Abstracts 4/2005 deutsch

Schmidt-Jortzig, Edzard: Verfahrensfragen der Föderalismusreform. Lehren aus dem vorläufigen Scheitern.
Nach dem Misserfolg der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung müssen für den notwendigen Neuanfang die gewonnenen Erfahrungen genutzt werden. Besondere Beachtung verdienen dabei Fragen der Organisation und der Verfahren. Da die Kommissionsform, die 2003 und 2004 erprobt wurde, nicht zum Erfolg geführt hat, sollte beim nächsten Versuch ein Konvent einberufen und nicht wieder im „Vorsitzendenverfahren“ operiert werden. Auch empfiehlt es sich offenkundig nicht, einen umfassenden, großen Wurf anzuzielen; mehrere Teilschritte erscheinen realistischer. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 731 – 740]


Benz, Stefan: Rege Beteiligung, konfligierende Interessen. Eine Analyse der Zuschriften an die Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung.

Die Bundesstaatskommission erhielt Zuschriften von Verbänden und Privaten. Diese befassten sich mit dem Föderalismusprinzip im Allgemeinen und mit spezifischen Themen der Reformagenda, insbesondere mit den Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern. Es ist bemerkenswert, wie konfligierend diese Forderungen waren: Einige Zuschriften plädierten für eine grundsätzliche Stärkung der Länder und Kommunen, während andere eine Zentralisierung konkreter Gesetzgebungskompetenzen bevorzugten. Generell tendierten die Zuschriften der Verbände dazu, den Status quo zu präferieren, weitgreifende Reformvorschläge wurden hingegen eher kritisch beurteilt. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 741 – 747]


Ernst, Christian
und Lars Johnsen: Spiegelbildlichkeit oder Mehrheitsprinzip? Die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss aus rechts- und politikwissenschaftlicher Sicht.

Das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem Urteil vom 8. Dezember 2004, dass der Beschluss des Bundestags vom 30. Oktober 2002 verfassungswidrig ist. Dieser Beschluss hatte für die Besetzung der Bundestagsbank im Vermittlungsausschuss für den Fall, dass die üblichen Verteilungsverfahren zu einem Patt zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen führen sollten, die Einführung eines Korrekturfaktors zu Gunsten der stärksten Fraktion vorgesehen. Um eine adäquate Lösung für solch ein Verfassungsproblem zu finden, sollten Ansätze der Rechts- und Politikwissenschaft – die gerade im Bereich des Parlamentsrechts und parlamentarischer Entscheidungsprozesse ohnehin in thematischer Abhängigkeit zueinander stehen – miteinander verbunden und angewendet werden. Aus dieser interdisziplinären Sichtweise ergibt sich, dass die Abbildung der parlamentarischen Mehrheit auf der Bundestagsbank des Vermittlungsausschusses ein legitimes Ziel ist und die darauf gerichtete Einführung eines Korrekturfaktors mit bestehenden Verfassungsgrundsätzen zu vereinbaren ist. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 748 – 763]


Pukelsheim, Friedrich
und Sebastian Maier: Eine schonende Mehrheitsklausel für die Zuteilung von Ausschusssitzen.

Um eine Regierungsmehrheit des Bundestags generell auf eine Sitzmehrheit in Ausschüssen abzubilden, wird die Divisormethode mit Standardrundung (Sainte-Laguë/Schepers) mit einer schonenden Mehrheitsklausel ergänzt. Diese – nur bei einem sonst eintretenden Gleichstand eingesetzt – wahrt die Verhältnismäßigkeit einerseits innerhalb der Regierungsmehrheit und andererseits innerhalb der Oppositionsminderheit. Bei wachsender Ausschussgröße erweisen sich die resultierenden Sitzzuteilungen für alle Beteiligten als rücksprungfrei. Die schonende Mehrheitsklausel wird gegen andere Regelungsmöglichkeiten abgegrenzt. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 763 – 772]

