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Wie steht es um die öffentliche Infrastruktur in der BRD?

Was sonst noch in der Welt passiert

Diese Frage beschäftigt einige Menschen zu Jahresbeginn, zum Teil aber auch schon länger. In diesem Zusammenhang wird die von der CDU seit Jahres wie ein Götze vor sich her getragene „Schwarze Null“ sogar schon von Sigmar Gabriel in Frage gestellt: „Man kann nicht die Integration und den Zusammenhalt in der Gesellschaft dadurch gefährden, dass einem die schwarze Null wichtiger ist als zum Beispiel die Einstellung von Lehrern, die Sanierung von Schulgebäuden und vieles andere mehr“, sagte Gabriel nach einem Treffen mit dem DGB-Bundesvorstand am Mittwoch in Berlin. Mehrausgaben seien etwa auch für den sozialen Wohnungsbau nötig. „Wenn wir das nicht machen, werden die sozialen Spannungen in Deutschland steigen.“ (RP Online).

 

Bernd Riexinger weist ebenfalls auf die durch schwarze Nullen ausgeblutete öffentliche Infrastruktur hin:

Schwarze Null und Schuldenbremsen gefährden innere Ordnung

Massiver Personalabbau im Öffentlichen Dienst unter dem Druck von Schuldenbremse und Fixierung auf die „Schwarze Null“ im Haushalt destabilisieren das Land. Sparen auf Kosten der Funktionsfähigkeit des Staates geht nicht, so der Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Bernd Riexinger:

Der Druck auf die öffentlichen Kassen ist so groß, dass in den vergangenen Jahren 16.000 Polizei-Stellen entfallen sind oder abgebaut wurden, allein in NRW waren es 1.500. Nicht zuletzt die Ereignisse von Köln in der Silvesternacht zeugen von einem Kaputtsparen der Haushalte bis an die Grenze zum Staatsversagen.

Bei zu wenig Polizei zum Schutz von Menschen oder zur Aufklärung von Straftaten zeigt sich der Mangel zuerst – die Reihe ließe sich aber fortsetzen: zu wenig Lehrerinnen und Lehrer an Schulen, zu wenig Beschäftigte in Sozialdiensten und Behörden für Dienstleistungen am Bürger, zu wenig Erzieherinnen und Erzieher angesichts der Integrationsleistungen, die wir vollbringen wollen… Laut Beamtenbund fehlen in der Bundesrepublik insgesamt rund 180.000 Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Diesen Mangel kann niemand auffangen, der Staat muss sich seiner Verantwortung stellen.

Wer aber auf ausgeglichene Haushalte setzt, statt die Infrastruktur des Staates instand zu halten, der wird scheitern.

Die Bundesregierung muss ein umfassendes Investitionsprogramm für den öffentlichen Dienst auflegen. Schwarze Null und Schuldenbremse dürfen angesichts der maroden Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen kein Dogma sein.


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SPD hat eine Problemkandidatin

Landtagswahl

Selbst als Nicht-SPD-Mitglied kann einem diese Partei bald leid tun: Da traut sich die SPD mal, eine für SPD-Verhältnisse relativ „linke“ Kandidatin aufzustellen, die ziemlich offensiv für eine rot-rote Koalition kämpfen will; da macht eben diese Kandidatin wieder so viele Fehler, dass sie von der regionalen Monopol-Zeitung (MZ) zur Problemkandidatin gestempelt wird. Ob diese Vorwürfe berechtigt sind, das kann ich schlecht beurteilen, da ich die SPD-internen Diskussionen zur Flüchtlingspolitik und zum Nachtragshaushalt nicht verfolgen konnte. Doch an einem scheint sie wohl kaum Schuld zu sein: Dass Magdeburgs Bürgermeister aus der Partei ausgetreten ist. Das scheint ein langfristiger Konflikt zu sein, bei dem ein SPD-Rechter nach langen Jahren die Schnauze voll davon hatte, immer eine Minderheitenmeinung in seiner Partei vertreten zu müssen. Das ist menschlich verständlich, nur dass er zu diesem ungünstigen Zeitpunkt (Beginn der Wahlkampfphase) seiner Parteie einen solchen medialen Schaden zufügt, zeugt von wenig Loyalität zur ehemaligen Partei. Dass die SPD bereits jetzt den Wahlkampf verloren geben könnte (so schlimm finde ich die Situation nicht; die MZ übertreibt das ganze mal wieder), läge zu einem überwiegenden Teil auch an Trümper. Und natürlich an der unklaren Konzeption von Budde, die ich nicht bestreiten will, da hat die MZ schon Recht.

Siehe: Lutz Trümpers Bombe, Budde: Trümpers Parteiaustritt ist menschlich enttäuschend (beide MZ)

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SPD ohne überzeugende Kandidatin

Landtagswahl

Es sieht so aus, als hätte die SPD in Sachsen-Anhalt schon jetzt keine Chance mehr, bei der nächsten Landtagswahl 2016 sich vom dritten Platz zu verbessern. Schon die letzte Umfrage zeigt ja, dass die SPD mit 21 Prozent hinter CDU (34 Prozent) und LINKE (26 Prozent) einiges zu tun hat, um nach vorn zu kommen. Der Landesparteitag am vergangenen Wochenende offenbarte aber, dass die Partei mit ihrer Spitzenkandidatin Katrin Budde nicht zufrieden ist. Die liberale Mitteldeutsche Zeitung attestierte ihr, keinen Plan zu haben – ein seltener Moment der Erkenntnis in der führenden Regionalzeitung. Budde redete 40 Minuten, ohne zu erläutern, wie sie das angestrebte Ziel erreichen will: “

„Dass wir stärker werden als die CDU – ja das wollen wir. Sieht aber so aus, dass das gerade nicht auf der Tagesordnung steht.“ Budde setzt daher weiter auf Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün – freilich mit der SPD an der Spitze. Wie das gehen soll? Budde blieb eine klare Antwort schuldig. Prompt reagierte der Parteitag: Es gab nur drei Erwiderungen auf ihre Rede.“ (Quelle: MZ) Und diese drei Erwiderungen waren alle kritisch bezüglich ihrer Ausführungen.

Die SPD bzw. Frau Budde werden demnach wieder scheitern, vor der LINKEN einzulaufen – sofern die LINKE den Wahlkampf nicht völlig versaubeutelt. Die SPD müsste sich schon glaubwürdig von ihrer Agenda 2010- und Kürzungspolitik bei Kultur, Schulen und Hochschulen verabschieden und ein klares Bekenntnis gegen die Fortsetzung der GroKo mit der ewig regierenden CDU aussenden – dann könnte sie vielleicht noch die LINKE überholen.

Siehe auch MZ-Berichte:

SPD-Chefin Budde grenzt sich von CDU ab: Viele Gegenstimmen

SPD bestätigt Budde als Landesvorsitzende

Katrin Budde wirft CDU konturlose Politik vor

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SPD-Irrtum des Tages: Fluchtursachen

Was sonst noch in der Welt passiert

„SPD-Integrationspolitiker Juratovic will verlorene EU-Perspektive wiederherstellen: Nach Ansicht von Josip Juratovic wird in der öffentlichen Debatte über Asylbewerber vom Balkan eine entscheidende außenpolitische Facette ignoriert: Die Menschen kommen, weil ihnen in der Heimat mit den stockenden EU-Beitrittsverhandlungen auch die letzte Perspektive verloren gegangen ist. Deshalb müsse man die Ursachen der Flucht bekämpfen, indem die verlorene EU-Perspektive wiederhergestellt wird, fordert Juratovic. Der Beitrittsprozess der Länder muss endlich zum Ziel geführt werden.“ tagesspiegel.de (zitiert nach Newsletter Morgenlage vom Tagesspiegel 17.08.)

