Abstracts 3/2007 deutsch

Gabriel, Oscar W. und Everhard Holtmann: Ober sticht Unter? Zum Einfluss der Bundespolitik auf Landtagswahlen: Kontext, theoretischer Rahmen und Analysemodelle.
Die systematische Analyse des Wählerverhaltens bei Landtagswahlen wird von der deutschen Wahlforschung seit je her vernachlässigt. So blieb die Frage, inwieweit unter gegebenen Bedingungen der Politikverflechtung und des kooperativen Föderalismus Wahlen zu Landtagen ‚im Schatten der Bundespolitik’ stattfinden, bis heute weitgehend ungeklärt. Gibt es überhaupt einen Effekt bundespolitischer Faktoren? Und wenn ja: Überwiegen kontextbedingte oder eher situative Erklärungen? Einführend wird hier die wissenschaftliche „Blaupause“ erläutert für die folgenden Beiträge dieses Heftes der ZParl, die das Wählerverhalten bei Landtagswahlen in neun ausgewählten Bundesländern untersuchen. Erstmals werden dabei nicht nur Aggregatdaten, sondern auch Individualdaten aus landesweit repräsentativen Umfragen herangezogen. Die Untersuchungsbefunde sind nicht einheitlich; doch ein bundespolitischer Einfluss auf Landtagswahlen ist am wahrscheinlichsten, wenn (1) Bundes- und Landtagswahlen am selben Tag stattfinden, (2) im betreffenden Land die Parteiidentifikation schwach ausgeprägt ist, (3) in Bund und Land dieselben Parteien regieren, (4) im Land keine klare Wettbewerbssituation existiert und (5) die Spitzenkandidaten der Parteien vom Wähler gleich bewertet werden. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 445 ff.]

Schnapp, Kai-Uwe: Landtagswahlen und Bundespolitik: immer noch eine offene Frage? Neue Antworten im Ländervergleich auf Aggregatdatenbasis.
Landtagswahlen werden in der Forschung teils als stark bundespolitisch beeinflusst, teils als sich aus dieser Beeinflussung lösend wahrgenommen. Bislang wurde die Frage nach dem bundespolitischen Einfluss auf der Basis von Daten beantwortet, die Trends zwischen benachbarten Wahlen untersuchten. Hier wird dagegen der Blick auf längerfristig stabile Niveauunterschiede zwischen den Wahlergebnissen auf Landes- und Bundesebene gerichtet und Belege für einen Zuwachs der Unabhängigkeit der Landtagsergebnisse geliefert. Eine weitere Behauptung mit Blick auf Landtagswahlen lautet, dass Wähler hier moderierend entscheiden, dass sie also gezielt versuchen, Bundesratsmehrheiten zu erzeugen, die ein Gegengewicht zur aktuellen Regierungsmehrheit im Bund darstellen. Es kann gezeigt werden, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall ist. Dagegen lässt sich die Hypothese, dass die klare Zuschreibbarkeit von Regierungsverantwortung einen Einfluss auf das Wahlverhalten hat, bestätigen. Grundlage für alle Analysen sind Wahlergebnisse zu Bundes- und Landtagswahlen seit 1960, erhoben auf der Ebene der administrativen Kreise. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 463 ff.]

Völkl, Kerstin: Welchen Einfluss hat die Bundespolitik auf die Wahlentscheidung der Bürger bei Landtagswahlen? Eine Analyse von Individualdaten im Bundesländer- und Zeitvergleich.
Landtagswahlen werden von Politikern und Journalisten gern als Testwahlen für die amtierende Bundesregierung angesehen. Auch in der Forschung lautet eine weit verbreitete Annahme, dass die Bundespolitik einen deutlichen Einfluss auf Landtagswahlen hat. Dies trifft insbesondere zu, wenn die Landtagswahl in der Mitte der Legislaturperiode der Bundesregierung abgehalten wird. Allerdings basieren solche Ergebnisse auf Aggregatdaten, die keine Aussagen über die Motive der individuellen Wahlentscheidung zulassen. Untersuchungen auf Basis von Individualdaten kommen zu einem differenzierteren Ergebnis: In der direkten Wahrnehmung der Bürger spielt die Bundespolitik zwar eine wichtige Rolle für die Wahlentscheidung, im Vergleich mit der Landespolitik ist sie aber weniger bedeutsam. Indirekte Messungen der Relevanz der Bundespolitik bestätigen den geringen Einfluss der Zufriedenheit mit der Bundesregierung auf die Stimmabgabe zugunsten von CDU/CSU oder SPD bei Landtagswahlen. Lediglich in Ausnahmesituationen kann die Zufriedenheit mit der Bundesregierung einen annähernd gleich starken Einfluss auf die individuelle Wahlentscheidung ausüben wie die Zufriedenheit mit der Landesregierung oder der präferierte Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 480 ff.]

