Im Nachgang zur Landtagswahl im Saarland sollen hier einige Überlegungen zur Strategie der SPD im momentanen Parteiensystem Deutschlands gemacht werden. Wir erleben zurzeit einen bislang kaum aufhaltbaren Niedergang der einst mächtigen, liberalen Mehrheitsbeschafferin FDP. Konnte diese den Aufstieg der Grünen noch mit einer Dauerhochzeit mit der konservativen CDU/CSU überstehen, ist sie den angeblich ideologiefreien, irgendwie linksliberalen Piraten im direkten Vergleich der liberal-bürgerlichen Positionen unterlegen. Die Piratenpartei macht allen Parteien zu schaffen, auch der SPD – sie hat im Saarland aus allen Lagern (auch dem der Nichtwähler) Stimmen gewonnen.
Die SPD hat vor der Wahl ganz klar gesagt, was sie will: eine Große Koalition, niemals eine rot-rote Koalition mit den regierungsunfähigen LINKEN. Die SPD hatte auch ein Wahlprogramm (Kernaussagen hier): Dazu gehört für die Sozialdemokraten eine höhere Besteuerung großer Einkommen. Die Bildungsausgaben sollten erhöht werden und eine solidarische Lösung der Altschuldenfrage gefunden werden. Die Kapazität für Windenergie soll verfünffacht und erneuerbare Energien gefördert werden. Das sind alles programmatische Aussagen, wo die CDU nicht mit Begeisterung in die Hände klatschen wird, sondern gute Ausgangspunkte für eine rot-rot-grüne Landesregierung. Auch die LINKE ist bereit gewesen, die Schuldenbremse einzuhalten; mit den von der SPD genannten Mitteln: höhere Einnahmen und Ausgabeneinsparungen, wo sozial verträglich und möglich.
Das ist natürlich nicht die erste Wahl, wo die SPD die Gelegenheit hatte, mit der LINKEN eine soziale Politik gegen CDU und FDP zu betreiben. Erinnert sei an die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt (2011, 2006), Thüringen (2009), Mecklenburg-Vorpommern (2006), Hessen (2008) oder Brandenburg (2004). Die programmatischen Übereinstimmungen zwischen SPD und LINKEN (und Grünen) waren meist so groß, dass es jedem echten Linken schmerzte, wie die SPD ihre Programmatik immer wieder über Bord warf und wegen angeblich guter Erpressung der CDU sich in Große Koalitionen flüchtete, bloß um die radikale Linkspartei auszugrenzen oder warum auch immer (Mehrheit zu knapp, Unzuverlässigkeit der LINKEN etc.). Es könnte nach den aktuellen Mehrheitsverhältnissen in elf der 16 Bundesländer eine rot-rot(-grüne) Landesregierung geben – abzuziehen sind Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo Rot-Grün allein eine Mehrheit stellen können. Würde man die SPD als linke Partei verstehen, könnte es eine klare linke Mehrheit im Bundesrat geben, genau wie im Bundestag 2013, wenn die Umfragen nicht noch aus wundersamen Gründen zu Gunsten der CDU/CSU und v. a. der FDP ausschlägt.
Das sind alles linke Träumereien, da man bei der SPD (und auch bei den Grünen) ernsthafte Zweifel an ihren linken, sprich kapitalismuskritischen Tönen zweifeln muss. Im SPD-Programm taucht das Wort „Demokratischer Sozialismus“ nur noch ein-, zweimal auf. (Die Grünen reden lieber Klartext: Green New Deal bzw. Grüner Kapitalismus). Sie fordern mit ihrem neuen Steuerkonzept die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine reformierte Erbschaftssteuer, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer auf 49 % (ab 100.000 Euro), Rücknahme der „Mövenpick-Steuererleichterung“ (erm. Mehrwertsteuer für Hotels), Abschaffung unsinniger Steuersubventionen und auf europ. Ebene eine Finanztransaktionssteuer. Sie fordern einen gesetzlichen Mindestlohn, eine Begrenzung der Leiharbeit und eine BürgerInnenversicherung im Gesundheitswesen. Aber was davon will die SPD dann in Regierungsverantwortung (zusammen mit den Grünen) umsetzen? Das ist doch 2013 die spannende Frage für den von Schwarz-Gelb überdrüssigen Wähler, der dem Neoliberalismus die Rote Karte zeigen will. Kein Wähler von Rot-Grün 2002 hat erwartet, dass ihm diese Mitte-links-Regierung eine Agenda 2010 inkl. asozialer Hartz-Reformen und Liberalisierung der Finanzmärkte (Stichwort Heuschrecken/Hedgefonds) beschert.
