Ein Blog für Aufsätze des Germanistischen Institutes der MLU Halle

Ein grimmiger Anführer – Jan Rutten

Jan Rutten

Ein grimmiger Anführer

Hagen von Tronje unter dem Aspekt der Dominanz

Das um das Jahr 1200 von einem anonymen Autor verfasste Nibelungenlied gilt als eines der bedeutendsten Dichtwerke des deutschen Mittelalters. Seine große Beliebtheit in dieser Epoche ist durch gut drei Dutzend erhaltene Handschriften belegt,[1] bevor es schließlich im Zuge der Nationalromantik des 19. Jhd. zu einem deutschen Nationalepos erhoben wurde. Allgemein wird das Nibelungenlied als das wohl bedeutendste Werk der deutschsprachigen Heldenepik angesehen, wobei es neben den hervorstechenden heroischen auch über höfische Elemente verfügt.[2] Im Zuge der breiten Rezeption des Nibelungenliedes wurden die in ihm enthaltenen Figuren vielfach zur Projektionsfläche. Diese teils sehr wechselhafte Rezeptionsgeschichte zeigt sich insbesondere an der Figur des Hagen von Tronje, welcher gerade in der zweiten Hälfte des Werkes als nahezu omnipräsente Figur im narrativen Mittelpunkt steht.[3] Hagen wurde in der Interpretation sowohl als starker und treuer Beschützer glorifiziert wie auch als moralloser Meuchelmörder und Egoist verteufelt.[4] Als vielschichtige, nicht in eine Dichotomie von Gut und Böse einzuordnende Figur,[5] ist der grimmige Tronjer eine Persönlichkeit mit „einmaliger Anziehungskraft“,[6] die sowohl fasziniert wie auch abschreckt.

Die vorliegende Untersuchung soll Licht auf einen besonderen Aspekt des oftmals als ‚skrupellos‘ charakterisierten Hagens werfen, indem sie diesen im Hinblick auf seine Dominanz untersucht. Es gilt herauszufinden, wie und inwiefern Hagen von Tronje seine Umgebung kontrolliert und überragt und welche Überlegenheitsbeziehungen ihn auszeichnen. Zur Beantwortung dieser Fragestellung soll eine Konzentration auf inhaltliche Analysen erfolgen, wobei diese teilweise mit sprachlichen Aspekten verknüpft werden. Da das Nibelungenlied stellenweise durchaus über individuelle Charaktere anstelle von Typen verfügt, möchte dieser Aufsatz bei der Darstellung von Hagens Dominanz auch auf das Hilfsmittel der Psychologisierung des Tronjers zurückgreifen. Eine solche sieht sich im Dienste der Figureninterpretation, die diejenigen Leerstellen füllt, mit denen die Lesenden des Textes konfrontiert werden.[7] Der Fokus soll jedoch auf der Darstellung der Dominanzzustände liegen. Als Materialgrundlage dient hierzu die Handschrift B des Nibelungenliedes, welche als die originalgetreuste unter den drei Haupthandschriften gilt und zudem über deutlich weniger explizite Wertungen durch den Erzähler verfügt, wie sie sich beispielsweise in Handschrift C finden lassen.[8]

Obwohl sich die Forschung lange auf die Beurteilung der Moralität von Hagens Taten konzentriert hat, ist es wissenschaftlicher Konsens, dass Hagen von Tronje als germanisch-heroische Figur nicht an christliche Moralvorstellungen von Gut und Böse gebunden ist.[9] Zwar liegt bisher noch keine dedizierte Untersuchung Hagens unter dem Aspekt der Dominanz vor, doch haben verschiedene Einzelbetrachtungen seine Neigung zu zynischen Verhaltensweisen herausgestellt.[10] Ebenso ist anerkannt, dass Hagen im zweiten Teil des Werkes über seine Rolle als königlicher Berater hinauswächst und zunehmend als Anführer und Beschützer der Burgunden auftritt.[11] Weiterhin ist sich die Forschung einig, dass Hagen durch ein furchtloses, durchsetzungsfähiges und übermäßig stolzes Handeln hervortritt, was schließlich die sich abzeichnenden Katastrophen unvermeidbar werden lässt.[12]

Ziel ist es, umfassend darzustellen, welche Informationen der Erzähler des Nibelungenliedes in Bezug auf das Dominanzverhalten von Hagen von Tronje gibt. Auf diese Art soll aufgeführt werden, in welchen unterschiedlichen Dimensionen dieser seine Kontrolle ausübt und welche Vorgehensweisen und Entwicklungen dabei festzustellen sind.

