Abstracts 2/2001 deutsch

Cancik, Pascale: Zur Pflicht, seinen Standpunkt klar zu äußern oder Wie anders darf ein Änderungsantrag sein? Zum Urteil des VerfGH NRW über die Zulässigkeit von Änderungsanträgen der Regierungsmehrheit.
Entschließungsanträge sind mittlerweile ein wichtiges Instrument parlamentarischer Arbeit. In ihnen werden Standpunkte formuliert, die im Parlament vertretenen politischen Positionen zu bestimmten Themen positioniert. Insbesondere oppositionelle Gruppierungen nutzen diese Möglichkeit, um gerade solche Themen aufzugreifen, die Regierung und Regierungsmehrheit nicht debattieren wollen. Versuchen der letzteren, im Wege eines Änderungsantrages den Inhalt der (oppositionellen) Entschließung mit Hilfe der Abstimmungsmehrheit umzuformulieren, um der – letztlich völlig anderslautenden – Entschließung dann zuzustimmen, wurden vom VerfGH NW eine deutliche Absage erteilt. Die Handhabung des dort vertretenen Grundsatzes – die Änderung darf die Entschließung nicht zu einem „aliud“ machen – dürfte allerdings schwierig werden. Parlaments- und rechtspolitisch erscheint es daher sinnvoll, Änderungsanträge zu Entschließungen von vornherein nicht zuzulassen. Der Debattenkultur und damit der Öffentlichkeitsfunktion der Parlamente dürfte das gut tun. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 249 ff.)

Kessler, Josef: Parlamentarisches Fragerecht und Persönlichkeitsschutz.
Wird eine Person in einer parlamentarischen Anfrage genannt, so ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen. Als Schutzgut wird das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person beeinträchtigt, nicht das informationelle Selbstbestimmungsrecht. In der Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht und dem ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird in der Praxis des Deutschen Bundestages im Konfliktfall ein schonender Ausgleich der beiden Rechtspositionen regelmäßig durch Anonymisierung des Namens hergestellt. Die Leitlinien der Abwägung werden auf der Grundlage eines Vergleichs mit dem ähnlich gelagerten Spannungsverhältnis zwischen der Pressefreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelt. Die so genannte Wechselwirkungstheorie, die wegen der überragenden Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit von einer grundsätzlichen Vermutung für die freie Rede ausgeht, ist auf das Verhältnis von Frage- und Persönlichkeitsrecht jedoch nicht übertragbar. Deshalb erlangt der Persönlichkeitsschutz in parlamentarischen Anfragen ein stärkeres Gewicht als in den Medien. Wegen der Gefahr einer Perpetuierung von Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz ist die Praxis gerechtfertigt, eine vollständige Namensnennung auch dann nicht zuzulassen, wenn ein Vorgang durch Medienberichterstattung bereits öffentlich ist. Der Persönlichkeitsschutz wird in seiner Wirkung durch geschäftsordnungsrechtliche Vorgaben (zum Beispiel Verbot von so genannten Dreiecksfragen und Sachlichkeitsgebot) unterstützt, auch wenn diese eine andere Intention haben. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 258 ff.)

Lang, Joachim: Zum Fragerecht von Landesregierungen im Bundesrat.
Seit Jahrzehnten besteht zwischen der Bundesregierung und einzelnen Landesregierungen ein Meinungsstreit über die Auslegung von Art. 53 Satz 3 GG. Hierbei geht es darum, ob einzelne Landesregierungen im Plenum des Bundesrates das Recht haben, Fragen an die Bundesregierung zu stellen oder ob dieses Recht nur der Mehrheit des Bundesrates zusteht. Praktische Bedeutung erlangt diese Frage insbesondere dann, wenn Landesregierungen fragen, die von einer Partei getragen werden, die im Bundesrat eine Minderheit darstellt und im Bund in der Opposition steht. Entstehungsgeschichte wie Sinn und Zweck der Norm deuten darauf hin, dass einzelnen Landesregierungen das Recht zugestanden werden kann, Fragen an die Bundesregierung zu richten. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 281 ff.)

