Ankunft
Erstmal Grenzen. Mehrmals müssen wir raus, mitten in der Nacht. Licht an, raus aus dem Bus. Stehen, warten, Personalausweis zeigen. Wenigstens nur den Personalausweis, nicht den Reisepass, fühlt sich also noch ein bisschen nach EU an. Bei der Einreise nach Bosnien steigt eine Grenzbeamtin ein, kontrolliert alle Pässe und Ausweise und sammelt einige ein. Auch die unserer Gruppe, ausnahmslos. Vielleicht sammelt sie all die Ausweisdokumente ein, die nicht bosnisch sind, denke ich und fühle mich unwohl während wir 10 Minuten darauf warten dass wir unsere Ausweise wieder bekommen.
Dann sind wir in Bosnien. Die Landschaft erinnert mich im ersten Moment an Mittelamerika – voll verrückt weil das doch eigentlich auf der anderen Seite der Erde liegt aber im Prinzip machen ähnliche Umstände ähnliche Orte. Also das Klima aber auch die Wirtschaft eines Landes. Ein Fluß macht seinen Weg durch ein Tal, in engen Kurven, die Berge an beiden Seiten dicht bewachsen, sattes grün, Nebelwolken hängen über uns.
Die Häuser nicht immer fertiggestellt, das heißt ohne endgültigen Putz und zwischendrin auch immer wieder Ruinen. Kleine Felder liegen außerhalb der Dörfer, nicht größer als Kleingärten auf denen kleine grüne Pflanzen aus der Erde ragen. Mir fällt ein dass wir im Seminar besprochen haben dass sich Menschen in Bosnien viel selbst versorgen.
Wir fahren an einem großen Fabrikgebäude vorbei, das mitten im idyllischen Grün steht und an einer Stelle brennt und ich glaube das ist normal so weil niemand reagiert irritiert.
Nach insgesamt über 20 Stunden Reise fahren wir nach Sarajevo rein. Aber über einen Hinterweg, zumindest nicht durchs Stadtzentrum.
Sonntag – Flanieren und Tito-Bar
Angekommen am Busbahnhof und zum Hostel gelaufen. Unaufregende Strecke aber auch aufschlussreich: Architektur der Nachkriegsmoderne würde man bei uns sagen, alles etwas heruntergekommen in diesem Teil der Stadt und viel Steigung. Sarajevo liegt in einem Tal. Der Blick hoch auf die Bergkämme, wo jahrelang die Sniper waren. Man ist schon ganz schön ausgeliefert hier.
Nach kurzem Duschen und Umziehen direkt los in die Stadt. Ich bin todmüde und ich glaube alle auch aber der Punkt schlafen zu können ist vorbei und ich will auch sehen wo ich hier jetzt eigentlich bin.
Wir laufen eine halbe Stunde in die Stadt hinein und gehen dabei entlang an einer großen Straße, die „marshalla tita“, die einer der Hauptschauplätze der Besetzung Sarajevos war. Also hier wurden viele Leute abgeschossen. Die Vorstellung dass hier vor 25 Jahren Krieg war ist surreal. Für mich zumindest. Ja, man sieht die Spuren des Krieges aber solche habe ich auch schon anderorts oft gesehen. Würden wir nicht im Rahmen des Seminars hier rumlaufen weiß ich nicht wie viel mir davon auffallen würde.
Zuerst laufen wir durch den ehemals Österreich-ungarischen Teil der Altstadt. Hier sieht es aus wie irgendwo in Südeuropa. Ich könnte es auch für Österreich, Spanien oder Italien halten. Wir trinken Kaffee, hier wird viel Kaffee getrunken, ich freue mich.