Hierfür ist zuerst eine Definition des zentralen Untersuchungsgegenstandes ‚Dominanz‘ vonnöten, bevor dieser auf die Materialgrundlage angewendet werden kann. Danach findet sich die traditionelle Zweiteilung des Nibelungenliedes auch im Aufbau dieses Aufsatzes wieder.[13] Die Analyse der ersten Hälfte folgt der chronologischer Reihenfolge der Handlung, um so die Entwicklung von Hagens Dominanz im ersten Teil des Nibelungenliedes darstellen zu können. Die in dieser Hinsicht weniger dynamisch gestaltete zweite Hälfte hingegen wird nach Themenbereichen aufgeteilt untersucht, um voneinander abgetrennt die verschiedenen Dimensionen von Hagens Dominanz (sozialhierarchisch, emotional, physisch und dem prophezeiten Untergang gegenüber) zu erfassen. Eine Ausnahme von dieser Vorgehensweise bildet die Analyse von Hagens Tod in der 39. Âventiure, welcher aufgrund seiner dramatischen Dichte sowie endgültigen Auflösung des Themas als eigener Unterpunkt behandelt wird.

Begriffsdefinition ‚Dominanz‘

Das in diesem Aufsatz benutzte Analysekriterium ‚Dominanz‘ wird hier aus Erkenntnissen zum politisch-philosophischen Machtbegriff sowie zum psychologischen Dominanzbegriff zusammengesetzt. Was den politikwissenschaftlichen Anteil betrifft, so soll primär die Auffassung Hanna Pitkins berücksichtigt werden, welche über die traditionelle Auffassung von Macht als interpersonale Willensdurchsetzung hinausgeht.[14] Daher sollen Pitkins Konzepte der „power to“, der Möglichkeit des Handelns und Durchsetzens an sich, ohne zwingende soziale Beziehung, und die interpersonale Willensdurchsetzung der „power over“ als Grundlage dienen.[15]

Diese Grundlagendefinition von Macht soll dann mit dem psychologischen Dominanzbegriff verbunden werden. Dieser setzt Dominanz mit Überlegenheit gleich und ordnet erster die Charakterattribute Unabhängigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Zuversichtlichkeit und der Fähigkeit zur Selbstbehauptung zu.[16]

Insofern soll der Begriff ‚Dominanz‘ folgend im Sinne von Überlegenheit und Macht genutzt werden. Dies umfasst alle Situationen bzw. Textpassagen, in denen das Analysesubjekt, die literarische Figur des Hagen von Tronje, in der Materialgrundlage seine Mitmenschen in irgendeiner Art überragt, zum Beispiel durch das Innehaben einer Führungsposition, der Kontrolle über ein Handlungsgeschehen, der Durchsetzung seiner Intentionen, der physischen oder emotionalen Überlegenheit und Kontrolle in einer Situation oder auch nur durch einen höheren sozialen Status gegenüber seinen Mitmenschen.

