Zionismus im Wandel

Zum Einfluss der jüdischen Counterculture auf eine Neuausrichtung des Zionismus

Marie-Theres Gebhardt

Hippies, Anti-Vietnamkriegsdemonstrationen, das Civil Rights Movement, die LGBTQA+-Bewegung, Feminismus. Hinter diesen allgemeinhin bekannten gesellschaftlichen Bewegungen, die die 1960er Jahre und frühen 1970er Jahre, nicht nur in den USA, sondern in einem Großteil der westlichen Welt prägten, verbirgt sich ein kulturwissenschaftlich hochspannendes Phänomen: die Reaktion der Mitglieder einer Gesellschaft auf ihre Entfremdung gegenüber ebenjener. Braunstein und Doyle beschreiben dieses Phänomen als „eine inhärent instabile Ansammlung von Einstellungen, Tendenzen, Haltungen, Gesten, Lebensstilen, Idealen, Visionen, hedonistischen Genüssen, Moralismen, Verneinungen und Affirmationen“.[i] Yinger hingegen hebt die Opposition dieser Bewegungen gegenüber der Mainstream-Gesellschaft hervor, die – im Gegensatz zu einer Subkultur – eine Transformation der vorherrschenden gesellschaftlichen Normen und Werte anstreben, wobei sie zur neunen Mainstream-Kultur werden können.[ii] Besagtes Phänomen ist in den Cultural Studies unter dem Begriff Counterculture bekannt.

Ein interessanter Aspekt, der in Untersuchungen zur US-amerikanischen Counterculture häufig vernachlässigt wird, ist die jüdische Counterculture. Sie entwickelte sich parallel zu anderen gegenkulturellen Bewegungen der Zeit aus einem Entfremdungsgefühl heraus. Auch befassten sich ihre Anhänger*innen mit zahlreichen Themen, die sich mit denen anderer gegenkultureller Bewegungen überschnitten. Gleichzeitig ist die jüdische Counterculture hinsichtlich ihrer Ziele von anderen gegenkulturellen Bewegungen abzugrenzen, richtet sich ihr Fokus doch hauptsächlich auf die eigene Identität und Religion, nicht auf grundlegende gesellschaftliche Transformationen. Angesichts dieser Spezifik der jüdischen Counterculture gegenüber anderen gegenkulturellen Phänomenen versucht dieser Beitrag, den Einfluss ebenjener auf einen für jüdisches Leben noch immer prägenden Aspekt herauszuarbeiten – den Zionismus. Vor dem Hintergrund des bereits seit Jahrzehnten andauernden Nahost-Konflikts, in welchem zionistisches Gedankengut eine entscheidende Rolle spielt, erscheint die Frage nach dem Einfluss der jüdischen Counterculture auf dessen Transformation umso berechtigter.

I

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich das Zentrum der jüdischen Gemeinde von Europa in die Vereinigten Staaten von Amerika.[iii] Viele Juden und Jüdinnen wanderten bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in die USA ein; diejenigen, die den Holocaust überlebt hatten, folgten nach Kriegsende. Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichte es jüdischen Familien, sich als fester Bestandteil der US-amerikanischen Gesellschaft zu etablieren,[iv] und die Jahre 1940 bis 1965 wurden zu einer Zeit der Transformation, des Aufbaus und der Festigung US-amerikanisch-jüdischen Lebens.[v] Durch Investitionen in die Ausbildung ihrer Kinder, die auf diesem Weg gut bezahlte Berufe ergreifen konnten, und den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit stiegen viele jüdische Familien schon bald in die amerikanische Mittelschicht auf.[vi] Dieser Wandel bewirkte eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Kultur.

