Ägypten hat gewählt

Wahlen

Ägyptens Parlamentswahlen, die in drei Runden durchgeführt wurde, sind seit dem 11. Januar abgeschlossen und nun sind die Stimmen alle ausgezählt worden. Bevor ich auf das Wahlergebnis näher eingehen werde, möchte ich kurz das Wahlsystem erläutern. Die Wahlen wurden in drei Runden unterteilt, sodass je Runde neun der 27 Provinzen Ägyptens ihre Abgeordneten für die Ägyptische Volksversammlung wählen. Zwei Drittel der Abgeordneten (332) werden nach Verhältniswahlrecht gewählt und ein Drittel (166) nach Mehrheitswahlrecht (Direktwahlverfahren). Die direkt gewählten Abgeordneten müssen die absolute Mehrheit erreichen, sollte sie die verfehlen, gibt es eine Stichwahl. Zehn Abgeordnete ernennt der Präsident, in diesem Fall also der Chef des Militärrates – Mohammed Hussein Tantawi; dies sind traditionell Vertreter der koptischen Minderheit. Die zweite Kammer des Parlaments, der Schura-Rat wird zwischen dem 29. Januar und 22. Februar gewählt; dabei werden 190 Sitze durch die Wahl bestimmt und 80 Sitze durch Ernennung vergeben. Kompliziert wird es für die Parteien wegen eines alten Gesetzes aus der Nasser-Ära, wonach die Hälfte der aufgestellten Kandidaten Bauern oder Arbeiter sein müssen. Wahlberechtigt ist jede/r Ägypter/in ab 18 Jahre.
Zur Wahl angetreten sind über 50 der 70 seit dem Sturz Mubaraks neu gegründeten Parteien. Die KAS ordnet 15 Parteien dem religiösen Spektrum zu, 25 Parteien als „säkular-liberal“, 12 als „sozialistisch“ und/oder „panarabisch“ und rund 10 als inoffizielle Nachfolgeorganisationen der verbotenen bisherigen Regierungspartei NDP. Ein Teil der Parteien hat sich zu vier Wahlbündnissen zusammengeschlossen: der „Democratic Alliance“, die von der Partei der Muslimbrüder und einigen kleineren säkularen Parteien gebildet wird, die „Islamic Alliance“, in der sich die salafistischen und radikal-islamischen Parteien zusammengeschlossen haben, sowie dem eher liberal-säkular ausgerichtete „Egyptian Bloc“ und dem linken Bündnis „The Revolution Continues“.
Das Wahlergebnis (siehe Tabelle) zeigt einen klaren Sieg der gemäßigten Islamisten. Größte Oppositionskraft werden die Salafisten. Die liberalen und linken Parteien als wesentliche Träger der Demonstrationen gegen das Mubarak-Regime müssen mit zusammen etwa 20 Prozent anerkennen, dass die Bevölkerung für eine weitreichende Revolutionierung der Gesellschaft noch nicht bereit ist. Selbst Parteien des alten Regimes kommen noch auf 17 Sitze.

Quellen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/parlamentswahl-in-aegypten-wahlsystem-mit-chaospotential-1.1220241
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,806618,00.html
http://www.kas.de/aegypten/de/publications/29526/
http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahlen_in_%C3%84gypten_2011/2012#Gesamtergebnis

6 Comments

5 Comments

  1. Caro  •  Sep 18, 2012 @11:24

    Hallo Stefan Dorl!

    Danke für diese Ausführung. Mir bleibt aber die Frage offen, in welche Typologie sich das ägyptische Wahlsystem denn nun einordnen lässt? Vielen Dank 🙂

  2. Stefan Dorl  •  Sep 18, 2012 @13:12

    Ägyptens Wahlsystem ist weder ein reines Verhältnis- noch ein reines Mehrheitswahlsystem. Es ist ein Mischsystem, allerdings nicht nach deutschem Muster, wo ja die Zahl der Direktmandate mit der Zahl der nach Zweitstimmen verteilten Mandate verrechnet werden, sondern getrennt: also einerseits werden zwei Drittel der Sitze nach absoluter(?) Mehrheitswahl, andererseits ein Drittel nach proportionalem Stimmenverhältnis bestimmt. Eine Einordnung in die für europäische/westliche Wahlsysteme ausgerichtete Typologie wird auch dadurch erschwert, dass einie Abgeordnete vom Staatsoberhaupt ernannt werden dürfen und dass die Hälfte der Abgeordneten Bauern oder Arbeiter sein sollen.
    Eine wissenschaftliche Publikation zum aktuellen ägyptischen Wahlsystem kenne ich nicht, aber der Beitrag von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), den ich oben verlinkt habe, hilft vielleicht am ehesten weiter. Die englischsprachige Wikipedia hat auch eine relativ ausführliche Beschreibung: http://en.wikipedia.org/wiki/Egyptian_parliamentary_election,_2011%E2%80%932012#New_electoral_law.
    Vielleicht konnte ich damit etwas weiterhelfen?

  3. Caro  •  Sep 19, 2012 @09:37

    Danke 🙂
    Ja, auf jeden Fall. Ich bin auch Studentin der Politikwissenschaft und habe mich ziemlich schwer damit getan, mir das alles deutlich zu machen. Aber es interessiert mich wirklich sehr, weshalb ich mir dachte, dass ich doch einfach mal nachfrage. Was mich dabei aber am meisten wundert: Ich habe das Buch von Nohlen zur Hand gezogen, denn das ist ja eigentlich vom Stand 2010 und ich dachte, dass das Wahlsystem an sich ja erst nach der Wahl zum Parlament geändert oder reformiert werden würde. Nohlen schreibt nämlich noch, dass es eine Wahl nach Mehrheitssystem sei. Hat die ägyptische Regierung das Wahlsystem doch noch reformiert? In den Medien lässt sich nichts finden.. Es heißt immer nur: Das Wahlsystem ist so und so.

  4. Caro  •  Sep 19, 2012 @10:48

    hast du nicht auch die Zahlen vertauscht? Also, dass zwei Drittel nach dem Proporz und ein Drittel nach (absoluter)? Mehrheit gewählt werden?

  5. Stefan Dorl  •  Sep 20, 2012 @10:56

    Stimmt, das habe ich vertauscht – es ist aber auch verwirrend.
    Das Wahlsystem wurde definitiv im Zuge des arabischen Frühlings verändert. Entsprechende Presseberichte habe ich nun auch gefunden: http://www.nzz.ch/aktuell/international/aegyptens-militaerrat-erlaesst-neues-wahlgesetz-1.11545255 (Hier ist aber von von Hälfte VW -Häfte MW die Rede); http://www.taz.de/!79596/ (mit weiteren Artikel-Links);
    einfach mal „neues wahlgesetz ägypten“ googlen 🙂

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