Gestern vor 70 Jahren wurde das KZ Buchenwald bei Weimar befreit, vor allem dank der illegalen, international besetzten Widerstandsorganisation der KZ-Häftlinge. Heutzutage wird, wenn es um den Widerstand gegen den sog. „Nationalsozialismus“ geht, gerne der kommunistische Widerstand unterschlagen und verschwiegen, so auch im Falle der Befreiung von Buchenwald, wo häufig von einer Befreiung allein durch die amerikanische Armee gesprochen wird. Zur Geschichte der letzten Tage in Buchenwald sagt Ulrich Schneider, Geschäftsführer der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis sowie Herausgeber ihres Mitteilungsblattes Glocke vom Ettersberg:
„Voraussetzung der Rettung war die Existenz einer illegalen Lagerorganisation der Häftlinge. Dieses Internationale Lagerkomitee, ILK, dem nicht allein deutsche Kommunisten angehörten, sondern Vertreter fast aller internationalen Häftlingsgruppen, arbeitete mehrere Jahre abgeschirmt gegenüber der SS und der Gestapo im Lager. In vielen Zeitzeugenberichten wird formuliert, dass man als neu eingelieferter Häftling sehr schnell spürte, dass hier nicht nur die SS das Sagen hatte, sondern es im Untergrund Verbindungslinien gab, die den Mithäftlingen das Überleben erleichterten.
Dieses ILK hatte sich Ende 1943 entschieden – als Selbstverteidigungsstruktur – eine internationale Militärorganisation aufzubauen. Leiter wurde der deutsche Kommunist Otto Roth. Er stützte sich u. a. auf den von der SS eingesetzten Häftlingslagerschutz und die Häftlingsfeuerwehr, die mit zuverlässigen Genossen besetzt waren. Von den ausländischen Häftlingsgruppen wurden militärisch erfahrene Genossen und Kameraden ausgewählt, die in diese Strukturen aufgenommen wurden.
Es klingt unglaublich, aber unter den Augen der SS wurden militärische Übungen durchgeführt, Waffen – insbesondere Handfeuerwaffen, Stichwaffen und Brandflaschen – organisiert bzw. hergestellt. Selbst ein komplettes Maschinengewehr mit Munition gelangte in den Besitz der Häftlinge. Aufgabe dieser Einheiten sollte es sein, sich beim Herannahen der Front gegen alle Versuche der Liquidierung oder andere Greueltaten der SS wehren zu können.
Diese Situation entstand Anfang April 1945, als zum einen die US-Truppen von Westen kommend sich Thüringen näherten, worauf Tausende Häftlinge aus den Außenlagern auf den Ettersberg transportiert wurden. Gleichzeitig versuchte die SS, das hoffnungslos überfüllte Lager mit Evakuierungstransporten ins Ungewisse wieder zu leeren. In den ersten Apriltagen gingen täglich Todestransporte auf den Weg. Das Lagerkomitee arbeitete darauf hin, diese Transporte durch hinhaltenden Widerstand und andere Maßnahmen zu blockieren. Als beispielsweise nach einem Morgenappell die jüdischen Häftlinge sich zum Transport wahrscheinlich in das Lager Bergen-Belsen aufstellen sollten, wurde die Parole ausgegeben, dass die Häftlinge ihren gelben Winkel entfernen und nicht zum Transport antreten.
Als nun in den folgenden Tagen die Front immer näher rückte und große Teile der SS-Wachmannschaft und Lagerverwaltung die Flucht ergriffen und im Nahbereich des Lagers bereits US-Panzerspitzen auftauchten, entschied sich das ILK am 11. April 1945 um 14.30 Uhr, den Befehl zum Losschlagen zu geben. Die militärisch organisierten Häftlinge holten die Waffen aus den Verstecken, schalteten den Strom im Zaun aus, besetzten die Türme und überwältigten die verbliebenen Wachen. Um 15.15 Uhr konnte der damalige Lagerälteste Hans Eiden über Lautsprecher verkünden: »Kameraden, wir sind frei!« Zwei Aufklärer der amerikanischen Armee waren völlig verblüfft, auf bewaffnete Häftlinge zu stoßen, die die Kontrolle über das Lager übernommen hatten, wie sie in einer Militärzeitung berichteten.
Am 13. April, als auch die Kämpfe in der Umgebung der Stadt Weimar beendet waren, übernahm ein US-Offizier das Kommando in dem ehemaligen Lager.
Alle diese Fakten sind bekannt, aber dennoch werden reaktionäre Kreise nicht müde, allein von einer »Befreiung durch die Amerikaner« zu sprechen. Die größte Provokation leistete sich vor 20 Jahren in diesem Zusammenhang der damalige thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel, der glaubte, bei der Gedenkfeier auf dem Appellplatz in Anwesenheit der ehemaligen Häftlinge allein der US-Armee für die Befreiung danken zu müssen – und deren Kampf völlig ignorierte.“ (Junge Welt vom 11./12.04.2015)
Den Überlebenden des Faschismus sind wir Nachkommen von heute verpflichtet, solche Greueltaten nicht wieder zuzulassen und jeder Form von Rassismus, wie sie sich z. B. auch in dem Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz zeigt, zu widersetzen. Die Wurzel des Faschismus muss beseitigt werden, nämlich das kapitalistische Gesellschaftssystem, dessen Rationalität auf Profitstreben, Egoismus und Unterdrückung der menschlichen Bedürfnisse beruht. Der Schwur von Buchenwald sollte uns daher ewige Mahnung sein (zitiert nach jW):
„Kameraden! Wir Buchenwalder Antifaschisten sind heute angetreten zu Ehren der in Buchenwald und seinen Außenkommandos von der Nazibestie und ihrer Helfershelfer ermordeten 51.000 Gefangenen! 51.000 erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt – 51.000 Väter, Brüder, Söhne starben einen qualvollen Tod, weil sie Kämpfer gegen das faschistische Mordregime waren. 51.000 Mütter und Frauen und Hunderttausende Kinder klagen an!
Wir lebend Gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten sahen in ohnmächtiger Wut unsere Kameraden fallen. Wenn uns eins am Leben hielt, dann war es der Gedanke: Es kommt der Tag der Rache!
Heute sind wir frei!
Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen. Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt, Franklin Delanoe Roosevelt. Ehre seinem Andenken!
Wir Buchenwalder, Russen, Franzosen, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche, Spanier, Italiener und Österreicher, Belgier und Holländer, Engländer, Luxemburger, Rumänen, Jugoslawen und Ungarn kämpften gemeinsam gegen die SS, gegen die nazistischen Verbrecher, für unsere eigene Befreiung. Uns beseelte eine Idee: Unsere Sache ist gerecht – der Sieg muss unser sein! Wir führten in vielen Sprachen den gleichen, harten, erbarmungslosen, opferreichen Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen unsere sadistischen Peiniger frei herum!
Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach: Wir schwören!“
Zur Neuverfilmung des Romans »Nackt unter Wölfen« durch die ARD: Nackt unter Menschen (jW)