Nach sechs Wochen seit der letzten Wahl, die dazu führte, dass keine Regierung gebildet werden konnte, waren die Griechen nun wieder aufgerufen ein neues Parlament und damit eine neue Regierung zu wählen. Dabei sollten sie nicht daran denken, was für sie selbst am besten ist, nein, die Griechen mussten sich eine unerhörte Beratung aus dem (v. a. deutschen) Ausland anhören. Sie sollten an die Eurozone, an die Finanzmärkte denken, die FTD war so „nett“ und wusste den Griechen gleich die Nea Dimokratia zu empfehlen, also die Partei, dank deren Klientelpolitik (in regelmäßiger Abwechslung mit der Politik der PASOK) Griechenland so desolat dasteht wie lange nicht bzw. wie wahrscheinlich noch nie. Wir haben die Wahl überstanden, Gott (?) sei Dank sind die Linksradikalen nicht stärkste Kraft geworden (wie radikal Syriza wirklich ist, wird evtl. auch überschätzt). Nun kann ich als Nicht-Grieche nicht einschätzen, wie groß der Einfluss der deutschen und europäischen Medienindustrie auf die griechischen Wähler war, jedenfalls dürften die Kapitaleigner der Zeitungen und Medien sowie deren politische Vertreter mit dem Wahlergebnis höchst zufrieden sein:
Partei
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Stimmen
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Sitze
|
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Anzahl
|
%
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+/−
|
Anzahl
|
+/−
|
|
Nea Dimokratia (ND) |
1.825.609
|
29,66
|
+10,81
|
129
|
+21
|
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SYRIZA – Enotiko Kinoniko Metopo (SYRIZA-EKM) |
1.655.053
|
26,89
|
+10,11
|
71
|
+19
|
|
Panellinio Sosialistiko Kinima (PASOK) |
755.832
|
12,28
|
−0,90
|
33
|
−8
|
|
Anexartiti Ellines (ANEL) |
462.456
|
7,51
|
−3,10
|
20
|
−13
|
|
Chrysi Avgi (XA) |
425.980
|
6,92
|
−0,05
|
18
|
−3
|
|
Dimokratiki Aristera (DIMAR) |
385.079
|
6,26
|
+0,15
|
17
|
−2
|
|
Kommounistiko Komma Elladas (KKE) |
277.179
|
4,50
|
−3,98
|
12
|
−14
|
|
Dimiourgia Xana |
98.063
|
1,59
|
−0,56
|
—
|
—
|
|
Laikos Orthodoxos Synagermos (LAOS) |
97.099
|
1,58
|
−1,32
|
—
|
—
|
|
Ikologi Prasini |
54.421
|
0,88
|
−2,05
|
—
|
—
|
|
Kinima Den Plirono |
23.734
|
0,39
|
−0,49
|
—
|
—
|
|
Antikapitalistiki Aristeri Synergasia gia tin Anatropi (ANTARSYA) |
20.389
|
0,33
|
−0,86
|
—
|
—
|
|
Koinonia Politiki Parataxi synechiston Kapodistria |
17.771
|
0,29
|
−0,16
|
—
|
—
|
|
Enosis Kentroon |
17.191
|
0,28
|
−0,33
|
—
|
—
|
|
Komma Piraton Elladas |
14.169
|
0,23
|
−0,28
|
—
|
—
|
|
Panathinaiko Kinima (PANKI) |
12.439
|
0,20
|
+0,20
|
—
|
—
|
|
Kommunistiko Komma Elladas (marxistiko-leninistiko) (ML KKE) |
7.648
|
0,12
|
−0,13
|
—
|
—
|
|
Ethniki Elpida |
4.303
|
0,07
|
+0.07
|
—
|
—
|
|
Komma Fileleftheron |
615
|
0,00
|
−0.06
|
—
|
—
|
|
Anexartiti Ananeotiki Aristera |
416
|
0,00
|
−0.05
|
—
|
—
|
|
Kinima Ethnikis Andistasis (KEAN) |
80
|
0,00
|
—
|
—
|
—
|
|
Unabhängige Kandidaten |
1
|
0,00
|
—
|
—
|
—
|
|
Gesamt |
6.155.527
|
100,00
|
|
300
|
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Wahlberechtigte |
9.951.970
|
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Wahlbeteiligung |
62,47 %
|
Abgegebene Stimmen |
6.216.856
|
Ungültige Stimmen |
36.277 (0,5 %)
|
Leere Stimmzettel |
25.052 (0,4 %)
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Quelle: Griechisches Innenministerium[1] |
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Die ND wurde wunschgemäß stärkste Partei, erhielt aber nur 29,7 %, was eigentlich nur etwa 89 Sitzen entspräche, aber dank völlig illegitimen 50 Bonussitzen für den Wahlsieger (den jede Partei bekommt, und wenn sie nur eine Stimme vor der zweiten läge) kommt sie auf 129 Sitze. Die zweite Altpartei PASOK verschlechterte sich noch mal um 0,9 % und erhielt 33 (statt im Mai 41) Sitze. Als linkes Feigenblatt konnte sie die relativ junge Syriza-Abspaltung DIMAR gewinnen, die wieder knapp 6 % der Stimmen erhielt. Zusammen ergibt sich so eine scheinbar stabile Mehrheit von 179 Sitzen – die Stabilität wird aber zweifelhaft, wenn man sieht, dass weder PASOK noch DIMAR Parteipolitiker aus ihren Reihen in die neue Regierung schicken wollen; da ist Konfliktstoff vorprogrammiert, wenn es um weitere unpopuläre Verelendungsbeschlüsse geht.
