Abstracts 1/2000 deutsch

Schmitt-Beck, Rüdiger: Die hessische Landtagswahl vom 7. Februar 1999: Der Wechsel nach dem Wechsel.
Wie stets seit 1983 wurde die hessische Landtagswahl kurz nach einer Bundestagswahl durchgeführt und stand in spannungsvoller Wechselbeziehung zur Bundespolitik. Davon konnten in der Geschichte der Bundesrepublik die regierenden Landeskoalitionen regelmäßig profitieren. Unzufriedenheit mit der Bonner Politik hatte bisher auch der hessischen rot-grünen Koalition zu helfen vermocht. Da in Bonn jetzt jedoch ebenfalls eine rot-grüne Koalition amtierte, überdies mit schlechtem Start und entsprechender Presse, wirkte sich diese veränderte Konstellation 1999 zum Schaden der in Wiesbaden regierenden Koalition aus. Innerhalb weniger Wochen vor der Wahl kam es zu signifikanten Verlagerungen politischer Bewertungen und Präferenzen in der Wählerschaft, die fast ausnahmslos für die rot-grüne Regierung ungünstig und für die CDU vorteilhaft waren. Der CDU gelang es, durch eine ausländerpolitische Kampagne den in der Bevölkerung verbreiteten Unmut über die von der Bundesregierung geplante Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Wählerstimmen umzumünzen. Sie verzeichnete eine wesentlich bessere Mobilisierung ihrer Anhänger und potenziellen Wähler als alle anderen Parteien. Die CDU konnte erheblich zulegen und gemeinsam mit der geschwächten FDP eine neue Landesregierung bilden. Die Grünen erlebten einen für sie katastrophalen Einbruch. Auf den anfänglich wenig überzeugenden Bonner Wechsel folgte der Wiesbadener in die Gegenrichtung. Für die Bonner rot-grüne Koalition beendete er die komfortable Situation einer parteipolitisch gleichgerichteten Bundesratsmehrheit. Der seit 25 Jahren anhaltende Fragmentierungstrend des hessischen Parteiensystems kam 1999 zum Stillstand. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 3 ff.)

Roth, Reinhold: Die Bremer Bürgerschaftswahl vom 6. Juni 1999: Klares Votum für die Koalition der Sanierer.
Die Bremer Bürgerschaftswahl hatte einen nur geringen Effekt auf die bundespolitischen Kräfteverhältnisse. Die Bremer Wähler votierten zum einen für die Fortsetzung der von SPD und CDU begonnenen Sanierung des Landes, zum anderen für die mit Hilfe einer solchen Koalition besser zu behauptende Selbstständigkeit Bremens als Bundesland. Erstmals seit 1945 ging eine Große Koalition aus einer Wahl gestärkt hervor; die vorherrschende These, wonach Große Koalitionen kleinere extreme Parteien begünstigen, wurde insofern nicht bestätigt. Nach dem Tiefstand von 1995 konnte die SPD ihre Position als ungeschlagene Regierungspartei am Ende der 90er Jahre erkennbar festigen. Mühelos gelang auch der CDU der Nachweis ihrer Regierungsfähigkeit. Sie erreichte ihr bisher bestes Wahlergebnis in Bremen. Demgegenüber verloren die Grünen in einer ihrer traditionellen Hochburgen erstmals drastisch. Die durch den Wahlausgang entstandene Drei-Parteien-Konstellation formierte sich in der Bremischen Bürgerschaft als SPD-CDU-Regierungskoalition mit der überwältigenden Mehrheit von 89 Abgeordneten, während den Grünen mit zehn Parlamentariern die Rolle einer schwachen Opposition zufällt. Die DVU erkämpfte sich mit einem Sitz den erneuten Einzug in die Bremische Bürgerschaft. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 18 ff.)