Der neue Wohlstand erhöhte die Mobilität vieler Juden und Jüdinnen, die – auch aufgrund der Bevölkerungsdichte traditionell jüdischer Viertel in urbanen Gebieten – zunehmend in vorstädtische Gebiete zogen, sodass sich dort bald jüdische Gemeinden etablierten.[vii] Dies hatte auch Veränderungen in der Ausübung der Religion zur Folge. Die großen Konfessionen des amerikanischen Judentums – Reformierte, Orthodoxe und Konservative – erweiterten sich als Reaktion auf die neue Forderung der in den Vorstädten lebenden Juden und Jüdinnen nach Möglichkeiten zur Praktizierung ihres Glaubens.[viii] Das konservative Judentum setzte sich dabei als die dominierende Konfession in US-amerikanischen Vorstädten durch, da es als mittlerer Weg zwischen orthodoxem und reformiertem Judentum wahrgenommen wurde und moderne und reformistische Ansichten unter Beibehaltung der Verwendung des Hebräischen und anderer Traditionen integrierte.[ix] Die Vorstadtsynagoge wurde zum Zentrum der Gemeinde und Religion, zu einer Identifikationsquelle für viele US-amerikanische Juden und Jüdinnen, die durch eine gemeinsame Vergangenheit und Zukunft ein Gemeinschaftsgefühl schuf.[x]

Gleichzeitig bewirkten der neue Wohlstand und die Etablierung der Juden und Jüdinnen in der US-amerikanischen Mittelschicht, dem Zentrum US-amerikanischer Kultur, eine Neudefinition der jüdischen Identität.[xi] Viele Juden und Jüdinnen begannen schnell sich mit dem US-amerikanischen Mainstream zu identifizieren – für sie war „ein guter Jude zu sein gleichbedeutend mit ein guter Amerikaner zu sein“.[xii] Durch die entstehenden Überschneidungen zwischen einer Identifikation mit dem Judentum und der Zugehörigkeit zur US-amerikanischen Gesellschaft fand sich der Großteil der US-amerikanischen Juden und Jüdinnen schlussendlich in einer neuen Kultur wieder, in der sie sich weder vollständig von der christlichen US-amerikanischen Kultur abgrenzen konnten noch vollständig zu ihr gehörten.[xiii] Überdies konkurrierten der neu gewonnene Wohlstand und die damit einhergehende Zugehörigkeit zur Mittelschicht mit der Identifikation vieler Juden und Jüdinnen mit einer Geschichte der Armut.[xiv] Folglich sahen sich die US-amerikanischen Juden und Jüdinnen schnell mit einem innerhalb der jüdischen Gemeinde weit verbreiteten Identitätskonflikt konfrontiert, die schließlich in der Annahme kulminierte, dass der Wohlstand die Integrität und Lebensfähigkeit der amerikanisch-jüdischen Kultur bedrohe.[xv] Bald begannen die Mitglieder der US-amerikanisch-jüdischen Gemeinde zu hinterfragen, ob ein authentisches jüdisches Leben außerhalb isolierter und verarmter jüdischer Gemeinden überhaupt möglich sei.[xvi] Diese Sichtweise spielte auch innerhalb der jüdischen Counterculture eine wichtige Rolle.

II

Insbesondere die junge Generation war von dieser Identitätskrise betroffen und artikulierte zunehmend ihren Verdruss über die empfundenen Widersprüche des eigenen Lebens, das sich irgendwo zwischen Wohlstand und Mittelschicht und der Identifikation mit einer Geschichte der Armut und Unterdrückung sowie innerhalb einer Kultur, die als beinahe, jedoch nicht gänzlich amerikanisch empfunden wurde, abspielte.[xvii] Häufig kritisierten sie, dass die Wohlstandskultur, in der sie aufgewachsen waren wie auch ein bürgerlicher Lebensstil mit einem authentisch jüdischen Leben unvereinbar seien.[xviii] Damit lagen sie genau am Puls der Zeit.

Dem Zeitgeist der globalen Entwicklung verschiedener Countercultures in den 1960er Jahren  folgend strebten junge Juden und Jüdinnen – überwiegend aus der Mittelschicht und vorstädtischen Milieus – danach, das US-amerikanisch-jüdische Leben neu zu erfinden.[xix] Analog zu anderen gegenkulturellen Zusammenschlüssen entwickelten sich ab Mitte der 1960er Jahre mehrere Organisationen, Gemeinden, alternative Gebetsgemeinschaften und politische Aktionsgruppen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft.[xx] Grundsätzlich befassten sich jüdische Gegenkulturalisten mit einer Vielzahl unterschiedlicher Themen, von denen sich einige überlappten, andere sich widersprachen, aber alle miteinander verbunden waren durch eine gemeinsame Kritik am bürgerlichen Leben der eigenen Eltern.[xxi] Dies eint die jüdische Counterculture mit anderen gegenkulturellen Bewegungen der Zeit.