Maier, Jürgen: Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 1951 bis 2001: starke bundespolitische Einflüsse, große Bedeutung der Parteibindung.
Durch die Auflösung tradierter Wähler-Parteien-Bindungen hat sich die politische Landschaft in Rheinland-Pfalz in den 1990er Jahren grundlegend verändert: aus dem einstigen „christdemokratischen Stammland“ ist ein sozialdemokratisch regiertes Bundesland geworden. In der Literatur wird vermutet, dass neben Kurzfristfaktoren auch bundespolitische Konstellationen zunehmend das Landtagswahlverhalten beeinflussen. Analysen mit Daten der amtlichen Statistik scheinen diesen Verdacht zu erhärten: Parteien, die im Bund regieren, schneiden bei Landtagswahlen schlecht ab. Parteien, die im Land regieren, erzielen hingegen gute Wahlergebnisse. Dabei sind bundespolitische Faktoren in aller Regel wichtiger als landespolitische Konstellationen. Umfragedaten bestätigen dieses Muster jedoch nicht: Zum einen wird die individuelle Stimmabgabe nach wie vor hauptsächlich von der Parteibindung beeinflusst. Zum anderen fällt der Einfluss bundespolitischer Faktoren nicht grundsätzlich größer aus als die Bedeutung landespolitischer Größen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 495 ff.]

Schoen, Harald: Landtagswahlen in Bayern 1966 bis 2003: verstärkte bundespolitische Durchdringung aufgrund der Doppelrolle der CSU.
Empirische Analysen zeigen, dass bundespolitische Orientierungen das Stimmverhalten bei den Landtagswahlen in Bayern zwischen 1966 und 2003 nur schwach beeinflussten. Im Vergleich mit Einstellungen zur Arbeit der Bundesregierung fielen dabei Einstellungen zu Bundespolitikern stärker ins Gewicht. Betrachtet man nur diese direkten Effekte, wird jedoch die tatsächliche Bedeutung der Bundespolitik für bayerische Landtagswahlen unterschätzt, da die Vermischung von Landes- und Bundespolitik sowie indirekte Bundeseffekte unberücksichtigt bleiben. Die Doppelrolle der CSU als bayerische Bundespartei begünstigt die Vermischung von Bundes- und Landespolitik sowie direkte wie indirekte bundespolitische Einflüsse. Daher dürfte eine Besonderheit bayerischer Landtagswahlen in ihrer vergleichsweise starken bundespolitischen Durchdringung liegen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 503 ff.]

Bytzek, Evelyn und Susumu Shikano: Landtagswahlen in Niedersachsen 1970 bis 2003: Landespolitik als wichtiger Einflussfaktor.
Landtagswahlen stellen die Wähler vor eine komplexere Entscheidungssituation als beispielsweise Bundestagswahlen, da bei ihnen sowohl landes- als auch bundespolitische Bewertungsgrundlagen eine Rolle spielen können. In Niedersachsen ist die Landespolitik wichtig für die Entscheidung der Wähler bei Landtagswahlen. Bundespolitik kann die Wähler beeinflussen, wenn ihnen keine klaren Kriterien auf der Landesebene zur Verfügung stehen, zum Beispiel bei Großen Koalitionen oder bei Spitzenkandidaten, deren Beliebheitswerte ähnlich ausfallen. Das heißt, wenn auf der Landesebene Parteien mit ähnlichen politischen Zielen koalieren (also keine Große Koalition bilden) und es einen starken Spitzenkandidaten mit hohen Popularitätswerten gibt, ist Landespolitik ein wichtigerer Faktor für die Entscheidung der Wähler. Bemerkenswert ist, dass die Wähler Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt, die mit der Bundesebene verknüpft sind, erstaunlich gut bewerten. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 513 ff.]

