1990: Gimritzer Damm 2


Mit den gesellschaftlichen Veränderungen 1989/90 stand der nächste Umzug an, denn es zeichnete sich schnell ab, dass die Romanistik mehr Platz brauchte. Gerda Haßler, damals Leiterin der sogenannten „Fachrichtung Französistik“, beschrieb die Situation Ende 1989:

Wir öffneten die romanistischen Studiengänge für alle Interessierten, zunächst mit dem Ergebnis, dass uns aus der Anglistik, die unter unserer Etage untergebracht war, die Baupolizei geschickt wurde, da wegen des Gewichts der vielen Leute die Decke einen Riss bekommen hatte. Die seit Mitte der siebziger Jahre wieder geschrumpfte Romanistik platzte nun aus allen Nähten (Haßler 2020:198

Im Frühjahr 1990 wurde der Universität durch den „Runden Tisch“ der Stadt Halle das Gebäude der Bezirksverwaltung Halle des aufgelösten Ministeriums für Staatssicherheit am Gimritzer Damm 2 zugewiesen und im Juni 1990 zog das Institut dorthin. Kurze Zeit später war klar, dass die Stadt gar kein Recht dazu gehabt hatte. Die gerade noch existierende DDR übergab das Gebäude dem Land Sachsen-Anhalt und das Finanzamt Halle-West zog ein. Alles in diesem Gebäude atmete den „Charme“ der 70er Jahre: vom Festsaal, der später Bibliothekslesesaal wurde (siehe Fotos), über die Flure und die zugigen Fenster bis hin zu den Möbeln und Einbauschränken der Staatssicherheit, die in allen Räumen auf die neuen Nutzer warteten.

Thomas Bremer beschreibt die Situation später wie folgt:

Es gibt vermutlich nicht viele so emblematische Bilder für den Umbruch nach 1990 in Halle wie das Ex-Stasi-Gebäude am Gimritzer Damm. Kaum war es überstürzt vom „Schild und Schwert der Partei“ geräumt worden (das sich über drei Etagen erstreckende abmontierte Metall-Wappen war als Schatten noch Jahre später auf den Mauern zu erkennen), da zogen in die unteren Etagen das Finanzamt, in die oberen die Martin-Luther-Universität mit ihren Neuphilologien ein. Im obersten Stock befand sich fortan die Romanistik, die wie die Anglistik ein Stockwerk darunter in kürzester Zeit von einem streng zulassungsreglementierten zu einem studentischen Massenfach geworden war (Thomas Bremer: Nachruf für Heinz Thoma).

Diese neue Größe des Faches lässt sich auch an der Zahl der neu berufenen Professorinnen und Professoren ablesen. In den Jahren 1993 bis 1998 wurden Heinz Thoma und Thomas Bremer für die Literaturwissenschaft, Edeltraud Werner und Ralph Ludwig für die Sprachwissenschaft, Dorothee Röseberg für die Kulturwissenschaft und Eynar Leupold für die Fachdidaktik berufen.

Bereits ab 1989 suchten auch Lehrer*innen, die eine romanische Sprache studieren wollten, unseren Rat. Damit begann die Geschichte der „Berufsbegleitenden Studiengänge“. Ein erster von uns konzipierter „Sonderstudiengang Französisch“ startete mit Genehmigung des Rektors der MLU vom 21.8.1990; ein Jahr später, nach Gründung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt und Beginn der Umstrukturierung der Schulen in Sekundarschulen und Gymnasien wurde diese Weiterbildung vom Kultusministerium mit dem offiziellen „Segen“ versehen. Von 1993 bis 1998 arbeiteten wir nach dem von der französischen Fernstudienvereinigung F.I.E.D. entwickelten Programm für die neuen Bundesländer.

Ebenfalls schon 1990 hatten sich Studierende für das Fach Spanisch eingeschrieben, die sich erst im Laufe ihres Studiums als Gruppe berufsbegleitend Studierender zu erkennen gaben. Sie hatten die Chance gesehen, die spanische Sprache, die sie bereits zumeist aus privaten Gründen gelernt hatten, als Schulfach zu unterrichten. Der erste berufsbegleitende Studiengang Italienisch begann im Wintersemester 1993.

Insgesamt schlossen ca. 400 berufsbegleitend Studierende ein solches Studium mit dem Ersten Staatsexamen ab.

Da nun schon feststand, dass die Universitätsinstitute wieder ausziehen mussten, gab es bereits zu Ende des Jahres 1992 neue Überlegungen; so war vom Umzug in die ehemaligen Gebäude der Pädagogischen Hochschule am Brandbergweg die Rede und schon Anfang 1994 lud der damalige Dekan zu einer Besichtigung des Hauses Dachritzstraße 12 ein. Vor dem Auszug aus dem Gimritzer Damm sollte jedoch ein bewegtes Leben im Hause selbst stehen, denn die ganze Zeit wurde von hausinternen Umzügen und Bauarbeiten des Finanzamtes begleitet.

Das Gebäude wurde Anfang der 70er Jahre nach einem Entwurf von Richard Paulick als Sitz der Bezirksverwaltung der Bezirksverwaltung Halle der DDR-Staatssicherheit gebaut. Der Gesamtkomplex umfasste ein ca. acht Hektar großes, ehemals eingezäuntes Gelände mit Verwaltungsgebäuden, einem medizinischen Zentrum, Friseursalon, Sauna, Garagen und einer Sporthalle. Das ehemalige Hauptverwaltungsgebäude wurde bis 2016 weiter vom Finanzamt genutzt, seitdem steht es leer. 2024 entstand eine Initiative, die das Gebäude in ein „Gemeinschaftsamt” umwandeln und als „Ort des kreativen Arbeitens und Lebens” mit Ateliers, Probe- und Veranstaltungsräumen nutzen will.

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