 

Das ist auch mal eine kreative Erklärung für die große Zahl von Flüchtlingen aus den vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten im Balkan: Weil wir diesen Staaten (Mazedonien, Kosovo, Albanien, Serbien …) keine klare Perspektive in der EU bieten, kommen – wie früher die DDR-Bürger – eben in die EU. Dieses Argument setzt voraus, dass es den Balkanstaaten im Rahmen der EU viel besser ginge als heute. Das ist nun angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung der südeuropäischen EU-Mitglieder (Griechenland, Spanien, Portugal, Italien) und des Umgangs damit durch die Troika mehr als zweifelhaft. Um Klartext zu sprechen: Was SPD-Integrationspolitiker Juratovic da von sich gibt, ist völlig verwirrtes sozialdemokratisches Dummgeschwätz, das immer noch im „Friedensprojekt“ EU das Reich der Freiheit und ein Paradies vermutet. Die EU ist aber ein unmenschliches neoliberales Wirtschaftsprojekt, das einzig den Interessen der Vermögenden und Kapitaleignern dient.

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Skandal des Tages: Fahimi ist Regierungsfähigkeit wichtiger als Grundgesetz

Was sonst noch in der Welt passiert

In der FAZ können wir online lesen: „Die SPD-Führung erhöht in der Auseinandersetzung über die Vorratsdatenspeicherung den Druck auf die Parteibasis. Generalsekretärin Yasmin Fahimi äußerte sich mit Blick auf den Parteikonvent am Samstag in Berlin zuversichtlich, dass der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas und damit die vom Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel vorgegebene Linie bei den 235 Delegierten eine Mehrheit finden werde – „nicht zuletzt deswegen, weil ich glaube, dass die SPD zu klug ist, um wegen der Auslegung eines Grundrechtsartikels ihre Regierungsfähigkeit aufs Spiel zu setzen“. (Hervorh. von mir)“

Damit stelle ich fest: Im Zweifelsfall beschließt die SPD lieber ein verfassungswidriges oder verfassungsrechtlich hoch umstrittenes Gesetz, das die Grundrechte der Bürger mindestens einschränkt, als ihre hoch dotierten Regierungsämter zu verlieren und im bürgerlichen Medienrummel – genau wie die LINKE – als nicht regierungsfähig abgestempelt zu werden. Ich hätte vermutet, einer demokratischen Partei ist es wichtiger, die Demokratie und Freiheitsrechte der Bürger zu schützen, als bei einem Demokratieabbau und Verfassungsbruch teilzuhaben. Die SPD beweist hiermit einmal mehr ihre systemtragende Rolle und ihre Nichtwählbarkeit für überzeugte Demokraten.

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Ein Jahr GroKo zum Glück schon vorbei

Parteien

Das erste von voraussichtlich vier Jahren der Großen Koalition (GroKo) haben wir überstanden. Auffällig war vor allem, dass mal wieder die SPD der aktivere Part der Regierung war und einige soziale Reformen durchgebracht haben. Dem Sozialismus, den ja selbst die SPD in ihrem Grundsatzprogramm (Seite 16) noch irgendwie anstrebt bzw. deren Werte sie sich verpflichtet fühlt, sind wir trotz Mindestlohn und einer sog. „Rente mit 63“ nicht näher gekommen. Gut, das war auch nicht zu erwarten und wahrscheinlich muss man noch froh sein, dass die Diktatur des Kapitals noch nicht verschärft wurde. Dass es Deutschland vergleichsweise noch gut geht – was aber nicht heißt, dass Millionen Deutsche von Armut, Arbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind -, verdankt es der parasitären Ausbeutung der EU-Nachbarn: Der Wettbewerbsvorteils des deutschen Kapitals und die Exportüberschüsse gehen zu Lasten der Krisenstaaten, in denen Hinger, Obdachlosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit lange nicht erreichte Werte erreicht haben.

Zur Bilanz der GroKo erklärt Bernd Riexinger (Vorsitzender DIE LINKE) am 17.12.:

Ein Jahr GroKo: Murks, Willkür und Stümperei

Die Große Koalition ist heute ein Jahr im Amt – das hat dem Land nicht gut getan, so der Vorsitzende der LINKEN, Bernd Riexinger. Er erklärt:

Seit einem Jahr lähmt die übergroße Koalition das Land und es steht zu befürchten, dass es so weitergeht. Die wirklichen Sorgen und Nöte der Bevölkerung spielen für die Regierung keine Rolle, zänkisches Klein-Klein ist die Regel.

Das Fazit nach einem Jahr GroKo ist verheerend und lässt sich mit Murks, Willkür und Stümperei gut beschreiben. Erwartungen wurden auf fast jedem Gebiet enttäuscht: Nichts wird gegen das drängende Problem der zunehmenden Altersarmut getan. Nichts wird getan, um Bildungsgerechtigkeit und gleichgute Gesundheitsversorgung für alle zu gewährleisten. Nichts wird gegen den ungeheuren Investitionsstau bei der Infrastruktur getan – alles wird der „Schwarzen Null“ im Haushalt geopfert, zu Lasten kommender Generationen. Wer die „Schwarze Null“ zum Dogma macht, hat keine Spielräume mehr und verwaltet das Land nur noch.

Der Großen Koalition fehlt jeglicher Mut zur Herstellung von Steuergerechtigkeit. Erst heute wieder hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur Erbschaftssteuer der Bundesregierung deutlich gezeigt, dass Schluss sein muss mit Privilegien für Einige. Das Urteil ist aus unserer Sicht die Aufforderung, Steuergerechtigkeit herzustellen und das nicht nur bei der Erbschaftssteuer. Dazu gehören für DIE LINKE höhere Abgaben auf Vermögen und die Anhebung des Spitzensteuersatzes.

Das, was getan wurde ist völlig unzureichend:

  • Der Mindestlohn ist zu niedrig um Altersarmut zu verhindern, er ist voller Ausnahmen und es mangelt an Kontrollinstanzen, um Verstöße zu finden und sie zu ahnden. DIE LINKE schlägt vor, die Gewerbeaufsichtsämter hier in die Pflicht zu nehmen.
  • Die Rente ab 63 gilt für zwei Jahrgänge, das ist Willkür und hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. DIE LINKE fordert die längst überfälligen Reformen ein, die Wiederherstellung des alten Rentenniveaus, der alten Rentenformel und die Abschaffung der Rente erst ab 67.
  • Das Gezerre um die Maut steht beispielhaft für die Stümperei, die das erste Jahr der Großen Koalition durchzieht.
  • Regelrecht gefährlich ist die, von der Verteidigungsministerin forcierte, zunehmende Militarisierung der Außenpolitik. Statt auf humanitäre Hilfe und Gelder für Flüchtlinge zu setzen, wird Deutschland in verfassungswidrige militärische Abenteuer gestürzt. Die Bundeswehr hat in Afghanistan und im Irak nichts zu suchen.

 

Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, spricht im Interview der Woche über ein Jahr als Oppositionsführer, über Koalitionen mit nur einer Stimme Mehrheit, außenpolitische Krisen, Gefahren von Rechts und das Krisenbewusstsein der deutschen Bevölkerung.