Abold, Roland: Hamburger Bürgerschaftswahlen 1978 bis 2004: Rückenwind oder Stimmungstief durch bundespolitische Einflüsse?
In regelmäßiger Folge kommt Hamburger Bürgerschaftswahlen eine öffentliche Aufmerksamkeit zu, die weit über die Landesgrenzen des Stadtstaates hinausgeht. Die aufsehenerregenden politischen Ereignisse der Vergangenheit (beispielsweise der schnelle Aufstieg und Fall der Schill-Partei) können als Symptome einer Entwicklung aufgefasst werden, die mit einem veränderten Stellenwert der Bundespolitik für das Wahlverhalten der Hansestädter einhergeht. Es ist argumentiert worden, dass sich ihr Wahlverhalten in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert hat. Die Daten zeigen, dass Landesthemen und -kandidaten seit 1978 wichtiger geworden sind, während die längerfristigen Parteibindungen ebenso an Bedeutung verloren haben wie die Bundespolitik für Hamburger Bürgerschaftswahlen. Allerdings kann die Parteibindung diesen Einfluss weiterhin filtern: Wenn die bevorzugte Partei Mitglied der Bundesregierung ist, spielt Bundespolitik eine Rolle für diese Hamburger Wähler. Daher ist es eher wahrscheinlich, dass es Rückenwind von der Bundesebene als ein von dort beeinflusstes Stimmungstief gibt. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 521 ff.]

Gschwend, Thomas: Berliner Abgeordnetenhauswahlen 1979 bis 2001: keine Testwahlen für die Bundesebene.
Wähler können Landtagswahlen nutzen, um die Bundesregierung abzustrafen oder zu belohnen. Dieses Verhalten kann anhand ihrer Bewertung der Bundesregierung analysiert werden. Für Wähler erscheint es leichter, Verantwortung zuzuschreiben, wenn dieselben Parteien die Regierungen auf Bundes- und Landesebene stellen, als wenn dies unterschiedliche sind. Die Analyse von Umfragen zu Berliner Abgeordnetenhauswahlen (1979 bis 2001) zeigt, dass der Einfluss der Bundespolitik gegeben ist, wenn in Bund und Land dieselben Parteien in den Regierungen koalieren. Allerdings ist selbst in diesem Fall der Einfluss der Bundespolitik noch zu gering, um von einer Testwahl für den Bund zu sprechen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 531 ff.]

Ohr, Dieter und Markus Klein: Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1990 bis 2005: keine Dominanz der Bundespolitik.
In welchem Maß die Bundespolitik die Wahlentscheidungen bei Landtagswahlen zu beeinflussen vermag, ist umstritten. Der einen Sichtweise zufolge ist ein starker bundespolitischer Einfluss anzunehmen; nach der anderen hat eine „Regionalisierung“ von Landtagswahlen stattgefunden. Bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen von 1990 bis 2005 zeigt sich ein bedeutsamer Einfluss bundespolitischer Erwägungen der Wähler. Dies heißt aber nicht, dass die genuin landespolitischen Überlegungen nur eine vergleichsweise geringe Rolle spielen. Ganz im Gegenteil erweisen sich die Bewertungen von Landesparteien und -kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten stets als wichtige Erklärungsfaktoren des Wählerverhaltens; bei den Landtagswahlen 2000 und 2005 waren die landespolitischen Erwägungen den bundespolitischen sogar deutlich an Erklärungskraft überlegen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 541 ff.]

Steinbrecher, Markus und Eva Wenzel: Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 1990 bis 2002: der besondere Einfluss gleichzeitig stattfindender Bundestagswahlen.
Bundespolitik hat die Wahlentscheidung auf Landesebene in Mecklenburg-Vorpommern stark beeinflusst, wenn die Landtagswahl am Tag der Bundestagswahl stattfand wie in den Jahren 1994, 1998 und 2002. In diesen drei Wahlen bewerteten die Wähler die Parteien und Kandidaten der Bundes- und Landesebene jeweils ähnlich. Bundespolitische Themen dominierten auch die Wahlkämpfe. Für Wähler der CDU und der SPD spielte die Bundespolitik eine größere Rolle für ihre Wahlentscheidung als die Landespolitik. PDS-Wähler wurden eher von landespolitischen Faktoren beeinflusst. Im Jahr 2006, als die Landtagswahl ein Jahr später als die Bundestagswahl stattfand, ließ die Bedeutung der Bundespolitik nach. Das unterstreicht noch einmal den großen bundespolitischen Einfluss in den drei vorangegangen Wahlen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 549 ff.]

Rudi, Tatjana: Landtagswahlen in Hessen 1991 bis 2003: bundespolitische Einflüsse vor allem bei unabhängigen Wählern.
Gängiger Auffassung zufolge scheint hessisches Landtagswahlverhalten maßgeblich von bundespolitischen Faktoren beeinflusst zu sein. Ausgehend vom sozialpsychologischen Ansatz werden zwei bundespolitische Einflussfaktoren, nämlich die Zufriedenheit mit der Bundesregierung und die Einstellungen zu Bundespolitikern, von landespolitischen Faktoren und der ebenenunspezifischen Parteiidentifikation unterschieden. Die Landtagswahlentscheidungen hessischer Bürger wurden zwischen 1991 bis 2003 zwar von bundespolitischen Variablen beeinflusst; diese sind gegenüber der Parteiidentifikation und den landespolitischen Faktoren aber eher von untergeordneter Bedeutung. Bundespolitische Effekte auf die Wahlentscheidung treten vor allem in der Gruppe der unabhängigen Wähler auf. Vor dem Hintergrund allgemeiner Dealignmentprozesse dürfte daher mit einem Bedeutungsgewinn der Bundespolitik zu rechnen sein. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 559 ff.]

