Archiv für den Monat: Juli 2019

Mein Traumurlaub in Tofo

Sonnenuntergang in Tofo

Mittwoch, Abend

„Hey, wie geht’s dir?“

Ich antwortete, dass es mir gut geht.

Die junge Frau mit dem durchgewuschelten, blonden Surferhaar stellte sich vor: “Savanna, so wie der Cider.“

Ja, es gab einen Cider in Südafrika, der „Savanna“ hieß. Sie fand diesen Zufall wohl ziemlich lustig, ich lachte reflexartig mit.

„Ich heiße Alex.“, sagte ich zurück.

„Was hast du heute Abend vor?“, fragte sie – nun ja, zunächst mal hatte ich mir ein wenig Alkohol besorgt, immerhin war dies der zweite Abend meines Urlaubs und ich wollte genießen. Dann wusste ich auch, dass mir eine gute Freundin schreiben würde, also wollte ich den Abend eigentlich für mich nutzen, auch hinsichtlich der Tatsache, dass ich ja aus einem guten Grund alleine hierhergereist war.

„Ach, ich habe noch keine Pläne“, sagte ich höflich.
„Ich wollte nochmal Matapa essen, bevor ich gehe.“ Von einer Bekannten war mir Matapa, ein traditionelles mosambikanisches Gericht, empfohlen wurden und ich wollte es wirklich gerne probieren.

„Ja, dann lass uns Matapa essen gehen. Aber nicht hier im Backpacker, ich habe mich schon rumgefragt, es gibt so viel besseres Matapa zu billigeren Preisen dort beim Markt.“

Sie zeigte mit ihrer Hand in die Richtung.

„Ja, ich weiß, wo der Markt ist. Dort gibt es sicherlich billig Matapa.“

Sie erzählte noch ein bisschen – von ihrem Leben in California, von ihren letzten zwei Jahren, in denen sie Europa und Afrika bereist, von den sechs Monaten, in denen sie in Südafrika gelebt hat und wie sie bald in Los Angeles bei ihrem schwulen Onkel und seinem Mann leben wird; ein Los, welches sie lediglich widerwillig angenommen hatte, denn sie mochte Städte eigentlich gar nicht so gerne.

Mein Mitleid mit ihr hielt sich zwar in Grenzen, doch das sagte ich ihr nicht. Sie war nett genug, um mit ihr den Abend zu verbringen, besonders, da sie nunmehr gesagt hatte, dass sie im Allgemeinen früh aufsteht, daher gerne schon gegen neun Uhr ins Bett gehen würde.
Weiterhin war sie Taucherin, extra für die Haie an diesen Ort gekommen und bereits an einem anderen Strandstädtchen in Mosambik einen Monat tauchen gewesen.

Nach kurzer Suche in der dank Stromausfall dunklen Nacht setzten wir uns in ein kleines Restaurant, „Mama Bia“.
Wände und Decken waren aus Wellblech, Matapa kostete lediglich 60 Meticais, umgerechnet einen Euro.

Dafür bekam man einen Teller voll Reis mit der grünen Matapa obendrauf. Im Wesentlichen ist das eine Soße, die aussieht wie Petersiliensoße und schmeckt wie Kokos. Das Essen ist so nicht nur traumhaft billig, sondern eben auch schlicht traumhaft – den zarten Kokosgeschmack stelle ich mir in diesem warmen Essen selbst an einem heißen, tropischen Sommertag sehr erfrischend vor.

Wir unterhielten uns und Savanna, die die ganze Zeit so viel am Erzählen war, fragte mich nur noch aus. Wie ist dein Leben im Township?
Und du lebst in einer Gastfamilie?!
Wie groß ist die?
Und kommt ihr gut klar?

Savanna war einer der Menschen, die stundenlang im Restaurant sitzen und essen, bis das Essen schon längst kalt ist, einfach, weil sie so viel quatschen und fragen und erzählen müssen.
Ich war dementsprechend froh, als wir gegen viertel neun das Restaurant verließen und zurück zum Hotel gingen.

„Hey Alex!“, beim Aufstehen im Restaurant werde ich aus meinen Gedanken gerissen.

