum marxistische Erneuerung (Hrsg): Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Nr. 86/2011. Frankfurt/M, S. 18-27. (Homepage: http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/)

http://www.jungewelt.de/2011/06-14/052.php?sstr=%E4gypten%7Cmilit%E4r

http://www.jungewelt.de/2011/06-09/041.php?sstr=%E4gypten%7Cmilit%E4r

http://www.jungewelt.de/2011/05-17/030.php?sstr=%E4gypten%7Cmilit%E4r

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Kommentar zur Frauenfußball-WM

Was sonst noch in der Welt passiert

Wir stecken ja momentan mitten im zweiten „Sommermärchen“ (könnte da nicht auch jemand ein kritisches Wort zum inflationären Gebrauch dieses Begriffes machen? Warum eigentlich Märchen?). Über den Begriff an sich will ich mich hier nicht auslassen, sondern über den Frauenfußball und wie er in der Medienindustrie des Kapitalismus dargestellt wird. Auch spannend ist eine Auseinandersetzung mit dem WM-Planer des RCDS, der in den Gebäuden am Uniplatz verteilt wurde.

Bevor die WM der Fußballspielerinnen begann, wurde etwa eine Woche in allen Medien eine Art Einstimmung, Wecken von Vorfreude etc. betrieben. Richtig los ging es mit dem Tatort aus Ludwigshafen mit Ulrike Folkerts, der krimitechnisch nicht wirklich viel bot und ein einziges Werbefilmchen für die WM war. Ein Bestandteil der Story war das Thema Homosexualität im (Frauen-)Fußball. Damit komme ich zu meiner Kritik der Vorberichterstattung: Was hat dieses Thema im Rahmen der Berichterstattung über eine Fußball-WM zu suchen? Oder besser gefragt: Warum ist dieses Thema nicht bei Männer-WM auf der Tagesordnung. Hier wird ein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht, der nicht einleuchtet. In völliger unangemessener Weise wird zum Beispiel hier mitgeteilt, wie einige bekannte Spielerinnen lieben. Wie bei allen „Prominenten“ sollte doch gelten, dass das Privatleben bitte privat bleiben sollte. Natürlich kann man sagen, dass sich die Spielerinnen selbst outen und vielleicht ihr Privatleben auch zu Marketingzwecken offenbaren. Doch das Thema Lesben im Frauenfußball wird derartig breit ausgewalzt (bei google news gerade 323 Treffern zur Suche „frauenfußball lesbisch“), dass ein impliziter Druck aufgebaut wird, sein privates Liebesleben zu veröffentlichen. Ein derartiger Hype findet bei den Männern in der Regel nicht statt, es sei denn die Spielerfrauen (es sind bisher ja noch keine „Spielermänner“ bekannt geworden) sind in irgendeiner Weise prominent (Bsp. Silvie van der Vaart). Mir scheint es jedenfalls, dass dieser offene Umgang mit der (Homo-)Sexualität nicht zur zunehmenden Akzeptanz von homosexuellen FußballerInnen führt, vor allem im Männerfußball herrscht noch ein Stigmatisierungsklima, dass einem an der weltoffenen, angeblich liberalen Gesellschaft zweifeln lässt (der Zweifel besteht aber schon länger, siehe Erfolg von Sarrazins Buch).

Ein weiterer Unterschied zwischen Männern und Frauen besteht im monetären Bereich. Männlichen Fußballern ist es möglich, astronomische Summen von 10 bis 20 Mio. Euro zu verdienen, was viel zu viel ist, während sich die Fußballfrauen noch während der Karriere um Studium bzw. Ausbildung kümmern müssen, damit sich nach der Karriere einen guten Job haben, weil sich selbst in der Frauenbundesliga kaum mehr als ein paar Tausend Euro verdient wird. Wobei das Modell der Frauen irgendwo noch reeller ist, denn es gibt keinen (produktiven) Grund, warum Fußballer das zigfache des Bruttodurchschnittsverdienstes nichtsportlicher Arbeitnehmer verdienen sollen. Warum aus einigen Sportarten kapitalistische Waren gemacht werden, ist rational nicht nachvollziehbar – aber das ist ein anderes Thema. Zu fragen ist auch, warum die ARD-Sportschau jedes Wochenende ausführlichst vom Spieltag der Männer-Bundesliga berichtet, aber nicht einmal 10 Minuten für die Frauen-Bundesliga hat. Wollte der DFB nicht ein großer Förderer des Frauenfußballs sein? Warum wird kein Druck auf die öffentlich-rechtlichen Sender gemacht, mehr Frauenfußball zu zeigen (außerhalb der großen Turniere).

