Hannah & Clara: “Wir werden keinen besseren Herrscher als Tito haben.”

Wir haben Adela Jušić einen Strauß Blumen gekauft. Sie lädt uns nach Hause ein, da ist es nur höflich ein Geschenk mitzubringen. Als wir ihr den Strauß überreichen, kommentiert sie schmunzelnd, dass es gut sei, dass wir keine Männer sind. Von einem Mann hätte sie so eine Geste nicht angenommen.
Wir sitzen in ihrem Wohnzimmer, aufgereiht auf der Eckcouch, sie auf dem Sessel schräg gegenüber. Der Plattenspieler spielt den Clockwork Orange Soundtrack, Adela steht nochmal auf, macht bosnischen Kaffee und wir haben Zeit und Ruhe uns umzuschauen. Die Vorhänge sind zugezogen, trotz strahlender Sonne sitzen wir im Halbdunkel. Die vielen Bilderrahmen an den Wänden sind dennoch gut zu erkennen. Ein altes Partisanendenkmal, mittlerweile zerstört doch auf dem Schwarz-Weiß-Foto noch erhalten. Auf einem anderen Mickey Mouse mit ausgebreiteten Armen doch statt dem bekannten Gesicht, sitzt ein comichafter Hitlerkopf auf seinen Schultern. Zwischendrin immer wieder eigene Arbeiten von Adela Jušić.

Am prominentesten ein Werk namens Fünfjahresplan, eine riesige Bleistiftzeichnung, vielleicht A1. Darauf zu sehen eine einfach gekleidete Frau, die mit ihren Kindern auf dem Arm und an der Hand über eine Brücke läuft. Über ihnen das Banner mit den Worten “Fünfjahresplan – glücklichere Zukunft unserer Leute” auf Bosnisch. Sie hat es für den Sammelband “The lost revolution – Women’s Antifascist Front between myth and forgetting” gezeichnet. Als sie wiederkommt präsentiert sie uns die Zeichnung und beginnt über die AFŽ zu erzählen. Die antifaschistische Frauenfront Jugoslawiens. Zusammen mit Kolleg*innen hat sie das AFŽ Archiv geschaffen, in dem online Zeitdokumente und Quellen über die Arbeit der AFŽ gesammelt werden. In diesem Rahmen sind auch das Kunstwerk und der Sammelband “The lost revolution – Women’s Antifascist Front between myth and forgetting” entstanden. Man merkt Adela an, wie sehr sie für die Arbeit dieser Frauen brennt. Später zeigt sie, dass sie sogar das Logo der AFŽ unter der Haut trägt. Monologisch fasst Adela die Geschichte der AFŽ zusammen – von der Gründung 1941 bis zur Selbstauflösung 1953. Im Zweiten Weltkrieg seien Frauen gleichberechtigt gewesen, Partisaninnen kämpften neben Partisanen. Die kommunistische Partei unter Tito hatte zwar allen Menschen Gleichberechtigung versprochen, es niedergeschrieben, doch das Rollenbild der Frau änderte sich wieder. Von der Partisanin zurück zur Ehefrau, zur Mutter. Die AFŽ kümmerte sich darum, Frauen zu bilden. Ihre Arbeit war stark an der Lebenswirklichkeit der Frauen orientiert: Wissen über Schwangerschaft, Geburt und Sorge für die Kinder und auch lesen und schreiben lernen. Adela kritisierte, dass Frauen im Haus unbezahlte Arbeit leisten mussten, während sie es als ehrenhaft darstellte, dass Frauen unbezahlt die Trümmer aufräumten. Tito hätte die Fähigkeit gehabt, Leute dazu zu bringen, kostenlos zu arbeiten. Wir stolpern über diese Aussage – widerspricht sich das nicht? Als Adelas Monolog Tito thematisiert, häufen sich diese Momente. Wir fragen, wie Tito, so ein stereotyper Mann mit Affären, Geld, Macht – heute würde man ihn Macho nennen – feministische Arbeit beeinflusst hat. Alle Herrscher seien doch Machos, antwortet Adela darauf, Tito musste so sein um erfolgreich zu sein. Und dennoch sei er