Nach einer 8 stündigen Busfahrt kommen wir früh morgens aus Zagreb in Sarajevo am Busbahnhof an. Von dort laufen wir zum Hostel, wo wir später die anderen Studierenden treffen werden. Auf ersten Blick gefällt mir Sarajevo. Während wir laufen – es geht sofort sportlich bergauf – sehe ich grüne, ein bisschen wild gewachsene Vorgärten mit alten, teilweise alt aussehenden Wohnhäusern. Viele Tiere auf der Straße und auch schon die ersten Menschen.
Später gehen wir vom Hostel eine lange Treppe herunter in die Stadt und stoßen auf Höhe des geschichtsträchtigen Holiday Inn Hotels auf die große Straße, die im Krieg auch “Sniper Alley” genannt wurde. Schwer vorzustellen, dass hier vor noch nicht mal 30 Jahren Menschen auf offener Straße erschossen wurden. Der Anblick, der sich mir jetzt bietet: Ein schickes, renoviertes gelbes Hotel mit Springbrunnen davor, schräg gegenüber ein verspiegelter schwarzer Koloss mit blinkendem Screen – das City Center Sarajevo. Eine saudische Shoppingmall wird mir erklärt, die offensichtlich von vielen Sarajevoern mit Einkaufstüten in der Hand gerne genutzt wird. Daneben noch einige andere verspiegelte Hochhäuser auf der breiten Allee, viele Menschen auf dem breiten Fußgängerweg, viele Autos auf der 2 spurigen Straße, viel Lärm, und: eine klingelnde Straßenbahn aus den 70er Jahren! Wie sich noch öfter bestätigen wird, das Stadtbild von Sarajevo ist kontrastreich.
Wir laufen weiter in die Stadt und stoßen irgendwann auf die Miljacka, den Fluss mit den vielen Brücken, der durch Sarajevo fließt. Was aussieht wie der Schatten eines Seiltänzers auf dem Bild oben ist eine Installation. Die Figur, geformt aus Draht, schwebt an einem Seil befestigt über den Fluss. Nicht nur aus den Erzählungen von Menschen, sondern auch hier wird mir schnell klar, dass Kunst und Musik in Sarajevo einen hohen Stellenwert haben. Vorallem die Geschichte des Cellisten, der während der Belagerung Sarajevos auf den Straßen musiziert hat und damit den Menschen ein Stück Normalität schenkte, beeindruckt mich. Mehrfach während der Reise wird mir auch vom großen und international bekannten Filmfestival erzählt, das jährlich in Sarajevo stattfindet und das die Studierenden gerne besuchen.
Die Stadt sei während dieser Zeit voll und trubelig und man hätte kurzzeitig das Gefühl, Bosnien, das Land “mitten im Herzen Europas“ sei eigentlich gar nicht so abgeschnitten. In Gesprächen mit den bosnischen Studierenden wird mir klar, das die mangelnde Reisefreiheit für junge Menschen eine der größten Einschränkungen darstellt. Und ja, ich kann mir nur schwer vorstellen, wie es für mich wäre, zu wissen, dass die Menschen der Generation meiner Eltern einfach in andere Länder reisen konnten, wenn ich heute für alles ein Visum bräuchte.
Heike Philipp und Steffen vor einer Hausfassade auf dem Weg zum Stadtteil Grbavica in Sarajevo, der während der Belagerung von Einheiten der Republica Srpska kontrolliert wurde. Die Hausfassade ist, wie noch viele in Sarajevo, übersät mit Einschusslöchern. Ich stehe auf der Brücke und frage mich, wie es ist, in einem Haus zu leben, an dem die Kriegsspuren noch so augenscheinlich sind.
Auf unserem zweitägigen Ausflug nach Jajce und Banja Luca kommen wir auf dem Rückweg an der sagenumwobenen Brücke über der Neretva vorbei. Für unser Seminar ein spannendes Denkmal, da sie eine Art Sinnbild der Genialität Tito’s darstellt, der durch ihre Sprengung den Partisan*innen zum Sieg gegen die Faschisten und die Tschetniks verhalf – und damit dem Gründungsmythos des zweiten Jugoslawiens den Weg ebnete. Besonders bemerkenswert an der heutigen Brücke, wie sie da in Einzelstücken im Wasser liegt, finde ich die Tatsache, dass es anscheinend verschiedene Informationen darüber gibt, ob es sich nun um die echte Ruine von 1943, oder um die Kulisse des Nachbau für den legendären Partisanenfilm „die Schlacht an der Neretva“ aus den 60ern handelt. Irgendwie verrückt, wenn der Mythos um eine Brücke zum Dreh eines Filmes führt, der wiederum die Frage offen lässt, ob es sich nun bei den Resten um das “Original” oder die Filmkulisse handelt – sozusagen gleich ein zweiter Mythos um sie entsteht.
Auf dem Weg zur Brücke besuchen wir ein riesiges Denkmal auf dem Berg Makljen in Prozor-Rama, das an die Partisanen erinnert, die im 2. Weltkrieg gegen die deutschen Truppen gekämpft haben. Ursprünglich in Form einer geballten Faust wurde das Denkmal im Jahr 2000 von Rechten gesprengt, sodass nur noch die betonierten Stahlträger des Innenraums zu sehen sind, die restlichen Trümmer liegen davor auf dem Boden.
Während der Exkursion kommt es immer wieder zu spannenden Diskussionen zwischen den Exkursions*teilnehmerinnen. Diskussionsthemen waren die Bedeutung von Antifaschismus, Kriegsaufarbeitung, die Rolle von Nationalstaaten und der Begriff des “Stolzes”, linke Politik und ihre Errungenschaften und Versäumnisse, europäische Integrationspolitik und viele andere.
Am letzten Tag unternehmen wir einen Ausflug zur Bobbahn der Olympischen Winderspiele von 1984. Mit der Seilbahn fahren wir den Trebević Hang hinauf und laufen dann zu Fuß auf der ehemaligen Bobbahn hinunter in die Stadt. Nach einem zweistündigen Lauf standen wir verschwitzt und sonnengebrand wieder am Fuß des Berges, ein schöner Abschluss für eine sehr erlebnis- und lehrreiche Woche!