Ein jedes Gesellschaftssystem sollte grundsätzlich stabil sein. Darin sind sich sicherlich in allen politischen Lagern alle einig.
Es bringt nichts, wenn sich am Ende die Leute gegenseitig die Köpfe von den Hälsen schießen.
Es bringt auch nichts, wenn das System am Ende vielleicht kollabiert.
Die von Kevin Kühnert angestoßene Debatte um den Sozialismus – auch, wenn ihre Auswirkungen bisher noch lange nicht so weit gehen, wie ich es erhofft hatte – hat die allgemeine politische Diskussion in Deutschland etwas mehr geöffnet.
Abgesehen von den Grünen, welche gerade ihre Erfolge feiern und der AfD, die sich jetzt (primär) als Lokalpartei des Ostens etablieren will, sollten alle Parteien die Suche nach etwas Neuem starten.
In der AKK-CDU hat diese Suche bereits begonnen.
Unter dem Druck der Umfragewerte sowie der heraufziehenden Landtagswahlen im Herbst (in Sachsen und Brandenburg wird bereits in weniger als zwei Monaten gewählt!) versucht die Vorsitzende frische Ansätze zu finden um ihre Partei neu auszurichten und so neue (alte) Wählerschichten zurückzugewinnen.
Problematisch ist hierbei nur, dass die Menge gesellschaftlicher Verfallsprozesse, welche zur momentanen Krise der Partei führten, durch die maßgeblich von der CDU forcierte neoliberale Politik der letzten Jahre hervorgerufen wurde.
Die SPD ist hingegen dem Glauben verfallen, eine Doppelspitze würde ihr zu neuen (alten) Höhen verhelfen. Letztens las ich dahingehend einen – am Ende leider ziemlich unkritischen – Text, mit der treffenden Überschrift: „Das Zauberwort heißt Doppelspitze“.
Doch die SPD sollte sich langsam damit abfinden, dass Wechsel im Führungspersonal nicht unbedingt erfolgreich sind, das hat man doch in den letzten Jahren gesehen.
Ob man da jetzt eine Person reinsteckt oder zwei – ja okay, natürlich decken ein Mann und eine Frau aus Ost – und Westdeutschland mehr Milieus ab als nur eine Person (wenn man sie klug einsetzt ungefähr doppelt so viele), doch auch eine Doppelspitze braucht gute Inhalte, die in der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden stoßen.
Hat die SPD Inhalte, die relevant für Wähler von heute sind?
Ist die SPD eine Partei, die auch junge Menschen wählen würden?
Hat die SPD eine Zukunft?
In einer nicht repräsentativen Umfrage der Mittelstands – und Wirtschsftsvereinigung der CDU haben im Dezember letzten Jahres immerhin 73% der TeilnehmerInnen auf die Frage „Haben Volksparteien in Deutschland eine Zukunft?“ mit „Ja“ oder „Eher ja“ geantwortet.
Das heißt eine Mehrheit sieht die SPD noch immer als Teil der Parteienlandschaft; der Nährboden für ihre Comeback ist also da.
Nur hier liegt der Hase im Pfeffer: sie schafft es nicht ihren Nährboden zu nutzen, da sie noch immer an ihren veralteten Denkweisen aus der Schröder-Ära festhält.
Die SPD sollte begreifen, dass sich die Gesellschaft verändert hat, dass es ihr nicht möglich sein wird, mit Ideologie aus dem letzten Jahrhundert eine Politik zu machen, welche ein völlig verändertes Elektorat zufriedenstellt und so ihren Machtanspruch sichert.
Sie muss sich eingestehen und akzeptieren, dass bestimmte Gruppen, welche früher SPD gewählt haben und so die Existenz der Partei sicherten, nun andere Interessen haben.
Die größte Stärke der Demokratie, dass sich die Politik durch regelmäßige Wahlen an die Bedürfnisse der Bürger anschmiegt, wird nun zum größten Problem der Sozialdemokraten, da ihnen die Bedürfnisbefriedigung von kritischen Mengen der Wählerschaft nicht mehr gelingt.
Eine neue ideologische Ausrichtung der Partei muss es schaffen ökologische mit sozialen Interessen zu verbinden, da die moderne ökologisch-soziale Frage (besonders seit dem Ende des kalten Krieges) durch den (globalen und digitalen) Kapitalismus zur drängendsten Frage des 21. Jahrhunderts geworden ist.
Hinzu benötigt die SPD an ihrer Spitze eine Person, welche mit einem solchen neuen, linken Programm mit starkem ökologischen Anstrich Wähler gewinnen kann. Eine charismatische Person.
Die SPD muss sich endlich trauen den Menschen eine Vision zu geben.
Eine Vision von einem glücklichen, sozialgerechten und ökologisch akzeptablen Leben für alle. Hier müssen Denkfabriken entstehen und neue Denkweisen ausgetüftelt werden, denn für neue Denkweisen und neue Ideen ist es an dieser Stelle höchste Zeit.