Dienstag, Morgen

Fünf Uhr morgens stand ich auf.

An meine Gedanken kann ich mich jetzt im Nachhinein gar nicht erinnern.
Ich war jedenfalls genervt von der Uhrzeit, genervt vom Mosquitonetz um mich herum und ebenso genervt von dem Mückenspray – beides hatte nicht geholfen und ich wurde zerstochen.

Wie dem auch sei, umso dankbarer war ich um die Malariaprophylaxe, welche ich ganz brav über die ganze Zeit hinweg eingenommen hatte.

Ich bin also aufgestanden, habe mich fertig gemacht und in der Lobby gewartet.

Dort kamen dann – kurz nach mir – zwei andere junge Männer.

Am Vorabend sahen die beiden im Zwielicht zwar auch noch sehr gut aus, jetzt allerdings nur noch einer von ihnen: der große mit den braunen Haaren und den braunen Augen.
Sein Bruder war sogar noch größer als er, mit blonden Haaren und blauen Augen. So wenig können sich zwei Brüder nicht ähnlich sehen.

Der ältere studierte bisher Medizin, wechselte aber jetzt zu Theologie (21, braune Haare) und war schon einmal Backpacken in Indonesien, während der jüngere Wirtschaft studieren will (18, blonde Haare) und gerade die 12. Klasse abgeschlossen hatte. Überhaupt waren die beide nämlich nur deswegen in Mosambik, weil sie eine Reise durch das südliche Afrika machten, als Belohnung für die abgeschlossene Schule. Sie waren Niederländer.

So lernten wir uns langsam kennen, während wir vom Backpacker mit dem Taxi zum Bus fuhren.

Die Fahrt nach Tofo kostete 1000 Meticais.
Ich erzählte auch von mir: Alex, 19, Deutschland, Freiwilliger in Südafrika, Township bei Pretoria. Bla bla bla.

Im Bus warteten wir wohl noch zwei Stunden bis es los ging. Fünfzig Mal winkte ich Verkäufer/innen ab, die mir einen ganzen Drogeriemarkt andrehen wollten, aber so ist das eben in Afrika.

Dann ging es los: insgesamt fuhren wir zehn Stunden von 6 Uhr bis 16:45 Uhr, um diese Uhrzeit kamen wir in Tofo an. Meine Beine schmerzten, weil der Bus, den auch „die Locals“ so benutzten, so klein war und meine Beine viel zu lang für diese Welt sind.

Auf der Fahrt hörte ich eigentlich nur Musik und – an dieser Stelle mache ich ruhig mal Werbung – eine Folge Fest & Flauschig. Aber ich bin eben auch denen ihre Zielgruppe.

Wir stiegen aus dem Bus aus, es war warm, doch frisch, der Himmel war bewölkt: keinesfalls das Wetter, welches ich von diesem Küstenort erwartet hatte.

Ich hatte auf Wärme gehofft, die blieb (zunächst) aus. Doch auch das „(zunächst)“ sollte mir nicht viel genützt haben, denn ich war in den Tagen nur einmal richtig und dann noch einmal ganz kurz im Meer baden, weil das Wetter so wechselhaft war. Es hat mehrmals für ungefähr 10 Sekunden geregnet.

Die Niederländer und ich checkten bei „Fatimas“ ein. Das Backpacker hatte auf Google nur 3,3 und 3,8 Sterne. Meinen Aufenthalt dort habe ich trotzdem genossen.

Mittwoch, Nachmittag

Tofo war eine kleine, kompakte Stadt. Die wichtigsten Geschäfte, Surf – und Tauchschulen waren im Kern. Mein Backpackers – Fatimas – sollte eines der letzten touristischen Unternehmen Tofos sein, doch was kam dahinter auf dieser Straße?

Ich lief sie ab, hörte, da ich meine Kopfhörer verloren hatte, hin und wieder einzeln laut Musik, doch insgesamt beobachtete ich. 

Die Palmen mehrten und mehrten sich und langsam waren sie zwischen ihnen zu sehen: die Hütten der Einwohner Tofos. Der echten Einwohner. Es waren kleine Hütten aus Stroh und solcherlei Dinge, absolut beneidenswert. Traumhaft schön!