Abschließend einige kritische Bemerkungen zum RCDS-Planer zur Frauenfußball-WM: 1. Wie kommt eine hochschulpolitische Gruppe, die sich laut Klappentext des Planers zu den Vorreitern der Verbesserung der Studienbedingungen zählt, zu der Idee und dem Geld, einen Frauenfußball-WM-Planer zu produzieren? Das mit dem Geld ist noch erklärbar, geworben wird nämlich auf besagtem Planer von Gauselmann, einem der führenden Betreiber von Spielhallen und Ähnlichem, der auch durch Parteispenden und Lobbyismus für den verbreiteten Ausbau von Spielhallen bekannt wurde. Ansonsten sehe ich aber keinen Zusammenhang zwischen meinen Studienbedingungen der der Frauenfußball-WM. 2. „Tagtäglich kämpfen über 100 RCDS-Gruppen an den Hochschulen um die Bildungskrone für Deine Anliegen und Belange und verteidigen Deine Interessen in den verschiedenen Gremien. Sie stürmen voran, wenn es darum geht, Studienbedingungen zu verbessern, und wehren ab, wenn Bildung in Gefahr ist. […]“ (Zitat vom Planer) – wer die Verbesserungen im Studien- und Bildungssystem, die der RCDS erkämpft hat, nicht mitbekommen hat, kann wahrscheinlich nur dogmatischer Ignorant sein oder lebt am falschen Ort. 3. Jetzt kommt die spannendste Frage, bei der derjenige, der sie als Erster beantworten kann, eine Million Euro gewinnen kann (zumindest moralisch :)): Warum ist auf einem Planer zur Frauen(!)fußball-WM ein knackig gebauter Männerbauch abgebildet? Wollte man eine Klage von Alice Schwarzer vermeiden, die ja schon vor einigen Jahrzehnten den „Stern“ verklagte, weil der fast auf jedes Titelblatt freizügig bekleidete Frauen abbildete und damit Frauen zum Sexobjekt herabsetzte? Wohl kaum, sodass auch dies ein Rätsel bleibt.

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Was ist Antisemitismus?

Parteien, Was sonst noch in der Welt passiert

Alle politisch Interessierten haben es sicherlich mitbekommen: die deutsche LINKE hat sich gerade mal wieder intern durch den Fleischwolf gezogen und eine hoch sinnfreie Antisemitismus- und Maulkorbdebatte geleistet. Sinnfrei, weil nicht rational mit Bezug auf wissenschaftliche Argumente, sondern rein emotional die verschiedenen Parteiflügel aufeinander losgingen, ohne bis heute genau festzulegen, was Antisemitismus ist und was man daher in einer antirassistischen Partei wie der LINKEN sagen darf und was nicht. Auf diese Weise kann man natürlich keine griechischen oder spanischen Verhältnisse schaffen, um gegen die völlig verfehlte Politik gegen Staatsverschuldung und europäischer Wirtschafts- und Finanzmarktkrise zu protestieren. Die sozialen Probleme scheinen von der Linkspartei im Moment nicht als problematisierungswürdig wahrgenommen zu werden. Erstes Ergebnis der Antisemitismusdebatte, die auch dank einer wieder einmal äußerst parteifeindlichen Ausschlachtung in der bürgerlichen Medienindustrie angefeuert wurde, war folgende Resolution der Bundestagsfraktion vom 07.06., die nur auf Grund der Abwesenheit einer beträchtlichen Zahl von LINKEN-Abgeordneten einstimmig beschlossen wurde:

„Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion DIE LINKE tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf.