Winkler, Jürgen R.: Die saarländische Landtagswahl vom 5. September 1999: Die CDU erhält die Macht zurück.
Bei der saarländischen Landtagswahl stand die Bundespolitik im Rampenlicht des Wahlkampfes. Wegen des schlechten Erscheinungsbildes der Regierung Schrödermachte sowohl die Saar-CDU als auch die Saar-SPD Wahlkampf gegen die SPD-geführte Bundesregierung. Während die Grünen intensiv mit sich selbst beschäftigt waren, hob die FDP ihre Mehrheitsbeschaffungsfunktion hervor. Kennzeichnend für den Ausgang der Landtagswahl ist ein außergewöhnlich hoher Rückgang der Wahlbeteiligung, eine weitere Konzentration des Parteiensystems und ein Regierungswechsel. Weil die SPD einen Teil ihrer Anhänger nicht mobilisieren konnte, büßte sie die Mehrheit der Sitze ein. Nicht vornehmlich die Zustände vor Ort, sondern das Erscheinungsbild der SPD im Bund insgesamt führte zur Niederlage an der Saar. Die CDU gewann knapp die absolute Mehrheit der Mandate und konnte somit nach langjähriger Opposition wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen. Neuer Ministerpräsident des Saarlandes wurdePeter Müller. Zum Sieg verhalfen der CDU vor allem junge Wähler und Arbeiter. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 28 ff.)

Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen vom 5. und 12. September 1999: Landespolitische Entscheidungen im Schlagschatten der Bundespolitik.
In Brandenburg verlor die SPD, in Thüringen gewann die CDU die absolute Mehrheit. Die PDS steigerte noch einmal ihre Stimmenanteile und wurde in Thüringen vor der SPD zweitstärkste Partei. Während, wie bereits 1994, FDP und B90/DIE GRÜNEN in beiden Ländern unter der Fünf Prozent-Marke blieben, zog in Brandenburg die DVU in den Landtag ein. Neben der für die CDU günstigen bundespolitischen „Großwetterlage“ waren landespolitische Faktoren für den Wahlausgang mindestens ebenso bedeutsam. Insgesamt wurde der CDU größere Kompetenz zugeschrieben. In Thüringen kam ihr der Verzicht der SPD auf eine Koalitionsaussage zugute, der eine von der Mehrheit der Wähler nicht gewünschte SPD-PDS-Regierung denkbar erscheinen ließ. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 63 ff.)

Jesse, Eckhard: Die Landtagswahl in Sachsen vom 19. September 1999: Triumphale Bestätigung der CDU.
Die Wahl zum dritten sächsischen Landtag endete so wie die erste und die zweite: mit einem Triumph der CDU unter Kurt Biedenkopf. Sie verlor zwar 1,2 Punkte gegenüber der letzten Wahl, erzielte mit 56,9 Prozent der Stimmen jedoch ein überragendes Ergebnis. Dagegen erlitt die SPD mit 10,7 Prozent der Stimmen ein Desaster; sie erreichte nicht einmal die Hälfte des Stimmenanteils der PDS (22,2 Prozent), die sich erneut deutlich steigern konnte. Andere Parteien scheiterten wie schon 1994 an der Fünfprozenthürde. Der Wahlausgang hatte bundes- und landespolitische Gründe. Der erste Faktor schwächte wegen der Krise der Regierung Schröder die SPD, der zweite stärkte die CDU. Ihr wurde auf allen Gebieten eine größere Kompetenz als der Konkurrenz eingeräumt. Die als unumstritten geltende Person des „Landesvaters“ Kurt Biedenkopf trug auch zum Triumph der CDU bei, wurde er doch deutlich besser beurteilt als die Spitzenpolitiker der SPD (Karl-Heinz Kunckel) und der PDS (Peter Porsch). (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 69 ff.)

Niedermayer, Oskar und Richard Stöss: Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus vom 10. Oktober 1999: Der gescheiterte Versuch einer politischen Wachablösung.
Nach dem Sieg der SPD in Bonn 1998 schien auch in Berlin eine Ablösung der dominierenden Partei greifbar nahe. Der sich schon Anfang 1999 wandelnde Bundestrend, programmatische Unentschiedenheiten und schwerwiegende Wahlkampffehler der Landes-SPD sowie die im Gegensatz dazu erfolgreichen Strategien der Hauptkonkurrenten minderten jedoch sehr schnell alle Hoffnungen auf eine politische Wachablösung in der Regierungsspitze: Durch ihren Spar- und Modernisierungskurs zog die SPD im eigenen Lager vor allem dahingehende Kritik auf sich, dass die inhaltlichen Konturen eines rotgrünen Alternativprojektes fehlten. Die CDU profilierte sich – in den eigenen Reihen unwidersprochen – als „soziales Gewissen“ der Stadt. Mit der Fokussierung auf „soziale Gerechtigkeit“ baute die PDS ihre Vormachtstellung im Osten aus. Auch im Westen konnte sie zulegen. Der Spitzenkandidat der SPD, Walter Momper, konnte im Urteil der Wähler von Anfang an nicht mit dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen mithalten. Das Berliner Ergebnis liegt im bundesweiten Trend der Landtagswahlen des Jahres 1999. Es folgt aber auch einem langjährigen Berliner Trend, der durch den Niedergang der SPD und den Aufstieg der CDU zur dominierenden Partei gekennzeichnet ist. Nach schwierigen Regierungsbildungsverhandlungen – Teile der SPD forderten eine Erneuerung der Partei in der Opposition – wurde erneut ein CDU/SPD-Senat gewählt. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 86 ff.)