Und dann der ehemals osmanische und heute muslimische Teil der Stadt: kleine Häuschen, schmale Gassen, eine alte, tiefer gelegene Markthalle. Nicht überfüllt (es ist ja auch Sonntag) und gar nicht unangenehm. Eine schöne Moschee mit Innenhof auf dem Weg. Wir holen uns Pita (erinnert mich an Börek, sehr frittiert und sehr lecker) und setzen uns in einen Stadtpark. Zurück im Hostel treffen wir die Studierenden, die aus Novi Sad und Sarajevo angereist sind. Wir gehen alle zusammen in die Tito-Bar. Die ist direkt neben der Fakultät der Germanistik und das sei hier ihr Stammcafé erzählen sie. Ich bin gar nicht mehr aufnahmefähig für all den Tito-Kram um mich. Auf jeden Fall eine Menge Bilder und die Grundfarbe rot. Von den Studierenden aus Sarajevo sprechen einige extrem gut deutsch. Wir sind zutiefst beeindruckt und eine von ihnen erzählt dass sie in Deutschland aufgewachsen ist bis sie sechs oder sieben Jahre alt war um dann mit ihrer Familie wieder zurück nach Bosnien zu müssen. Ihr Eltern waren Anfang der 90er Jahre vor dem Krieg geflohen. Wir bestellen und gehen irgendwie davon aus das Bier getrunken wird. .Als die Getränke kommen haben alle Deutschen Bier und alle anderen Kaffee. Aha.
Montag – Stadtrundgang, Interviewvorbereitung, Fastenbrechen
In gemischten Gruppen von jeweils fünf Leuten machen wir einen Stadtrundgang durch Sarajevo. Diejenigen aus Sarajevo zeigen die Stadt dem Rest. Eigentlich machen wir einfach einen Spaziergang und zwei von ihnen, Kerim und Denis erzählen etwas zu dem ein oder anderen Ort. Ich stelle ihm ein paar Fragen und wir kommen schnell in ein Gespräch über den Krieg und die jetzige politische Situation. Er erzählt dass seine Mutter sagt, sein Vater sei seit dem Krieg nicht mehr derselbe. Und dass die Alten immer sagen würden früher sei alles besser gewesen aber sie würden das nicht glauben. Das würde so nicht stimmen. Seine Sätze klingen als hätte er sie schon sehr oft gesagt, als seien festgeschriebene Pressemitteilungen, wie: „Wir leben nicht, wir existieren nur.“
Nachdem Stadtrundgang gehen wir Kaffee trinken. Auf Kaffeetrinken kann man sich hier verlassen. Nachmittags treffen wir uns wieder im Hostel und bereiten die Interviews vor.
Über die Vorbereitung und das Interview selbst habe ich einen separaten Bericht geschrieben.
Am Abend laufen wir auf einer Seite der Stadt den Hang hoch. Es ist Ramadan und heute ist um ca. 20 Uhr Iftar, Fastenbrechen nach Sonnenuntergang.
Von der Gelben Festung, die über der Altstadt am Berghang liegt wird bei Sonnenuntergang ein Kanonenschuss abgefeuert. Nach einem Moment Stille gehen die Lichter in den Minaretten der Moscheen an und die Rufe der Muezzine zum Abendgebet hallen über das Tal. Ich verstehe dass man sagt Sarajevo sei das Jerusalem des Balkans. Die Stimmung in diesem Moment ist toll. Schade, dass es so kalt ist.
Dienstag – Interviews
Heute ist der Tag an dem wir unsere Interviews machen. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Immerhin sind wir hauptsächlich deswegen hier.
Um 10 Uhr findet das Interview meiner Gruppe mit Boro Kontić statt, am Nachmittag das Interview mit der Leiterin des historischen Museums. Einige von uns haben Zeit und gehen auch dorthin. Das Museum ist ziemlich kalt, es gibt kein Geld für die Heizung und das Gebäude sieht auch ein bisschen vernachlässigt aus. Wir treffen die Leiterin am Eingang und sie gibt uns eine Einführung in das Museum. Eine Ausstellung erzählt die Belagerung anhand von persönlichen Geschichten und Artefakten. Keine leichte Kost und mir fehlt ein analytischerer, weniger emotionaler Ansatz. Das Museum versteht und präsentiert sich selbst als sehr objektiv berichtend.
Danach noch ein weiteres Interview, mit einem Fotografen. Ich bin leider nicht mehr wirklich aufnahmefähig.
Mittwoch – Jajce
In einem großen Reisebus fahren wir alle zusammen nach Jajce. Der Weg ist traumhaft schön. Dicht grün bewachsene Berge und postkartenblaue Seen.