Die Mitglieder der Bundestagsfraktion erklären, bei all unserer  Meinungsvielfalt und unter Hervorhebung des Beschlusses des Parteivorstandes gegen Antisemitismus vom 21.Mai 2011:

Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ‚Gaza-Flottille‘ beteiligen.

Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.“

Damit wird der Eindruck erweckt, dass die Forderung einer Ein-Staaten-Lösung des Nahostkonflikts, der Aufruf zum Boykott israelischer Waren und die Teilnahme an einer Solidaritätsflotille zur Durchbrechung der völkerrechtlich fragwürdigen Gazablockade Israels alles antisemitische Politik wäre. Gerne soll man diese Meinung haben, aber wenn man erwartet, dass alle Fraktionsmitglieder und sogar -mitarbeiter sich im Sinne dieser Position engagieren sollen, dann darf man doch eine inhaltlich gut fundierte Begründung erwarten, warum dieses antisemitisch wäre. Aber die Frage, was antisemitisch ist und was als legitime Kritik israelischer Politik gelten kann, wurde nicht geführt bzw. öffentlich geklärt.

Ein renommierter Antisemitismusforscher ist Wolfgang Benz, der bei der BpB den Band „Was ist Antisemitismus?“ herausgegeben hat. Es schien mir sinnvoll, hier nach Antworten auf die eben aufgeworfene Frage zu suchen. Eines wird schnell klar: der Begriff Antisemitismus ist missverständlich und lädt zu (Fehl-)Interpretationen ein (S. 9). Nur in rechtsextremen Kreisen wird offen antisemitisch gegen Juden agitiert – der Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft wird über Codes, Symbole und teils nonverbal versteckt geäußert. Antisemitismus wird bei Benz als Oberbegriff aller Formen von Feindschaft gegenüber Juden verstanden. Es geht um die Ablehnung der Juden, die nicht auf Fakten, sondern Mutmaßungen und Emotionen beruht und nicht rational ausdiskutiert werden kann. „Antisemitismus ist deshalb auch weitgehend gegen Aufklärung resistent“, was aber nicht als resignative Feststellung, sondern als Plädoyer für Prävention verstanden werden soll (S. 10). Charakteristisch für Judenfeindschaft sei „blinde Wut, Ausdruck von Paranoia und psychotischen Ängsten“ einer Mehrheit gegenüber der jüdischen Minderheit. Die Hypothese ist, dass Antisemitismus meist nicht ein Angriff auf die Juden, sondern eine Verteidigung ist, eine Verteidigung des Selbstwertgefühls, der nationalen Identität, die durch die Erinnerung an den Holocaust oder anderes als bedroht wahrgenommen werden (S. 14f.). Benz unterscheidet vier Phänomene:

1) christlichen Antijudaismus, den hauptsächlich religiös motivierten, bereits im Mittelalter virulenten und heute nur noch selten anzutreffenden Antisemitismus;

2) den pseudowissenschaftlichen Rassenantisemitismus, der im Holocaust endete;

3) sekundärer Antisemitismus nach 1945, der latent auch nach dem Holocaust immer wieder auftaucht (darunter zählen zum Beispiel die Frage, wie lange die Deutschen noch Entschädigungszahlungen wegen der Verbrechen der Nationalsozialisten zahlen müssen oder der Vorwurf, die Juden würden aus dem Holocaust noch politische oder wirtschaftliche Gewinne erzielen);

4) Antizionismus, wie er laut Benz z. B. in der Staatsräson war. Damit widerspricht Benz Abraham Melzer (Herausgeber der Zeitschrift „Der Semit“), der eine klare Trennung von Antisemitismus und Antizionismus zieht, wie ich früher dargestellt habe.

Benz sagt, dass eine Differenzierung nach Ausmaß des Antisemitismus geboten ist: manifester Antisemitismus (Attacken gegen Personen, Sachbeschädigungen …) versus latenter Antisemitismus (stillschweigendes Einverständnis über „die Juden“ im alltäglichen Gespräch, Meinungsumfragen, Leserbriefen, S. 19f.). Israelkritik an sich sei so legitim wie Kritik an jeder Politik; problematisch sei sie, wenn sie zum Ventil für antijüdische Emotionen wird. Eindeutig antisemitisch sei die Verweigerung des Existenzrechtes Israels (S. 24f.).