Gleichzeitig ist in der Entwicklung der jüdischen Counterculture ein zunehmender Fokus auf spezifisch die jüdische Gemeinde betreffende Interessen und eine zunehmende Abgrenzung gegenüber anderen gegenkulturellen Bewegungen auszumachen. Während in den Anfangszeiten der jüdischen Counterculture viele Überscheidungen mit anderen gegenkulturellen Bewegungen wie der Bürgerrechtsbewegung, Feminismus und der LGBTQA+-Bewegung bestanden, zeichnete sich in den folgenden Jahren ein verstärkter Fokus auf die Transformation jüdischen, nicht US-amerikanischen Lebens ab. Diese Entwicklung ist äußert interessant, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die US-amerikanischen Juden und Jüdinnen zunächst an anderen gegenkulturellen Bewegungen beteiligten, bevor sich eine spezifisch jüdische Counterculture ausbildete.[xxii] Zu einer entscheidenden Zäsur in der endgültigen Abgrenzung wurde schließlich die Chicagoer Konferenz für Neue Politik im August 1967.[xxiii] Dort eskalierte ein sich bereits seit Beginn der 1960er Jahre anbahnender Konflikt: Black-Power-Aktivist*innen stellten bereits seit Längerem „die Eignung ihrer weißen Unterstützer im Kampf für die Befreiung der afroamerikanischen Bevölkerung aufgrund von deren Hautfarbe infrage“[xxiv] und forderten sie schließlich auf, „sich unter ihresgleichen zu organisieren“.[xxv] Zusätzlich artikulierten sie antizionistische Meinungen, verurteilten die Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg im Juni 1967 sowie die Politik der israelischen Regierung gegenüber Palästinenser*innen, die sie als zionistischen Imperialismus bezeichneten.[xxvi] Vor allem Zionist*innen, die innerhalb der jüdischen Counterculture zu diesem Zeitpunkt bereits einen festen Platz einnahmen, drängten im Laufe der Veranstaltung auf eine Trennung von der Bürgerrechtsbewegung und der Neuen Linken.[xxvii]

Schlussendlich stand die jüdische Gemeinde im Zentrum des Interesses der jüdischen Counterculture. So setzten sich beispielsweise jüdische Feminist*innen für verschiedene Zwecke wie Bildung, Gemeinschaftsleben, Sexualität und Klassenfragen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft ein.[xxviii] Ebenso rückte der Einsatz gegen die Unterdrückung sowjetischer Juden und Jüdinnen und für deren Auswanderung nach Israel und die Forderung nach einer Umstrukturierung religiöser Praktiken in den Fokus.[xxix] Stets standen dabei die Kritik an der so empfundenen Oberflächlichkeit des Lebens der Elterngeneration, die Forderung nach Authentizität (vor allem in der Praktizierung des Glaubens) und der Appell, dass man nur in Israel einen authentischen jüdischen Lebensstil führen könne, im Vordergrund. Die Hinwendung zu Israel wird innerhalb des Diskurses der jüdischen Counterculture zunehmend zur Lösung der durch die gegenkulturelle Bewegung ausgemachten Probleme erhoben.[xxx]

III

Die jüdische Gemeinde kann auf eine lange Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung zurückblicken. Die daraus resultierende Sehnsucht des jüdischen Volkes nach einer Heimat findet ihren Ausdruck im Zionismus,[xxxi] der mit der Staatsgründung Israels 1948 seinen Höhepunkt und mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 eine Neuausrichtung innerhalb der US-amerikanisch-jüdischen Gemeinde erfährt. Die Bezeichnung Zionismus geht auf das Wort Zion zurück, welches synonym für das Zentrum der jüdischen Gemeinde, Jerusalem, steht.[xxxii]