Eine schöne Hütte im Dorf
Hier kamen normalerweise keine Touristen hin, das war klar.
Warum? Ich wusste es nicht.

Die Straße führte ganz offensichtlich weg und war somit zum Untersuchen geschaffen.
Die Weißen fuhren hier aber wohl lieber mit ihren Jeeps durch.

Hier hinten, wo keiner mehr Englisch und alle nur noch Portugiesisch sprachen (was heißt, dass ich alter Weltbürger da komplett aufgeschmissen war), ging ich an einen Stand und kaufte mir Erdnüsse: 10 Meticais.
Das waren 1/6 Euro – meine Überraschung über diesen billigen Preis war riesig!

Ich ging weiter, aß meine Erdnüsse, erkundete die Umgebung, lief, meine Beine wurden müde. Ich ging, nebenbei auf der Suche nach dem Leuchtturm, immer weiter nach hinten und schließlich über eine Düne.

Von dort wart der Leuchtturm tatsächlich noch sehr weit weg, ich hatte mich verschätzt.

Ich setzte mich also dort an die Düne in einen vom Wind abgeschnittenen Bereich, spielte etwas Musik und genoss meine Erdnüsschen während sich der indische Ozean vor mir erstreckte.

Dienstag, Abend

Gerade kam ich aus Dino’s Restaurant, wo ich einen ganzen Fisch mit Kokosnussreis gegessen hatte (sie merken, viel Kokosnuss in diesem Urlaub!), suchte nach Gelegenheiten zum Feiern und stieß auf „Tofo Tofo“.

Dort war „typisch afrikanische“ Live Musik. Während die Schwarzen ihre „afrikanische Musik“ machten war der Raum voll mit trinkenden Weißen.

Ich traf auf die Niederländer, sie bestellten Bier, ich einen Cocktail – clichehaft von mir!

Wir setzten uns hin, unterhielten uns, spielten Karten.

Unterm Alkohol taute der jüngere Bruder, der Blonde, langsam auf: er fing an mit mir zu reden und zu witzeln, ich war beeindruckt.

Normalerweise mag ich Kartenspiele gar nicht, weil ich sie als Bekenntnis dazu sehe, dass man nicht weiß, wie man sich sonst unterhalten soll und das ist einfach schade, weil es viel über die Tiefe der Beziehungen der beteiligten Menschen aussagt.
Trotzdem habe ich mitgemacht.

Die Kartenspiele waren auch ganz lustig. Nach ein paar Runden, in denen ich auch zwei, drei Zigaretten geraucht habe, stießen immer mehr Menschen aus der Stadt zu uns.

Er stellte sich vor, Weißer aus Cape Town. Er stellte sich vor, Weißer aus Großbritannien.
Sie stellte sich vor, Weiße.
Weißer.
Weiße.
Und so ist das eine ganze Community.

„Jeden Tag ist hier woanders etwas los.“, sagte der Taucher mit dem schulterlangen blonden Haar, ausgewaschen vom Salzwasser. „Heute hier bei Tofo Tofo, morgen sind wir dann wohl einfach auf dem Markt und saufen, Freitag ist der beste Abend.“

Ich sollte Freitagmorgen wegfahren. Aber ich war eh nicht so scharf auf die fetten Partys, weil ich alleine reisen wollte und weil ich wohl zu „den Locals“ wollte und weil ich an diesem Dienstagabend schon den Großteil meines Geldes ausgegeben hatte.
Aber es war ein göttlicher Abend.

Wir gingen dann nach Hause und tranken noch eine Runde.

Von den beiden Niederländern hat der jüngere sogar mehr geschüttet als der braunhaarige, obwohl der ja noch vorher so angegeben hatte von wegen er hätte schon Ecstasy und dies und das genommen und kenne sich mit Drogen sonst wie gut aus.

Ja großer Gott, welcher einundzwanzigjährige Student des globalen Nordens hat noch kein Ecstasy genommen?

Danach habe ich mich nochmal alleine in eine Hängematte gelegt und meine Playlist „Love and Peace“ angemacht.
Die Lichter waren noch an und – wenn ich auch von Mücken zerstochen wurde – es war friedlich und entspannt.
Meine Gedanken verschwanden in eine andere Welt.