Ausgangssituation: Des Königs rechte Hand

Im Gefüge des Wormser Hofes nimmt Hagen von Tronje die Rolle des „handlungsbestimmenden“ königlichen Beraters und obersten Vasallen ein.[17] Als Lehnsmann befände er sich der Norm nach in subordinierter Position gegenüber dominierenden Herren. Jedoch zeigt sich bereits zu Beginn des Werkes eine herausragende Stellung Hagens: als Siegfried seinen Vater von seinen Reiseplänen nach Worms unterrichtet, warnt dieser ihn eindringlich vor Hagen (vgl. Nibelungenlied, 52, 1f.).[18] Siegfried scheint sich bei der Begegnung mit diesem an die Worte seines Vaters zu erinnern; während er selbst die Könige Burgunds mit dem direkten du (NL, 111,3) anspricht, redet er Hagen respektvoll mit iuch (NL, 120,2) an und nennt ihn her Hagene (NL, 120,2).[19] Zusätzlich ist Hagen, neben König Gunther, der einzige Burgunde, den Siegmund benennt, und zudem der einzige, dessen Wesenszüge er näher beschreibt. Hierdurch deutet Siegmund bereits den großen Einfluss an, den Hagen in Burgund und bei seinem König besitzt.

Am Wormser Hof selbst sticht Hagen durch seine Expertise hervor, was ihn zur ersten Anlaufstelle für seine Herren macht, wenn es gilt, sich Informationen über fremde Reiche und Heldengestalten einzuholen. So ist es auch Hagen, der seine Herren über Siegfried, dessen Herkunft und Heldentaten unterrichtet und ihnen rät, den übermenschlich stark scheinenden Recken von Xanten als Freund zu gewinnen und dessen Feindschaft dringlichst zu vermeiden (vgl. NL, 99, 3ff.). Zudem verfügt Hagen selbst über ihm untergebene Männer, besitzt also eine feudale Machtbasis (vgl. NL, 80,4).[20]

Hagens Dominanzverlust

Die Rolle Hagens als engster Vertrauter seines Königs und Beschützer des Reiches wird jedoch, wie die gesamte Ordnung des burgundischen Hofes, durch das Auftreten Siegfrieds gestört.[21] Durch die heldenhaften Verdienste des Drachentöters im Sachsenkrieg und auf der Islandfahrt gerät der grimmige Tronjer ins Hintertreffen und verliert seine herausragende Position als oberster Diener der Burgundenkönige.[22]

Interessant ist dabei, dass es Hagen selbst ist, der Siegfrieds zentrale Rolle bei den obengenannten Ereignissen in die Wege leitet. Im Krieg gegen die Dänen und Sachsen schätzt Hagen die Streitkraft der Burgunden als zu schwach ein, weshalb er den Vorschlag einbringt, Siegfried um Hilfe zu ersuchen (vgl. NL, 145). Dessen übermenschliche Kampfesleistung entscheidet den Krieg quasi im Alleingang (vgl. NL, 199; 209). Zwar hebt der Erzähler auch die Leistungen von Hagen, Dankwart, Ortwin und der anderen Kämpfer hervor, im Gesamteindruck verbleiben diese jedoch eine blasse Gruppe, gar ein wint (NL, 226, 3), im Vergleich zum einzigartigen Siegfried, (vgl. NL, 219, 2ff.). Hagens Unterordnung gegenüber Siegfried institutionalisiert sich in zwei Aspekten: zum einen darin, dass Siegfried Oberbefehlshaber des Heeres ist, während Hagen nur die geteilte Stellvertreterschaft bleibt (eine Rolle, die Siegfried königsgleich persönlich an Hagen verteilt, vgl. NL, 178, 1), und zum anderen darin, dass die Aushandlung der Kapitulations- und Friedensbedingungen nicht der rechten Hand des Königs zusteht, sondern von Siegfried übernommen wird, welcher lediglich ein Verbündeter Gunthers ist (vgl. NL, 215, 4; 311–314).

Auch bei der Reise nach Island ist es Hagen selbst, der die Begleitung durch Siegfried vorschlägt. Hagen, der Siegfrieds Expertise im Umgang mit Brünhild als Argument für dessen Teilnahme angibt (vgl. NL, 329), verliert die hervorstechende Rolle als erster königlicher Berater an Siegfried. Wo vorher Hagen mit seinem Wissen über fremde Länder und Helden glänzen konnte, ist es nun Siegfried, der vom werbenden Gunther wiederholt um Informationen zu Brünhild, ihrem Land und ihren Untertanen aufgesucht wird (vgl. NL, 388–391). Hagen hingegen rückt in den Hintergrund. Verbildlicht wird diese verlorene Expertise dadurch, dass es Siegfried ist, der das Boot navigiert und rudert, und somit als Führer fungiert (vgl. NL, 376, 1ff.), genauso wie es Siegfried ist, der Hagen ob seiner Weigerung, die Waffen am Hofe Brünhilds abzulegen, zurechtweist – ein Rat, dem dieser nur vil ungerne (NL, 405, 4) folgt.