Jajce ist ein kleines Städtchen. Schön gemacht, sehr schön gemacht. Ein echter Touristentraum mit Wasserfall, Geschichtsmuseum und Eisdiele. Wir bekommen eine Stadtführung und eine unserer ersten Stationen ist das AVNOJ-Museum. Der Antifaschistische Rat der Nationalen Befreiung Jugoslawiens, kurz AVNOJ, war das Führungsgremium der Gruppen, die gegen die italienischen und deutschen Besatzer im zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Die zweite Konferenz dieses Rates fand im November 1943 in Jajce statt. Hier wurden Beschlüsse für die zukünftige staatliche Organisation Jugoslawiens nach dem potenziellen Ende der Besatzung getroffen. Heute gelten die AVNOJ-Beschlüsse als Grundstein des sozialistischen Jugoslawiens und der 29. November wird als Staatsfeiertag begangen. Es gibt viele Bilder an den Wänden und unser Guide erzählt von dem Museum und der Geschichte der Konferenz. Wir besuchen noch einige weitere Orte in der kleinen Stadt, eine Krypta, eine alte Kirche, eine Moschee. Am Ende hält der Abt des hiesigen Franziskanerklosters eine appellierende Rede über den Kampf gegen den Faschismus, die Anfeindungen zwischen den Ländern. Er hält ihn auf serbokroatisch, unsere Professorin übersetzt auf deutsch. Ich weiß nicht so ganz wie wir in diese Situation gekommen sind.
Donnerstag – Banja Luka
Für den nächsten Tag steht Banja Luka auf dem Plan. Banja Luka ist die Hauptstadt der Republika Srpska, einer politischen Entität von Bosnien und Herzegovina mit einem eigenen politischen System. Es regnet und es ist Feiertag, Tag des Sieges. In kleinen Gruppen machen wir uns selbstständig durch die Stadt, besuchen eine Kirche und eine Moschee, trinken einen Kaffee. Viel mehr ist heute nicht drin. Ich glaube wir sind alle ziemlich geschafft von den letzten Tagen.
Freitag – Prozor, Neretva, Abschiedsabend
Heute geht es wieder zurück nach Sarajevo. Auf dem Weg stoppen wir an einem alten Partisanendenkmal. Es war mal eine riesige Steinfaust, die oben auf einem Berghügel steht. Das Denkmal ist 1978 erbaut und 2000, mutmaßlich von kroatisch-nationalistisch motivierten Täter*innen, gesprengt worden. Sie haben nationalistische Graffitis und Sprüche auf den Ruinen hinterlassen. Jetzt steht dort nur noch ein verlassenes Gerüst aus Beton und Metallstreben. Neuere Graffitis sind dazugekommen. Eines zeigt ein Peace-Zeichen, dass sich über zwei Stücke einer zerbrochenen Betonplatte verteilt. Als wäre es schon vor der Zerstörung dort gewesen.
Unser zweiter Halt auf dem weg nach Sarajevo ist der Standort der berühmten Schlacht an der Neretva, die für den Partisanenkampf im zweiten Weltkrieg einen entscheidenden Wendepunkt dargestellt haben soll. Wir haben im Seminar den Partisanenfilm „Schlacht an der Neretva“ gesehen, der 1970 für einen Oscar nominiert wurde. Auch hier gibt es ein Museum, auch hier bekommen wir eine Einführung von der Leiterin des Museums. Und auch hier vor allem Bilder und sogar eine fast in Lebensgröße nachgebildete Szene, die Zivilist*innen auf der Flucht zeigt. Sieht aus wie Figuren in einem Naturkundemuseum.
Es entsteht eine Unterhaltung zwischen einer Studentin aus Sarajevo, einem Student aus Novi Sad, zwei Student*innen aus Halle und mir. Es geht um Aktionismus, um Widerstand, um Geschichtsaufarbeitung. Darum wie frustrierend die Demonstrationen in Belgrad für Nikola aus Novi Sad sind. Teodora aus Sarajevo bittet um Hoffnung aus der EU, Hoffnung aus Deutschland. Sie würden einfach nicht gesehen werden, keinen würde es interessieren, was auf dem Balkan passiert.
