Das „Dichterparadies“ in Reichardts Garten

„Die Nähe von Giebichenstein lockte zu Besuchen bei dem gastfreien Reichardt […] in einem romantisch-ländlichen Aufenthalte einen höchst gefälligen Familienkreis, in welchem sich bedeutende Männer aus der Nähe und Ferne kürzere oder längere Zeit gar wohl gefielen und glückliche Verbindungen für das Leben anknüpften“

– Johann Wolfgang v. Goethe, Tag- und Jahreshefte (1802)

In der Seebener Straße, direkt an der Burg Giebichenstein und der Bartholomäuskirche, liegt der groß angelegte „Reichardts Garten“, der Besuchern der Stadt zum Besuch frei zur Verfügung steht. Gleich die Karte am Eingang verrät mit Namen wie der „Goethebank“ oder den „Spruchsteinen“, dass es sich hier um einen Ort für Literatur handelt. Neben Goethe gibt es aber noch viele weitere Autoren, die den Komponisten Reichardt, dem der Garten einst gehörte, besuchten und durch seinen Garten gingen – und neben der Goethebank auch zahlreiche weitere Plätze die zum Verweilen und Lesen einladen. Es würde dem Ort also überhaupt nicht gerecht werden, nur einen Text dazu zur Verfügung zu stellen. Lesen Sie also hier, was Reichardt selbst über diesen Ort sagte, und was für literarische Leistungen die hohen Besucher des Gartens erreichten.

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Reichardts Garten

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Reichardts Garten 51.503240, 11.959906
„Vertraute Briefe“ von Johann Friedrich Reichardt (1809)

„Woher ich auch kommen mag, immer erscheint mir dieser liebliche romantische Fleck mitten im fruchtbarsten Lande mit neuem Reize. Wie die Saale da hinfließt in geteilten Auen, zwischen Wiesen und buschigten Inseln und hohen moosbewachsenen Felsenwänden, bei den Ruinen des alten Schlosses vorbei, durch die romantische Geschichte Ludwig des Springers bekannt; wie die alten ehrwürdigen Reste da oben auf einem gewaltigen steilen Porphyrfelsen stehen, dessen obere Fläche und innerer Abhang nun auch von dem feinsinnigen Pflanzer des schönen Amtsgartens mit diesem angenehm verbunden worden sind; wie der Fluß sich dann in kühner Beugung durch die schöngeformten Felsufer von ewigem Porphyr durchdrängt, bei dem ruhigen Fischerdorfe Kröllwitz und seiner reich umpflanzten Papiermühle und dem buschbewachsenen Werder vorbei, über das hohe Wehr brausend fortrauscht, dann durchs fruchtbare Land ruhig hinströmt, bis sich bei Lettin und dann weiterhin bei Wettin wieder hohe Felsufer erhebend, ein altes Schloß tragend. Von der Höhe unseres lieblichen Gartens über all das hingesehen, erhebt sich dann der Petersberg mit seinen herrlichen Ruinen zum Hintergrund; an ganz hellen Tagen auch wohl der Brocken am tiefen blauen Himmel. Auf der einen Seite der hohe alte Weinberg, in seiner Urgebirgsgestalt, den unser geistreicher Reil jetzt so schön bepflanzt und mit einem zierlichen Sommerhause verschönert hat; zur anderen Seite die angenehme Holzung, Meiereien und Schäfereien, und Weinberge auf der fruchtbaren Fläche; im Rücken die Stadt Halle mit ihren vielen Türmen und dampfenden Salz- Konten, und der Blick da wieder tief in Sachsen hinein nach Merseburg, Lauchstädt hin und drüber fort; das ganze Land rundum so reich und lustig bebaut – es wird nicht leicht eine mannigfachere reichere Aussicht in irgendeinem flachen Lande gesehen. Dann die seltene Vermischung des Romantischen, welches hier die Felsufer erwähren, mit der Fruchtbarkeit des Bodens, der oft seine schweren Weizenähren über die Ränder der Felsen wirft, und überall, wo der Ackerbau beschwerlich wird, die erfreuliche Obstkultur gestattet. Ich wünsche mir keinen schöneren Wohnsitz auf der Welt.“

„Das Veilchen“ von Johann Wolfgang von Goethe (1774)

Ein Veilchen auf der Wiese stand Gebückt in sich und unbekannt;
Es war ein herzigs Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin,
Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,
Daher, daher,
Die Wiese her, und sang.

