Halle war ein wichtiges Zentrum der europäischen Aufklärung. Hier wurde die Autorin Johanna Charlotte Unzer 1725 geboren. Als Dichterin und Philosophin schrieb sie vor allem für andere Frauen. Ihr Buch Grundriß einer Weltweisheit für das Frauenzimmer erschien 1751 und richtete sich an philosophisch interessierte Frauen. Außerdem schrieb sie Gedichte über Natur, Gott, Ruhe, und Tugend. Ein Gedicht für eine literarische Ruhepause finden Sie hier.
Ruf der Natur (1751)
Freund! nimm den Blumenkranz
Und komm zu unserm Tanz.
Komm, schmücke unsre Reihn,
Wir wollen fröhlich seyn.
Es fliehe der Verdruß
Mit jedem frohen Kuß;
Es sey der Fröhlichkeit
Dieß holde Fest gweiht.
Sieh, wie des Frühlings Pracht
Die Fluren schöner macht.
Was nur empfinden kann,
Nimmt neues Leben an:
Drum eile doch herbey,
Und lieb und küsse frey,
Eh die Vergänglichkeit
Dir Scherz und Lust verbeut.
Ist fühlt noch deine Brust
Die jugendliche Luft,
Die dein Herz froh bewegt,
Daß es gedoppelt schlägt.
Auf! eil, und säume nicht,
Erfülle deine Pflicht.
Es fliehet Luft und Scherz
Im Alter unser Herz.
Wem ekelt die Natur?
Wem trauret diese Flur?
Der komm und seh dieß Thal
Und dieß Revier einmal,
Wo jede Blume lacht,
Wo, in der schönen Nacht,,
So mancher Vogel girrt,
Manch Weibchen zärtlich wird.
Hier wirft des Vollmonds Schein
Verliebte Phantaseyn;
Hier schwatzt ein klarer Bach
Den Nachtigallen nach;
Hier hauchet die Natur
Entzückung in die Flur;
Der Himmel lächelt Ruh;
Wir spielen: Du siehst zu?
Dir fehlt, zur Fröhlichkeit,
Muth und Zufriedenheit?
Sieh! dieser Wein verleiht
Muth und Zufriedenheit!
Sieh! dieser süße Wein
Ertränkt die Phantaseyn,
Und in der frohen Brust
Erzeugt er Kraft zur Luft.