Düstner, Christian: Zur Entwicklung der Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen seit 1949.
In der Diskussion über die Neuordnung und Entflechtung der föderalen Kompetenzordnung wird vielfach angenommen, der hohe Anteil an zustimmungsbedürftigen Gesetzen sei das Ergebnis einer Entwicklung, die sich vom ursprünglichen Bauplan des Grundgesetzes entfernt habe. Die Länder hätten ihre Bereitschaft zu Kompetenzverlagerungen zugunsten des Bundes von der Einräumung zusätzlicher Zustimmungsrechte abhängig gemacht und so zur Erweiterung der Verflechtung erheblich beigetragen. Die Analyse der auf Zustimmungstatbestände bezogenen Verfassungsänderungen zeigt, dass es sich bei den neu begründeten Zustimmungsrechten nicht um Kompensationen für solche Kompetenzverlagerungen handelte. In der Gesetzgebungstätigkeit des Bundes spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Der seit langem um 60 Prozent pendelnde Anteil zustimmungsbedürftigter Gesetze an der gesamten Gesetzgebungstätigkeit des Bundes beruht fast ausschließlich auf denjenigen Zustimmungsnormen, die zum Anfangsbestand des Grundgesetzes von 1949 gehörten. Ein Überblick über die zahlenmäßige Bedeutung der einzelnen Zustimmungstatbestände erweist, dass die Zustimmungsbedürftigkeit in gut 80 Prozent aller Fälle auf den Artikeln 84 Abs. 1 und 105 Abs. 3 GG beruht. Hierauf wird bei der Entwicklung von Entflechtungsstrategien Rücksicht zu nehmen sein. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 290 ff.)

Kalke, Jens: Bedeutungsverlust der Landtage? Ein empirischer Test anhand der Drogenpolitik.
Die allgemeine These vom Bedeutungsverlust der Landtage ist empirisch unzureichend belegt, basiert vorwiegend auf theoretischen Annahmen oder verfassungsrechtlichen Analysen, die sich einseitig auf die Gesetzgebungsfunktion beziehen. Auf dem Feld der Drogenpolitik zeigt die empirische, nach Parlamentsfunktionen ausdifferenzierte Auswertung von Parlamentsdrucksachen der letzten 30 Jahre (1968 – 1997), dass sich die Landtage in zunehmendem Maße mit drogenpolitischen Themen beschäftigen, obwohl sie kaum eigene rechtliche Kompetenzen besitzen. Von Regierungsmehrheit und Opposition wird das Drogenthema unterschiedlich bearbeitet: Die Artikulations- und die Innovationsfunktion werden stärker von der Opposition wahrgenommen, die Informationsfunktion stärker von der Regierungsmehrheit. Insgesamt beschäftigen sich die Landtage zeitnah, früher als der Bundestag und in vielfältiger, lebendiger Weise mit dieser Sachmaterie. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag für Reformen und nehmen eine innovative Funktion in der Drogenpolitik wahr. Dies relativiert die weit verbreitete These vom Bedeutungsverlust der Landtage. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 309 ff.)

Hölscheidt, Sven: Die neuen Bundesländer und der Parlamentarismus in der Europäischen Union.
Die neuen Länder sind adäquat in den europäischen Parlamentarismus eingefügt. Eine Sonderrolle kam ihnen nur Anfang der 1990er Jahre zu: Sie waren mit Beobachtern im Europäischen Parlament vertreten und sind durch ein spezielles Förderkonzept unterstützt worden. Insgesamt befindet sich der Parlamentarismus in der EU in einer schwierigen Situation. Die nationalen Parlamente haben die EU „zuvörderst“ demokratisch zu legitimieren, beeinflussen die europäische Rechtsetzung durch die Exekutive aber nicht intensiv. Der Bundestag erhält von der Bundesregierung zwar eine große Zahl von Unionsvorlagen, nimmt jedoch nur zu relativ wenigen Stellung. Auch die deutschen Landesparlamente sind Verlierer im Prozess der Integration; nur die Landesregierungen haben Einfluss gewonnen. Das Europäische Parlament kann die Defizite im Parlamentarismus gegenwärtig nur ungenügend kompensieren. Es gibt jedoch eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten, die abschließend erörtert werden. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 325 ff.)