Bereits 1897 rief der Wiener Doktor Theodor Herzl eine Konferenz ein und gründete die World Zionist Organization mit dem Ziel der Gründung eines jüdischen Staates in Palästina.[xxxiii] Am  29. November 1947 wurde Palästina schließlich durch eine Resolution der Vereinten Nationen in zwei Staaten aufgeteilt, einen arabischen und einen jüdischen, wobei Jerusalem zur internationalen Stadt erklärt wurde.[xxxiv] Die Staatsgründung Israels folgte 1948. Trotz dieser einschneidenden Veränderung fand keine ideologische Neuausrichtung der zionistischen Idee statt, die sich ab diesem Zeitpunkt auf die Solidarität mit dem Staat Israel fokussierte.[xxxv] In den nächsten Jahrzehnten führte Israel einen kontinuierlichen Krieg mit seinen arabischen Nachbarn, der 1967 im Sechs-Tage-Krieg (5. Juni 1967 – 10. Juni 1967) gipfelte.[xxxvi] Der Krieg wurde zwischen dem jüdischen Staat Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien geführt.[xxxvii] Er endete mit einem israelischen Sieg und Israel besetzte den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, das Westjordanland und die Golanhöhen. Entscheidend für Juden und Jüdinnen und Zionist*innen war jedoch die Einnahme des östlichen Teils Jerusalems, was als göttliche Fügung ausgelegt wurde.[xxxviii] Der mit der zionistischen Idee stets einhergehende messianische Gedanke erreichte damit seinen Höhepunkt und bekräftigte die jüdische Gemeinde weltweit in der Vorstellung, dass „sich Gott selbst an Sein altes Versprechen[…], […] endlich an die Juden, Sein Volk, erinnert [hatte]“. [xxxix]

IV

Innerhalb der US-amerikanisch-jüdischen Gemeinde dominierte bis zur israelischen Staatsgründung 1948 die Ansicht, dass Zionismus nicht auf eine Staatsgründung abzielen, sondern vielmehr einer religiösen Weltanschauung entsprechen sollte.[xl] Mit der Erklärung des Staates Israel 1948 erhielt der Zionismus eine zentralere Stellung im Leben vieler US-amerikanischer Juden und Jüdinnen.[xli] Dies zeigen unter anderem der Unterricht des modernen Hebräisch durch konservative und reformierte Schulen sowie die Organisation von Reisen nach Israel durch Reformist*innen und Konservative seit den 1960er Jahren.[xlii] Dennoch identifizierte sich die Mehrheit der US-amerikanischen jüdischen Gemeinschaft weiterhin primär mit den Vereinigten Staaten von Amerika.[xliii]

Insbesondere die Anhänger*innen der jüdischen Counterculture schienen in ihrer Suche nach Identität und einem authentisch jüdischen Leben, das im mittelständischen Umfeld der Elterngeneration als unmöglich zu realisieren herausgestellt worden war, empfänglich für zionistische Ideen. Folglich wurde der Zionismus im Kontext der jüdischen Counterculture, die großen Einfluss auf den US-amerikanisch-jüdischen Diskurs nahm, stärker in dessen Mittelpunkt gerückt.[xliv] Als imaginiertes Verbindungsglied zwischen dem Staat Israel (dem einzige Ort, an dem authentisch jüdisches Leben möglich sei) und den in der Diaspora lebenden Juden und Jüdinnen wurde der Zionismus darüber hinaus zur Antwort auf die aktuellen Fragen der US-amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft, insbesondere der jungen Generation, erhoben.[xlv]Dahingehend ist eine Transformation zionistischen Gedankenguts erkennbar: Während der zionistische Gedanke zunächst als Ausdruck jüdischer Sehnsucht nach einer Heimat und nach der Staatsgründung Israels 1948 als Ausdruck der Solidarität mit dieser neuen Heimat zu betrachten ist, so erfährt er mit der jüdischen Counterculture eine Neuausrichtung und wird zu einem identitätsgenerierenden Faktor erhoben. 

Die wohl prägendste Zäsur scheint dabei der Sechs-Tage-Krieg zu sein. Die aufkommende Angst, ihre Heimat wieder zu verlieren, die Angst vor einem „anderen Auschwitz“,[xlvi] ausgelöst durch den drohenden arabischen Angriff, brachte die jüdische Gemeinde näher denn je zusammen und veränderte die Einstellung gegenüber dem Zionismus grundlegend. „Es entstand ein neuer amerikanisch-jüdischer Konsens, der Israel und Jerusalem in den Mittelpunkt des amerikanisch-jüdischen Lebens stellte“.[xlvii] Israel wurde zum neuen „Glauben des amerikanischen Juden“.[xlviii] War der Zionismus bisher nur bedingt innerhalb des US-amerikanisch-jüdischen Diskurses präsent, so wurde er spätestens von diesem Zeitpunkt an zu einem bedeutenden Thema.

