Ein Studium der Germanistik – Was bedeutet das eigentlich? Die ganze Zeit nur lesen und die hundertste Analyse zu kanonischen Werken wie Goethes Faust verfassen, um erneut das schlimme Schicksal Gretchens herauszuarbeiten? Natürlich ist das Lesen ein großer Bestandteil des Studiengangs und zu sagen, dass man keine Werke zum hundertsten Mal behandelt, wäre gelogen. Ein Studium der Germanistik ist allerdings noch viel mehr als das bloße Lesen und Analysieren der immer gleichen Werke – den Beweis dafür liefert das jährlich stattfindende Redaktionsseminar, das sich um die Erstellung der Zeitschrift studentischer Beiträge kümmert. Nicht nur sorgt das Projektseminar für Abwechslung und das Sammeln praktischer Erfahrungen im redaktionellen Bereich, die eingereichten und am Ende veröffentlichten Arbeiten beweisen zudem, dass in einem Germanistikstudium nicht nur kanonische Werke im Mittelpunkt stehen, sondern die Seminarthemen sowie Interessen der Studierenden breit gefächert sind.
Mit genau diesen Arbeiten beschäftigte sich unser in diesem Jahr aus elf Studierenden bestehendes Team unter der Leitung von Dr. Claudia Hein an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Wie auch bei den vergangenen Ausgaben der Zeitschrift studentischer Beiträge war unser Anspruch, Texte von Studierenden als wissenschaftliche Texte ernstzunehmen und in diesem Sinne zu lektorieren und diesen die Möglichkeit zu geben, als Beitrag auf einer Website das Licht der Welt zu erblicken, statt in den Schubladen und Dateiordnern von Dozierenden und Studierenden in Vergessenheit zu geraten.
So tauchte unser Seminarteam in den Alltag des wissenschaftlichen Publizierens ein und lernte dazugehörige Aufgaben kennen, die alle Teilnehmenden eigenständig übernehmen mussten – um so dieses Endergebnis einer Website gefüllt mit Studierenden-Beiträgen zu verwirklichen. Begonnen haben wir mit dem Entwurf eines Call for Papers, der uns zahlreiche Einsendungen brachte. Aus den eingegangenen Texten wählten wir diejenigen aus, die unserer Ansicht nach inhaltlich, argumentativ und stilistisch bereits ein hohes Niveau und somit das Potential hatten, durch ein wenig Überarbeitung und Verbesserung zu deren bestmöglichen Version für die Veröffentlichung in der ZsB zu werden. Nach dem Besprechen und Auswählen folgten die Autor:innenbriefe, wobei sich jedes Redaktionsmitglied um einen Text kümmerte und dem/r jeweiligen Autor:in die ersten Verbesserungsvorschläge sowie Fragen mitteilte. So standen ein:e Autor:in und ein Redaktionsmitglied über mehrere Wochen bezüglich des Lektorats in Kontakt und durch mehrfaches Hin und Her wurden die Texte stetig verbessert. Zuletzt gingen alle Texte ins Korrektorat und wurden mit Blick auf Orthographie, Grammatik und Formales nochmals gelesen, um den jeweiligen Text ›satzfertig‹ zu machen. Währenddessen kümmerte sich ein kleineres Team um das Erstellen und die Gestaltung der Website. All diese Aufgaben klingen nicht nur umfangreich, sondern sind es auch tatsächlich; und sie erfordern enorm viel Bereitschaft und Engagement. Während die Lektor:innen mit dem Hinarbeiten auf die finale Website und allen noch so kleinen Aufgaben, die damit einhergehen, ein großes Arbeitspensum zu erledigen hatten, wurden die Autor:innen inmitten des laufenden Semesters mit vielen Anliegen unsererseits konfrontiert und mussten einen Text überarbeiten, dessen Verfassen bei der ein oder anderen Person vielleicht schon eine ganze Weile zurückliegt. Ohne diese Bereitschaft und das Engagement würde unsere ZsB-Website jetzt nicht existieren, deswegen gilt allen beteiligten Personen ein riesengroßes: Dankeschön!
