5. Dez 2024
Alien Phenomenology
Protokoll von Josephine Ruhland
Die Basis des Seminars war ein Auszug aus Ian Bogost „Alien Phenomenology. Or What’s Like To Be A Thing“. Das Seminar begann mit einer Einführung in die Plattform-Studies, einem Ansatz, der technische und kulturelle Prozesse zusammenführt, um die Entstehung und Nutzung von Technologien in ihrem historischen Kontext zu analysieren. Ein zentrales Beispiel war die Nintendo Wii, die nicht nur neue Käufer- und Spielergruppen erschloss, sondern auch die Gaming-Kultur nachhaltig veränderte. Ergänzend wurden sogenannte Außenseiter-Technologien vorgestellt, darunter Plattformen wie „Twine“ zur Erstellung von Text- Adventures. Solche Plattformen werden unter anderen von queeren Communities genutzt, um alternative Realitäten zu schaffen, die gesellschaftliche Normen hinterfragen, wie beispielsweise eine Welt ohne Homophobie.
Im weiteren Verlauf des Seminars wurde der Zusammenhang zwischen technologischem Design und Anthropologie beleuchtet. Dabei stand die ergonomische Gestaltung von Controllern im Mittelpunkt. Es wurde erörtert, wie technische Geräte an die menschliche Anatomie angepasst werden müssen, um ihre optimale Bedienung zu gewährleisten, und wie die regelmäßige Nutzung solcher Geräte das menschliche Verhalten und die Wahrnehmung der eigenen Hände prägt.
Ein zentraler Diskussionspunkt war das Konzept der „Carpentry“, das als Methode vorgestellt wurde, um Philosophie jenseits von Sprache und Texten zu denken. Ziel war es, die traditionellen Grenzen der Philosophie zu überwinden und sie durch praktische und interaktive Ansätze zu bereichern. Beispiele dafür waren die Anwendung philosophischer Ideen in der Gestaltung von Gesellschaften oder die Umsetzung solcher Konzepte in interaktiven Plattformen und Experimenten. Als Beispiel wurde „Kant für die Hand“ von Hanno Depner angeführt. „Kant für die Hand“ ist ein interaktives Konzept von Hanno Depner, das sich mit Immanuel Kants Werk „Kritik der reinen Vernunft“ auf eine spielerische und greifbare Weise auseinandersetzt. Statt Kants philosophische Ideen nur in Textform zu vermitteln, wird das Werk in einen Bastelbogen verwandelt, der es ermöglicht, zentrale Begriffe und Konzepte haptisch und visuell zu erleben.
Ein weiteres Thema war der Linguistic Turn, der die Konstruktion von Realität durch Sprache in den Fokus rückt. Die Theorien von Ferdinand de Saussure und Jacques Derrida wurden herangezogen, um zu zeigen, wie Sprache nicht nur Realität beschreibt, sondern auch schafft. Jean Baudrillards Konzept der Hyperrealität verdeutlichte, wie Medien Zeichen erzeugen, die zunehmend auf sich selbst verweisen und die Unterscheidung zwischen Realität und Darstellung erschweren. Diese theoretischen Überlegungen wurden durch literarische Referenzen ergänzt, etwa Bertrand Russells Buch „ABC der Relativität“, das die komplexe wissenschaftliche Theorie erstmals für eine breite Öffentlichkeit zugänglich machte.
In einem weiteren Abschnitt des Seminars wurde Bruno Latours Actor-Network-Theory eingeführt, die die Verflechtungen von Akteuren wie Menschen, Dingen und Technologien thematisiert. Ergänzt wurde dies durch die objektorientierte Ontologie, die die Perspektive von Objekten in den Mittelpunkt stellt. Hier wurde diskutiert, wie Objekte ihre eigene „Sicht“ auf die Welt haben könnten und welche Verantwortung Menschen gegenüber Dingen tragen, beispielsweise in Bezug auf Nachhaltigkeit oder den Umgang mit künstlicher Intelligenz.
Abschließend wurde anhand der Atari VCS-Konsole die Bedeutung technischer Entwicklungen für die Mediengeschichte analysiert. Ein besonderer Fokus lag auf TIA („Television Interface Adaptor“), einem zentralen Baustein der Atari-Technologie. Dieses ermöglichte es, Bilder direkt während des Betriebs in Echtzeit zu generieren, ohne dass sie vorher vollständig im Speicher abgelegt wurden. Diese Technik, die auf dem Prinzip des Rasterstrahls basierte, zeichnete Bilder Zeile für Zeile und verlieh der Atari VCS ihre typische visuelle Ästhetik. Es wurde erläutert, wie diese Prozesse nicht nur die Wahrnehmung der Spieler beeinflussten, sondern auch ein grundlegendes Verständnis für die Darstellung von Bewegung und Bildern in frühen Computerspielen schufen.