Dem Thema Israelkritik wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Problematisch an der Kritik der Grenzmauer im Westjordanland sei es, wenn man einseitig nur das Leid der Palästinenser durch diese Absperrung sieht und nicht den „Terror palästinensischer Guerillas und Selbstmordattentäter gegen ebenso unschuldige israelische Familien“ im Blick hat. Die Grenze der berechtigten zur antisemitischen Kritik wird überschritten, „wenn Vorurteile und Stereotype, die mit den zu kritisierenden Vorgängen nichts zu tun haben, weit über den Anlass hinaus zu Erklärung und Schuldzuweisung benützt werden. […] Antizionismus [wurde] zum Schlachtruf gegen Israel, der die Legalität der staatlichen Existenz bestreitet und sie rückgängig machen, die jüdischen Einwohner des Landes vertreiben will.“ (S. 203) Die Zusammenfassung lautet: „Erlaubt und selbstverständlich ist die kritische Bewertung jeder Politik, unerlaubt ist aber das Bestreiten des Existenzrechts eines Staates, das mit der Diffamierung seiner Bürger argumentiert.“ (S. 208) Im abschließenden Kapitel erklärt Benz, dass „Judenfeindschaft keine Reaktion auf jüdische Existenz ist, dass vielmehr Juden als Projektionsfläche benutzt werden für Probleme, Ängste, Sorgen der Mehrheit, für patriotische Projekte zur Stabilisierung des Selbstbewusstseins, zur Erklärung krisenhafter Erscheinungen, zur Zuweisung von Schuld […]. […] Judenfeindschaft ist zuerst und vor allem ein Symptom für Probleme in der Mehrheitsgesellschaft.“ (S. 241)

Nach all diesen Erläuterungen dürfte es schwer sein, den Antisemitismusvorwurf gegen die LINKE als Gesamtpartei aufrechtzuerhalten. Man soll das Parteimitglied nennen, dass das Existenzrecht Israels leugnet oder die Politik Israels kritisiert, nur um die Juden als Ganzes zu diffamieren. Ursprung der Israelkritik ist die Unterdrückung der Palästinenser, die Blockade des Gazastreifens, die eine Kollektivbestrafung aller dort lebenden Palästinenser ist. Alle Bewohner Gazas werden kollektiv für die illegalen Raketenbeschüsse der palästinensischen Terrorgruppen verantwortlich gemacht. Solidarität mit Palästina, wie sie in der Gazaflotille zum Ausdruck kommt, ist keine Herabwürdigung der Juden, sondern soll Kritik an der israelischen Politik darstellen, die die Menschenrechte der Palästinenser nicht ernst nimmt und dem Frieden im Nahen Osten keine Chance gibt. Natürlich war nicht jede Form des palästinensischen Widerstandes legitim und legal, doch beide Seiten müssen von ihren Maximalpositionen abrücken und gegenseitig die Existenz respektieren. Die Frage, ob die Gründung Israels 1948 eine gute Idee war, kann heute nicht mehr diskutiert werden. Israel ist ein Faktum und kein Linker fordert ernsthaft die Vertreibung der Israelis (die nicht alle Juden sind) aus dem heutigen Israel. Das ist mit der Forderung nach einer Ein-Staaten-Lösung auch nicht gemeint, wer dies behauptet, lügt, um den politischen Gegner zu diskreditieren.

Am 28.6. wurde Folgendes – in den Medien nicht wahrgenommenes – vom Parteivorstand beschlossen, was meine Ausführungen und die Definitionen von Benz bestätigt:

„Kritik an israelischer Regierungspolitik ist kein Antisemitismus. Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion DIE LINKE tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf.