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Lese-Tipp des Tages: Erster Weltkrieg und Sozialdemokratie

Was sonst noch in der Welt passiert

Das ganze Jahr wird schon intensiv dem Ersten Weltkrieg gedacht, leider nicht immer mit intellektuellem Tiefsinn und redlicher Aufklärung über dessen Ursachen und Verursacher. Aktuell sind mehrere Beiträge der Jungen Welt erschienen, die einer gründlichen Lektüre wert sind:

Die Mitmacher

Im Sommer 1914 begann die Integration der SPD in das System bürgerlicher Herrschaft in Deutschland.

Von Leo Schwarz

Die Schlammflut

Im Sommer 1914 begann die Integration der SPD in das System bürgerlicher Herrschaft (Teil 2 und Schluß).

Von Leo Schwarz

Ein deutscher Mythos

»Augusterlebnis«: Nicht jubelnd, aber naiv marschierten viele Deutsche in den Ersten Weltkrieg.

Von Kurt Pätzold

K. k. Mordbrenner

Österreich-Ungarn begann am 28. Juli 1914 seinen Sonderkrieg gegen Serbien.

Von Hans Hautmann
Für einen schnellen Gesamtüberblick über Ersten und Zweiten Weltkrieg folgende aktuellen Empfehlungen aus dem PapyRossa Verlag:
Gerd Fesser: Deutschland und der Erste Weltkrieg
Kurt Pätzold: Zweiter Weltkrieg
Ausführlicher und heftigen Attacken von C. Clark & Co. ausgesetzt:Fritz Fischer (1967): Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18
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Aufklärung über Schwindel der Rente mit 63

Was sonst noch in der Welt passiert

Trotz allgemeiner Fußball- und froher Sommerlaune lohnt sich der Blick auf die wenigen aufklärerischen Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Panorama klärte in seiner jüngsten Sendung über die falsche Propaganda der Rente mit 63, für die sich Sozialministerin Nahles und SPD-Chef Gabriel wochenlang feiern ließen: Nach dem Motto „Wahlversprechen gehalten“. Dabei werden nur zwei Jahrgänge von dieser „Wohltat“ profitieren, als ob später geborene Krankenschwestern, Maurer etc. nicht auch schon mit 63 und 45 Arbeitsjahren körperlich so weit verschlissen sind, dass sie reif für die Rente wären.

Panorama stellt fest: „Das Rentenpaket tritt diese Woche in Kraft. Doch das Versprechen, nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen zu können, entpuppt sich für die meisten Arbeitnehmer als Märchen.“ Unter dem Link am Anfang des Absatzes ist der Beitrag zum Ansehen.

Weiteres zum Thema:

Nachdenkseiten

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE)

Junge Welt: „Rente mit 63 für 40000 freiwillig Versicherte“

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Zum Mitgliederentscheid der SPD

Bundestagswahl 2013, Parteien

Was für eine „Spannung“ am Sonnabend um 14:45 Uhr. Erst gibt es 45 Minuten Verspätung (denn es sollte ja eigentlich um 14 Uhr das Ergebnis des Mitgliederentscheids verkündet werden), und dann setzt Gabriel zu einer Dankesrede an, die kein Ende nehmen wollte. Er musste den ganzen Stolz der Parteispitze an die Basis loswerden, dass diese Rest-Basis so fleißig mitgemacht hat beim „Mehr Demokratie wagen“, wobei ich ihm das zugestehen will, denn eine Beteiligungsquote von über 70 Prozent ist schon beachtlich – dies drückt aber wohl auch den Wunsch nach mehr innerparteilicher Demokratie aus. Die SPD ist also in demokratietheoretischer Hinsicht tatsächlich gegenüber der CDU oder CSU einige Meilen weit voraus. Aber was hat die Basis nun entschieden? Nach 15 Minuten durfte Frau Neu-Umweltministerin Hendricks das – für mich wenig überraschende – Ergebnis von 75 Prozent (der abgegebenen Stimmen) Zustimmung zur Großen Koalition verkünden. Das heißt nur ein Viertel der SPD-Mitglieder hat strategisch mitbekommen, dass diese erneute „GroKo“ ein politisches Desaster heraufbeschwören könnte und dass es zur Durchsetzung sozialdemokratischer Inhalte doch ratsamer wäre, andere Koalitionsoptionen zu suchen (Stichwort Rosa-rot-grün). Aber lassen wir einen SPD-Veteranen sprechen:

„Ja, dieser Tag geht in die SPD-Geschichte ein. Spätestens mit dem heutigen Tag verabschiedet sich die SPD von ihrem Charakter als streitbar diskutierende Mitgliederpartei und wandelt sich zur amerikanischen Kampagnenpartei. 76 Prozent Ja- und 24 Prozent Neinstimmen beim Mitgliedervotum sind für mich letztlich keine Überraschung. Schließlich wurde demonstriert, daß es möglich ist, bei Nutzung der Medien, einseitigster »Information« der Basis und unter Ausschaltung der satzungsgemäßen Gliederungen, die vereinzelten Mitglieder effektiv zu lenken und gewünschte Ergebnisse herbei zu organisieren.

Wenn man bedenkt, daß z.B. in Schleswig-Holstein auf den drei Regionalkonferenzen nur Fragen und keine freie Rede erlaubt waren, dann kann man den qualitativen Unterschied zu Mitgliedertreffen in Ortsvereinen erahnen, bei denen sich alle Mitglieder untereinander frei austauschen und danach eine Meinung bilden. So hängt dem durchgeführten Verfahren der Geruch der Manipulation an.

Die Rede Sigmar Gabriels anläßlich der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses macht mich sprachlos. Was als »Feier der Demokratie« und »Vorbild an Mitgliederbeteiligung« dargestellt wurde, war in Realität eine durchinszenierte Kampagne, um die Mitglieder ins Boot der großen Koalition zu zerren, die Kritiker zu disziplinieren und alle zusammen in Mithaftung zu nehmen. Das werden alle, auch diejenigen, welche im Alten Postbahnhof so telegen jubelten, während der großen Koalition noch schmerzlich erfahren.

Demokratische Mitwirkung und eine freie Entscheidung gehen anders. Die bloße Abstimmung allein, das ist die Erkenntnis, welche Sozialdemokraten den Liberalen einmal voraus hatten, ist keine Garantie für eine demokratische Mitwirkung und eine tatsächlich freie Entscheidung.

Gabriels Rede empfand ich deshalb als eine Zumutung, Willy Brandts »mehr Demokratie wagen« für das praktizierte Verfahren in Anspruch zu nehmen, als Provokation. Letztlich hat Gabriel mit dieser Rede George Orwells Satz aus seinem Roman »1984« bestätigt: »Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.«“ (abgedruckt u. a. in Junge Welt)

Dies hat Udo Fröhlich, seit 1971 Mitglied der SPD und über 40 Jahre lang in diversen Parteifunktionen und Ämtern aktiv, kritisch an Herrn Gabriel geschrieben. Mag die Sozialdemokratie also parteidemokratisch der CDU überlegen sein, doch von sehr guten demokratischen Zuständen ist man doch noch entfernt. Ich hätte mir ja ein Ergebnis 53 zu 47 Prozent gewünscht (am besten zugunsten der Ablehnung der GroKo), aber dazu fehlte es wohl an fairer, ergebnisoffener Diskussion und dem Mut zum aufrechten Neinsagen in den Ortsvereinen.

Warum das Mitgliedervotum zu mehr Resignation in der Arbeitnehmerschaft führen wird, analysiert Wolfgang Lieb auf den Nachdenkseiten. Einen weiteren Kommentar gibt es beim Freitag.

