Es wird wär­mer, bald ist April und irgend­wann dann auch wie­der August. Bis dahin kann man sich mit Filmen in den Sommer träu­men, bis die Hitze auf der Haut, der Schweiß und die Euphorie der mil­den Nächte wie­der spür­bar sind.  

Aber nicht nur dafür lohnt sich Leonie Krippendorfs Film „Kokon“, der gera­de auf DVD erschie­nen ist. Auch, weil es so wenig Werke gibt, über Frauen, die Frauen lie­ben. Eine Weile soll­te “Blau ist eine war­me Farbe” quee­re Frauen dar­stel­len, vor allem aber reprä­sen­tie­ren. Dabei hin­ter­lässt er doch einen bit­te­ren Nachgeschmack. Die Schauspielerinnen Léa Seydoux und Adéle Excharchopoulos haben geäu­ßert, wie unwohl sie sich mit den viel zu lan­gen und expli­zi­ten Sexszenen gefühlt haben. “Blau ist eine war­me Farbe” ist ein typi­sches Beispiel für die Sexualisierung von rein weib­li­chen Liebesgeschichten, für den „Male Gaze“ auf Frauen. Man merkt dem Film an, dass der Regisseur Abdellatif Kechiche ein Mann ist und dass der Sex der Hauptfiguren so ist, wie er ihn sich vor­stellt oder ihn aus Pornos (für hete­ro­se­xu­el­le Männer) kennt. 

Quelle: Pressematerial zu Kokon des Verleih Salzgeber (https://www.salzgeber.de/kokon)

Im letz­ten Jahr wur­de auch Céline Sciammas Film „Portrait einer jun­gen Frau in Flammen“ sehr gut auf­ge­nom­men. Der fran­zö­si­sche Film han­delt von einer Malerin, die eine Adelige malen soll, ohne dass sie es mit­be­kommt. Nachdem die Mutter als Anstandsdame abreist, ent­steht irgend­wo an der bre­to­ni­schen Küste im 18. Jahrhundert eine klei­ne Utopie, in der sich die bei­den Frauen inein­an­der ver­lie­ben. Zusammen mit einer Magd ent­kom­men sie ganz kurz der sie kon­stant ein­schrän­ken­den Gesellschaft. Aber am Ende ist doch wie­der alles anders, die Realität holt die drei Frauen ein. Die Welt des Films gleicht einem Gemälde, einem schö­nen, aber unmög­li­chen Traum. 

Filme über Liebesbeziehungen zwi­schen Männern gibt es deut­lich mehr.  Vielleicht liegt es dar­an, dass Frauen so oft unsicht­bar wer­den, dass es fast schon ein tra­di­tio­nel­ler Teil der les­bi­schen und bise­xu­el­len Kultur ist, über­se­hen zu wer­den. Vielleicht auch ein­fach nur dar­an, dass deut­lich mehr Männer in Filmen den Ton ange­ben, dass Produzierende und Regieführende häu­fig cis­ge­schlecht­lich und männ­lich sind. 

„Kokon“ bricht mit die­sem Konzept. Leonie Krippendorf erzählt ist eine ein­fühl­sa­me Geschichte über die vier­zehn­jäh­ri­ge Nora (Lena Urzendowsky) in Kreuzberg, irgend­wann vor Corona. Sie hängt an ihrer gro­ßen Schwester (Lena Klenke), die sie fast über­all­hin beglei­tet. Ihre Mutter ist oft abwe­send, besäuft sich abends in der Bar unten am Kottbusser Tor. In der Schule passt Nora nicht so rich­tig rein. Sie kann nicht mit­re­den, wenn die ande­ren für Jungs schwär­men. Sie hat Raupen als Haustiere in ihrem Zimmer, die sind wich­tig, mit denen fühlt sie sich sicher. Und sie ist eben auch sehr unsi­cher, sie weiß noch nicht, wie sie dafür sorgt, dass die ande­ren sie so sehen, wie sie gese­hen wer­den möch­te. Dann hängt sie sich lie­ber an ihre selbst­be­wuss­te gro­ße Schwester ran. Bis sie Romy (Jella Haase) trifft. Romy, die ein biss­chen älter, ein biss­chen wil­der, ein biss­chen frei­er wirkt. 

Quelle: Pressematerial zu Kokon des Verleih Salzgeber (https://www.salzgeber.de/kokon)

„Kokon“ ist eine Liebesgeschichte, eine Pubertätsgeschichte, eine Schwesterngeschichte und auch eine Sommergeschichte. Die Regisseurin Leonie Krippendorf erzählt ein­fühl­sam von der ers­ten Liebe, der ers­ten selbst­ge­schnit­te­nen Frisur und der ers­ten Menstruation. Aber auch von Einsamkeit, von der Angst nicht rein­zu­pas­sen und von Homophobie. Wenn Nora dann im Einhornkostüm durch Kreuzberg läuft, um Romy zu beein­dru­cken und auch ein biss­chen wild zu sein, wie ihre Mutter, als die jung war, erin­nert das dar­an, dass Pubertät sich nicht immer nur anfühlt, als wür­de man in sei­nen eige­nen Gefühlen ertrin­ken. Erwachsen wer­den ist eben auch die Kunst, sich selbst zu ent­de­cken, her­aus­zu­fin­den, wer und wie man eigent­lich sein will. 

Leonie Krippendorfs “Kokon” lief 2020 noch auf der Berlinale, der letz­ten gro­ßen Kulturveranstaltung vor Corona. Dann lief er für kur­ze Zeit im Zazie, im Sommer als die Kinos noch offen waren. Jetzt, im Lockdown ist er auf DVD oder bei ver­schie­de­nen Streamingdiensten zu fin­den. Wenn man sich ein­fach trei­ben lässt, hin­ein in den Sommer in Berlin, dann lässt sich die Welt drau­ßen gut vergessen. 

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