„Der nahe Giebichenstein mit seiner Burgruine, an die sich die Sage von Ludwig dem Springer knüpft, war damals noch nicht modern englisiert und eingehegt wie jetzt und bot in seiner verwilderten Einsamkeit eine ganz artige Werkstatt für ein junges Dichterherz. Wer als Jüngling von dieser Höhe hinabgeblickt und sie im Alter nach vielen Jahren wiedersieht, dem wird vielleicht dabei ungefähr zumute sein wie dem Autor nachstehenden Liedchens…“
– Joseph Freiherr von Eichendorff, Halle und Heidelberg (1857)
Sind Sie von der Station „Reichardts Garten“ ausreichend erholt, bietet sich als Kraftanstrengung der Aufstieg auf die Klausberge an, wo neben einer großartigen Aussicht auch die Eichendorffbank zu finden ist. Genau wie Achim von Arnim war Joseph Freiherr von Eichendorff ebenso Student der Stadt Halle, hat hier gelebt und praktiziert, und wurde von der Stadt auch zum Dichten inspiriert, wobei die ersten Strophen des bekannten Gedichts „Bei Halle“ auf der Bank selbst verewigt wurden. Der Rest des Gedichts und zwei weitere lassen sich hier finden:
„Bei Halle“ von Joseph von Eichendorff
Da steht eine Burg überm Tale
Und schaut in den Strom hinein,
Das ist die fröhliche Saale,
Das ist der Giebichenstein.
Da hab ich so oft gestanden,
Es blühten Täler und Höhn,
Und seitdem in allen Landen
Sah ich nimmer die Welt so schön!
Durchs Grün da Gesänge schallten,
Von Rossen, zu Lust und Streit,
Schauten viel schlanke Gestalten
Gleichwie in der Ritterzeit.
Wir waren die fahrenden Ritter,
Eine Burg war noch jedes Haus,
Es schaute durchs Blumengitter
‚Mansch schönes Fräulein heraus.
Das Fräulein ist alt geworden,
Und unter Philistern umher
Zerstreut ist der Ritterorden,
Kennt keiner den andern mehr.
Auf dem verfallenen Schlosse,
Wie der Burggeist, halb im Traum,
Steh ich jetzt ohne Genossen
Und kenne die Gegend kaum.
Und Lieder und Lust und Schmerzen,
Wie liegen sie nun so weit –
O Jugend, wie tut im Herzen
Mir deine Schönheit so leid.
„Zwielicht“ von Joseph von Eichendorff (1815)
Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Wolken ziehn wie schwere Träume –
Was will dieses Graun bedeuten?
Hast ein Reh du lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger ziehn im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.
Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug und Munde,
Sinnt er Krieg im tückschen Frieden.
Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches bleibt in Nacht verloren –
Hüte dich, bleib wach und munter!
„Die Heimat“ von Joseph von Eichendorff (1819)
Denkst du des Schlosses noch auf stiller Höh?
Das Horn lockt nächtlich dort, als obs dich riefe,
Am Abgrund grast das Reh,
Es rauscht der Wald verwirrend aus der Tiefe –
O stille, wecke nicht, es war als schliefe
Da drunten ein unnennbar Weh.
Kennst du den Garten? – Wenn sich Lenz erneut,
Geht dort ein Mädchen auf den kühlen Gängen
Still durch die Einsamkeit,
Und weckt den leisen Strom von Zauberklängen,
Als ob die Blumen und die Bäume sängen
Rings von der alten schönen Zeit.
Ihr Wipfel und ihr Bronnen rauscht nur zu!
Wohin du auch in wilder Lust magst dringen,
Du findest nirgends Ruh,
Erreichen wird dich das geheime Singen, –
Ach, dieses Bannes zauberischen Ringen
Entfliehn wir nimmer, ich und du!
▽ Eichendorff in Halle
Das „Schloss auf stiller Höh“ des Heimatsgedichts – wer sich auf der Eichendorffbank ausruht und die Sicht auf die Burg Giebichenstein genießt, kann sich vorstellen, dass dieser Text auch auf Halle gemünzt sein könnte. Genau wie Von Arnim und Goethe war auch Eichendorff vom Anblick dieser Burg – und dem für ihn „völlig mystische“ erscheinende „Reichardts Garten“ – betört.
Obwohl er nur zwischen 1805 und 1806 in Halle lebte, zeigen insbesondere das Essay „Halle und Heidelberg“, wie ihn die Stadt berührte, und in dem er beschreibt, wie hier – wie auch in anderen Städten – der Kampf der „jungen Romantik“, dessen Vertreter er selbst war, „wie ein unsichtbarer Frühlingssturm“ gegen die alte Prosa wütete und ein neues literarisches Zeitalter einläutete. Wie ganz Deutschland war Halle zu der Zeit in einem starken Wandel – kein Wunder also, dass der Dichter sich in „Bei Halle“ beklagt, dass er „die Gegend kaum noch kannte“.
▽ Literaturtipps
Schultz, Hartwig: Joseph von Eichendorff, eine Biographie. Insel Verlag, 2007.
von Eichendorff, Joseph: Halle, Harz und Heidelberg – Autobiografisches, hrsg. von Heidi Ritter und Eva Scherf. Mitteldeutscher Verlag, 2007.