Würde die SPD ihre sozial- und wirtschaftspolitische Programmatik (zusammen mit den Grünen) in Reinkultur umsetzen und das also ernst nehmen, wäre die derzeitige Linkspartei ein Stück weit überflüssig – nicht völlig überflüssig, denn marxistische und antikapitalistische Positionen sind in der SPD praktisch nicht (mehr) vorhanden. Die Geschichte der SPD seit Schröder beschert den Genossen aber ein gewaltiges Glaubwürdigkeitsproblem, das durch ihre Positionierung in der sog. „Schuldenkrise“ (die in Wahrheit, wie Gysi in seiner letzten Rede im Bundestag zutreffend wiederholte, eine Banken- und Finanzmarktkrise bzw. nach J. Ditfurth eine stinknormale Überakkumulationskrise ist) nicht wirklich entkräftet wird. Statt klare Kante zu zeigen, sprich rigorose Regulierung der Finanzmärkte bis hin zu Verboten der Spekulationsgeschäfte mit Rohstoffen und Staatsanleihen zu fordern, will sie irgendwie den Retter (Kapital-)Europas spielen und ihr staatsmännisches Verantwortungsbewusstsein demonstrieren.
Angenommen, SPD und Grüne hätten 2013 eine Mehrheit im Bundestag – könnten sie dann ihre linken Forderungen durchsetzen? Fast alle steuer- und sozialpolitischen Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, d. h., Rot-Grün braucht auch dort eine Mehrheit. Dafür könnte es sich doch hilfreich erweisen, wenn sie dort, wo keine rot-grüne Mehrheit möglich ist (wie im Saarland), auf eine Kooperation mit der Linkspartei statt mit der CDU baut. Gar nicht abwegig ist allerdings, dass SPD und Grüne wegen der Piratenpartei es nach 2005 und 2009 wieder nicht eine eigene Mehrheit schaffen. In keiner der aktuellen Meinungsumfragen haben sie eine eigene Mehrheit. Also, was tun? Meine Erstempfehlung wäre die skandinavische bzw. NRW-Lösung: Minderheitenregierung. Funktioniert in Schweden, Norwegen etc. in Vielparteiensystemen seit Jahrzehnten. Innenpolitisch könnte sie sich auf die Linkspartei und/oder die Piraten stützen, außenpolitisch (wenn Rot-Grün an der bisherigen, falschen außenpolitischen Linie festhalten will) auf die CDU. Das könnte viele Leute zufrieden machen und vielleicht reiht es dann sogar beim nächsten Mal wieder für eine eigene Mehrheit. Man könnte als Zweites natürlich auch Ernst machen mit linker Politik und endlich die antikommunistischen Scheuklappen ablegen, um eine richtige Koalition mit der Linkspartei zu machen. Dafür müsste man aber sein Wahlprogramm sehr ernst nehmen und nicht gleich beim ersten Gegenwind der Arbeitgeberverbände und Kampagnen der Springer-Medien den Rückzug antreten.
Das Schlimmste, was die SPD machen kann, ist, das bürgerlich-kapitalistische Lager politisch zu retten, indem man wie Heiko Maas im Saarland oder Jens Bullerjahn in Sachsen-Anhalt der CDU zur Mehrheit verhilft. Dann können bildungspolitische Reformen wie Gemeinsames Lernen bis zur 10. Klasse oder große Umverteilungen im Steuersystem abgehakt und stattdessen wieder irgendwelche Rohrkrepierer-Reförmchen, die keiner der unterprivilegierten Schichten hilft, beklagt werden. Mit dem Weg der Großen Koalitionen macht sich die SPD ähnlich überflüssig wie die FDP mit ihrem Weg der freien Marktwirtschaft und des ewigen Wachstums.