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Sigmar Gabriel und das Mitgliedervotum der SPD

Bundestagswahl 2013, Parteien, Wahlen

Jeder hat es wohl am Donnerstag oder danach mitbekommen: Sigmar Gabriel, aktueller SPD-Vorsitzender, hat sich ein durchaus unterhaltsames, in einigen Passagen aber auch peinliches Streitgespräch mit der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka geliefert. Zentraler Streitpunkt war Slomkas Frage, ob Gabriel den Mitgliederentscheid ähnlich wie der Verfassungsrechtler Degenhart als verfassungswidrig einstuft, der Rest des „Interviews“ war nicht der Rede wert (inhaltlich zumindest).

Was ist meine Meinung zum Interview? Klarer Sieg für Gabriel, den ich sonst auch nicht gerade gut finde, um es vorsichtig auszudrücken. Aber er hat der sehr oft erhaben und sich wichtig nehmenden Medienmeute einmal Kontra gegeben und die viel beschworene Unparteilichkeit, die gerade beim ZDF schon öfters in Zweifel gezogen werden konnte, der Medien hinterfragt. Slomkas Auftritt sollte Stimmung machen gegen das Instrument der innerparteilichen Demokratie, den Mitgliederentscheid über die Annahme des Koalitionsvertrags. Was soll daran eigentlich verfassungswidrig sein?

Gabriels Antwort, dass dieser Gedanke Blödsinn/Quatsch sei, kann ich nur zustimmen. Degenhardt meint, dass die Entscheidung der SPD-Basis über die Koalition einem imperativen Mandat nahekommt und dass die SPD-Abgeordneten bei der Kanzlerwahl also keine freie Entscheidungsmöglichkeit mehr hätten. Auf das Gegenargument von Gabriel, dass ein Mitgliederentscheid über die Annahme des Koalitionsvertrags doch wesentlich demokratischer sei als das bei CDU/CSU praktizierte Vorgehen – dort entscheiden nämlich nur der Parteivorstand über den Vertrag – ging Slomka überhaupt nicht ein und wiederholte penetrant stattdessen ihre Frage, die mit diesem schlüssigen Argument eigentlich fast erledigt ist. Wenn sie eine gute demokratische Journalistin wäre, hätte sie darauf eher erwidern können, warum eigentlich nicht alle Deutschen über den Koalitionsvertrag in einem Plebiszit abstimmen sollten? Das wäre aus demokratietheoretischer Sicht die berechtigtere Frage gewesen.

Zugespitzter gefragt: Warum dürfen die Deutschen nur ihre Partei/ihren Direktkandidaten wählen, aber können nicht ankreuzen, welche Regierungskoalition ihnen am liebsten wäre? Ich finde es äußerst problematisch, wenn die Parteien das alleinige Deutungsrecht des Wahlergebnisses haben und völlig allein unter sich entscheiden, wer mit wem regiert – und das auch noch solange hinziehen und dabei den Bundestag arbeitsunfähig machen. Völlig inakzeptabel und undemokratisch! Wenn es um die Verfassung ginge, dann müsste mal gesagt werden, dass dort überhaupt keine Koalitionen oder Koalitionsverhandlungen vorgesehen sind. Auch eine Blockade der Bundestagsarbeit durch überlange Koalitionsverhandlungen oder die Einrichtung eines Hauptausschusses sind nicht angedacht in unserem Grundgesetz. Trotzdem gibt es das alles in der Verfassungsrealität. Warum sollten dann um Himmels willen nicht die SPD-Mitglieder entscheiden, ob sie sich wieder vier Jahre unter Merkels Fuchtel stellen lassen und damit ihre eigene Partei noch mehr zugrunde richten … also eine Koalition mit der CDU eingehen? Das ist immer noch besser als der innerparteiliche Demokratiemangel bei der CDU/CSU!

Siehe auch:

„Moral des Bohrens“ (W. Droste in Junge Welt)

Nachschlag: Rechtlich irrelevant (auch Junge Welt)

Staatsrechtler stellt SPD-Befragung zum Koalitionsvertrag infrage (Handelsblatt)

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Lust und Leiden von Koalitionsverhandlungen: die Grünen in Hessen

Bundestagswahl 2013, Parteien, Wahlen

Die Grünen tragen ja schon etwas länger schweren Ballast mit sich herum, nämlich das Problem ihrer Haltung zu schwarz-grünen Koalitionen. Die erste Koalition dieser Art unter Ole von Beust (CDU) in Hamburg bleibt schmerzhaft in Erinnerung, denn die Koalition hielt nicht die komplette Legislaturperiode und war nicht gerade konfliktfrei. Dieses Jahr beschäftigte Partei und Medien die Frage, ob auf Bundesebene ein Bündnis mit der Merkel-CDU eingegangen werden soll, doch dieses Jahr sollte sich trotz gewisser Zugeständnisse der CDU in der Vergangenheit (z. B. Energiewende/Abschaltung von AKW) noch ein Nein zu einer Koalition durchsetzen. Wenig beachtet (bislang) wird nun der überraschende Schwenk in Hessen, wo nach wochenlangen Sondierungen Rot-Rot-Grün nun nicht an der SPD, sondern an den Grünen scheitert. Übrigens könnte Selbiges auch in Thüringen drohen, wo nächstes Jahr Landtagswahlen stattfinden und die SPD ihre Zustimmung zu einer rot-roten Koalition unter linker Führung angedeutet hat.

Zurück zu den Hessen-Grünen. Sie haben auf einem Parteirat mit 51 zu sechs Stimmen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU gestimmt. Das erstaunt mich doch sehr, hätte ich doch das Lager der Widersacher von Koalitionen mit der (in Hessen besonders konservativen) CDU für wesentlich größer gehalten und größere innerparteiliche Turbulenzen vermutet. Wenn die Grünen auf Bundesebene mit der CDU/CSU koaliert, hätte ich sogar eine größere Parteiabspaltung bislang für nicht ausgeschlossen gehalten. Doch offensichtlich ist die Verbürgerlichung der Grünen schon weit vorangeschritten.

Aber was hatten die Grünen in Hessen vor der Wahl gesagt: „Wir haben als unser Wahlziel 15 Prozent plus X ausgegeben und werden bis zum 22. September um jede einzelne Stimme kämpfen, damit durch starke Grüne der Wechsel gelingt. In Hessen können wir die Abwahl von Schwarz-Gelb schaffen.“ Und: „Wir appellieren deshalb noch einmal an alle Wählerinnen und Wähler, die den Wechsel in Hessen wollen, ihre Stimme nicht an eine Partei zu verschenken, die nicht sicher dem nächsten Hessischen Landtag angehört. Wer Linkspartei wählt, läuft Gefahr, mit Bouffier aufzuwachen. Wir brauchen in Hessen den inhaltlichen Wechsel.

Ein weiterer Kommentar erübrigt sich eigentlich. Doch nun sieht man ganz klar, dass diejenigen, die Bouffier abwählen wollten, nicht durch Stimmabgabe an die Linkspartei ihre Stimme verschenkt haben. Nun kann man gespannt sein, wie der inhaltliche Wechsel in einem schwarz-grünen Bündnis aussehen wird. Ich wünsche viel Freude mit dem nächsten Wahlergebnis, liebe Grüne!

