Was passiert beim Schimpfen?

Schimpfwörter und beleidigende Sprechakte sind ein nahezu selbstverständlicher Bestandteil menschlicher Kommunikation und dieser schon seit Urzeiten inhärent (vgl. Meinunger 2018, S.110). Das Schimpfen wird von Expert*innen auf verschiedene Art und Weise definiert.

Zwei Erklärungen sind folgende:

Veranlaßt ein aggressiver Affekt einen Sprecher, seine negative Beurteilung eines Menschen durch mindestens ein Wort mit negativer emotionaler Bedeutung auszudrücken, liegt eine Beschimpfung vor. Wörter mit negativer emotionaler Bedeutung, die häufig zur Beschimpfung verwendet werden, sind Schimpfwörter.

Marten-Cleef 1991, zit. n. Scheller 2000, S. 4f.

Das Schimpfen ist ein Angriffsakt durch abwertende, beleidigende Worte. Es ist, psychologisch gesehen, das Endglied einer dreigliedrigen Kausalkette… Aufs Äusserste reduziert, sieht diese Kette folgendermassen aus: Frustration (vereitelnde Ursache) → Affekt (Erregungszustand) → Aggression (Schimpfen).

Aman 1975, zit. n. Meinunger 2018, S. 108

Deutlich wird in beiden Ausführungen: Beim Schimpfen kommt es zur emotionalen Entladung oder zur Bewertung eines Objektes durch eine*n Sender*in. Ein*e Adressat*in wird nicht gebraucht. Konträr dazu erscheint die Beschimpfung, welche durch affektiv motivierte Herabsetzung oder Beleidigung an eine*n Adressat*in gerichtet ist und somit stets zwischenmenschlich existiert (vgl. Scheffler 2000, S.103). 

Oft wird der Begriff des Fluchens im Kontext des Schimpfens erwähnt und teilweise synonym verwendet. Meinunger (2018, S.111) unterscheidet hier ebenfalls. Fluchen versteht er als einen monologischen Akt, bei welchem der drohende Aspekt zu einem Gegenüber fehle. Wird wiederum ein Gegenüber direkt angegriffen, so eröffnet sich seiner Ansicht nach das semantische Feld der Drohung (vgl. ebd.).


Soll eine sprachliche Äußerung als Beschimpfung, Fluch, Beleidigung oder Schimpfwort definiert werden, können die folgenden drei sprachwissenschaftlichen Dimensionen (in Anlehnung an Hornscheidt 2011, S.18) unterschieden werden:

  1. Schimpfende Sprechakte zeichnen sich durch eine negative, auf Verletzung, Kränkung oder Abwertung ausgerichtete Sprecher*innenintention aus.
  2. Für die abwertende Sprachhandlung werden zumeist Wörter und ihrer Semantik inhärent zugeschriebene Verletzungen genutzt.
  3. Findet eine Beschimpfung anderer Personen statt, so empfinden diese die Äußerung als verletzend, negativ oder abwertend.

Hornscheidt (2011, S.18f.) nimmt mit diesen Dimensionen von Beschimpfungen eine den Wörtern inhärent beleidigende oder diskriminierende Konnotation an und belegt dies mit Schimpfwörtern oder sogenannter pejorativer Lexik, welche in unserer Gesellschaft konventionalisierte Bedeutungen aufweisen.

Schimpfwörter und Beschimpfungen sind dabei in ihrer Funktionsweise oft ähnlich. Die Ursache des Schimpfens liegt meist in einem Ärgernis. Auf jene Verärgerung wird im Rahmen eines emotionalen Erregungszustandes reagiert. Die Reaktion dient der Verarbeitung von Aggressionen (vor allem beim Schimpfen) oder der Deklassierung einer anderen Person (vor allem beim Beschimpfen). Letztere läuft über eine Abwertung, die unter anderem auf tradierten Rollenbildern oder stereotypischen Vorurteilen basieren kann. Hinter dem Gebrauch von Schimpfwörtern stehen häufig enttäusche Fremderwartungen, die sich in der Bedeutung der Lexeme manifestieren. Schimpfwörter zeigen also teilweise auf, welche Erwartung eines*r Sender*in nicht erfüllt wurde (vgl. Scheffler 2000, S.119ff.). 


Wenn Ruch (2001, S.31) von Flüchen und Schimpfwörtern als „Sprachdenkmäler“ spricht, so ist ihm zuzustimmen. Schimpfwörter illustrieren als Bestandteil der alltäglichen Kommunikation gesellschaftliche Normalvorstellungen und lassen sich bereits in alten Ratsprotokollen oder Schmähschriften auffinden (vgl. ebd., S. 31-40).


Erläuterungen
  • Sender*in: Person, die eine Botschaft übermittelt beziehungsweise nach außen teilt.
  • Adressat*in: Person, welche die an sie gerichtete Botschaft einer anderen Person empfängt.
  • affektiv: gefühlsbetont
  • synonym: bedeutungsgleich
  • monologischer Akt: Selbstgespräch
  • semantische Feld: Bedeutungsrahmen
  • inhärent: natürlicher Bestandteil einer Sache
  • Konnotation: Nebenbedeutung, Begleitvorstellung
  • konventionalisierte: normalisierte
  • Deklassierung: Herabsetzung
  • Lexeme: kleinste Einheiten des Wortschatzes
  • manifestieren: verankern
  • Schmähschriften: beleidigende oder beschimpfende Schriftprodukte

Max Groschke, 2022