Kommen wir zum Endergebnis der mittlerweile dritten Ausgabe der Zeitschrift studentischer Beiträge. In diesem Jahr entschied sich das Redaktionsteam aufgrund vorhandener Kapazitäten und Kompetenzen, nicht nur deutsche sondern auch englische literaturwissenschaftliche Arbeiten sowie einen sprachwissenschaftlichen Text aufzunehmen, wodurch insgesamt 13 Texte zusammenkommen. Eine Tendenz, die sich abzeichnet, sind Arbeiten mit feministischen und queeren Themen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. So widmen sich zwei Texte der Mythologie, einer analysiert den Kassandra-Mythos und dessen feministische Neuverarbeitungen (Annalena Harter), der andere Female Agency in Adaptionen des Mythos um Orpheus und Eurydice (Matti Schönbrunn). Letzterer ist einer der beiden englischen Texte in der diesjährigen Ausgabe der ZsB; im zweiten englischsprachigen Text wird die vermutlich eher unbekannte Autorin Mina Loy und ihre Situierung zwischen Feminismus und Futurismus betrachtet (Sarah Sterling). Bekannter sind für die ein oder andere Person vermutlich einige Werke aus dem Mittelalter. In unserer Zeitschrift widmet sich ein Text dem Werk Wigalois und dem dort augenfällig werdenden Kontrast zwischen Weiblichkeit und höfischen Idealen (Luzie Fiest), während ein weiterer Aufsatz Parzival und die Wechselseitigkeit von Parzival und Sigunes Verhältnis analysiert (Carola Wellmann). Natürlich gibt es auch Arbeiten von Studierenden, die sich klassisch-kanonische Themen und Epochen der Literaturwissenschaft widmen. So finden Lesende die eine Auseinandersetzung mit dem aufklärerischen Streits zwischen Strähler und Wolff in Halle (Jonas Liebing), mit den Zeitgedichte Heinrich Heines (Franziska Lachmann) oder mit dem Artushof von E.T.A. Hoffmann – der jedoch einer queeren Lesart unterzogen wird (Ilya Wichert). Demgegenüber steht ein Blick auf aktuellere Literatur mit einem Essay über den Roman Afterlives Abdulrazak Gurnahs, des Nobelpreisträgers von 2021 (Christina Kasperzyk). Außerdem hat sich ein kleiner Themenschwerpunkt mit Texten entwickelt, die aus einem Projektseminar der MLU entstanden sind. Insgesamt drei Beiträge befassen sich in diesem Fall mit Zukunftsfragen im Zusammenhang mit Halle-Neustadt und behandeln dabei die mit Anwohner:innen geführten Interviews und die Methodik dahinter (Hannah Schnelle), geben einen Überblick über den Begriff »Zukunft« in Verbindung mit den Interviews und den literarischen Werken über Ha-Neu (Verena Schmitt) und werfen einen näheren Blick auf Morisco als eines dieser literarischen Werke und den Versuch, den Roman in ein Gespräch mit den interviewten Personen zu bringen (Anna Maria Franke). An dieser Stelle gilt unser großer Dank Gerald Große für die großzügige Erlaubnis, seine Fotos im Rahmen unserer Zeitschrift abzubilden. Neben diesen zahlreichen literaturwissenschaftlichen Beiträgen steht zudem ein sprachwissenschaftlicher Aufsatz, der sich mit Radiomoderationen und der darin verwendeten Sprache zur Ansprache von – besonders jüngeren – Zuhörer:innen beschäftigt. Zuletzt schließen sich noch ein paar Rezensionen von Studierenden an, in denen sich mit W. Daniel Wilsons Goethe und die Juden. Faszination und Feindschaft (Angelina Mietz) und Volker Sliepens Der Minnebund mit Gott. Modelle religiöser Liebe im legendarischen Erzählen (Christopher Tersch) beschäftigt wird. Insgesamt haben wir also in diesem Jahr eine Ausgabe der ZsB, die die Vielfältigkeit der Themen, Analysen und Interessen der Studierenden widerspiegelt.
Das Projektseminar »Werkstatt Zeitschriften-Redaktion« ermöglichte uns Studierenden, den Redaktionsalltag kennenzulernen und uns in diesen einzuarbeiten. Wir hoffen, dass die ZsB und die Beiträge der Autor:innen viele Leser:innen erreichen und interessieren. Für Rückmeldungen an unser Team sowie an die Autor:innen haben wir unter den Reitern »Autor:innen« und »Das Team« kleine Biografien mit Kontaktdaten hinzugefügt. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!
Im Namen der Redaktion
Anna Maria Franke