Schieren, Stefan: Nationale Parlamente als Legitimationsgrund europäischer Politik? Zum Beispiel das Westminster-Parliament.
Seit der Europäischen Union mit Abschluss der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 in wachsendem Maße staatsähnliche Gewalt zuwächst, wird vermehrt die Frage an sie gerichtet, wie ihre Politik in angemessener Weise legitimiert werden kann. Eines der zahlreichen Modelle fordert, dass die Legitimation europäischer Politik ihren Ausgang von den nationalen Parlamenten nehmen und sich von dort aus auf Europa richten müsse, solange eine europäische Öffentlichkeit und ein europäisches Parteiensystem nicht existierten. Bei näherem Hinsehen könnte es sich aber erweisen, dass dies eine recht deutsche Sicht der Dinge ist, die als homogenes Legitimationsmodell für europäische Politik schlechthin nicht taugt. Denn es gibt zumindest einen Mitgliedstaat – Großbritannien –, in dem es die staats- und verfassungsrechtliche Ordnung nicht zulässt oder zumindest erheblich erschwert, europäische Politik durch das nationale Parlament zu legitimieren. Vor diesem Hintergrund läßt sich das Modell folglich nur für einen Teil der Mitgliedstaaten anwenden, nicht aber als allgemeine Grundlage für die Europäische Union. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 339 ff.)

Lemke-Müller, Sabine: Westeuropäische Parlamentarierinnen – ein Forschungsbericht.
Setzen Politikerinnen generell andere inhaltliche Arbeitsschwerpunkte als ihre männlichen Kollegen? Erhalten Parlamentarierinnen weniger leicht Zugang zu bedeutsamen Ausschüssen? Wie wirkt sich ein hoher Frauenanteil im Parlament auf ihre Verteilung in den Ausschüssen aus, wie ein niedriger? Material für die Suche nach Antworten auf solche Fragen liefert eine aus dem Internet ermittelte, aktuelle Datensammlung, welche die Präsenz von Politikerinnen in den Ausschüssen der direkt gewählten ersten Kammern Belgiens, Deutschlands, Finnlands, Luxemburgs, der Niederlande, Österreichs und Schwedens nachweist. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 352 ff.)

Obinger, Herbert: Vetospieler und Staatstätigkeit in Österreich. Sozial- und wirtschaftspolitische Reformchancen für die neue ÖVP/FPÖ-Regierung.
Seit mehr als einem Jahr regiert in Österreich eine Koalition aus ÖVP und FPÖ. Die neue Mitte-Rechts-Koalition ist mit dem Ziel angetreten, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik einen politischen Kurswechsel einzuleiten. Dieser Beitrag untersucht vor der theoretischen Folie der Theorie der Vetospieler, wie weit das institutionelle Reformfenster für die Realisierung der anvisierten Wende offen steht. Es wird gezeigt, dass der Handlungsspielraum der Bundesregierung – nicht zuletzt im Zusammenspiel mit der EU – unerwartet groß ist. Eine Synopse der von der Koalition in ihrem ersten Amtsjahr implementierten Maßnahmen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik bestätigt diesen Befund. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 360 ff.)