Quelle: So lügen die Grünen (Der Freitag)

Übrigens auch ganz lesenswert ist der Artikel „Gabriel droht mit Untergang der SPD“ (auch auf der Seite von Der Freitag). Ich bin nun doch gespannt, ob sich die SPD von Gabriel erpressen lässt und ihm glaubt, dass das Ernstnehmen des eigenen Programms viele Arbeitsplätze kosten würde.

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Will sich die SPD wirklich für linke Koalitionen öffnen?

Parteien

„Zugleich sind wir uns darüber im Klaren, dass in der Großen Koalition nicht alle diese Ziele im von uns für möglich und richtig erachteten Maße zu erreichen sind. Die politische Entwicklung endet aber nicht mit dem Jahr 2017. Für die Zukunft schließen wir keine Koalition (mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien) grundsätzlich aus.“ (Beschluss „Perspektiven. Zukunft. SPD!“, S. 5)

 

Als Bedingungen für eine Koalition nennt die SPD:

„Es muss eine stabile und verlässliche parlamentarische Mehrheit vorhanden sein.

Es muss einen verbindlichen und finanzierbaren Koalitionsvertrag geben, der mit sozialdemokratischen Wertvorstellungen vereinbar ist und eine höchstmögliche Realisierung unserer Leitziele ermöglicht.

Es muss eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen gewährleistet sein.“ (Ebd., S. 6)

 

Damit soll der allgemeinen Ausschließeritis gegenüber der Linkspartei ein Ende bereitet werden. Doch ist das wirklich ein Zugehen auf die Linke? Was wir hier vorliegen haben, ist lediglich eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass unter demokratischen Parteien Koalitionen zumindest diskutabel sind und nicht aus irgendwelchen taktischen Erwägungen ausgeschlossen werden. Ein klares Bekenntnis zu einer linken Koalition wird nicht formuliert. In den Äußerungen von Gabriel und anderen führenden „Genossen“ hört man heraus, dass es an der LINKEN ist, sich auf einen SPD-genehmen Kurs zu begeben. Dann seien Koalitionen auch möglich. Darauf zielt ja auch die dritte Bedingung der „verantwortungsvollen Europa- und Außenpolitik“, was im Prinzip eine versteckte Absage an die LINKE ist, da diese aus Sicht der SPD momentan keine verantwortungsvolle Position einnimmt.

Die LINKE soll also ihre ablehnende Haltung gegenüber der bisherigen Eurokrisenbewältigungsstrategie aufgeben und so wie die SPD zukünftig alle von Merkel vorgelegten Rettungspakte (Rettung der Banken und Spekulanten ist gemeint!) brav abnicken. Außerdem soll die LINKE nicht mehr so auf das abgestaubte Völkerrecht pochen und gegenüber humanitären Interventionen, sprich Auslandskriegseinsätzen der Bundeswehr, eine tolerantere Haltung einnehmen. Kurz gesagt: Die LINKE soll sich der imperialistischen Burgfriedenspolitik der Einheitspartei CDU-CSU-SPD-Grüne-FDP anschließen.

Nur liebe SPD, da hätte ich eine Frage: Wenn die LINKE diese Profil bildenden Positionen aufgeben und die gleiche Haltung wie die anderen Parteien einnehmen soll, warum sollte die LINKE dann weiter als eigenständige Organisation existieren? Dann fordert doch konsequenterweise, dass sich die LINKE auflösen und geschlossen der SPD beitreten soll. Und hört auf, diesen Beschluss als eine Öffnung für eine rosa-grün-rote Koalition darzustellen. Das ist lächerlich! Eine derart angepasste LINKE wäre eine leicht linkere Zweit-SPD, die wie gesagt so keiner braucht, dann kann auch gleich die SPD gewählt werden (oder die links denkenden Teile der Bevölkerung gehen ins Nichtwählerlager über).

 

In diesem Beschluss stehen aber noch andere putzige Dinge. Die SPD will z. B. „Themenlabore“ (ebd., S. 8) einrichten. Auf so einen PR-Begriff muss man erst mal kommen. Warum nennt man das nicht einfach Arbeitskreise, da weiß jeder Bürger, was gemeint ist. Oder will man damit seine Modernität betonen? Solche Begriffe führen m. E. eher dazu, die plötzlich entdeckte „kulturelle Kluft“ zwischen Partei und (zumindest früher) anvisierter Zielgruppe, den kleinen Leuten, zu vergrößern. Als einer der Gründe des schlechten Wahlergebnisses wird nun die kulturelle Kluft benannt (Rede von Gabriel). Das hat aber gedauert, bis diese Kluft festgestellt wurde. Schon vor vier Jahren war doch offensichtlich, dass viele Arbeiter, Arbeitslose und andere schlecht betuchte Schichten der Bevölkerung der SPD den Rücken gekehrt haben, weil sie durch die Agenda 2010 gesellschaftlich abgestiegen sind und keine Aufstiegschancen mehr gesehen haben. Wer arm ist in diesem Land, bleibt es in der Regel auch; und die Schere zwischen Arm und Reich ist trotz langer SPD-Regierungsbeteiligung immer weiter auseinandergegangen. Aber das Problem der Kluft zwischen Parteien und Bevölkerung ist ein allgemeines Problem des bürgerlich-demokratischen Parteiensystems. In allen Parteien sind hoch gebildete Menschen überproportional vertreten (CDU 52 %, SPD 50 % Anteil von Abiturienten bei 25 % Anteil in Gesamtbevölkerung). Arbeiter sind etwa ein Viertel der Bevölkerung, in der SPD-Mitgliedschaft finden sich aber nur zu 16 % Arbeiter (CDU 7 %). [Die Zahlen sind entnommen: Klein, Markus (2011): Wie sind die Parteien gesellschaftlich verwurzelt?. In: Spier, Tim et. al. (Hrsg.): Parteimitglieder in Deutschland, S. 39-59.]

Um diese Kluft zu überwinden, müsste die SPD wieder eine Sprache, aber auch eine Politik der Otto-normal-Bürger verwenden und betreiben. Da kommen wir zum Thema Öffnung nach links: Dazu würde nicht nur eine Anpassung der LINKEN an die SPD, sondern auch eine Anpassung der SPD an die LINKE, vor allem in der politischen Praxis. In der Theorie und in der Opposition spuckt die SPD gerne arbeitnehmerfreundliche Töne. Aber sobald sie in verantwortungsvolle Ämter einer Regierung gerät, kuscht sie vor den Beschwerden der führenden Kapitalverbände, die (siehe fünf Wirtschaftsweisen) vor jeder progressiven Veränderung zuungunsten des Kapitals eifrig warnen. Dann sind Themen wie Bürgerversicherung oder Steuerhöhungen für Großverdiener/-vermögende plötzlich obsolet.