Die linken Parteien, so weit ich diese überblicken kann, kommen zusammen auf 51,48 % der Stimmen, also die klare Mehrheit. Hier eingerechnet sind die Oppositionsführer des bisher konsequent gegen die Spardiktate auftretenden Syriza-Bündnisses, die DIMAR (die aber nur als verbrämt Linke bezeichnet werden kann, da sie in die Regierung eingestiegen ist), die tapfere Kommunistische Partei (KKE), die Grünen (Ikologi Prasini), die Anti-Maut-Bewegung Kinima Den Plirono, die Piratenpartei Griechenlands und weitere linke Kleinparteien wie die trotzkistische ANTARSYA.
Ich nenne die KKE tapfer, weil sie noch klarer die Situation Griechenlands benennt als Syriza und unbeirrt die Klassenposition der Verelendeten vertritt und jegliche Beteiligung an einer Regierung, die verzweifelt an der EU- und Euro-Mitgliedschaft festhalten will. Wenn ich die bisherige „Rettungspolitik“ (wer außer den Banken und ausländischen Geldgeber wurde eigentlich gerettet?) betrachtet, so gelange ich zu der Einsicht, dass es Griechenland außerhalb der Eurozone (und vielleicht auch außerhalb der EU) mindestens nicht schlechter geht, als wenn sie sich den Spardiktaten der EU aussetzt, um den Euro zu behalten.
Die KKE hat zum Wahlausgang auch eine Erklärung abgegeben, der ich mich fast unwidersprochen anschließen kann. Sie sagt, dass „[das Wahlergebnis […] negativ für das Volk ist, das unter der Wirtschaftskrise und den ihr folgenden Maßnahmen, den Memoranden, den Kreditabkommen und den Anwendungsgesetzen sehr gelitten hat. […] Welche Regierung auch immer gebildet werden wird, ihre Hoffnungen werden sich nicht erfüllen, das Gegenteil wird eintreten.“ Der Sieg der ND werde die Probleme (für die armen Leute) verschärfen, da diese eine ausgemachte Anti-Arbeiterpartei ist. Sie begründet ihre Meinung mit den Zugewinnen von Syriza, die die KKE wegen ihrer falschen Versprechen, wonach Griechenland den Euro behalten könne und gleichzeitig die Spardiktate nachverhandeln könne. Als weiteres negatives Element, neben den eigenen Stimmenverlusten, nennt sie die Bestätigung der Neofaschisten. Und in der Tat ist es widerlich und verlogen wie die herrschende Politik diese dramatische Tatsache, dass eine Partei, deren Vertreter in Wahldiskussionen im TV politische Konkurrenten angreift, Einwanderer gewalttätig angreift und Hitler verehrt etc., im griechischen Parlament mit 18 Sitzen verschweigt oder ignoriert, nur weil die so wichtige Euro-Rettung bzw. die Besänftigung der Finanzmärkte im Fokus steht. Wenn die Faschisten wieder regieren, dann nutzt uns auch der Euro nichts mehr.
Die KKE erklärt weiter: „Die KKE hat es vorgezogen, dem Volk die Wahrheit über den Charakter der Krise und die möglichen Folgen der negativen Entwicklungen in der Eurozone zu sagen, über den Charakter der Europäischen Union, über die Notwendigkeit der einseitigen Schuldenannullierung, der Notwendigkeit eines Austritts aus der EU und des Kampfes für die Macht der Arbeiterklasse und des Volkes.“ Es ist schade, dass zu viele Griechen noch immer von der heimischen und ausländischen Medien- und Politikerklasse vernebelt werden und an ein gutes Leben in dieser EU, der EU des Finanz- und Industriekapitals glauben. (vollständige Erklärung hier).
Uli Brockmeyer schrieb am Dienstag in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek der KP Luxemburg über die »›Schicksalswahlen‹ in Griechenland«: „Wohl kaum eine Parlamentswahl ist derartig scharf beobachtet und beeinflußt worden wie die in Griechenland am Sonntag. Besonders hervorgetan haben sich dabei die Politiker und die führenden Konzernmedien der Bundesrepublik Deutschland. […] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, daß »die Griechen« ihre Euro-Konten räumen, und zwar in Größenordnungen von bis zu 800 Millionen täglich, weil nämlich »bei einem Sieg der Reformgegner« dem Land »die Rückkehr zur Drachme« drohe. (…) Die Leute, denen man hier in Griechenland auf der Straße und in Kaffeehäusern begegnet, verfügen über keine Millionen, die sie von ihren Konten abheben könnten. Die meisten von ihnen sind froh, wenn es am Ende des Monats noch für die Begleichung der immer horrender werdenden Stromrechnung reicht.“
Solange eine EU keine Konvergenz der Lebensbedingungen, keine Angleichung der sozialen Standards, keine Entmachtung der führenden Industrie- und Finanzunternehmen und eine Stärkung der (direkten) Demokratie durch das Volk verspricht, solange trägt die EU zu keiner Verbesserung der menschlichen Zivilisation ein.
http://www.sueddeutsche.de/politik/parlamentswahl-in-griechenland-prognosen-sehen-konservative-und-linke-gleichauf-1.1385379
http://www.tagesschau.de/ausland/griechenland-wahl100.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentswahl_in_Griechenland_Juni_2012
http://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/das-prinzip-abschreckung
http://www.redglobe.de/europa/griechenland/5326-kke-zur-bildung-der-nd-pasok-dimar-regierung