Seils, Eric: Haushaltspolitik: Akteure und Institutionen des parlamentarischen Systems der Bundesrepublik im internationalen Vergleich.
In der neueren Literatur zur Haushaltspolitik wird dem Allmendeproblem des öffentlichen Haushaltes zunehmende Beachtung geschenkt. Dahinter steht die einfache Idee, dass der Nutzen aus öffentlichen Leistungen konzentriert bei einer Klientel anfällt, während die Kosten auf die Gesamtheit der Steuerzahler verteilt werden. Minister und Parteien werden daher stets höhere Forderungen an das Budget stellen, als mit dem Gemeinwohl vereinbar ist. Unerwünschte Ausgabensteigerungen lassen sich nur durch Institutionen vermeiden, die den Zugriff auf das Budget beschränken. Um das Ausmaß des Allmendeproblems und die institutionellen Arrangements in der Bundesrepublik bewerten zu können, werden die Zahl der Minister im Kabinett, der Parteien im Parlament und die institutionelle Ausgestaltung des Haushaltsprozesses mit 13 anderen parlamentarischen Demokratien verglichen. Da Deutschland ein durchschnittlich ausgeprägtes Allmendeproblem mit eher starken institutionellen Vorkehrungen verbindet, gibt es in dieser Hinsicht keinen akuten Reformbedarf. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 773 – 790]

Schöne, Helmar: Fraktionsmitarbeiter: Tätigkeitsprofil, Karrierewege und Rollenverständnis.
Mitarbeiter von Parlamentsfraktionen nehmen bestimmte Rollen im Willensbildungsprozess deutscher Parlamente ein. Die Leiter der Fraktionsverwaltungen sind enge Berater des Fraktionsvorstandes und wichtige Manager der fraktionsinternen Willensbildung. Im Hintergrund koordinieren sie sowohl die Arbeit in den als auch zwischen den Fraktionen. Die Arbeitskreisreferenten dagegen sind Spezialisten ihrer Politikfelder. Sie unterstützen die Fraktionsarbeitskreise und vor allem deren Vorsitzende bei der fachlichen Arbeit. Als Experten können sie dabei auf die Entstehung der sachpolitischen Positionen ihrer Fraktionen Einfluss nehmen. Beide, die Leiter der Fraktionsverwaltungen und die Arbeitskreisreferenten, tragen so zur Stärkung der Fraktionsführung gegenüber den einfachen Abgeordneten bei. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 791 – 808]


Lee, Eun-Jeung:
Das Internet und die Entstehung einer Gegenöffentlichkeit: Politische Mobilisierung in Korea zwischen 2000 und 2004.
Das Internet ist in Südkorea zur „fünften Gewalt“ geworden. Es konkurriert erfolgreich gegen die Printmedien, die traditionellen Gatekeeper. Eine alternative Öffentlichkeit ist entstanden, und die koreanische Demokratie selbst hat sich mit der Ausbreitung der Internetforen verändert. Ein Großteil der politischen Debatten findet online statt, doch haben diese Debatten auch offline beträchtliche Wirkungen entfaltet, etwa nach der Amtsenthebung von Präsident Roh Moo Hyun im März 2004, als über das Internet eine breite Protestbewegung in Gang gesetzt wurde. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich die Bedeutung der drei großen konservativen Zeitungen, der Berufsjournalisten und der politischen Eliten erheblich verringert. Die öffentliche Meinungsbildung erfolgt nun über Millionen von aktiven Netizens. Die häufig als delegativ kritisierte koreanische Demokratie wird auf diese Weise zur deliberativen Demokratie. Die Erfahrungen der letzten Jahre wecken die Hoffnung, dass das Internet auch in Zukunft positive Wirkungen auf die demokratischen Transformationsprozesse des Landes entfalten wird und dürften daher auch für andere Länder innerhalb und außerhalb der Region von Interesse sein. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 808 – 823]

Lindner, Ralf: Internetkommunikation zum Abbau von Demokratie- und Legitimitätsdefiziten? Das Beispiel von Parteien und Interessengruppen in Kanada.
Kommunikationsaktivitäten von intermediären Organisationen lassen sich in drei unabhängige Bereiche gliedern: Organisation, Interessenvermittlung und Integration. Das Beispiel acht kanadischer Parteien und Verbände zeigt das Transformationspotential, das aus der vermehrten Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien in der politischen Kommunikation erwächst. Kostenreduzierung und Effizienz waren bei ihnen die Hauptmotivationen, Informations- und Kommunikationstechnologien einzuführen und anzuwenden. Unterschiede lassen sich bezüglich der Versuche feststellen, Politikinformation, Kommunikation und Partizipation zu ermöglichen. Diese korrelierten deutlich mit den jeweiligen politisch-ideologischen Lagern. Es kommt in erheblichem Maße auf normative Leitbilder und kognitive Faktoren an, wie die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 823 – 838]


