„Daher keiner Ursache hat, sich gegen den größten gering zu achten. Denn wenn der größte ins Wasser fällt und nicht schwimmen kann, so zieht ihn der ärmste Hallore heraus.“
– Johann Wolfgang von Goethe
Sie befinden sich nun auf dem Hallmarkt. Der Platz war im Mittelalter das Zentrum der Salzgewinnung und -verarbeitung. Um den Hallmarkt herum standen die Siedehütten. Auch heute noch befinden sich unter dem Hallmarkt die Überreste der alten Siedestätte. der Platz am Hallmarkt wird für Flohmärkte, Demos oder Rummel genutzt. Der Blickfang des Platzes ist der Göbelbrunnen, welcher mit den vielen Figuren die Legenden der Stadt Halle wiedergibt. Deshalb ist er auch als Stadtgeschichtsbrunnen bekannt. Eine der Figurengruppen zeigt das hallische Wappen und die Halloren.
Die Halloren in „Neuer Kinderfreund“
„Walther. Zu vergleichen versuchen sollten sich die Halloren gut brauchen lassen; die können ja auch beinahe so gut im Wasser leben, wie die Fische.
Eduard hatte kaum das Wort Halloren gehört, so bat er auch Herrn Walther dringend, ihm doch etwas von diesen sonderbaren Menschen zu erzählen, und fragte, ob denn jeder ein Hallore werden könne?
Walther. Das ist eben so, als wenn ich Dich fragte: Kann denn Jeder ein Engländer, oder ein Sineser, oder ein Südseeinsulaner werden? —
Eduard. Nun ich denke, die Halloren wohnen in Halle, und beschäNigen sich da mit Salzsieben –– das kann dich wohl Jeder lernen? ––
Walther. Das wohl, aber nicht jeder kann ein Hallore werden, den die Natur nicht dazu gemacht hat; denn die Halloren sind eine ganz eigne Menschenklasse, welche von den alten Sorbenwenden abstammen. Sie wohnen seit vielen Jahrhunderten in Halle, bilden sich ihr Herkommen nicht wenig ein, erhalten immer noch unter sich eine uralte Sprache, die mit der wendischen viel Ähnlichkeit hat, und vermengen sich schlechterdings nicht mit anderen Familien.
Gustav. Und ihren Namen haben sie vermutlich von der Stadt Halle im Saalkreis, wo sie sich aufhalten?
Walther. Nein, sondern wahrscheinlicher von den Hütten, oder Hallen, in welchen sie um die Salzquellen
herum wohnten, ehe noch die Stadt erbaut war, welche vermutlich eben davon auch ihren Namen bekam.
Elise. Ei! Die Halloren müssen wohl reiche Leute sein –– denn das hallische Salz bringt ja, wie Sie uns oft gesagt haben, entsetzliche Summen ein?
Walther. Du kannst leicht glauben, dass sie reiche Leute sein müssen, da sie in fremden Ländern herumziehen, für einige Broschen in die Flüssen springen, und ihre Künste im Schwimmen und Untertauchen zeigen –– –– Ja wenn die Salzquellen ihnen gehörten; aber leider! Sind diese armen Leute nur Knechte, und nennen sich auch bis jetzt noch Thalknechte. Sonst mochten sie freilich noch in etwas besseren Umständen sich befinden. Ihre Herren, die Besitzer der Kothen oder Salzhü@en, waren meistens Edelleute, und nannten sich Salzjunkers. Jetzt gehören die Kothen größtenteils dem Könige von Preußen, und die Halloren, welche darin arbeiten, müssen sehr schmale Bissen essen. Etwas gemächlicher leben diejenigen, welche in den Kothen der Privatpersonen arbeiten.
Gustav. Vermutlich haben sie aber außer sattessen, trinken, schlafen und notdürftigen Kleidern nur wenige Bedürfnisse?
Walther. Freilich. Ihre Lebensart ist roh, und sie fühlen das Mühselige ihrer Lage nicht, wenn man ihnen nur ihre Eigenheiten und Freiheiten lässt.
Agnese. Aber haben sie denn außer dem Salzsieben gar nichts zu tun? ––
Walther. Dies ist freilich von Jugend auf ihre HauptbeschäNigung; bricht aber in der Stadt ein Feuer aus, dann ist es ihre Pflicht, löschen zu helfen; und dies tun sie denn mit so viel Eifer und Geschicklichkeit, dass man sie legendige Feuersprützen nennen könnte. Ihre Täagkeit, sobald eine Feuersbrunst entsteht, ist gleichsam eine Art Malerei, in welcher sie auch die größte Gefahren nicht scheuen. Erst wälzen sie sich tüchag in den Pfützen herum, und dann springen sie geradezu ins Feuer.
Eduard. Nun da werden sie aber auch vermutlich recht brav dafür bezahlt? ––
Walther. Zwei und dreizig viertel Bier, ungefähr zweihundert Kanal, bekommen sie aller zwei Jahre dafür zum besten. Dies heißt bei ihnen das Pfingstbier, welches denn unter Tanz und Musik binnen drei Tagen rein ausgezecht wird. Wer dabei aber flucht, und sich sonst gröblich vergeht, der wird bis aufs Hemde ausgezogen, auf eine Stange gesetzt, vor Thor getragen, und dann, es mag noch so kalt sein, in die Saale geworfen.