Die ganze Zeit war ich an dem älteren Bruder interessiert gewesen, wegen seines Aussehens, aber jetzt stellte sich langsam heraus, dass der jüngere Bruder der viel interessantere war.

Ich habe über meine Musik nachgedacht, den Tönen Tofos gelauscht und an diesem Abend nur noch ein bisschen gegrübelt.

Dienstag, Nachmittag

Zu diesem Zeitpunkt der Reise brauchte ich unbedingt Geld.

Nachdem ich also an dem Bankautomaten vier Kilometer vor der Stadt kein Geld erhalten hatte, musste ich (da ich kein W-LAN im Backpackers hatte und somit auch kein Internet generell) bei einem Kellner bei Dino’s auf dem Handy nachschauen, ob das Geld auf meinem Konto war.
Das war es.

Ich entschloss also zurück zum Geldautomaten zu laufen, auch aus Mangel an Geld konnte ich kein Taxi nehmen.

Ich lief und lief, versuchte zu trampen aber es funktionierte nicht – keiner wollte anhalten!

So lief ich weiter und weiter bis mich drei Typen aufluden: „Wir fahren dich für 2000 Meticais!“

Ich: 2000? Das ist schon ziemlich viel, oder?“

Er: „Ach, Quatsch, komm rein.“

Ich: Ich bezahle auf gar keinen Fall 2000!“

Er: Ja ja, komm jetzt rein.“

In dem guten Gewissen, dass ich am Ende sowieso bezahlen konnte was ich wollte und wohl nichts passieren würde, bin ich einfach eingestiegen. Sie haben mich dann im Endeffekt… 2 Hügel mitgenommen – nichts, was ich nach mehr als 45 Minuten Laufen nicht auch selbst noch hätte schaffen können. Aber gut. Ich war dann also an der Tankstelle. EC-Karte rein, PIN eingeben, Geldbetrag auswählen und – technischer Fehler.

Super.

Glücklicherweise hatte der Tankwart eine internationale Kartenmaschine.

Er bot mir an gegen eine kleine Gebühr von 5% (nerv) bei ihm meinen Geldbetrag zu zahlen, den er mir dann wiederrum in Cash auszahlen würde.
Ich willigte ein.

Wenngleich ich kostenlos zurück getrampt bin und froh war mein Geld erhalten zu haben, war dies meine erste, schockierende Konfrontation mit dem Tofo-Kapitalismus.

Als afrikanisches Pendant zum Manchester-Kapitalismus, welcher auf einem rigorosen und unmenschlichen Fabriksystem aufbaut, baut der Tofo-Kapitalismus auf einem rigorosen und unmenschlichen Handelssystem auf.

Lediglich um an mein eigenes Geld zu kommen musste ich nämlich 5% von 7000 Meticais (also 350 Meticais) an den Tankwart und nochmals 300 Meticais an meinen Fahrer zahlen – das ist Tofo-Kapitalismus!

Am nächsten Morgen wurde mir eine Kokosnuss für 300 Meticais aufgeschwatzt. Das sind 75 Rand, fünf Euro.

Fünf Euro für eine frische Kokosnuss scheinen vielleicht gar nicht so schlecht zu sein, aber es ist Afrika.
Wenn wir bedenken, dass diese Typen die Kokosnüsse wahrscheinlich morgens von den Palmen holen und sie so für 0 Geldeinheiten pflücken, dann ist 300 Meticais schon ein ganz schön frecher Gewinn.

Doch das ist der Tofo-Kapitalismus, immer wieder kommt irgendein Verkäufer am Strand zu dir und belagert dich teilweise für mehrere Minuten:
Willst du Armbänder? – 1000 Meticais.
Kokosnüsse? – 500 Meticais.
Vielleicht Stirnbänder? – 1500 Meticais.
Oder Tücher? – 1000 Meticais.
Cashewnüsse? – 400 Meticais; Moment, waren Erdnüsse bei den Leuten im Dorf nicht nur zehn Meticais?!?