V

Die 1960er Jahre markierten eine Zeit sozialer Rebellion und Veränderungen. Vor allem junge Menschen artikulierten ihre Gefühle der Entfremdung und des Identitätsverlusts innerhalb der amerikanischen Mainstream-Kultur. Daneben meldeten sich gesellschaftliche Gruppen − die in der amerikanischen Gesellschaft bis dahin kaum anerkannt wurden − zu Wort, um ihre Freiheit zu fordern. Hippies, Anti-Vietnam-Aktivist*innen, Bürgerrechtler*innen, Feminismus und die LGBTQA+-Kultur dominieren das Bild, das wir häufig von den 1960er Jahren haben. Die jüdische Counterculture nimmt innerhalb dieses Bildes eine besondere Position ein und bleibt im Diskurs um die US-amerikanische Counterculture der 1960er Jahre weitgehend unberücksichtigt, vermutlich, da sie im Gegensatz zu den bekannteren Bewegungen, nicht auf die Transformation der gesamten Gesellschaft, sondern die Transformation der gesellschaftlichen Minderheit, aus der sie hervortrat, abzielte und entsprechend wenig Einfluss auf die gesamte US-amerikanische Gesellschaft auszuüben suchte.

Analog zur gesamten Counterculture entwickelte sich die jüdische Counterculture aus einem bürgerlichen Umfeld. Während der Nachkriegszeit fand ein Wandel innerhalb der US-amerikanisch-jüdischen Kultur statt, ausgelöst durch den Einzug der US-amerikanischen Juden und Jüdinnen in die Mittelklasse, das Zentrum der US-amerikanischen Kultur. Die jüdische Kultur erfuhr in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in allen Lebensbereichen, einschließlich Religion, Politik, sozialer Schicht, Beruf, Familie sowie Lebensräume und Lebensweise, erhebliche Veränderungen. Der bis dahin unbekannte Wohlstand führte bald zu einer weit verbreiteten Identitätskrise innerhalb der jüdischen Gemeinde, da sich die Juden und Jüdinnen ursprünglich mit einer Armutsgeschichte identifizierten. Außerdem passten sie ihre Religion und Kultur der amerikanischen Kultur an. Die jüngere Generation, in Amerika und die US-amerikanische Mittelschicht hineingeboren, artikulierte schon bald Gefühle der Entfremdung von ihrer Kultur und kritisierte ihre Eltern für das von ihnen als solches empfundene Versagen des amerikanischen Judentums, das sie mit „ihrem ‚oberflächlichen‘ jüdischen Leben, ihren unzulänglichen Synagogen in den Vorstädten, ihrer Betonung des Erfolgs und ihrem eifrigen Konformismus in Verbindung brachten“.[xlix]

In diesem Umfeld entwickelte sich die jüdische Counterculture, als deren primäres Ziel die Identitätsfindung durch Rückkehr zu einem authentisch jüdischen, das heißt traditionell jüdischen, Leben bestimmt werden kann. Mit diesem Fokus auf traditionelle Werte steht die jüdische Counterculture ebenfalls konträr zu den anderen gegenkulturellen Bewegungen der Zeit. Der Zionismus, der die jüdische Gemeinschaft stets mit ihrem Ursprung Israel verbunden hat, wird zur Lösung von Identitätsfragen und als Heilmittel der Entfremdung erhoben und erfährt im Zuge dessen eine Neuausrichtung. Die zionistische Idee entwickelt sich dabei von einem Ausdruck der Sehnsucht der jüdischen Gemeinschaft nach ihrer Heimat über Solidarität mit dieser Heimat hin zu einem neuen identitätsstiftenden Faktor. Der Sechs-Tage-Krieg und der Sieg Israels verstärkten diese Neuausrichtung. Israel selbst, das früh nach dem Zweiten Weltkrieg 1948 seine Eigenstaatlichkeit erklärte, spielte innerhalb der amerikanischen jüdischen Gemeinde bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 kaum eine Rolle. Der Sechs-Tage-Krieg und der jüdische Sieg veränderten die Position Israels und damit die Position des Zionismus innerhalb der US-amerikanisch-jüdischen Gemeinde vollständig. Wurde Israel in der US-amerikanisch-jüdischen Gemeinde zunächst selten Beachtung geschenkt, wurde es nach dem 10. Juni 1967 zum Mittelpunkt jüdischen Lebens. Indem der Sechs-Tage-Krieg die Identifikation der US-amerikanischen Juden und Jüdinnen mit Israel verstärkte, trug er erheblich zu dieser Transformation bei.


