In unserer Seminararbeit haben wir uns intensiv mit dem Thema inklusive Sprache und Gesprächskultur beschäftigt. Dieses Handbuch ist das Ergebnis unserer Auseinandersetzung – und eine Einladung zur ehrlichen, kritischen Selbstreflexion sowie zum mutigen Miteinanderlernen.
Der Ausgangspunkt unserer Arbeit waren Überlegungen zur Zuschreibung von „Hysterie“ – insbesondere gegenüber FLINTA*-Personen. Der Begriff „Hysterie“ ist ein eindrückliches Beispiel für die historisch gewachsene Abwertung weiblich gelesener Emotionen. Aussagen wie: „Du bist übertrieben“, „zu emotional“, „eine Drama-Queen“ entwerten das Gefühl, die Erfahrung und häufig auch die Kritik der sprechenden Person.
Der Begriff selbst stammt vom griechischen Wort hystera (Gebärmutter) und wurde in der Antike von männlichen Philosophen und Ärzten geprägt. Man glaubte damals, die Gebärmutter wandere durch den Körper und verursache Beschwerden wie Nervosität oder emotionale Ausbrüche – ein mythologischer und zutiefst sexistischer Ansatz ohne medizinische Grundlage. Im 19. Jahrhundert wurde „Hysterie“ als „Frauenkrankheit“ pathologisiert – ein Diagnosewerkzeug, um alles, was nicht dem Bild der „idealen Frau“ entsprach, zu entwerten und zu kontrollieren.
Heute ist klar: Hysterie ist ein patriarchaler, normativer Mythos, der keine klinische Relevanz hat. Dennoch erleben FLINTA*-Personen bis heute, dass ihre – auch sachlich und klar geäußerte – Kritik als „hysterisch“ abgetan wird, während Männer mit vergleichbarer Ausdrucksweise als „konsequent“, „durchsetzungsstark“ oder „kompetent“ beschrieben werden.
Gerade in Gesprächen über diskriminierende Sprache und Strukturen sind es häufig FLINTA*-Personen, die auf problematische Begriffe oder Ausschlüsse hinweisen. Dieses sogenannte Outcallen – also das Benennen von diskriminierenden Aussagen oder Verhaltensweisen – ist notwendig, um Ungleichheiten sichtbar zu machen. Doch leider wird diese Arbeit und damit ein Großteil des „mental loads“ von betroffenen Personen übernommen und getragen. Nicht nur kostet dies Kraft, Überwindung und ist emotional anstrengend, sondern stößt oft auch auf Ablehnung oder Gegenwehr.
Statt auf den Inhalt ihrer Hinweise einzugehen, wird Personen vorgeworfen, „überempfindlich“ oder „unnötig kompliziert“ zu sein. Damit wird wichtige Kritik systematisch übergangen und oben genannte Muster bleiben bestehen.
Diese Erfahrungen können sich verschärfen, wenn weitere Diskriminierungsachsen, wie Rassismus, Klassismus oder Ableismus hinzukommen. Denn Diskriminierung wirkt oft nicht eindimensional, sondern in komplexen Wechselwirkungen. Wer mehrfach marginalisiert ist, begegnet in Gesprächen häufig zusätzlichen Barrieren, sei es durch nicht wahrgenommene Perspektiven, stereotype Zuschreibungen oder strukturelle Ausschlüsse. Intersektionalität zu berücksichtigen bedeutet daher, aufmerksam für die Vielschichtigkeit von Diskriminierung zu sein und Gesprächskulturen so zu gestalten, dass sie unterschiedlichen Erfahrungen und Positionierungen gerecht werden können.
Sprache ist niemals neutral. Sie spiegelt gesellschaftliche Machtverhältnisse wider und kann entweder ausschließen oder verbinden. Unser Ziel ist es, Räume zu schaffen, in denen sich alle Menschen wertgeschätzt, sicher und gesehen fühlen. Inklusive Sprache hilft, Diskriminierung sichtbar zu machen, Ausgrenzung zu benennen und abzubauen. Sie unterstützt dabei, die eigene Haltung zu reflektieren, empathisch zuzuhören und respektvoll zu kommunizieren.
Deshalb möchten wir mit diesem Handbuch nicht belehren, sondern einladen: zum Mitdenken, Mitfühlen, Mitverantworten. Wir schlagen vor, das Konzept des Outcallens umzudeuten – weg von Konfrontation, hin zu Einladung: Könnte es nicht wertvoll sein, wenn uns jemand auf etwas hinweist? Sollten wir nicht dankbar sein für die Chance, dazuzulernen?
Dieses Handbuch ist keine Checkliste für „richtiges“ Verhalten, sondern ein Werkzeug zur Selbstreflexion und zum gemeinsamen Lernen. Es richtet sich an alle, die ihre Sprache und Gesprächsführung achtsamer und inklusiver gestalten möchten – ob alleine, zu zweit oder in Gruppen.