Ähnlich ging es am Markt weiter: haufenweise Stände zugeramscht mit dem ganzen Souvenirmüll, den man im gesamten Süden Afrikas zu Hauf findet!
Die pure Langeweile dieser Souvenirs, die ich alle zwischen Cape Town und den Victoria Falls schonmal irgendwo gesehen habe, gähnte mich in ein tiefes Loch der Öde.

Die hohen Preise nahmen mir den Atem. Es waren Preise für Touristen, europäische und nordamerikanische Touristen mit viel Geld, denn wer sonst kam schon nach Tofo – ein kleines, mosambikanisches Taucherparadies?

Trotzdem schaffte ich es einen Verkäufer von 4000 Meticais auf rund zehn Euro (600 Meticais) runterzuhandeln für eine schöne, bunte, lange Hose.
Von einem anderen habe ich eine kurze, tolle Hose für 250 Meticais angeboten bekommen, welche ich für den Preis auch genommen habe. Sie sitzt wunderbar.

Auf dem ganzen Markt war das einzig wirklich billige jedoch die Matapa, welche ich an diesem Abend mit Savanna aß.

Es gab wohl auf der Innenseite des Marktes Läden mit Preisen für „die Locals“, während lediglich auf der anderen Seite die Touristenpreise waren.

Trotzdem waren die weißen Touristen tagsüber an den teuren Touristenständen zu beobachten – der Geschäftsplan ging also auf.

„Hey Alex“, riefen mir die Niederländer zu, Savanna stand neben mir. Sie rießen mich aus meinen Gedanken.

Sie: „Willst du noch mit uns in die Pool-Bar?“

Ich: „Pool-Bar?“

Sie: „Ja, da kann man Pool spielen.“

Jetzt habe ich das Konzept auch verstanden.

„Achso.“, sage ich, aber lehne ab.
„Nein, ich denke nicht, dass ich heute noch komme. Ich denke ich gehe jetzt mit ihr nach Hause.“
Ich deute auf Savanna, rein platonisch.
Wir gehen.

An diesem Abend überlege ich lange.

Als ich zurück zu Fatimas komme ist mein Akku nur ganz schwach geladen, er war auch nicht in den Stecker der Lobby gesteckt, so wie mit dem Personal von Fatimas ausgemacht, das konnte ich sehen.
Die Bewertungen des Backpackers auf Google schnellen mir wieder in den Kopf.
Ich liege alleine im Schlafsaal, bin frustriert. Fatimas Maputo hat lediglich 3,3 Sterne auf Google, Fatimas Tofo 3,8.

Negative Bewertung von Fatimas Tofo auf Google

Negative Bewertung von Fatimas Maputo auf Google

Kommt die Unzufriedenheit etwa, weil hier notorisch Handys nicht aufgeladen werden?

Negative Bewertung von Fatimas Maputo auf Google 
Nein, die Online-Bewertungen sind natürlich lediglich Ausdruck einer viel tieferen Problematik: all die Mitarbeiter, mit denen man Kontakt hat, sind mittelalte Männer, die lediglich auf Kohle aus sind.

Du hättest sie gerne fragen können was du alles machen kannst und sie hätten dir auch ganz viele tolle Dinge vorgeschlagen, jedoch alles nur für einen schönen Batzen Cash.

Das ist zwar unschön aber auch ehrlich – ehrlich für diese Kultur.

Es wäre jedoch vermessen und stark gegen die Intention des Autors an dieser Stelle zu pauschalisieren, dass die mosambikanische Kultur oder gar die Kulturen des südlichen Afrikas darauf aufbauten, Fremden und Besuchern das Geld aus den Taschen zu leiern.
Dies ist schlichtweg nicht der Fall.

Doch ist es so, dass dies in diesen Ländern teils öfter und definitiv offener praktiziert wird als dies im globalen Norden der Fall ist.

Wer sich vom Personal bei Fatimas Tipps erhofft, wie man Nüsse am Strand auch billiger kriegt, wie teuer ein Produkt für „die Locals“ ist, wo und wie die Locals“ leben, der hofft vergebens.

Die Mitarbeiter stecken sogar mit den Verkäufern am Strand unter einer Decke, erzählen dir, die überteuerten Preise für Cashewnüsse seien normal.