Ach! denkt das Veilchen, wär ich nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach, nur ein kleines Weilchen,
Bis mich das Liebchen abgepflückt
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur
Ein Viertelstündchen lang!

Ach! Aber ach! Das Mädchen kam
Und nicht in acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Es sank und starb und freut‘ sich noch:
Und sterb ich denn, so sterb ich doch
Durch sie, durch sie,
Zu ihren Füßen doch.

„Die hohe Magd“ / „Das Hallorenlied“ von Ludwig Achim von Arnim (1806)

Ein Magd ist weiß und schone,
Gott führt den höchsten Preiß,
Und die ihm dient, zum Lohne
An Künsten wird sie reich,
Geht jungfräulich bei Frauen
Dort auf den grünen Auen,
Glück zu mein edler Zweig!

Ihr Leib war angebildet
Mit Keuschheit übergroß,
Schwang sich in ihren Willen,
Schwang sich in ihren Schooß,
Er war so stark von Kräften,
Von meisterlichen Geschäften –
Gott schuf wohl Himmel und Erd.

Ein Kind nach Adams Weise
An ihren Brüsten lag,
Es war ein alter Greise,
Erschuf den ersten Tag,
Es ward ein starker Ritter,
Sein Leiden ward ihm bitter,
Erlitt groß Ungemach.

Sein Seit ward ihm zerschnitten
Mit einem scharfen Speer,
Damit hat er zersplitten
Die Hölle samt der Erd.
Gott tröstet den Gefangnen,
Drey Wünsche waren ihm ergangen
Gegen diese heilige Zeit.

Gott stieg aus seinem Grabe,
Ein Fürst war wohlgemuth,
Mit seinem Kreuz und Stabe,
Drey Fähnlein schwenkt er roth,
That sich gen Himmel kehren,
Nach tugendlichen Ehren
Stand Ihm Herz, Muth und Sinn.

O Stern, o Glanz! o Krone,
O Himmel aufgethan!
Was gab ihr Gott zum Lohne,
Drey Chorengel Lobgesang,
Bekleidet ihn mit Sonne,
Maria war voll Wonne,
Wie hell scheint uns der Mond!

Lyriker in Reichardts Garten

Sowohl das Gedicht von Goethe als auch das „Hallorenlied“ haben zu Reichardts Garten eine besondere Beziehung. Als bekannter Komponist vertonte Reichardt als einer der ersten Musiker eine Liedeingabe zu diesem Gedicht, sowie auch zu anderen lyrischen Leistungen von Goethe. Obwohl die beiden sich nicht immer einig waren – so war Reichardt auch Ziel der polemischen „Xenien“ von Goethe und Schiller – so haben sie sich alsbald wieder vertragen, sodass Goethe über Jahre regelmäßiger Gast in genau dem Garten war, in dem Sie sich gerade befinden.

Auch „Die hohe Magd“, beziehungsweise die Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ in der es zu finden ist, hat – neben der Bezeichung als „Hallorenlied“ selbst – eine weitere tiefe Verbindung mit diesem Ort: So wird gesagt, dass Reichardts Garten sogar der Ursprungsort war, in dem Achim von Arnim – in seiner Studentenzeit – hier bereits Volkslieder sammelte, eine Aufgabe die von Reichardt unterstützt wurde, der diese später auch zum Teil vertonte.

▽ Literaturtipps

„Des Knaben Wunderhorn: alte deutsche Lieder“, herausgegeben von Achim von Armin und Clemens Brentano (1806-1808)

„Giebichensteiner Dichterparadies“, Erich Neuss, Fliegenkopf Verlag (2007) „Tag- und Jahreshefte“, Johann Wolfgang von Goethe (insb. ab 1802)