Rezension: Leitmotivik in der Filmmusik

Henning Albrecht. Leitmotivik in der Filmmusik: Einflüsse auf die visuelle Aufmerksamkeit und emotionale Wirkung während der Filmrezeption. Baden-Baden: Tectum Verlag, 2021, 294.

Meiken Raßloff

Der Alltag im 21. Jahrhundert ist von Musik geprägt. In vielen Lebensbereichen begegnet sie den Menschen: auf dem Arbeitsweg, beim Einkaufen im Supermarkt, beim Sporttreiben, auf der Straße gespielt von Musiker*innen oder auch beim Entspannen zu Hause. Sie durchdringt das tägliche Leben eines jeden Einzelnen. Der Film ist nun ein Medium, das ohne Musik kaum denkbar ist. Schon seit dem Stummfilm gehen auditive Untermalung und visuelle Bilder Hand in Hand (vgl. 1). Auch wenn die meisten Rezipient*innen sich des Einflusses der Musik bewusst sein mögen, so unterschätzen sie deren Wirkungsbereich doch bei weitem. 

An dieser Stelle setzt der Musikwissenschaftler Henning Albrecht mit seiner 2011 erschienenen Monografie an. In Leitmotivik in der Filmmusik. Einflüsse auf die visuelle Aufmerksamkeit und emotionale Wirkung während der Filmrezeption, so der Titel der Studie, geht Albrecht der Gestaltung und dem Zweck von musikalischen Leitmotiven auf den Grund.

Die zu Beginn des Buches rekapitulierten Grundlagen der Film- und Musiktheorie schaffen eine transparente und verständliche Grundlage für die Experimente und Thesen der folgenden Kapitel. Die gut lesbare Studie ist damit für ein breites kulturwissenschaftlich interessiertes Publikum zugänglich, bietet vor allem im zweiten Teil des Buches aber zugleich interessante Perspektiven für Forschende aus dem Bereich der Musikwissenschaft.

Einleitend verweist Albrecht auf die weit zurückreichende Geschichte der Leitmotivik und stellt Bezüge bis zurück zur Antike her (vgl. 80). Von großer Bedeutung für die Leitmotivik ist vor allem das 19. Jahrhundert. Mehrfach verweist Albrecht auf Richard Wagner (vgl. z.B. 1, 15, 38, 93, 111), dessen Name eng mit der Leitmotivik verknüpft ist und deren Einsatz er in seinen Kompositionen perfektioniert hat. Um den Rezipient*innen eine auch bildliche Vorstellung der theoretischen Überlegungen zu Definition und Funktion der Leitmotivik zu geben, belegt Albrecht seine Ausführungen mit zahlreichen Notenbeispielen vor allem aus dem Bereich der Filmmusik wie etwa Robin Hood (vgl. 21) oder Herr der Ringe (vgl. 38). Der Reichtum an Exempeln ist eine besondere Stärke der Monografie.

Auch in Kapitel drei führt Albrecht die Leser*innen schrittweise an die audiovisuellen Wahrnehmungsprozesse heran, indem er deren Grundlagen beschreibt, Gedächtnissysteme, das Konzept der Aufmerksamkeit und die Methode des Eye-Trackings definiert. Mit einem guten Gespür nimmt Albrecht die Lesenden an die Hand und leitet sie durch die Forschung. Seine Sprache ist bildlich und gut verständlich, ohne dabei auf Fachbegriffe zu verzichten. Mittels eines kurzen Exkurses in die Biologie erklärt Albrecht, wie akustische Reize die Verarbeitung optischer Informationen unterstützen und beeinflussen (vgl. 49). Abbildungen der Prozesse (vgl. z.B. 51), der Methoden wie auch des Gehirns (vgl. 75) verhelfen zu einer genaueren Vorstellung des abstrakten Themas. Insgesamt wird hier die interdisziplinäre Anlage der Studie deutlich, die viel Potential für weiterführende Forschung bietet.

Auch den nächsten Themenbereich, das Gebiet der Filmmusik und Emotionen, bringt Albrecht durch Modelle, etwa jenes des zweidimensionalen Emotionsraumes nach Russel (vgl. 83), und Studien, wie die von Zentner und Eerola, den Rezipient*innen näher. Besonders die anschaulichen Tabellen – etwa zu musikalischen Gestaltungsmitteln und den von diesen evozierten Emotionen (vgl. 86) oder zu Instrumenten und ihren Stimmungsqualitäten (vgl. 96) – animieren die Leser*innen dazu, eigene Erfahrungen zu hinterfragen und zu analysieren. In den Kapiteln fünf und sechs werden nun die einzelnen Stränge zusammengeführt. Albrecht geht hier den Zusammenhängen zwischen Filmmusik und Gedächtnisprozessen sowie zwischen Filmmusik und Narration nach.

Von Kapitel eins bis Kapitel sechs wirkt Albrechts Studie wie ein Mosaik aus unterschiedlichen präsentierten Erkenntnissen, Modellen, Studien und Theorien, die dann in den Kontext der eigenen Forschungsfrage eingebettet werden. Im zweiten Teil der Monografie dominieren die durchgeführten Experimente, die detailliert beschrieben werden, wobei die zugrunde gelegte Methode ausführlich erläutert wird (vgl. 123ff.). Die Leser*innen haben dadurch die Möglichkeit, die einzelnen Schritte wie die vom Autor getroffenen Entscheidungen und auch seine Erkenntnisse gut nachzuvollziehen. Zahlreiche Abbildungen und Übersichten veranschaulichen dabei seine Vorgehensweise. Die für die Einzelfallstudien auswählten Filme sind wohl den meisten Rezipient*innen seiner Monografie bekannt: Jaws, Dances with Wolves und King Kong. Dies eröffnet den Leser*innen die Möglichkeit, die Argumentation gut nachzuvollziehen; hilfreich sind dabei auch die Notenpartituren, Übersichten und Bilder, die eine willkommene Abwechslung zu den ausführlichen, eher zahlenbasierten Beschreibungen der Versuche darstellen. In seinem Resümee kommt Albrecht noch einmal auf die Frage zurück, welchen Einfluss das Visuelle auf die Wahrnehmung der Musik hat. Seine diesbezügliche Selbstkritik, diesen Aspekt nicht abschließend beantworten zu können, schwächt die Leistung seiner Studie jedoch nicht. Seine Monografie verfolgt vielmehr eine klare Fragestellung, gibt eindeutige Definitionen und hält sich mit vage bleibenden Aussagen zurück. Der Autor bemüht sich sehr um Anschaulichkeit und Verständlichkeit, Albrecht hinterlässt damit eine Studie, die Lesende nachhaltig in ihrem Denken und ihrer Wahrnehmung beeinflussen kann.