Wahrscheinlich ist es nämlich auch das, was vielen Menschen fehlt in ihrem heutigen Leben: etwas, woran sie sich festhalten können. Die Menschen sind so lose Teilchen in diesem großen, globalen Strom – dem Strom des Geldes und der Güter und der Macht.
Als Bürger fühlt man sich völlig entmündigt, da man denkt, dass die wahre Macht sowieso nur in den Hinterzimmern irgendwelcher undurchsichtiger Parteiapparate, Finanzinstitute, Börsen und Unternehmen liegt, dass dort die Geschicke der Welt gesteuert werden.
Alles, was einem bei dieser Enttäuschung bleibt, sind die beiden enttäuschenden Optionen, die man bei uns hat, um Einfluss auf das politische System zu nehmen: wir dürfen einmal alle paar Jahre unsere winzig kleine Stimme für irgendwelche Kandidaten und Parteien abgeben oder zu einer Demonstration gehen und dort einfach unsere Meinung in die Luft schreien.
In dieser Welt, die man so gerne als kafkaesk bezeichnen kann und welche in ihrer systematischen Undurchsichtigkeit durchaus an „Den Prozess“ erinnert, suchen die Menschen nach Ideologien, nach Vorstellungen, nach Regelungen, nach System, sowie nach authentischen Persönlichkeiten, welche diese gut verkörpern können.
Populisten haben dieses Gedankenspiel bereits (mehr oder weniger bewusst) verinnerlicht.
Schauen wir uns die AfD an: zusammengezimmerte, nationalistische Ideologie trifft auf klassisch konservative und isolatorische Wirtschaftspolitik. An der Spitze wurde wechselnd Personal verheizt, bis sich eine Gruppe grimmiger AfD Ganoven um Gauland versammelt hatte und mit ihm zusammen nun die Führungsriege der AfD stellte.
Interessanterweise werden die Grünen von niemandem als populistisch bezeichnet, wenngleich auch sie sich beispielsweise schon für Enteignungen im Notfall ausgesprochen haben.
Obwohl hier also teils mit dem Populismus kokettiert wird fällt dies im gesellschaftlichen Diskurs wenig bis gar nicht auf. Dies kommt wohl durch die ebenso zusammengeramschte Ideologie der Grünen, welche kürzlich in einem Artikel auf ZEIT ONLINE hervorgehoben wurde.
Interessant, dass eine zusammengewürfelte Ideologie sowohl Teil des Erfolgsrezepts der Grünen als auch der AfD ist.
Es ist meiner Meinung nach eine zurzeit legitime Deutung, die AfD als primär ostdeutsches Phänomen und die Grünen als eher linke, westdeutsche Antwort darauf anzusehen.
Der moderne Populismus kann somit durchaus als Erosionserscheinung der Gesellschaft verstanden werden.
Trotzdem gibt es bis heute Stimmen, welche naserümpfend auf den Osten blicken und behaupten, dass ausschließlich Xenophobie und Hass die Liebelei der Neuen Bundesländer mit der AfD ermöglichten.
Sie schließen schlechtere Lebensverhältnisse oder ähnliche Faktoren als Katalysatoren für Populismusfreude aus, obwohl es eigentlich für alle ersichtlich sein sollte, dass dort, wo der Populismus am stärksten ist, oftmals auch die stärkste Erosion besteht, dass dort, wo die stärkste Erosion besteht, oftmals jene Menschen leben, welche von der Politik der letzten 30 Jahre am meisten enttäuscht sind, und, dass es viel wahrscheinlicher ist, von der Politik enttäuscht zu sein, wenn man schlechte(re) Lebensverhältnisse hat, als im Gegenteil.
Besonders durch die Wahlerfolge der liberal-konservativen Partei Nea Dimokratia bei den gestrigen Parlamentswahlen und den Europawahlen in Griechenland sowie durch den Sieg des CHP Kandidaten Ekrem İmamoğlu bei den Bürgermeisterwahlen in der Türkei fühlen sich viele Kommentatoren bestätigt.
Auch die Europawahlen in Rumänien und die Parlamentswahl Dänemarks werden als angeblicher Beweis dafür angesehen, dass zwischen der Popularität des Populismus und einem wie auch immer gearteten Abgehängtsein kein Zusammenhang besteht.
Schauen wir uns diese Wahlen also mal genauer an.
So liegt der Ursprung des Erfolges der Neo Dimokratia eigentlich (so wie die meisten politischen Entwicklungen Griechenlands seitdem) in der Schuldenkrise von 2009.
Aufgrund der Unbeliebtheit der Vorgängerregierung wurde dort schon 2015 die linkspopulistische Partei Syriza und ihr Parteichef Alexis Tsipras an die Macht gewählt, im selben Jahr in einer Wiederwahl bestätigt.
Schnell enttäuschte die Syriza Regierung jedoch: der Populismus, der sie an die Macht gebracht hatte, gab kein Programm her, welches der Realität hätte standhalten können.