Offenbar wird hier, wo viele der negativen Kommentare herkommen: für einige globale Nördler, die in eines von Fatimas Backpackern einkehren, ist der Kulturschock groß. Sie werden konfrontiert mit Seiten einer fremden Kultur, welche sie so nicht aus ihrer eigenen kennen und ziemlich rasch nach ihren Vorstellungen aburteilen.

Für die gebildeten, privilegierten Westeuropäer und Nordamerikaner, welche sich das Reisen an Orte wie diesen leisten können, ist die tatsächliche Konfrontation mit Teilen der fremden Kultur, mit geldgeilen Männern, die sich nur um Meticais und nicht um Probleme mit Bettwanzen kümmern, schockierend.

Um das wirkliche Kennenlernen einer neuen Kultur geht es in Wahrheit nämlich auch gar nicht:
Was hier von Weißen ge – und von Schwarzen verkauft wird ist immer diese „experience“ und sie dürfen jetzt ruhig zurück gehen und schauen, wie ich „die Locals“ immer ganz brav in Anführungszeichen geschrieben habe, weil ich es hasse.

Jeder, der nach Tofo kommt, möchte gerne diese „Local Mozambique Experience“, aber am Ende hängt man doch nur die ganze Zeit mit irgendwelchen privilegierten, wohlhabenden Weißen ab, während die schwarzen Einwohner Tofos versuchen einem die beste Pseudoshow von Afrika zu liefern. Man kennt es: bekannterweise ist man dann von jedem Strandverkäufer sofort „My friend“, zumindest für die Minute, in der du ihm klar machst, dass du nichts kaufen willst.

So sollten wir uns an diesem Punkt der Frage stellen: Warum?! Warum sind die Preise in Tofo denn alle so hoch? Warum gibt es denn den Tofo-Kapitalismus?

Es ist, weil die kleine Küstenstadt Tofo nichts ist als eine eurozentristische Kulisse für authentische, afrikanische Kultur.
Bei einer Reise an diesen Ort bekommt man genau diese, die „authentische Kultur“, nämlich nicht.

Man bekommt nicht Afrika, wie es ist, man bekommt Afrika, wie man es sich als Europäer vorstellt.

Weil hierher nun mal nur reiche weiße Touristen aus dem globalen Norden kommen, die bereit sind, solche Preise zu zahlen, kosten Cashewnüsse 400 Meticais und lange Hosen 4000 Meticais.

Schließlich, so denke ich an diesem Mittwochabend, bekommt Fatimas nur aus diesem Grunde teils so schlechte Bewertungen, weil hier die unansehnlicheren Teile der mosambikanischen Kultur durchdringen und sichtbar werden; ein Makel, der für privilegierte Weiße unerträglich ist, welche nur deswegen hierher kommen, um in der eurozentristischen Traumwelt zu leben, die ihnen Fluch der Karibik oder das Traumschiff oder Jahrhunderte voll institutioneller Bevorteilung von solchen traumhaften Stränden vorgegaukelt haben.

Donnerstag, Nachmittag

Am nächsten Morgen fährt mein Bus zurück nach Maputo um vier Uhr, daher habe ich jetzt meinen Rucksack gepackt.

Ich komme zurück, dorthin, wo ich saß und das Meer beobachtete und die Niederländer hinter mir Musik hörten und Tagebuch schrieben. Jetzt war da noch Louisa und ihr boyfriend.

Louisa war sehr nett, ihr boyfriend, dessen Namen ich nicht mal mehr weiß, nicht so sehr. Es war ein sehr generischer englischer Jungenname.
Genauso, wie er ein sehr generischer englischer Junge aus den späten Neunzigern/ frühen Zweitausendern war.

Er versuchte die ganze Zeit (bewusst oder unbewusst, wie auch immer) mich durch seine Körpersprache aus dem Spiel zu drängen (ach ja, genau, wir haben an dieser Stelle, zu meiner immensen Freude, schon wieder KARTEN gespielt!!!).

Weiterhin war er einfach mal hin und wieder homophob, sagte „I’ll get bum raped in this game“ (In diesem Spiel werde ich anal vergewaltigt) oder „Take this, you cocksuckers“ (Nehmt das, ihr Schwanzlutscher).