Zurück in Sarajevo, es ist der letzte Abend unserer Exkursion. Wir sitzen mit allen Seminarteilnehmer*innen im Kreis. Wir wollen darüber sprechen was wir in dieser Woche in Bezug auf unser Seminarthema herausgefunden haben. Es meldet sich ein Student aus Sarajevo zu Wort. Er bedankt sich im Namen aller für die Woche, sie hätten eine gute Zeit gehabt und wir bekommen Tito-Magneten geschenkt. Inhaltlich kommt leider nicht besonders viel zu Stande, vielleicht sind wir auch einfach alle ein bisschen zu geschafft von der Woche. Mein Kopf läuft gerade auf jeden Fall nicht mehr auf Höchstleistung.
Dann gibt es Pita als Abschiedsessen, was sonst. Für diesen letzten Abend sind noch zwei Studierende der Germanistik aus Sarajevo, die Erasmus in Halle gemacht haben vorbeigekommen. Beide sind in den Endzügen ihres Studiums. Sie vermissen Halle, sagen sie. Ich starte einen letzten Versuch noch jemanden zu finden der Hoffnung für dieses Land hat aber auch die beiden geben zu, eine Familie würden sie hier nicht gründen wollen. Anscheinend ist „Familie gründen wollen“ der Maßstab für einen lebenswerten Ort.
Samstag – Bobrennbahn und Abreise
Last but not least. Mit der Seilbahn fahren wir hoch über die Stadt um dann über die alte Bobrennbahn der Olympischen Winterspiele 1984 herunterzugehen.
Der Ausblick von hier ist toll, wir sind noch viel weiter oben als die Gelbe Festung auf der wir am Montagabend waren. Auf dem Weg nach unten kommen wir an zerstörten Häusern vorbei und laufen durch ein Wohnviertel. Ich bin froh nochmal eine andere Seite von Sarajevo zu sehen als die Innenstand. Ich würde eigentlich gerne noch ein bisschen bleiben. Die Rückreise geht schneller als die Hinreise. Bei Ingolstadt findet eine Polizeikontrolle statt. Ausweise werden eingesammelt, auch der von einem Kommilitonen mit tschechischem Personalausweis. Das passiere ihm ständig, sagt er.
Der Versuch eines Fazits
Im Nachhinein bleiben zwei Sachen im Kopf. Das eine ist das sehr schöne Bosnien. Die beeindruckende Natur, die Stimmung, wenn in Sarajevo die Muezzine rufen.
Und dann ist da die politische Seite, die Lebenssituation der Menschen. Alles scheint ein Kampf um die Vergangenheit zu sein mit dem Ziel eine Ordnung für das Jetzt zu finden. Aber alles auf einer sehr persönlichen Basis. In den Museen vor allem Einzelschicksale. Wichtig ja, aber wie weit kann das diese Gesellschaft bei der Aufarbeitung dieses Krieges bringen. Ob dieser Resignation der Bevölkerung, der anscheinenden Ohnmacht gegenüber politischen Eliten, die durchgehend Mist zu bauen scheinen fühle auch ich mich frustriert.
Das Thema unseres Seminars, das Erbe von Titos Jugoslawien ist offensichtlich nicht das Thema des heutigen Bosnien und Herzegowina. Durch den Krieg ist Jugoslawien so weit weg gerückt, wird heute entweder verklärt oder verflucht aber vielleicht auch gar nicht so viel besprochen. Der öffentliche Diskurs schient voll zu sein von Ethnien, Nationen und Krieg.
Und dass junge Leute so gar keine Hoffnung, kein Interesse haben und dazu auch nicht angeregt werden hat mich besonders irritiert. Selbst das, was wir von der intellektuellen und akademischen Elite mitbekommen haben wirkte nicht besonders inspirierend sondern auch eher frustriert auf mich.
Diese Exkursion, sich so zeitintensiv mit dem Land und vor allem den Leuten
auseinanderzusetzen hat mir sehr viel gebracht und mein Interesse für Bosnien und die ganze Region des ehemaligen Jugoslawien verstärkt.