 

Und dann will die SPD einen „sozialdemokratischen Ideenvorrat aufbauen“ (ebd., S. 10). Das finde ich besonders bemerkenswert, wo doch die SPD gerade dieses Jahr ihren 150. Geburtstag gefeiert hat. Könnte es nicht sein, dass sich da in 150 Jahren ein nicht unerheblich großer Ideenvorrat angesammelt hat? Karl Marx, August Bebel, Karl Kautsky, Rosa Luxemburg, Rudolf Hilferding – selbst Eduard Bernstein möchte ich als SPD-Veteranen nennen, auf deren Ideen sich die SPD beziehen könnte, vor allem natürlich auf Herrn Bernstein, der die Wende der SPD zur Reformpartei eingeleitet hat. „Vor allem in ökonomischen Fragen brauchen wir wieder eine zeitgemäße theoretische wie praktische Basis für sozialdemokratische Reformpolitik“, schreiben die Genossen in ihrem Beschluss (ebd., S.10. Da würde ich zeitgenössische Ökosozialisten und einen kurzen oder längeren Blick in den Nachhaltigkeitsdiskurs empfehlen. Dann kommen nämlich auch keine rückwärtsgewandten Forderungen wie „Erstens müssen wir unsere Wirtschaft auf einen stabilen und nachhaltigen Wachstumspfad bringen“ in SPD-Beschlüsse herein. Wer angesichts der Klimaveränderungen und Naturkatastrophen immer noch nicht begriffen hat, dass Wirtschaftspolitik nicht mehr unentwegt „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ heißen kann, dass nun stärker darüber nachgedacht werden muss, wie bestimmte Wirtschaftsbereiche abgebaut und mit weniger Wachstum (genauer: Negativwachstum) höhere Lebensqualität erreicht werden sollten, dem kann keine große Zukunft prognostiziert werden. Die SPD ist keine Fortschrittspartei mehr, dies belegt dieser Leitbeschluss einmal mehr. Nicht umsonst haben sich Grüne und WASG/LINKE von der SPD abgespalten.

Siehe auch:

„SPD sieht rot-rot-grün künftig als Option“ (Frankfurter Rundschau)

Himmelfahrt mit Gabriel“ (Junge Welt)

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Eine ewige Debatte: Soll Rot-Rot-Grün regieren?

Bundestagswahl 2013, Parteien, Wahlen

Laut Wahl-O-Mat ist die Sache relativ klar: Von 38 Thesen stimmen SPD, Bündnis90/Grüne und LINKE in 21 völlig überein. Bei den restlichen 17 Thesen gibt es bei neun keine absolut konträren Meinungen, sondern nur graduelle Abweichungen (bspw. eine Partei sagt teils/teils, die anderen beiden stimmen zu) und nur bei sieben gibt es klare Gegensätze. Bei den acht Thesen handelt es sich um:

  • Generelles Tempolimit auf Autobahnen!
  • Deutschland soll aus der NATO austreten.
  • Kein Neubau von Kohlekraftwerken!
  • Das gesetzliche Renteneintrittsalter soll wieder gesenkt werden.
  • Rüstungsexporte sollen verboten werden.
  • Hartz-IV-Empfängern und -Empfängerinnen sollen weiterhin Leistungen gekürzt werden, wenn sie Jobangebote ablehnen.
  • Der Staat soll weiterhin für Religionsgemeinschaften Kirchensteuer erheben.
  • Keine Speicherung von Kommunikationsdaten (z. B. Telefon, Internet) ohne konkreten Anlass!

Da sind zum Teil schwierige Themen drin, aber angesichts großer Übereinstimmungen in der Sozialpolitik sollten doch zumindest Koalitionsverhandlungen nicht generell ausgeschlossen werden, oder?

Die Frage, ob es zu einer Koalition der drei „linken“ (die SPD und die Grünen sind bestenfalls Mitte-links) Parteien kommen sollte, stellt sich aus meiner Sicht in erster Linie für SPD und Grüne. Gysi zählt auf: „Auf der Ebene der Tatsachen lassen sich Belege für eine Verweigerungshaltung der Linken gegenüber rot-grünen Optionen, die dann eben rot-rot-grüne wären, nicht nachweisen. Die SPD hingegen hat sich im Saarland, in Hessen, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern für Koalitionen mit der Union entschieden statt für Koalitionen mit der Linken.“ Und diese beiden Parteien werden nicht müde, eine Koalition auf Bundesebene wegen Regierungsunfähigkeit, wegen des „sektiererischen Westflügels“ und der extremistischen Mitglieder auszuschließen.

Damit könnte das Thema eigentlich erledigt sein. Warum löchern die Journalisten die Politiker der LINKEN so penetrant mit dieser Frage? Riexinger und Kipping haben in diesem Jahr oft genug betont, dass es an ihnen (leider) nicht scheitern würde, das Steinbrück Bundeskanzler einer linken Dreierkoalition wird. Sogar eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen (die übrigens auch meine favorisierte Konstellation wäre, abgesehen von einer LINKEN absoluten Mehrheit natürlich) hat Riexinger mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen. Doch alles Anbiedern und Stalking hat nichts genutzt, SPD und Grüne verleugnen die großen Gemeinsamkeiten auf sozial- und steuerpolitischem Gebiet (höhere Spitzensteuersätze, Vermögenssteuer, Bürgerversicherung, Mindestlohn, Ablehnung des Betreuungsgeldes), weil sie außenpolitisch nicht auf die Positionen der LINKEN, die hier vergleichsweise radikal sind, eingehen wollen und an deutscher Staatsräson und NATO-Bündnisschaft festhalten.

Riexinger möchte, dass die Gewerkschaften eine Annäherung der drei Parteien moderieren soll, um die Forderungen aus dem Wahlaufruf des DGB Realität werden zu lassen. Schön wär’s, aber der DGB ist ja ähnlich wie die SPD durchtränkt mit antikommunistischen Funktionären, die für eine wirklich revolutionäre Politik im Interesse der Arbeiter und Arbeitnehmer nicht zu gewinnen sind. Der Reformismus ist herrschende Theorie im (ehemals) linken Lager; selbst die Avancen von Riexinger und Kipping können ja nur als Ausdruck reformistischer Träume gedeutet werden. Die Realität ist aber, dass wirklich radikal linke Politik von FDP bis Grünen in einer antikommunistischen Einheitsfront bekämpft wird. Die Linke wird ausgegrenzt, vom Verfassungsschutz tatsachenwidrig als (links-)extremistisch beobachtet und damit niemals an einer Bundesregierung beteiligt, es sei denn, die Linke würde ihre Ziele verraten. Daher kann die Rolle der LINKEN nur eine sein: konsequente Oppositionskraft, damit wenigstens eine Partei noch Widerspruch gegen Krieg und Sozialstaatsabbau im Parlament einlegt!

 

Siehe auch:

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gregor-gysi-und-bernd-riexinger-streiten-ueber-tolerierung-von-rot-gruen-a-919118.html

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-08/riexinger-bundestagswahl-linke-minderheitsregierung

http://www.fr-online.de/bundestagswahl—hintergrund/minderheitsregierung-gysi-gegen-minderheitsregierung,23998104,24143318.html

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Quo vadis, SPD: Steuern erhöhen oder nicht?

Bundestagswahl 2013, Wahlen, Was sonst noch in der Welt passiert

In der SPD scheint es gerade mal wieder Irritationen zu geben. Es geht um die Frage, ob die im Wahlprogramm formulierten Steuererhöhungen (ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 100 000 Euro soll es einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent geben) nun kommen sollen. Parteichef Gabriel ließ wissen, dass Steuererhöhungen nicht sexy seien und man ja auch erfolgreicher gegen Steuerbetrug und die legale Steuervermeidung großer Konzerne vorgehen könnte, um die öffentlichen Haushalte zu vergrößern für zukunftsnotwendige Investitionen in Bildung und Soziales.

