Um 1680 – Unterricht romanischer Sprachen in Halle
Die Stadt erlebte gegen Ende des 17. Jahrhunderts einen Umbruch besonderer Art: Als Ergebnis des 30jährigen Krieges wurde das Erzstift Magdeburg mit seiner Residenzstadt Halle 1680 Teil des Kurfürstentums Brandenburg. Gegen diesen Bedeutungsverlust kämpfte man auch mit der Gründung neuer Bildungsinstitutionen an.
Große Märkerstraße 21/22 – die Ritterakademie
Schon an der Pagenakademie und in der Verwaltung des letzten Administrators des Erzstiftes, Herzog August von Sachsen-Weißenfels, finden wir französische Lehrer, wie den Tanzmeister La Marche und den Sprachmeister François Bersoy[1]. Der bekannteste unter ihnen war Michel Millié, genannt La Fleur, aus Grenoble, von dem Glatzer schreibt:
Da nun mit Augusts Ableben diese Lehrer fürchten mußten, in Not zu geraten, und auch die ehemaligen Hofbeamten und die Bürgerschaft wünschen mußten, ihre Söhne dieser Bildungsmittel nicht ganz verlustig gehen zu sehen, so wußte Jean Michael Millié la Fleur, der geheime Kammerdiener des verstorbenen Administrators, den Kurfürsten zu bestimmen, daß er ihm die Erlaubnis erteilte, eine förmliche „Sprach und Exercitienschule“ (auch Académie des Exercices genannt) in Halle zu begründen. (Glatzer 1895:2)
Die Ritterakademie war eine Bildungsanstalt für die Söhne des Adels, die neben Fecht-, Reit- und Tanzunterricht, Mathematik und Geographie auch moderne Fremdsprachen, vor allem Französisch – als lingua franca des wohlsituierten Europas dieser Zeit – und Italienisch bei muttersprachlichen Sprachmeistern anbot.
Neben dem Tanzmeister Maïeux und dem Sprachmeister Channoy (oder Chamoy) lehrten an der Ritterakademie auch der französische Hofprediger und Pastor der französischen Gemeinde Pierre Augier († 1701) und der spätere Philosophieprofessor der Universität, Jean Sperlette de Montguyon (1661-1725).
Auch einer der bekanntesten Sprachmeister seiner Zeit, Nicolò di Castelli (eigtl. Biagio Anguselli, 1661-1717), ein ehemaliger Franziskanermönch aus Lucca, unterrichtete an der Millié’schen Ritterakademie. Ihm verdanken wir die erste vollständige Übersetzung der Stücke Molières ins Italienische (Leipzig 1698). Bei Gründung der Universität erhielt er den Professorentitel und 600 Taler Besoldung, das war das Drei- bis Sechsfache der üblichen Professorengehälter.
Für seine Ritterakademie hatte Millié bereits 1679 das Hallesche Bürgerrecht erworben und kaufte 1680 das Haus Nr. 21 in der Großen Märkerstraße (noch nicht in seiner heutigen Form), später auch die Nr. 22. Es handelt sich um einen der ältesten profanen Steinbauten Halles mit Ursprüngen im 12. und 13. Jahrhundert. Zunächst diente es der Rechtsprechung, in der frühen Neuzeit wurde er zu einem Stadtpalais ausgebaut. Die Besitzer waren lange Zeit den erzbischöflichen Landesherren und Administratoren verpflichtet, so auch der Fürstlich-Sächsische Geheimrat Curt von Einsiedel, der das Haus 1637 erworben hatte. Durch die Ritterakademie wurde es gewissermaßen zur Keimzelle der 1694 gegründeten Universität. Auch das am Ende der Straße gelegene sogenannte „Riesenhaus“ hätte dazu werden können,
Und die heutige Große Märkerstraße wurde zur „Professorenstraße“: Hier wohnten und lehrten nach Universitätsgründung die Herren Professoren, denn es gab noch keine universitätseigenen Gebäude, die Professoren unterrichteten in der Regel bei sich zu Hause.
Im Haus Nr. Nr. 21/22 war 1753 der französische Aufklärer Voltaire bei dem damaligen Besitzer, Professor Siegmund Jakob Baumgarten zu Gast. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wohnte hier Friedrich Schleiermacher, Theologieprofessor und Universitätsprediger. Bei der Besetzung Halles 1806 durch Napoleonische Truppen war auch er von Plünderungen und Zwangseinquartierungen betroffen. Schleiermacher nahm in dieser schwierigen Zeit seinen Freund Ludwig Gottfried Blanc hier auf.
Der staatlichen Denkmalpflege der DDR gelang es in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, den weiteren Verfall des Gebäudes aufzuhalten, und sie bereitete den Weg dafür, dass heute die Bau- und Kunstdenkmalpflege des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt hier ihren Sitz haben kann.[2]
Bild rechts: © Anna Demuth
[1] Vgl. Thiele 2011:207; Neuss 1967:729.
[2] https://www.denkmal-buch-geschichte.de/Das-Schleiermacherhaus-in-Halle-Saale [17.9.2025].