Mays, Anja: Landtagswahlen in Sachsen 1994 bis 2004: stärkere Landes- als Bundeseinflüsse.
Für die drei sächsischen Landtagswahlen 1994, 1999 und 2004 liegen eigenständige, aber insgesamt nur schwache Bundeseinflüsse vor. Die stärksten bundespolitischen Motive fanden sich für die Wähler der Sozialdemokraten, gefolgt von den Wählern der Union. Die PDS-Wähler sind den Daten zufolge in ihrer Landtagswahlentscheidung am wenigsten bundespolitisch motiviert gewesen. Wähler der PDS – wie auch der Union – treffen ihre Entscheidung stärker aus landespolitischen als aus bundespolitischen Gründen. Verglichen mit den Bundes- und Landeseffekten erwies sich jedoch die langfristige Parteibindung für die Wähler aller untersuchten Parteien als einflussreicher. Besonders ausgeprägt ist die Wirkung der Parteibindung bei den PDS-Wählern, was mit der starken ‚Milieuverhaftung’ dieser Partei erklärt werden kann. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 567 ff.]

Strohmeier, Gerd: Ein Plädoyer für die „gemäßigte Mehrheitswahl“: optimale Lösung für Deutschland, gutes Vorbild für Österreich und andere Demokratien.
Der Beitrag plädiert für die (Einführung der) Mehrheitswahl mit proportionaler Zusatzliste – und damit zugleich gegen die Verhältniswahl. Die Verhältniswahl führt entweder zur Unregierbarkeit beziehungsweise zu einer „Große Koalition ohne Ende“ oder zu einer „Kleinen Koalition“ und dabei zu einem „Gerechtigkeitskonzept ohne Konsequenz“. Eine optimale Lösung für Deutschland und ein gutes Vorbild für andere Demokratien, wie zum Beispiel Österreich, besteht in der „gemäßigten Mehrheitswahl“, eine Mehrheitswahl mit proportionaler Zusatzliste. Diese hätte den Vorteil, dass Einparteiregierungen entstehen können beziehungsweise Koalitionsregierungen nicht gebildet werden müssen und kleine Parteien (dennoch) im Parlament vertreten sein könnten. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 578 ff.]

Franke, Heiko und Andreas Grimmel: Wahlen mit System? Reformüberlegungen zur personalisierten Verhältniswahl.
Das derzeit geltende personalisierte Verhältniswahlsystem in Deutschland beeinträchtigt vor allem die Kandidatenauswahl und die Nutzung von Expertise. Ausgehend von dieser Annahme werden Änderungen in verschiedenen Bereichen des Wahlprozesses empfohlen – unter Beibehaltung bewährter Teile des Systems. Im Rahmen des bestehenden Verfassungsrechts wird ein neues, flexibleres Wahlsystem konstruiert. Es werden verschiedene Anregungen aus der laufenden Diskussion zusammengeführt wie die Forderungen nach einer flexibleren Parteimitgliedschaft, größerem Einfluss der Kandidatenauswahl und einem leichteren Zugang zu politischen Positionen. Das vorgeschlagene Personen-Verhältnis-Wahlsystem beinhaltet unter anderem je drei Stimmen für Kandidaten und Parteien sowie Kumulieren und Panaschieren. Es würde zu einer effizienteren Nutzung vorhandener personeller und sachlicher Potentiale führen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 591 ff.]

Sitsen, Michael: Anreiz für Bürger, Entlastung für Politiker? Zur Bündelung von Wahlterminen.
Immer wieder wird diskutiert, ob Bundes- und Landtagswahlen einen gemeinsamen Wahltermin bekommen sollten. Aufgrund aktueller Tendenzen in den Ländern, die Wahlperioden auf fünf Jahre anzugleichen, und ähnlicher Überlegungen zur Verlängerung der vierjährigen Bundestagswahlperiode scheint diese Idee nun realisierbar. Verfassungsrechtlich spricht nichts dagegen. Die Funktionsfähigkeit der Parlamente könnte verbessert und die Wahlbeteiligung erhöht werden. Derartige Bündelungseffekte sind statistisch nachweisbar. Eine praktische Umsetzung steht insbesondere vor der Schwierigkeit, mit der Auflösung eines einzelnen Parlaments umgehen zu müssen. Das ist aber kein unlösbares Problem. Die Wiedereingliederung des betroffenen Landes in den Wahlturnus kann im Wege einer langsamen Resynchronisierung erreicht werden, um zu kurze Zwischenperioden zu vermeiden und einen Wiedereinstieg zum übernächsten Termin zu ermöglichen. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 602 ff.]