Diese homophoben Sprüche waren vom Verwender möglicherweise nicht mal böse gemeint, sie sind schlicht dumm und unnötig.
Insofern vielleicht doch eine Absicht zu Verletzen vorlag, macht es mir dieser arme Surfer-Boy jedoch nur noch leichter, ihn jetzt als das privilegierte Arschloch zu porträtieren, welches er darstellte.
So war ich mir schon damals bewusst, dass das Treffen mit ihm dem Bild, welches ich hier von Tofo malen wollte, nochmal einen interessanten, neuen Kontrast geben würde. 

Mittwoch, Nacht

Ich möchte Alkohol trinken und trage die schöne, bunte, lange Hose, die ich für 600 Meticais gekauft habe, zum ersten Mal.

Sie zerreißt vorne und hinten.

Der Tofo-Kapitalismus schlägt erneut zu.

Donnerstag, Abend

An meinem letzten Abend saß ich bei Mama Bia, wie gesagt, die Matapa kostete hier nur 60 Meticais und schmeckte so unsagbar gut.

Ich saß dort alleine, als sich plötzlich eine Gruppe Fremder zu mir setzte. Ein junger Mann, ein Mann, der lediglich ein wenig älter war, eine junge Frau.
Alles (angehende) Ärzte.
Alles Westdeutsche.
Alles Weiße.

Wir saßen dort und sprachen, vor allem einer von ihnen und ich haben uns gut verstanden, wir quasselten über psychische Krankheiten, über Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen, gesellschaftliche Stigmata – er habe da wohl Praktika gemacht.
Jetzt ist er jedoch innerer Mediziner.

Wir unterhielten uns später auch mit dem Rest der Gruppe. Sie bestellten riesige Teller voll mit Fisch und verschiedenem Fressen.
Die Besitzerin frug, was die Gruppe denn so machen wolle. Plötzlich sagte der Mann, mit dem ich die ganze Zeit gesprochen hatte: „Wir machen nur das, was die Locals machen.“

Das war der Moment, in dem ich wirklich aus allen Wolken viel.

Diese Europäer saßen dort, aßen eine viel größere Mahlzeit als es echte Mosambikaner jemals tun würden und unterhielten sich hier mit wem?
Einem „der Locals“ etwa?

Nein, mit mir, einem weiteren Deutschen!

Und das ist nämlich vielleicht auch ihnen aufgefallen, beim Lesen: ich hatte mit keinem Menschen zu tun, der „ein Local“ war (das bedeutet übrigens schwarz, in politically correct) und mir nichts verkaufen wollte, sondern nur mit weißen Europäern und Nordamerikanern; reichen, weißen Südafrikanern.

Schwarze sind nur Bedienung in dieser Welt, Verkäufer, Händler oder abgeschoben in ihr kleines Dorf an den Rande des Lebens, vertrieben von den globalen Nördlern, die sich hier, mitten in Mosambik, ihre kleine Festung aufgemacht haben und sich nun immer und immer wieder einreden, dass sie eine „echte“ kulturelle Erfahrung haben, weil sie backpacken und das einfach nur so unglaublich „unique“ ist.

Man lebt die ganze Zeit in einer eurozentristischen Blase, weil man sich als weißer, globaler Nördler in seiner übergeordneten, mächtigen, weißen, pseudo-linken (, weil trotzdem weiterhin ihre Privilegien ausnutzenden) Community befindet, welche bedient wird von der schwarzen, lokalen Community; der andere Teil derselbigen, der nicht dient, muss an den Stadtrand weichen.

Doch auch die Diener dienen gerne.
So ist wohl das paradoxeste am System, dass „die Locals“ ihre untergeordnete Rolle gerne wahrnehmen.

Sie setzen ihre Preise immens hoch, dorthin, wo sie kein durchschnittlicher Mosambikaner bezahlen kann und verdienen sich an den Touristen eine goldene Nase.

