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19. Nov 2024

Epistemologien des Labors (2)

Verfasst von

Protokoll: Louise Günther

Der heutige Gegenstand des Seminars ist der Text „Experiment und Präzision“ des Wissenschaftshistorikers Hans-Jörg Rheinberger. Sein Text behandelt das Zusammenspiel von Experiment und Instrument in der Wissenschaft und ist besonders auf die molekularbiologische Forschung fokussiert. Im Kern geht es um die Spannung zwischen Präzision und Improvisation („Bastelei”) in wissenschaftlichen Prozessen. Der Autor argumentiert, dass wissenschaftlicher Fortschritt nicht nur durch präzise, standardisierte Messinstrumente vorangetrieben wird, sondern auch durch flexible, improvisierte Methoden.

Nach einer kurzen Wiederholung der vergangenen Seminarstunde und einer Einführung in die Erkenntnistheorie nach Michel Foucault musste sich die Seminargruppe zunächst an die wichtigsten Begrifflichkeiten und ihre Definitionen nach Rheinberger heranwagen. Rheinberger knüpft mit seinem Text an Foucault an und beschreibt, dass Experimentalsysteme aus zwei eng verbundenen Komponenten bestehen:

  1. „Forschungsgegenstand, Wissenschaftsobjekt oder auch epistemisches Ding – epistemische Dinge verkörpern, paradox gesagt, gerade das, was man noch nicht weiß“ (S.53)
  2. Die technischen Gegebenheiten des Experiments.

Durch die von Rheinberger beschriebene Wechselwirkung dieser beiden Komponenten diskutierte die Seminargruppe daraufhin über den „dual use“ und ob bei Experimenten auch moralische Dilemmata entstehen könnten. Beispielhaft wird zu diesem Punkt über Atomwaffen gesprochen – das Erkenntnisinteresse dieser Waffen ist recht hoch und interessant, ihre Nutzung jedoch verwerflich.

Laut Rheinbergers Hauptargument, sei die Wechselwirkung nicht apodiktisch (S. 54). „Die technischen Bedingungen bestimmen Raum und Reichweite möglicher Repräsentationen eines epistemischen Dings; ausreichend stabilisierte Wissenschaftsobjekte wiederum können als technische Bausteine in die Experimentalanordnung eingefügt werden, die selbst dadurch wieder zu neuen epistemischen Konstellationen führt“ (S. 54).

Wie technische Dinge auch zu neuen epistemischen Dingen werden können, zeigt die Erfindung des Fernsehers. Obwohl das Gerät im 19. Jahrhundert bereits entwickelt wurde, konnte erst in den 1930er Jahren durch die Quantentheorie herausgefunden werden, wieso und wie die Braun’sche Röhre funktioniert.

Der zweite zentrale Begriff, der anhand des Textes während des Seminars diskutiert wurde, ist der des Bastelns. Ein Forschender wird hier eher als „Bastler“ , weniger als Ingenieur beschrieben, der Werkzeuge und Techniken je nach den Anforderungen seiner Forschung improvisiert und modifiziert. Rheinberger hebt auch hervor, dass wissenschaftliche Instrumente, obwohl sie oft präzise und technisch aufwendig sind, im Forschungsprozess häufig auf ihre Grenzen stoßen. Somit war sich die Seminargruppe im Diskurs darüber einig, dass diese „Bastelei“ notwendig ist, um neue Entdeckungen zu ermöglichen und nicht in starrer Standardisierung zu verharren.

Zusammenfassend kommt die Seminargruppe mit der Meinung Rheinbergers überein, dass sowohl technische Präzision als auch flexible, kreative Ansätze wesentliche Bestandteile des wissenschaftlichen Fortschritts sind.

Literatur; Rheinberger, Hans-Jörg (2000). Experiment: Präzision und Bastelei. In: Christoph Meinel (Hrsg.). Instrument – Experiment: Historische Studien. S. 52-59.

Über Stefan Höltgen

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