Die Mitglieder der Bundestagsfraktion erklären, bei all unserer Meinungsvielfalt und unter Hervorhebung des Beschlusses des Parteivorstandes gegen Antisemitismus vom 21.Mai 2011:
Wir werden als Linke weiterhin die Politik der israelischen Regierungen gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern öffentlich kritisieren, wann immer dies wegen deren Völker- und Menschenrechtswidrigkeit notwendig ist. Das betrifft die israelische Besatzungspolitik, die Blockade gegenüber dem Gazastreifen und die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten ebenso wie die Weigerung der israelischen Regierung, konstruktiv an einer Zweistaatenlösung mitzuwirken, stattdessen diese zu erschweren.

Es ist nicht hinnehmbar, wenn einer derartigen Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet wird. Wir werden nicht zulassen, dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden, wenn sie eine solche Politik der israelischen Regierung kritisieren.

Die inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus schadet dem Kampf gegen ihn. Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen.“

Warum man erst ein so einseitiges Pamphlet wie das vom 21. Mai veröffentlicht, wenn es auch ausgewogen wie hier geht, bleibt fraglich. Wahrscheinlich war das Papier vom 21. Mai eine Kurzschlusshandlung mit dem man (vergeblich) hoffte, vom bürgerlichen Mainstream und politischen Gegner verschont zu werden. Das Fazit der Debatte ist, dass wieder einmal unsolidarisch in und über die parteifeindlichen Medien übereinander diskutiert wurde, ohne die immensen politischen Schäden, den man bei (potenziellen) Parteianhängern zu bedenken. Vor allem, dass man allen Fraktionsmitgliedern bestimmte politische Meinungen verbieten will, wirft einen Schatten auf die Demokratievorstellungen der Partei (dies wurde seltsamerweise von den angeblich so demokratischen Medien und Parteien gar nicht kritisiert!). Das Bild einer zerrissenen Partei, die ihre gemeinsamen Positionen, die man mit dem Begriff Antikapitalismus fassen könnte, zu wenig betont, wurde prima bedient. Der bei der Fusion von WASG und PDS proklamierte Pluralismus und Respekt unter den unterschiedlichen Strömungen funktioniert zumindest bei manchen Führungskräften nicht. Die LINKE muss schleunigst zu ihrem Markenkern zurückkehren und sich mehr mit den sozialen Problemen und der Krise des Kapitalismus beschäftigen, sonst wird sie für viele ehemalige Wähler uninteressant.

Update 04.07.: Doch bald wieder Frieden im linken Haus? Zumindest in der Antisemitismus-/israeldebatte hat sich die Parteispitze auf ein ohne Gegenstimmen angenommenen Programmentwurfabschnitt zum Thema geeinigt. Demnach wird das Existenzrecht Israels anerkannt und im Nahostkonflikt eine Zweistaatenlösung angestrebt. Dass gleichzeitig drei Provinzpolitiker aus Brandenburg die Idee aufbringen, die Partei wieder in eine West- und Ostlinke zu spalten, zeugt von einer politischen Instinktlosigkeit und Dummheit, dass ich mir jeden weiteren Kommentar sparen möchte. (http://www.jungewelt.de/2011/07-04/027.php)

Quellen und lesenswerte Beiträge zur Debatte:

http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/entschieden-gegen-antisemitismus-2011-06-07/

http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/beschluss-fraktion-linke-28-juni-2011/

Wolfgang Benz (2008): Was ist Antisemitismus?. Bonn: Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Unter: http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Rassismus/antisemitismus6.html findet man eine Arbeitsdefinition von Antisemitismus des European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC), die auch Beispiele für antisemitisches Verhalten enthält.

http://www.jungewelt.de/2011/06-09/067.php?sstr=antisemitismus (Interview mit der Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte)

http://www.jungewelt.de/2011/06-10/027.php?sstr=antisemitismus

http://www.jungewelt.de/2011/06-11/049.php?sstr=antisemitismus (Moshe Zuckermanns ausführlicher Kommentar zum Maulkorberlass der Fraktion und der Antisemitismusstudie, die die Debatte auslöste)

http://www.jungewelt.de/2011/06-28/026.php?sstr=antisemitismus (Interview mit Tobias Pflüger, der sich nicht an den Beschluss vom 21. Mai halten will)

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