Gieseler, Julia: Gewichtetes Wahlrecht: Hilfsmittel für Neugliederungen und angemessene Repräsentation im Bundesstaat?
Der Grundsatz gleicher Wahl ist neben dem allgemeinen, direkten und geheimen Wahlrecht nicht nur wesentliches Element politischer Partizipation, sondern hat auch größte Bedeutung für die Ausgestaltung von Wahlsystemen. Vor allem die Wahlkreisgröße und -einteilung sind für das gleiche Wahlrecht wichtig. In einigen europäischen Staaten wird durch eine spezifische Wahlkreiseinteilung in dünn besiedelten Gebieten der Grundsatz gleichen Wahlrechts aus politischen Gründen oder zur Garantie politischer Repräsentation bewusst verletzt, damit die dort lebenden Bevölkerungsteile größeres Stimmgewicht erhalten. In Deutschland sind solche Verletzungen der Wahlrechtsgleichheit rechtlich nicht möglich. Allerdings wäre eine Wahlkreiseinteilung, die den dünn besiedelten Gebieten eine bessere Repräsentation ermöglicht, durchaus sinnvoll in Bundesländern, in denen Landesentwicklung und Bevölkerung nicht gleichmäßig verteilt sind. Am Beispiel der 1996 gescheiterten Länderfusion von Berlin und Brandenburg zeigt sich, dass die Bürger ein Gespür für solche Unterschiede haben. Die Aussicht auf eine stärkere Repräsentation der dünn besiedelten Flächen hätte die Zustimmung der Bevölkerung zu der Fusion erhöhen können. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 617 ff.]

Feldkamp, Michael F.: Die parlamentarische „Sommerpause“ im Reichstag und im Deutschen Bundestag.
Die „parlamentarische Sommerpause“ ist seit langem Bestandteil der Parlamentskultur in Deutschland. Der Reichstag der Kaiserzeit wurde mangels Beratungsgegenständen vor Sommerbeginn auf kaiserliche Verordnung hin vertagt. Die Schaffung der parlamentarischen Sommerpause blieb der Weimarer Verfassunggebenden Versammlung und schließlich dem Deutschen Reichstag der Weimarer Republik vorbehalten, die beide über ein Selbstbestimmungsrecht verfügten und erstmals die Erholungsbedürftigkeit der Parlamentarier als Begründung nannten. Der Deutsche Bundestag kennt die „Sommerpause“ ebenfalls. Unter besonderen Umständen sind Unterbrechungen dieser Pause durch die Einberufung von so genannten Sondersitzungen möglich. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 630 ff.]

Schäfer, Armin: Die Reform des Sozialstaats und das deutsche Parteiensystem: Abschied von den Volksparteien?
Die deutschen Volksparteien befinden sich in einer Krise. Während dies mit Blick auf die SPD offensichtlich erscheint, trifft die Feststellung auch auf die CDU zu. Für beide Parteien erweist sich die Reform des Sozialstaats als politisch riskantes Unterfangen, da die Bevölkerung den Erhalt des Sozialstaats unterstützt. Die Ablehnung radikaler Einschnitte ins soziale Netz schlägt sich in den Wahlergebnissen nieder: Während die beiden klassischen Sozialstaatsparteien an Zustimmung verlieren, erzielen die kleinen Parteien Erfolge. Auf Grundlage aller Landtags- und Bundestagswahlen seit 1990 wird die Entwicklung des deutschen Parteiensystems und die Koalitionsbildung in Bund und Ländern untersucht. Dabei zeigt sich, dass die SPD trotz schwacher Umfragewerte gegenwärtig den zentralen Platz im deutschen Parteiensystem einnimmt. In einem nach links ausdifferenzierten Fünfparteiensystem befindet sich die SPD in einer strategisch günstigeren Position als die Union, weil sie eine größere Koalitionsfähigkeit besitzt. Umfragen legen zudem nahe, dass eine Mehrheit der Bevölkerung eine Weiterentwicklung des Sozialstaats nach skandinavischem Vorbild befürwortet, weitere Kürzungen hingegen skeptisch sieht. [ZParl, 38. Jg., H. 3, S. 648 ff.]

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