Der Verlust von Hagens Stellung setzt sich in dem Transfer der Rolle des königlichen Beschützers an Siegfried fort. Bereits vor der Abreise bittet Kriemhild Siegfried und nicht den ihr seit vielen Jahren durch gute Dienste vertrauten Hagen, das Wohlergehen des Königs sicherzustellen (vgl. NL, 372, 1ff.). Ebenso ist es nicht Hagen, sondern Siegfried, der in Island für Gunther insgeheim den Sieg im Zweikampf erringt und den Burgundenkönig und seine Männer vor Schmach und Tod bewahrt. Diese Führungsposition wird auch durch den Erzähler bestätigt: Sîfrit hete geverret des kunic Guntheres tot (NL, 463. 4). Hagen wird in die zweite Reihe delegiert, im Vordergrund stehen Gunther und Siegfried, während Dancwart unt ouch Hagene lediglich mit in [=Siegfried und Gunther] kômen (NL, 400, 1). Vielmehr zeigt sich in Island eine im gesamten Werk einzigartige Gefühlslage Hagens: Der grimmige Tronjer, der in der zweiten Hälfte des Nibelungenliedes mit zynischem Trotz seinem unheilvollen Schicksal entgegenschreitet (siehe unten), scheint in Brünhilds Land jegliche Souveränität gänzlich zu verlieren. Wiederholt wird die große Angst beschrieben, die in Hagen herrscht und selbst durch die verhöhnende Rückgabe seiner Waffen und Rüstung nicht behoben werden kann (vgl. NL, 443–448). Sogar nachdem der Wettkampf gewonnen ist, kann Hagen seine Angst nicht abschütteln und muss von Siegfried zurechtgewiesen werden (vgl. NL, 475–478). Diese Furcht Hagens um sein Leben und das seiner Gefährten steht geradezu konträr zu der furchtlos-grimmigen Personalisierung im restlichen Lied. Als Zuschauer ist er nicht in der Lage, das Geschehen zu beeinflussen, während ihm und seinem schutzbefohlenen König ein unehrenhafter Tod durch einen unbesiegbar scheinenden, weiblichen Gegner droht. Vielleicht ist Hagen, der im Rest des Nibelungenliedes einen ausgesprochenen Kontrolldrang besitzt[23] und zu großer Aktivität neigt, gerade deshalb so furchtvoll, da er nur tatenlos zuschauen kann, während der drohende Untergang seiner Gemeinschaft immer näher rückt.

Rückerlangung der Dominanz: Der Mord an Siegfried

Situationen, in denen Hagen seine Autorität wahren kann, sind in den Abschnitten des Werkes vor dem Mordkomplott gegen Siegfried nur vereinzelt zu finden.[24] Zudem handelt es sich hierbei ausschließlich um Situationen, in denen Hagen dem gemeinen Hofvolk (vgl. NL, 595, 793) gegenübersteht. Umso beeindruckender ist daher die kommandierende und kompromisslose Art, mit der Hagen seine Handlungsfähigkeit und seine dominante Stellung am Wormser Hof zurückerlangt.