Bretthauer, Kathrin und Patrick Horst: Wahlentscheidende Effekte von Wahlkämpfen? Zur Aussagekraft gängiger Erklärungen anhand in der ZParl publizierter Wahlanalysen.
Wahlkämpfen wird von der Wahlforschung, nicht erst seit der erfolgreichen „Kampa“ der SPD bei der Bundestagswahl 1998, wachsende Bedeutung zuerkannt. Ob sie allerdings wirklich Wahlen entscheiden (können), ist bis heute ungeklärt. Es fehlt der Wahlforschung an den geeigneten Instrumenten, die Wirkung von Wahlkämpfen auf die Entscheidungen der Wähler von anderen Einflussfaktoren zu isolieren. Keiner der drei etablierten Erklärungsansätze der modernen Wahlforschung – weder der soziologische noch der sozialpsychologische oder der rationalistische – gelangt bisher über Plausibilitätserwägungen hinaus. Unterschiedlich groß ist deren modellbedingte Neigung, Entscheidungsfreiräume des Individuums im Wahlverhalten und damit auch potenzielle Wahlkampfeffekte anzuerkennen: beim rationalistischen Ansatz größer als beim sozialpsychologischen, bei diesem größer als beim soziologischen. In der ZParl, das zeigt die Synopse aller zwischen 1969 und 1998 veröffentlichten Wahlanalysen, überwiegen die soziologischen und sozialpsychologischen Erklärungsansätze, weshalb in der Regel geringe Wahlkampfeffekte diagnostiziert wurden. Die Ausnahme ist der Wahlkampf 1998, dessen vermeintlich hohe Wirkung auf das Wahlergebnis rational und sozialpsychologisch plausibel gemacht werden kann. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 387 ff.)

Hategan, Christa: Wirkungszusammenhang von Wahlkampf und Wahlergebnis am Beispiel von Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Hessen. Ein praxtisorientierter Erklärungsansatz.
Der theoretisch und empirisch begründete Wirkungszusammenhang von Wahlkampf und Wahlergebnis basiert auf der Einführung eines kommunikationstheoretischen Ansatzes, der sieben Identifikationsmerkmale des Wahlkampfes definiert und mit ihrer partiellen empirischen Überprüfung eine Ein- und Abgrenzung leistet. Dazu wird als neue Befragungsmethode eine Wahlkampfmatrix verwendet, die 57 Maßnahmen für 20 Adressatengruppen einander gegenüberstellt und mit ihren 1140 Beziehungsfeldern ein Tätigkeitsbild der befragten Parteien nachweist. Vielfältige Matrixanalysen belegen Innovationen für die Planung und Wirksamkeitskontrolle des Wahlkampfes. Sie machen deutlich, dass der Wahlerfolg einer Partei im Wesentlichen von ihrer Fähigkeit abhängt, in der persönlichen Auseinandersetzung auf Interessen und Themen ihrer Wähler eingehen zu können. Eine vorläufige Definition des Wahlkampfes und Hypothesen für seine Identifikation fassen die Ergebnisse zusammen. (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 409 ff.)

Hoinle, Marcus: „Heiterkeit im ganzen Hause“ – Über parlamentarisches Lachen.
Politik ist eine ernste Angelegenheit. Gleichzeitig wird über die Akteure der Politik und ihre Sujets viel gelacht. Dieses Lachen ist nicht nur eine Komponente der Conditio humana. Es besitzt vielmehr eine manifeste politische Dimension. Denn es bietet Partizipationsmöglichkeiten und markiert gleichzeitig die politischen Unterschiede. Es verändert die Wahrnehmung und setzt den gewohnten Gang der Dinge außer Kraft, es schafft zugleich Ordnung, sichert Norm- und Tabugrenzen. Wie jedes Parlament formt der Deutsche Bundestag eine unter dem Gebot der Öffentlichkeit stehende, ritualisierte Lachkultur mit unterschiedlichen Situationen der Heiterkeit, auf deren Folie Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und Abstimmungsverhalten der Abgeordneten beeinflusst werden. Lachen in der Politik ist folglich ernst zu nehmen. Warum und worüber lachen eigentlich Politiker? (ZParl, 32. Jg., H. 2, S. 440 ff.)

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