anders als die anderen gewesen. Die Leute hätten ihn geliebt, als Fabelwesen mystifiziert. Frauen, auch Feministinnen, wollten seine Sophia Loren sein. “Die Leute hatten nicht so viel Platz zum Denken”, sagt sie, aber es wirkt nicht mal wie eine Kritik. Sie erzählt weiter darüber, wie Tito seine Gegner in Arbeitslager steckte. Wie die Ehefrauen dafür bestraft wurden, wenn die Männer sich kritisch äußerten. Wie er es schaffte, eine gemeinsame Jugoslawische Identität zu stiften. Dass Tito genau gewusst hätte, wie es um das von ihm geschaffene Jugoslawien nach Ende seiner Ära bestellt sein würde. Lob und Kritik sind an diesem Punkt des Gesprächs gar nicht mehr zu unterscheiden – aber vielleicht ist es auch alles als Lob gemeint? “Wir werden keinen besseren Herrscher als Tito haben.”, sagt Adela entschlossen. Heute fragen wir uns, ob daraus die Begeisterung für Tito spricht oder das Bild der düsteren Zukunft, die sie für das Land sieht. Denn im Interview wird klar, dass sie die Situation, in der sich Bosnien und Herzegowina befindet, für hoffnungslos hält. Die Jugend sei egoistisch und engagiere sich nicht. Die Menschen würden nicht mehr aufeinander achten, wie dies zum Beispiel zu Zeiten des Bosnien Krieges der Fall gewesen sei. Die Regierung führe jeden Konflikt nur auf Ethnien zurück, schüre damit die Konflikte erst. Gesundheitswesen, Bildung, alles das gab es unter Tito noch, heute sei es nur noch Korruption. Sie sei froh, dass ihre Arbeit als Künstlerin ihr manchmal Reisen ins Ausland ermögliche. Die zweite Seite der Schallplatte ist schon lange verklungen und auch wir sind geplättet. Fast drei Stunden hat Adela monologisiert, über die AFŽ, Tito und die heutige Politik geredet, in einem Tempo, dem man nur schwer folgen konnte, geschweige denn Fragen dazwischen werfen. Es ist spannend, eine feministische Künstlerin zu interviewen, die einen großen Teil ihrer heutigen Arbeit der Aufarbeitung einer feministischen Bewegung widmet, die schon fast 70 Jahre alt ist. Ein Phänomen, dass sich durch alle gesellschaftspolitischen Themen zu ziehen scheint, hinterlässt es doch fast das Gefühl, feministische Strömungen der 50er waren spannender und kämpferischer als 2019 in Bosnien. Gibt es die überhaupt? Womit beschäftigen sie sich? Diese und viele andere Fragen konnten wir Adela leider nicht stellen. Was jedoch nicht nur im Interview, sondern auch in anderen Zusammenhängen erwähnt wurde, ist die zum ersten Mal stattfindende Pride Parade in Sarajevo im Herbst diesen Jahres. Alle sind gespannt auf dieses Event, es scheint eine Art Aufbruch darzustellen. Unsere letzte Frage schließt das Interview ab: Was ist politische Kunst? Man müsse sich zuerst fragen, was Politik ist, antwortet Adela. Ihre Definition lautet in etwa so: Zivilcourage, Solidarität und Bewusstheit für die Bedürfnisse anderer. Politische Kunst sei dementsprechend die Kunst, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt. Doch es sei keine Hoffnung in der Kunst, man solle nicht zu viel von ihr erwarten, so Adela. Ein ernüchternder Abschluss von einer politischen Künstlerin. Bevor wir gehen, schauen wir uns noch eines ihrer Werke an. Eine Karte Jugoslawiens, auf der die Truppenbewegungen der Partisanen eingezeichnet sind. Um sie herum kriechende Soldaten an der Waffe, nein, Soldatinnen, Partisaninnen.
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