Johne, Roland: Vertretung der Landtage im Ausschuss der Regionen. Zur parlamentarischen Komponente unmittelbarer Interessenvertretung der deutschen Bundesländer in der Europäischen Union.
Die Landesparlamente haben seit der Konstituierung des „Ausschusses der Regionen“ der Europäischen Union (AdR) ihre unmittelbare Präsenz und ihre Einwirkungsmöglichkeiten kontinuierlich ausbauen können. Dennoch ist nach wie vor eine Dominanz der Landesexekutiven bei der Vertretung im Ausschuss der Regionen festzustellen. Der Beitrag analysiert die bisherige Entwicklung sowie das Handlungspotenzial der Landtage, im Sinne einer Stärkung der parlamentarisch-demokratischen Komponente des europäischen Mehrebenen-Entscheidungsprozesses sowohl ihre direkte Präsenz im AdR auszubauen als auch ihre Teilhabe an der landesinternen Willensbildung in Bezug auf anstehende Entscheidungen im AdR zu vertiefen. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 103 ff.)

Holtmann, Everhard: Der selbstbestellte Vormund des Parlaments. Oder: Wie Rechnungshöfe den Primat der Politik unterlaufen.
Rechnungshöfe arbeiten, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, innerhalb des gewaltenteilig angeordneten deutschen Regierungssystems in einer Zone nicht klar definierter Zuständigkeit. Die üblich gewordene Kennzeichnung als Assistenzorgan der Parlamente verdunkelt eher den Sachverhalt, dass Rechnungshöfe längst von einer lediglich ex post geübten Haushaltskontrolle zu einer den Prozess der Haushaltsplanung begleitenden Zielkontrolle übergegangen sind. Auf diese Weise wächst der Rechnungshof faktisch in eine politische Wächterrolle hinein, die einen Kernbereich der Exekutive und parlamentarische Gestaltungsrechte gleichermaßen tangiert. Einfallstor für derartige politische Grenzüberschreitungen ist die extensive Auslegung des Prüfmaßstabs der „Wirtschaftlichkeit“. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 116 ff.)

Kaina, Viktoria: Zwischen den Welten: Die Funktionsbewertung des politischen Systems in Führungsschicht und Bevölkerung.
Ost- und Westdeutsche unterscheiden sich in der Wahrnehmung von Funktionsmängeln des politischen Systems der vereinten Bundesrepublik. Konkurrierende Erklärungsansätze verweisen auf Sozialisationseinflüsse und Performanzerfahrungen. Die Rolle gesellschaftlicher Funktionsträger und ihrer Versuche, den innerdeutschen Annäherungsprozess über politische Steuerungsleistungen zu beeinflussen, sind bisher unterbelichtet. Mittels empirischer Umfragedaten werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Zufriedenheit mit dem politischen System zwischen Ost- und Westdeutschen, Eliten und Bevölkerung untersucht. Akzeptanzmängel der ostdeutschen Bevölkerung gegenüber dem politischen System der Bundesrepublik lassen sich in erster Linie auf eine negative Leistungsbewertung zurückführen. Politisch-kulturelle Annäherungsprozesse zwischen Ost- und Westdeutschen geraten damit einerseits in die Abhängigkeit unterschiedlicher Lebensverhältnisse, sind jedoch andererseits durch Elitenhandeln teilweise steuerbar. Mit ihrer Negativeinschätzung der Funktionstüchtigkeit des politischen Systems unterscheidet sich die Bevölkerung der neuen Länder insbesondere von der westdeutschen Herkunftselite, während der ostdeutschen Herkunftselite nach den vorliegenden Daten das Potenzial integrativer Vermittlungsleistungen zwischen Bevölkerung und Führungsgruppen zugeschrieben werden kann. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 131 ff.)

