Tag 4, 31. August
Posen in Posen
Der heutige Exkursionstag stand gänzlich im Zeichen der literarischen Frau. Das gewohnt reichhaltige Frühstück wurde durch geistige Nahrung in Form der Biografie von Kazimiera Iłłakowiczówna (1892 – 1983) – natürlich auf polnisch – komplettiert. Als Dichterin, Übersetzerin, Intellektuelle, Reisende und Sekretärin von Józef Piłsudski war Kazimiera zwar vielfältig talentiert, scheint jedoch über Poznań hinaus in Vergessenheit geraten zu sein.
Auf dem Weg zu ihrer letzten Wohnstätte in der ulica Gajowa 4 präsentierte sich Poznań nochmals als Stadt der Baustellen, sodass wir froh sein können, dass unser Gruppenbild nur Optik und keine Akustik für die Betrachtenden überträgt. Erstaunlicherweise bewohnte Kazimiera keine Bohème-Mehrzimmerwohnung, sondern begnügte sich mit einem untervermieteten Zimmer in einem Altbau im Stadtteil Jeżyce. Eine sachkundige Historikerin führte uns in das Leben und Wirken des literarischen Multitalents ein und verwob dabei ihre Biografie mit den vielen authentischen Gegenständen im uns umgebenden Museum. Zuletzt erhielten wir den Eindruck, als ob Kazimiera nur kurz ausgegangen wäre, um sich mit ihrer feministischen Aktionsgruppe zu treffen, der sie sich als politisch stark versierte Persönlichkeit in unserer heutigen Zeit sicherlich angeschlossen hätte.
Zum Mittag besuchten wir das Restaurant „Wypas“, ein vegetarisches Restaurant, welches sich selbst traut, altbekannte Klassiker der polnischen Küche mit Verzicht auf Fleisch neu zu interpretieren. Bis zum späteren Literaturzirkel mit Frau Drosihn gab es ein wenig Freizeit, um den Verlockungen links und rechts des relativ weiten Rückweges nachzugehen. Zur besten Kaffeezeit trafen wir uns schließlich in der Küche unserer Unterkunft, um über die Textauszüge von Ewa Kujawskas „Das Haus der Małgorzata“ (pln. Dom Małgorzaty, 2007) zu sprechen. Dabei interpretierten wir nicht nur das dargestellte Frauenbild der Hauptfigur Hildegard, sondern unternahmen auch den Versuch einer Einordnung des Romans zwischen den Polen „Erinnerungskultur und Versöhnungskitsch“, die dem 2008 vom Herder-Institut herausgegebenen 26. Band zur Tagung zur Ostmitteleuropa-Forschung entnommen wurden. Der Literaturzirkel endete in einer anregenden Diskussion zur Rolle der Frau in der zeitgenössischen polnischen Literatur. Abgerundet wurde der facettenreiche Tag durch ein Orgelkonzert in der Kirche des Hl. Stanislaus oder wahlweise bei raz, dwa, trzy polnischen Bieren.
Verfasst von Tim