Liebe SPD, das eine schließt das andere ja nicht aus. Gegen Steuerbetrug sollte immer vorgegangen werden, unabhängig von der Höhe der Steuersätze. Die Deutsche Steuergewerkschaft (Gewerkschaft der Finanzbeamten) weist seit Jahren daraufhin, dass es zu wenig Mitarbeiter in der Finanzverwaltung und deshalb zu wenig Kontrollen in Betrieben und bei Einkommensmillionären gibt. Bis zu 30 Mrd. Euro verliert der deutsche Staat dadurch. Abgesehen davon, dass niemals das ganze Ausmaß von Steuerhinterziehung beseitigt werden kann, reichen diese Mittel nicht aus, um den Investitionsstau bei Infrastruktur, Sozialem und Bildung/Wissenschaft aufzulösen. Laut GEW fehlen dem Bildungssystem 57 Milliarden Euro. Verdi listet einen Infrastruktur-Investitionsstau von mehreren Hundert Milliarden Euro in den Bereichen Verkehr, Energie, Bildung, kommunale Finanzen und öffentliche Krankenhäuser auf. Jeden Winter klagen die Kommunen über fehlendes Geld für die nachhaltige Reparatur von Schlaglöchern, Brücken werden immer maroder und Logistikunternehmen müssen ihre Lkw auf Umwege schicken, die Schleusen im Nord-Ostsee-Kanal ist verschlissen, Unikliniken schreiben rote Zahlen … Steurerhöhungen sind unvermeidlich, wenn nicht bald Deutschland zusammenbrechen soll. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert Steuererhöhungen für Bildung, Pflege und den Kampf gegen die Armut, pro Jahr mind. 35 Mrd. Euro.

Über Steuervermeidungsstrategien der Großkonzerne informiert übrigens eine aktuelle Dokumentation bei der ARD.

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100. Todestag von August Bebel

Was sonst noch in der Welt passiert

Heute ist nicht nur der 62. Jahrestag des Mauerbaus und der 87. Geburtstag von Fidel Castro (Herzlichen Glückwunsch, Commandante! – Viva Revolution!), sondern auch der 100. Todestag August Bebels. Die Junge Welt gedenkt ihm mit zwei eigenen Themenseiten. In der MZ wird eine neue Bebel-Biographie besprochen, die im Schweizer Rotpunktverlag erschienen ist. Ein Interview mit dem Autor der Biographie, Jürgen Schmidt, findet sich beim Deutschlandradio.

Seit dem Tod von Bebel ging es bergab mit der SPD, wenn man mal davon absieht, dass sie nach 1919 zur Regierungspartei geworden ist und den ein oder anderen (guten oder schlechten) Kanzler stellen konnte. Was die SPD in ihrer Regierungszeit so alles getan hat und vor allem, was sie unterlassen hat, ist eine Schreckensgeschichte für die Basis der Arbeiterpartei SPD, die sie bis 1914 noch war. Heute fehlt der SPD eine charismatische Führungspersönlichkeit; Steinbrück kann es nicht ansatzweise mit Bebel aufnehmen und wird deshalb auch die Wahl klar verlieren.

Wichtigste Schrift von Bebel:

Die Frau und der Sozialismus

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150 Jahre Sozialdemokratie – Kein Grund zum Feiern

Parteien

Die dauerkriselnde (was die Bundesebene betrifft) SPD hatte dieser Tage groß gefeiert: Am 23. Mai 1863 hatte sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) unter F. Lassalle in Leipzig gegründet. Warum feiert die SPD 150 Jahre später ihren Geburtstag? Diese Frage ist mehr als berechtigt, aber kein relevantes Medienorgan hat das wirklich hinterfragt. Die SPD von heute, aber auch die SPD von 1890 (als in Halle[!] der heutige Name beschlossen wurde) hat nur wenig mit ADAV zu tun. Der ADAV vertrat kein marxistisches Programm, hatte ein schwieriges Verhältnis zu Gewerkschaften und wollte mit Hilfe des Staates (des autoritären, antisozialistischen Kaiserstaates!) Produktivgenossenschaften gründen. Da Lassalle auf den Staat setze, war sein vorrangiges Ziel die Erkämpfung des allgemeinen, demokratischen Wahlrechts. Das mag nicht verkehrt gewesen sein, doch von revolutionärem Gesellschaftsumsturz war keine Rede. In diesem Sinne verwundert dann auch nicht, dass die heute durch und durch reformistische Sozialdemokratie sich auf den ADAV beruft. Historisch ist das m. E. aber nicht ganz korrekt, denn die SPD als vereinte Arbeiterpartei entstand erst 1875 in Gotha, wo sich ADAV und die 1866 von Marxisten (W. Liebknecht, A. Bebel) und bürgerlichen Radikaldemokraten gegründete Sächsische Volkspartei zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei vereinigten. Daher wäre das 150-jährige Jubiläum der SPD, sofern sie da noch existiert, erst am 23. Mai 2025 zu feiern.

Doch diese historische Ungenauigkeit sei der SPD geschenkt, es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel ist zu fragen, ob der 150 Jahre SPD-Geschichte überhaupt ein Grund zum Feiern ist? Seit 1914 gilt eigentlich der Ausspruch: „Wer hat euch [Arbeiter] verraten? Sozialdemokraten?“ Kürzer lässt sich die Geschichte der SPD seit 1914 nicht zusammenfassen und etwas anderes lasse ich trotz einiger progressiver Elemente der Parteipolitik nicht gelten.

1928 verteilte die SPD im Wahlkampf SPD-Seife. Dazu reimte Julian Arendt:

Wir haben unsre Brüder
mit Wahlkampfseife bedacht.
Das tun wir das nächste Mal wieder;
es hat sich bezahlt gemacht.

Wir schlagen Schaum.
Wir seifen ein.
Wir waschen unsre Hände
Wieder rein.

Wir haben ihn gebilligt
den großen heiligen Krieg.
Wir haben Kredite bewilligt,
weil unser Gewissen schwieg.

Wir schlagen Schaum.
Wir seifen ein.
Wir waschen unsre Hände
Wieder rein.

Dann fiel’n wir auf die Beine
und wurden schwarz-rot-gold.
Die Revolution kam alleine;
wir haben sie nicht gewollt.

Wir schlagen Schaum.
Wir seifen ein.
Wir waschen unsre Hände
Wieder rein.

Wir haben die Revolte zertreten
und Ruhe war wieder im Land.
Das Blut von den roten Proleten,
das klebt noch an unsrer Hand.

Wir schlagen Schaum.
Wir seifen ein.
Wir waschen unsre Hände
Wieder rein.

Wir haben unsre Brüder
mit Wahlkampfseife bedacht.
Das tun wir das nächste Mal wieder;
es hat sich bezahlt gemacht.

[…] (Quelle: Junge Welt)

Die Zustimmung zu den Kriegskrediten war ein Verrat am Internationalismus und Pazifismus der Arbeiterbewegung. Doch es kam noch schlimmer: Die durch diese Zustimmung verursachte Spaltung der Arbeiterbewegung in SPD und Spartakusbund/KPD (zeitweilig existierte daneben auch noch die USPD) wurde nach dem Krieg zementiert, indem die Novemberrevolution abgewürgt und damit die Errichtung einer Räterepublik und der Eroberung der Herrschaft durch die Arbeiterklasse wurde. In dieser revolutionären Situation war die SPD derart skrupellos, dass man es nicht scheute, mittels reaktionären Reichswehrkorps die KPD-Führer Luxemburg und Liebknecht, beides bis 1914 führende SPD-Mitglieder, zu ermorden. Ein Verbrechen ohne Gleichen (unter linken Genossen) – gab es dafür jemals eine Entschuldigung oder ein Schuldeingeständnis?