Es ist dieser eiskalte Rassismus, dieser Eurozentrismus, diese gefälschte Offenheit einer weltbürgerlichen Elite, dieser Komplex, etwas mit „Locals“ machen zu wollen, aber dann trotzdem immer wieder in die eigenen, weißen Gruppen zurück zu fliehen, der dem harten Kapitalismus Tofos Raum gibt und die Stadt zu der macht, die sie ist.

Leider ist das keine schöne, einmalige, glaubhafte, mosambikanische Küstenstadt, sondern bloß eine Kulisse für einen riesigen Film in dessen Hauptrollen sich die Weißen aus dem globalen Norden gekauft haben während sie „die Locals“, mit denen sie ach so gerne Zeit verbringen um das Land genauso kennenzulernen, wie es ist, für mächtige Kompensationen in die Statistenrolle verbannten.

Worum es in diesem Film geht? Um nicht weniger als Afrika: Was es ist und wie die Menschen dort leben.

Problematisch nur, dass die ehemaligen Kolonialisten die Regie in der Hand halten.

Freitag, Morgen

Um drei Uhr dreißig stehe ich auf und mache mich fertig, mein Bus fährt um vier.

Ich konnte mir jetzt einen Sitz vorne sichern, neben dem Fahrer. Das ist besser für meine Beine als hinten im Bus.

Ich kaufte mir von einem Kind zehn süße Brötchen, welche köstlich geschmeckt haben. Sie waren auch lediglich 50 Meticais. Bei dem Preis kam ich mir wohl zum ersten Mal in diesem Urlaub vor wie „ein Local“!

Als ich das letzte Mal in diesem Bus saß, hatte ich Hoffnungen für diesen Urlaub: echt-mosambikanisch sollte er sein, mit „den Locals“, ganz roh und echt.

Unglücklicherweise wurde ich von Tofo flott desillusioniert.

Sehr schnell fand ich mich in einer schizophrenen Welt, in der die Schwarzen den Weißen gegen viel Geld ein riesiges Theaterstück vorspielten.

Der Text wurde geschrieben von den Europäern, welche jetzt so taten, als hätten sie das vergessen.
Gespielt wurde er von den Schwarzen und immer, wenn kurz gesehen werden konnte, dass es eben alles nur ein Spiel war, zeigten sich die globalen Nördler darüber mit Kommentarbomben mächtig erzürnt.

Denn der Film war jetzt zur neuen Wahrheit geworden, seine Regeln waren das neue Gesetz.

In diesem Drehbuch würden die Schwarzen den Weißen für immer dienen, während die Weißen die Schwarzen für immer bezahlen würden.
Vom System würden die Privilegien der Weißen institutionalisiert, während sich die Schwarzen Tag für Tag auf ihre Kompensation freuten – den Geldüberschuss, welchen die Weißen nur zu gerne mit gönnerischer Geste an die weniger glücklichen abtraten.

So einfach ist es in unserer Welt: fliege unter heftigem CO2-Ausstoß einmal um die Erde (welcher dann in seiner klimatologischen Auswirkung sowieso hauptsächlich die „Entwicklungsländer“ trifft), bezahle dort viel zu überteuerte Touristenpreise (aber das ist ja eh kein Problem für dich, denn du hast die Watte ja, immerhin hattest du das Glück in eines der Länder geboren zu werden, welches die letzten Jahrhunderte ausgebeutet hat und nicht ausgebeutet wurde) und als Belohnung erhältst du die einzigartigste, authentischste „Local Experience“, die du dir hättest vorstellen und Wünschen können, weil sie deinen vorgefertigten, global nördlichen Vorstellungen und Wünschen zu einhundert Prozent entspricht!

Auf der Busfahrt zurück nach Maputo hörte ich ein bisschen Böhmermann und Schulz, dann nur noch Musik, aß zwei, dann nochmal zwei Brötchen und ging schlafen.

Es war ein Schlaf der Gerechten: der Urlaub war insgesamt gut, ich war nun sehr entspannt. Ich hatte viel Zeit für mich selbst nehmen können, habe oft und viel nachgedacht.

Ich blickte auf die letzten 3 Tage zurück und freute mich unendlich jetzt meinen Freunden und Familie immer erzählen zu können, dass ich in Tofo den coolsten Urlaub mit den Locals“ hatte, den man überhaupt jemals haben könnte.