- Unser Ziel ist es, gemeinsam Wege zu finden, wie wir Sprache als Brücke nutzen, statt als Barriere. Und damit einen Beitrag leisten – für eine gerechtere, offenere und solidarischere Gesellschaft.
Beispiel aus unserem Handbuch
Selbstreflexion:
- Was macht ein Gespräch auf Augenhöhe für mich aus/ was bräuchte ich dafür?
- Welche Position und wie viel Raum nehme ich in Gesprächen ein?
Unter Vier Augen:
- Siehst du mich als eine Person, die Fehlverhalten von anderen offen out-called?
- Achte ich auch auf deine non-verbale Kommunikation und beziehe ich diese in meine Kommunikation ein?
- Siehst du eine Bereitschaft meinerseits, meine eigenen Ansichten & Aussagen zu reflektieren, wenn ich dazu aufgefordert werde?
In der Gruppe:
- Wer darf in unserer Gemeinschaft wütend oder oder laut sein, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren?
- Gibt es in unserem Umfeld Strukturen für Feedback, Schutz & Wiedergutmachung?
- Sind wir eine Gruppe, in der verschiedene Perspektiven vertreten sind?
Reflexion
Uns ist bewusst, dass ein Handbuch zur Förderung inklusiver Sprache nicht nur auf Zustimmung stoßen wird. Gerade da, wo sprachliche Veränderungen ungewohnt sind, kann das auch Irritationen auslösen – zum Beispiel bei Menschen, die sich in ihrer Meinungsfreiheit, Ausdrucksweise oder ihren Gewohnheiten eingeschränkt fühlen. Solcher Widerstand zeigt sich häufig in Kontexten, in denen Diversität bislang wenig thematisiert wurde, oder bei Personen, die nur selten mit Diskriminierung konfrontiert sind.
Auch Menschen in leitenden Positionen – etwa in Organisationen oder Bildungseinrichtungen – können sensibel auf sprachliche Veränderungen reagieren. Kritik wird dann schnell als Kontrollverlust wahrgenommen, anstatt als Chance zum gemeinsamen Lernen.
Wir vermuten, dass uns in diesem Zusammenhang Sätze begegnen könnten wie:
„Das ist doch alles überempfindlich – man darf ja gar nichts mehr sagen.“
„Inklusiv sprechen ist viel zu kompliziert, das macht Gespräche kaputt.“
„Früher hat sich da auch niemand drüber aufgeregt.“
Hinter solchen Aussagen stecken oft Unsicherheiten, das Gefühl, alte Gewohnheiten zu verlieren, oder auch die Angst, plötzlich „falsch“ zu sprechen. Manchmal geht es auch um das unangenehme Eingeständnis, dass eigene Privilegien bestehen – oder bestanden haben. Kritik kann dann schnell als Angriff empfunden werden, obwohl sie eigentlich eine Einladung ist, gemeinsam etwas zu verändern.
Dabei ist wichtig: Sprache verändert sich ständig. Sie lebt, wächst, entwickelt sich. Unser Handbuch ist kein Regelkatalog und kein moralischer Zeigefinger. Es will nicht belehren, sondern zum Reflektieren einladen – in einem Rahmen, der neugierig macht, der Fehler erlaubt und in dem wir einander zuhören. Ein Raum, in dem man auch sagen darf: „Ich weiß es noch nicht genau.“ oder: „Ich habe das früher anders gesehen.“
Wenn uns Kritik begegnet, möchten wir lernen, nicht gleich in die Verteidigung zu gehen. Stattdessen könnten wir in den Dialog gehen – offen und gleichzeitig klar. Es kann helfen, freundlich nachzufragen, zum Beispiel: „Was genau ist für dich schwierig an der sprachlichen Veränderung – und was würde sich für dich tatsächlich ändern?“
Solche Fragen können dazu beitragen, dass sich der Blick öffnet: für die gesellschaftliche Dimension von Sprache, für Zugehörigkeit, Ausschluss. Und dafür, dass es nicht um Einzelfälle geht, sondern um strukturelle Muster. Am Ende profitieren wir alle davon, wenn unsere Sprache achtsamer wird und unsere Räume respektvoller.
Unser Handbuch ist ein erster Schritt. Es bildet nicht alle Perspektiven ab. Es ist eine Auswahl an Fragen, Impulsen, Ideen und stellt einen Anfang dar. Um wirklich weiterzukommen braucht es Diversität im Team, Austausch mit Betroffenen. Um mit dem uns entgegenbrachten Feedback Dinge immer wieder zu hinterfragen.
Denn auch Reflexion allein reicht nicht. Damit sich wirklich etwas verändert, braucht es Praxis: Räume, in denen ausprobiert, geübt, gesprochen und auch gestritten werden darf.