Franz. Das müssen lustige Leute sein, die Halloren –und rechte Kräfte haben ––
Walther. Ja, die haben sie auch; ich möchte mich von keinem im Ernst anpacken lassen. Das macht aber ihre Erziehung. Die Eltern werden ihre Kinder schon mit dem vierten, fünften Jahr ins Wasser, Springen ihnen nach, wenn’s Gefahr gibt, und schwimmen so mit ihnen wie die Enten herum, als wenn sie im Wasser
geboren waren. Schon Jungen von 8-9 Jahren stürzen sich von der höchsten Brücke ins Wasser, tauchen unter, kommen wieder hervor, schwimmen auf dem Bauche, auf dem Rücken, ja sogar stehend, welches sie das Wassertreten nennen.
Heinrich. Je wie ist denn das möglich?
Walther. Sie stehen ungefähr nur bis über die Brust im Wasser, so dass sie die Hände zu andern Verrichtungen frei behalten, und arbeiten sich bloß mit den Füßen, welche sie geschwind aufheben und wieder niederstoßen, als wenn sie wechselweise damit kämpfen wollten, im Wasser ganz gerade fort. Geübte Halloren können auf diese Art eine ziemliche Last in den Händen trocken von einem Ufer zum anderen bringen.
Eduard. Nun das ist wahr, die Halloren sind doch rechte Wassermänner! ––
Walther. Aber auch meist gesunde und starke Menschen, die weder Hitze noch Kälte scheuen, und in ihren Salzkothen die Schwester Arbeiten eben so gleichgülag verrichten als wir eine Feder zum Schreiben in die Hand nehmen. Im härtesten Winter, wenn wir in unsern Pelzen und Müffen, bei unsern Öfen und Wärmflaschen, noch zappeln, und schon mit den Zähnen klappern, wenn wir nur vor die Haustüre treten, […] tragen die Halloren nichts als leinene Beinkleider und Strohmützen auf den Köpfen,. Arme, Füße und die ganze Brust sind bloß; und in der größten Sommerhitze, wenn wir lieber gar nichts auf dem Körper leiben möchten, tragen sie, als Sonntagstat, dickgefütterte Pelze.
Meine Kinder lachten, und meinten, sie möchten um alles in der Welt keine Halloren sein. […]
Herr Walther äußerte nur so im Vorbeigehen, daß er einmal zu einem Hallorenstechen beigewohnt habe, und meine Kinder ließen ihn nicht eher in Ruhe, bis er ihre Wissbegierde befriedigt hatte.
Walther. Das ist ein Fest, welches nur dann gegeben wird, wenn sehr vornehme Personen die Feragkeiten der Halloren im Schwinden sehen wollen. Da ziehen diese denn prächag in voller Rüstung, mit fiegenden Fahnen und klingendem Spiel, nach der Saale, springen einer nach dem andern ins Wasser, und besteigen Kähne. Zwei und zwei ist verschiedenen Kähnen Turnieren denn nun wacker mit einander, und wer den andern ins Wasser wirft, hat gewonnen. Wenn der Kampf zu Ende ist, ziehen sie in Ordnung wieder nach Hause, und trinken brav bei Sang und Tanz.“
Göbelbrunnen
Der Göbelbrunnen wurde 1999 erbaut und erhielt seinen Namen nach seinem Bildhauer Bernd Göbel. Überall rings um den Brunnen befinden sich Figuren, die die Geschichten und Sagen aus Halle erzählen, wie beispielsweise Ludwig der Springer, der Schäfer von Trotha, die Saalenixe, das Hallorenstechen, Kardinal Albrecht und die Halloren.
Bernd Göbel studierte von 1963 bis 1969 in Halle Bildhauerei. Ihm wurde später eine Professur an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein zuteil und lehrte bis 2008 in Halle. Auch wenn Göbel selbst nur Hallunke ist – also eine Person die nach Halle (Saale) gezogen ist und seit Jahren hier lebt, aber nicht hier geboren wurde, letztere sind Halloren – schafft er es die Geschichten aus Halle makellos in seinem Werk einzufassen.
Der Stadtgeschichtsbrunnen und die vielen Figuren sind das ästheasche Zentrum des Hallmarkts und ein absoluter Hingucker. Besonders die verruchte Figuren des berüchagten Kardinal Albrecht und seiner Mätresse in ekstaascher Pose sorgten lange für Diskussionen.
▽ Literaturtipps und Nachweise
Büttner, Franz. Sagen und Märchen der Halloren. Fliegenkopf Verlag Halle, 1992.
Engelhardt, Carl August: Neuer Kinderfreund 7./8. Bändchen. Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1798. S. 392-402.
Von Goethe, Johann Wolfgang. Zitiert nach: Goethes Gespräche. Hrsg. Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 2, Leipzig 1889–1896.
Morin, F. H.: Der neueste Passagier und Tourist. Ein Handbuch für Reisende durch ganz Deutschland und die angrenzenden Länder bis Paris, Petersburg, Stockholm, Belgrad, Mailand und Venedig. Berlin, 1844.
Vieth, Gerhard Ulrich Anton: Encyklopädie der Leibesübungen. Dritter Teil. Carl Cnobloch Leipzig, 1818. S. 303-304.
Tomaszewski, Rudolf: Sagen und Legenden aus dem Kreis Nebra (Unstrut). Lokalredaktion der „Freiheit“ Nebra, 1987.