Holtz-Bacha, Christina: Entertainisierung der Politik.
Auf Grund von Veränderungen in der Wählerschaft sowie im Mediensystem haben sich die Bedingungen für die Vermittlung von Politik beträchtlich verändert. Um Aufmerksamkeit für sich und ihre Themen zu erlangen müssen sich die politischen Akteure den Interessen des Medienpublikums anpassen, und sie stehen dabei in vielfältigem Wettbewerb. Eine der Strategien, mit der die Politik auf diese Situation reagiert, ist „Entertainisierung“, hier definiert als Einzug der politischen Akteure in die Unterhaltungssendungen des Fernsehens. Aus der Sicht der politischen Akteure handelt es sich dabei – zumindest kurzfristig – um eine rationale Strategie, da ihnen solche Formate weitgehende Einflussmöglichkeiten bieten und so das Bild, das die Medien von der Politik liefern, zum eigenen Vorteil gestaltet werden kann. Außerdem lassen sich auf diesem Weg Zuschauergruppen ansprechen, die sonst eher versuchen, der Politik aus dem Weg zu gehen. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 156 ff.)

Jung, Otmar: Ein fragwürdiger Personenvergleich, wo es um die Sache geht. Kritische Stellungnahme zu Andreas Wirthensohns Beitrag in Heft 2/1999 der ZParl.
Der Entschiedenheit eines von Andreas Wirthensohn unternommenen Vergleiches der demokratietheoretischen Prämissen Carl Schmitts und Hans-Herbert von Arnims wird mit gleicher Verve entgegnet, dass Schmitt und von Arnim bereits in der Überschrift „manipulativ unter ein angeblich gemeinsames Motto“ gestellt seien. Alsdann fallen die zeitgeschichtliche Verharmlosung Schmitts und die eigenwillige Rezeption von Arnims (eine seltsame Auswahl seiner Schriften beziehungsweise ihre ,unmögliche’ Interpretation) sowie Ansätze zu einer Art Sprech- und Denkpolizei auf. Wie sich später erweist, beruht seine Kritik auf einem puren Formalismus, der auch ganz unterschiedliche Denker gleichzusetzen erlaubt. Was Wirthensohngegen von Arnims Plädoyer für die Einführung beziehungsweise einen Ausbau direktdemokratischer Elemente als Ergänzung der repräsentativdemokratischen Systems einwendet, ist nur eine Sammlung landläufiger Vorurteile. Letztlich führt der ganze Ansatz des Personenvergleichs, zumal mit der negativen Symbolfigur Carl Schmitt, auf Abwege; eine Diskussion der Sachprobleme wäre nützlicher. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 167 ff.)

Marschall, Stefan: Wer vertritt wen? Volksentscheide und die Funktionslogik parlamentarischer Repräsentation. Kritische Anmerkungen zu einem Beitrag vonWinfried Steffani in Heft 3/99 der ZParl.
Die Unterschiede zwischen parlamentarischer Repräsentation und der Repräsentation durch das Wahlvolk sind so gewichtig, dass von einer Parallelität der beiden Entscheidungsverfahren, wie sie von Steffanitheoretisch argumentiert, kaum gesprochen werden kann. Die Frage nach der Einführung von Volksentscheiden sollte indessen pragmatisch beantwortet werden. Steffanis Hinweise auf die Kluft zwischen Wahlvolk und Staatsvolk sowie die Forderung „Wahlrecht von Geburt an“ müssen zudem zu der Frage weitergedacht werden, ob in einer „entgrenzten“ Welt Politikbetroffene und in den politischen Prozess Eingebundene überhaupt noch deckungsgleich sein können und welche Konsequenzen dies für die Repräsentationstheorie hat. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 182 ff.)

Renzsch, Wolfgang: Die große Steuerreform 1998/99: Kein Strukturbruch, sondern Koalitionspartner als Vetospieler und Parteien als Mehrebenensysteme. Diskussion eines Beitrages von Reimut Zohlnhöfer in Heft 2/99 der ZParl.
Das Scheitern der Steuerreform ist nicht auf die Verbindung von Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie zurückzuführen, sondern auf den Versuch vor allem von CSU und FDP, ein Geschäft zu Lasten Dritter zu machen. Dass die „Dritten“ sich wehren und im Bundesrat solche Geschäfte blockieren, ist legitim und entspricht den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesrates. (ZParl, 31. Jg., H. 1, S. 187 ff.)

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