1933 war zur Abwechslung mal ein positiver Höhepunkt: Die SPD war die einzige Partei, die die Weimarer Republik unterstützt hatte und gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat (wobei die KPD auch gegen das Gesetz gestimmt hätte, wäre sie nicht wegen der ungerechtfertigten Verfolgung durch die Faschisten anlässlich des Reichtagsbrandes von der Sitzung ausgeschlossen gewesen). Doch das antifaschistische Engagement hat auch ein paar dunkle Flecken, wie Kurt Pätzold in der Jungen Welt (17.05.2013) zu berichten weiß. Warum haben sozialdemokratische Abgeordnete sich am 17. Mai 1933 Hitlers Rede zur Außenpolitik, eine einzige Lügenpropaganda vom friedliebenden „Nationalsozialismus“, angehört?

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die West-SPD unter Kurt Schumacher strikt antikommunistisch und beteiligte sich gern an der Adenauerschen Verfolgung von organisierten Kommunisten und zu linksradikalen Sozialdemokraten. 1959 wurde der Marxismus, der zuvor schon in der Tagespolitik keine Rolle mehr spielte, auch ideologisch beerdigt und dem Bernsteinschen „Revisionismus“ (besser: Opportunismus) freie Bahn gelassen. Seitdem versteckt die SPD ihre progressive Absicht unter dem Deckmäntelchen des „Demokratischen Sozialismus“. Einer kurzen Aufbruchphase unter Willy Brandt, die aber mit dem Radikalenerlass auch Schattenseiten enthielt, folgte mit Helmut Schmidt die endgültige Öffnung zum Neoliberalismus und der Abschied von sozialdemokratischer Politik im traditionellen Sinne.

Die Krönung der Rechtswende und Verbürgerlichung war natürlich die Kanzlerschaft von Schröder, der es schaffte, die CDU rechts zu überholen und mit der Agenda 2010 inkl. Hartz-Gesetze eine neoliberale Reform a la Thatcherismus durchzuboxen. Und die Basis der SPD? War sich nicht zu schade, die eigene sozialdemokratische Seele zu verraten, wobei viele Tausend Mitglieder anerkennenswerterweise Konsequenzen zogen und der Partei zurecht den Rücken kehrten, darunter Oskar Lafontaine, Ulrich Mauer und andere Mitbegründer der WASG. Schröder hat also noch einmal eine Art 1914 geschafft: noch eine Spaltung der SPD. Wobei angemerkt sein soll, dass auch Schmidt mit seiner Verteidigungs- und Nicht-Umweltpolitik es schaffte, der SPD mit den Grünen Konkurrenz im eigenen Lager zu verschaffen.

Von Schröder hat sich die Partei bis heute nicht erholt und sie will es auch nicht wirklich: Denn noch heute wird die Agenda 2010 gelobt, je nach Parteiflügel wird höchstens von Verbesserungsbedarf gesprochen. Kein Wort dazu, dass mittels Agendapolitik die soziale Spaltung der BRD so vertieft wurde wie nie zuvor, dass den Heuschrecken und dem deregulierten Finanzmarkt unter Rot-Grün die Tür nach Deutschland geöffnet wurde, dass zum ersten Mal seit 1945 wieder (völkerrechtswidriger) Krieg von Deutschland geführt wurde. Es ist völlig unbegreiflich, warum die Deutschen „Mutti“ Merkel so toll finden. Aber es ist mehr als nachvollziehbar, dass die SPD auch nach vier Jahren völlig vermurkster bürgerlicher Koalitionsregierung keine 30 Prozent in den beliebten Sonntagsumfragen bekommt. Wieso sollen die „einfachen Leute“, deren Anwalt die SPD schon lange nicht mehr ist, dem Schröder-Minister Steinbrück vertrauen, die Wiederherstellung des Sozialstaates zutrauen? Das ist nicht glaubwürdig.

Mit dieser Anti-Würdigung der SPD will ich den verbliebenen echten Sozialdemokraten in der Partei nicht zu nahe treten. Gerade im Arbeitnehmerflügel und unter den Jusos, gerade auch hier in Halle, gibt es sehr im linken Sinne engagierte Leute. Doch es muss festgehalten werden, dass die echten Sozialdemokraten (so wie es Ottmar Schreiner einer war) schon lange zur Minderheit in der Partei gehören. Es fehlt an Sozialdemokraten in der Sozialdemokratie! Wie diese Leute es noch in ihrer Partei aushalten, ist mir ein Rätsel. Wer sich für Arbeiter, Arbeitslose und andere sozial unterprivilegierte Schichten einsetzen will, sollte zur Linkspartei wechseln und deren Reihen verstärken. Hier kann man sich (noch) glaubwürdig für alte sozialdemokratische Werte einsetzen.

Zum Schluss noch einige literarische Bemerkungen von Kurt Tucholsky:

Es ist ein Unglück, daß die SPD Sozial­demokratische Partei Deutschlands heißt. Hieße sie seit dem 1. August 1914 Reformistische Partei oder Partei des kleinern Übels oder Hier können Familien Kaffee kochen oder so etwas – vielen Arbeitern hätte der neue Name die Augen geöffnet, und sie wären dahin gegangen, wohin sie gehören: zu einer Arbeiterpartei. So aber macht der Laden seine schlechten Geschäfte unter einem ehemals guten Namen. (Die Weltbühne, 19. Juli 1932, Seite 98)
Na, also ick bin ja eijentlich, bei Licht besehn, ein alter, jeiebter Sosjaldemokrat. Sehn Se mah, mein Vata war aktiva Untroffssier … da liecht die Disseplin in de Familie. Ja. Ick rin in de Vasammlung. Lauta klassenbewußte Arbeita wahn da: Fräser un Maschinenschlosser un denn ooch der alte Schweißer, der Rudi Breitscheid. Der is so lang, der kann aus de Dachrinne saufn. Det hat er aba nich jetan – er hat eine Rede jehalten. Währenddem dass die Leute schliefen, sahr ick zu ein Pachteigenossn, ick sahre: »Jenosse«, sahre ick, »woso wählst du eijentlich SPD –?« Ick dachte, der Mann kippt mir vom Stuhl! »Donnerwetter«, sacht er, »nu wähl ick schon ssweiunsswanssich Jahre lang diese Pachtei«, sacht er, »aber warum det ick det dhue, det hak ma noch nie iebalecht! – Sieh mal«, sachte der, »ick bin in mein Bessirk ssweita Schriftfiehra, un uff unse Ssahlahmde is det imma so jemietlich; wir kenn nu schon die Kneipe, un det Bier is auch jut, un am erschten Mai, da machen wir denn ’n Ausfluch mit Kind und Kejel und den janzen Vaein … und denn ahms is Fackelssuch … es is alles so scheen einjeschaukelt«, sacht er. »Wat brauchst du Jrundsätze«, sacht er, »wenn dun Apparat hast!« Und da hat der Mann janz recht. Ick werde wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich. Und das is sehr wichtig fier einen selbständjen Jemieseladen! (»Ein älterer, aber leicht besoffener Herr«, in: Die Weltbühne, 9. September 1930, Seite 405)

Quelle: http://www.jungewelt.de/2013/05-23/013.php

 

Weitere Beiträge zum 150. Geburtstag:
Georg Fülberth: Gerechtigkeit für die SPD (Junge Welt)

Werner Pirker: Dank des Vaterlandes

FAZ: Mehr SPD wagen

Cicero: Herkunft statt Zukunft

Themenseite der Süddeutschen Zeitung

WAZ: Wozu SPD? – Eine freche Frage der Hagener Genossen zum Geburtstag

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