Schmitt-Beck, Rüdiger
Frank SchwarzCyrus Abbaszadehund Stephan Winter:Wahlkommunikation im Internet. Eine Exploration zur Nutzung von „Informationslotsen“ am Beispiel des „WählerInformationsSystems“ zur Europawahl 2004.
Obwohl sich die Zahl der Bürger mit Internetzugang in den letzten Jahren rasant vergrößert hat, ist die Nutzung politischer Angebote im Internet nach wie vor ein ausgeprägtes Minderheitenphänomen. Umfragedaten und Nutzungsprotokolle des Online-„WählerInformationsSystems“ zur Wahl des Europäischen Parlaments 2004 zeigen, wie deutsche Wähler mit unabhängigen wahlpolitischen Informationsinfrastrukturen im Internet (so genannten Informationslotsen) umgehen. Lediglich eine kleine „elektronische Informationselite“ nimmt die durch solche Angebote eröffnete Chance wahr, umfassend informierte Wahlentscheidungen zu treffen. Diese „Informationselite“ ist hoch gebildet und relativ jung, aber auch stark politisiert und parteipolitisch gebunden. Die Nachfragesteuerung der Informationsgewinnung im Internet verursacht erhebliche „Informationskosten“, welche die meisten Wähler nicht tragen wollen oder können; sie verlassen sich lieber auf die vorstrukturierten Informationsangebote der Medien und der Parteien. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 839 – 853]


Gärditz, Klaus Ferdinand:
Das Rechtsschutzsystem des Untersuchungsausschussgesetzes des Bundes.

Vor dem Inkrafttreten des Untersuchungsausschussgesetzes des Bundes (PUAG) 2001 fehlte es im Zusammenhang mit den häufig konfliktträchtigen Ermittlungen an einem kohärenten Rechtsschutzsystem. Das PUAG hat dem weitgehend abgeholfen, die statthaften Rechtsbehelfe systematisiert und teils neu geregelt. Das Bundesverfassungsgericht bleibt schon nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zuständig für Organstreitverfahren insbesondere zwischen dem Ausschuss und anderen Verfassungsorganen beziehungsweise Organteilen. Über die bisherige Rechtslage hinausgreifende Regelungen enthalten § 18 Abs. 3 PUAG betreffend die verfassungsprozessuale Eigenständigkeit einer Ausschussminderheit im Beweismittelrecht und § 36 Abs. 2 PUAG, der in Annäherung an Art. 100 Abs. 1 GG eine Vorlagepflicht an das Bundesverfassungsgericht statuiert, wenn der Bundesgerichtshof die Enqueteeinsetzung für verfassungswidrig hält. Entscheidungen über Rechtmäßigkeit einzelner Ermittlungsmaßnahmen trifft nach § 36 Abs. 1 PUAG im Sinne sachgerechter Zuständigkeitsverteilung nunmehr allein der Bundesgerichtshof beziehungsweise dessen Ermittlungsrichter. Das Prozessrecht blieb demgegenüber ungeregelt und bedarf der entsprechenden Heranziehung einschlägigen Verfahrensrechts. Darüber hinaus verbleiben aber auch weiterhin Streitigkeiten im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen, die den Verwaltungsgerichten zugewiesen sind. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 854 – 875]


Wolf, George Alexander:
Die Optimierung von Auskunftspflichten im parlamentarischen Untersuchungsverfahren.

In der Beweiserhebung des Parteispendenausschusses des 14. Bundestages hat nahezu jeder fünfte Auskunftspflichtige seine Aussage unter Berufung auf die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit aufgrund paralleler Untersuchungen der Strafjustiz verweigert. Die Effektivität der Untersuchungsausschüsse hat hierdurch starken Schaden genommen. In den Beratungen zum Erlass des seit Jahrzehnten allseits geforderten und erst am 6. April 2001 beschlossenen „Gesetzes zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages“ (PUAG) wurden verschiedene Ansätze diskutiert, die Auskunftsverweigerungsrechte der Zeugen alternativ zur bisherigen Rechtslage auszugestalten, um zu gewährleisten, dass die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag nach Art. 44 Abs. 1 GG besser nachkommen können. Der Erlass des PUAG ist ein beachtlicher Erfolg und ein Ausdruck der sachorientierten Kompromissfähigkeit der beteiligten Parteien. Gleichwohl bleibt die Frage zu klären, ob unter Beachtung von bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben und Erfahrungen mit dem Untersuchungsausschussrecht der Vereinigten Staaten keine Ausgestaltung der Auskunftspflicht gefunden werden kann, die sowohl den Rechten des Auskunftspflichtigen als auch des Untersuchungsausschusses besser gerecht wird, als dies de lege lata der Fall ist. [ZParl, 36. Jg., H. 4, S. 876 – 887]

Kommentare sind geschlossen.