[i]Peter Braunstein, Michael William Doyle, Introduction. Historicizing the American Counterculture of the 1960s and ‘70s, in: dies. (Hg.), Imagine Nation: The American Counterculture of the 1960s and ‘70s, New York–London 2002, 5-14, hier 10.

[ii]Vgl. ebd., 7.

[iii]Vgl. Riv-Ellen Prell, Triumph, Accomodation, and Resistance: American Jewish Life from the End of World War II to the Six-Day War, in: Marc Lee Raphael (Hg.), The Columbia History of Jews and Judaism in America, Columbia 2008, 114-41, hier 116.

[iv]Vgl. ebd., 114f.

[v]Vgl. ebd., 121.

[vi]Vgl. ebd., 126f.

[vii]Vgl. ebd., 119.

[viii]Vgl. ebd., 121.

[ix]Vgl. ebd..

[x]Vgl. ebd., 122.

[xi]Vgl. ebd., 137.

[xii]Ebd., 115.

[xiii]Vgl. ebd., 128. 

[xiv]Vgl. Rachel Kranson, Ambivalent Embrace: Jewish Upward Mobility in Postwar America, North Carolina 2017, 4.

[xv]Vgl. ebd..

[xvi]Vgl. ebd., 5.

[xvii]Vgl. ebd., 139f.

[xviii]Vgl. ebd., 138, 161f.

[xix]Vgl. ebd., 156.

[xx]Vgl. ebd., 138.

[xxi]Vgl. ebd..

[xxii]Vgl. ebd., 140.

[xxiii]Vgl. ebd., 141.

[xxiv]Ebd..

[xxv]Ebd..

[xxvi]Vgl. ebd..

[xxvii]Vgl. ebd..

[xxviii]Vgl. ebd., 145.

[xxix]Vgl. ebd., 143f., 154.

[xxx]Vgl. ebd., 152f.

[xxxi]Vgl. Anna Rist, Zionism, in: New Blackfriars, 75(1994), 85-96, hier 89.

[xxxii]Vgl. Gideon Kouts u.a., Zionism, in: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hg.), Encyclopaedia Judaica, Detroit 2007, 539-627, hier 539f [letzter Zugriff 22.2.2022].

[xxxiii]Vgl. Rist, Zionism, 90.

[xxxiv]Vgl. ebd., 91.

[xxxv]Vgl. Nathan Rotenstreich, Zionist Ideology in Time of Change, in: Stephen J. Roth (Hg.), The Impact of the Six-Day War, Houndmills u.a. 1988, 299-307.

[xxxvi]Vgl. Chaim Herzog, Six-Day War, in: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hg.), Encyclopaedia Judaica, Detroit 2007, 648-655, hier 648 [letzter Zugriff 22.2.2022].

[xxxvii]Vgl. ebd..

[xxxviii]Vgl. Prell, Triumph, Accomodation, and Resistance, 137.

[xxxix]Leonard Fein, Failing God. American Jews and the Six-Day War, in: Roth, The Impact of the Six-Day-War, 269-280, hier 274.

[xl]Vgl. Prell, Triumph, Accomodation, and Resistance, 135f.

[xli]Vgl. ebd., 137.

[xlii]Vgl. ebd..

[xliii]Vgl. ebd., 143.

[xliv]Vgl. Kranson, Ambivalent Embrace, 143.

[xlv]Vgl. Kranson, Ambivalent Embrace, 152f; und Kouts, Zionism, 611.

[xlvi]Fein, Failing God, 275.

[xlvii]Prell, Triumph, Accomodation, and Resistance, 137.

[xlviii]Fein, Failing God, 275.

[xlix]Prell, Triumph, Accomodation, and Resistance, 138.