Trotz des Wahlversprechens, die Sparpakete der EU loszuwerden, lässt die Regierung im Juli 2015 ein Referendum über neue Sparpakete halten.
Trotz der 62% der Wähler, die bei diesem Referendum mit Nein stimmten, akzeptierte die Regierung die neuen Sparauflagen.
Ein Jahr später erreichte Griechenlands BIP so seinen Tiefstwert bei 195,3 Milliarden US-Dollar; die Arbeitslosenquote, wenn auch abnehmend, lag 2016 immer noch bei 23,55% (heute: 18,1%).
Quelle: Statista |
Die miserable Performance der Regierung führte dazu, dass bereits zu dieser Zeit medial über wiederholte Neuwahlen diskutiert wurde.
Trotzdem brachte sie die Legislaturperiode zu Ende, die Griechen selbst jedoch gegen sich auf.
Gestern wurde Syriza mit 31,5% der Stimmen angewählt.
Wer sich nun wundert, warum die Rechtspopulisten an dieser Stelle keinen immensen Zulauf genießen: die rechtspopulistische Partei Unabhängige Griechen war die letzten vier Jahre Teil der Syriza Regierung und trat aufgrund ihrer schlechten Europawahlergebnisse nicht mal mehr bei den Parlamentswahlen an.
Die einzige weitere rechtsaußen Partei ist die neonazistische Goldene Morgenröte, welche allerdings wegen ihrer Ideologie für die meisten Griechen keine Option darstellt.
Der Erfolg der Neo Dimokratia dort sollte dementsprechend als Sonderfall betrachtet werden.
So hatte sich Griechenland im Moment der Krise 2015 genauso verhalten, wie wir es in vielen anderen Ländern auch sehen konnten: Populisten erhielten Zulauf und gelangten sogar an die Macht, als die Bevölkerung litt.
Sie zerbrachen jedoch an den politischen Wirklichkeiten, der Abhängigkeit Griechenlands von der Europäischen Union.
Logischerweise wählen die Griechen daher im Moment eine konservative, bürgerliche Partei und keine Populisten.
Bei der Bürgermeisterwahl von Istanbul muss hingegen betrachtet werden, dass Istanbul lediglich eine Stadt in der Türkei ist.
Ja, natürlich, sie ist mehr als symbolträchtig und die Wahl zeigte, dass die Demokratie in diesem Land noch nicht gestorben ist.
Trotzdem ist darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse der AKP bei den Kommunalwahlen in der Türkei landesweit überragend waren. Nach 99% der ausgezählten Stimmen lag ihr nationaler Stimmenanteil bei 44,42%; im Vergleich zur vorigen Kommunalwahl hat sie damit sogar rund ein Prozent hinzugewonnen!
Die Idee, die Türkei hätte sich an dieser Stelle gegen Erdogan entschieden, ist schlicht nicht wahr. Das ist ja das gruselige an ihr: selbst in wirtschaftlich schlechten Zeiten scheint sie zu Erdogan zu halten – zunächst.
Schauen wir nach Dänemark, so ist zu sehen, dass es den Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl hauptsächlich deshalb gelang an die Regierung zu kommen, weil sie im Wahlkampf asylpolitische Positionen der Rechtspopulisten kopiert haben (Kopie des Populismus sollte wohl kaum die Lösung desselbigen sein), während in Rumänien die Korruption der aktuellen linken Regierung das dominierende Wahlthema war – logischerweise profitieren hiervon die Liberalen als auch die konservative Partei des Landes, die für Stabilität und Sicherheit stehen.
So erweisen sich die ins Feld geführten Beispiele als nicht wirklich tragbar.
Durchaus wird Populismus nicht durch Verarmung und soziale Ungerechtigkeit bedingt, aber mit Sicherheit unterstützt.
Politkommentatoren sollten nicht nur Wahlergebnisse heranziehen und basierend auf diesen (teils) falsche Schlüsse ziehen und Aussagen treffen.
Vielmehr ist es ihre Aufgabe die gesellschaftlichen Strömungen, welche Veränderungen des Wahlverhaltens herbeiführen, zu erforschen, ermitteln und offenzulegen.
Werden hier Zusammenhänge – wie der zwischen sozialer Ungerechtigkeit und Populismus – nicht wahrgenommen und verdeutlicht, verschärfen sich die gesellschaftlichen Probleme.
Wer glaubt, (Rechts-)Populismus werde lediglich durch Xenophobie ausgelöst wird unweigerlich Problemlösungsstrategien entwickeln, die prädestiniert dazu sind, die Problematik zu verschlimmern, da das Unverständnis, welches diese Annahme gebärt, auch den Populismus selbst begründet.
Aber übrigens, wer das glaubt, hat auch noch nie wirklich über die Ursprünge des Linkspopulismus nachgedacht. Immerhin wird die Linke hauptsächlich von Arbeitern sowie (in Einkommen und Bildung) schwächer Gestellten gewählt und erfreut sich ebenfalls besonders im Osten großer Beliebtheit.