Zwar ist unklar, wer nach dem Streit der Königinnen zwischen Brünhild und Kriemhild den Mordgedanken zuerst aussprach, doch war Hagen in der Folgezeit der Einzige, der eine Ermordung Siegfrieds ernsthaft verfolgt (Sîn gevolgete niemen, niuwan daz Hagene, NL, 867, 1) und schließlich auch gegen die Einwände Anderer durchsetzt. Hagen zeigt sich unnachgiebig in seinem Ziel, Siegfried zeitgleich aufs Schwerste zu bestrafen und aus der Welt des Wormser Hofes zu entfernen. Dass Hagen als Untergebener die Beschwichtigungen und Einwände seines Königs schroff zurückweist (vgl. NL, 870), zeigt bereits, wie stark sich das Machtgefüge verschoben hat. Diese Umkehrung der eigentlichen höfischen Rangordnung manifestiert sich in der Feststellung des Erzählers, dass der künic gevolgete ubele Hagenem, sînem man (NL, 873, 1).

Der Verlust von Gunthers Eigenständigkeit zeigt sich ferner darin, dass es nicht mehr nur der König selbst, sondern Gunther und Hagene sind, die gemeinsam die Jagd ausrufen (vgl. NL, 913, 1f.). Bei der Ausführung der Mordtat kommt Gunther lediglich ein Hilfsstatus zu, da er mit seiner königlichen Autorität die Umsetzung ermöglicht. Es ist Hagen, der die Falle für Siegfried aufsetzt. Durch die persönliche Tötung Siegfrieds schafft es Hagen, sich eine dreifache Führungsrolle in Form von Führerschaft, Autorenschaft und Täterschaft hinter der Ermordung zu erarbeiten. Die endgültige Ausschaltung Siegfrieds ist allein sein Verdienst, und diese dominante Handlungsposition setzt ihn über den Rest des Wormser Hofes hinweg. Doch kann sich seine Dominanz erst vollends entfalten, nachdem Siegfried diese Welt verlassen hat, denn selbst in seinem Todeskampf gelingt es dem tödlich verwundeten Recken beinahe, den im Zweikampf chancenlosen Tronjer auf der Stelle zu erschlagen (vgl. NL, 981ff.).[25] Noch in seinen letzten Atemzügen beherrscht Siegfried das Geschehen, indem er seine Mörder verflucht und Gunther ob dessen geheuchelter Trauer tadelt.

Erst mit Siegfrieds Ableben eröffnet sich ein Machtvakuum, welches Hagen ausfüllen kann. Hierbei zeigt sich zunächst eine emotionale Dominanz Hagens, welche sich in einem amoralischen und zynischen Denken äußert. Der Tronjer äußert offen seinen Stolz auf die Mordtat und deren Folgen, da er die hêrschaft (NL, 990, 4), also die Dominanz Siegfrieds beendet habe und so dessen Störung der höfischen Ordnung und Bedrohung von Gunthers Machtstellung aufgehoben seien. Er empfindet „Genugtuung in der Vernichtung des Gegners“.[26] Seinen König hingegen rügt er wegen dessen heuchlerischer Trauer um den Erschlagenen (vgl. NL, 990, 1f.), eine Handlung, die in einem der Norm entsprechenden Machtverhältnis von König und Lehnsmann undenkbar wäre. Während alle Anwesenden dafür plädieren, die Ermordung Siegfrieds zu vertuschen und stattdessen die Lüge eines Banditenüberfalls zu verbreiten, äußert Hagen offen seine Verachtung für diese Heimlichtuerei. Er fürchtet die möglichen Konsequenzen seines Handelns nicht. Im Gegenteil, er scheint zutiefst befriedigt ob des großen Schmerzes, den die Nachricht von Siegfrieds Tod Kriemhild bereiten wird (vgl. NL, 998, 2ff.). Dies bestätigt sich in seinem weiteren Handeln, indem er den erschlagenen Siegfried auf seinem unbeschädigten Schild vor Kriemhilds Kemenate legt (vgl. NL, 1001, 1f.) und dieser so nicht nur den Tod ihres Mannes geradezu ins Gesicht reibt, sondern ihr auch offenlegt, dass es sich um einen hinterhältigen Mord und keinen Tod im Kampf gehandelt haben muss (Kriemhild erkennt dies in NL, 1009, 2f.). Hagens Reaktion auf seine öffentliche Enttarnung als Mörder durch die Bahrprobe (vgl. NL, 1041–1042, 1) wird zwar vom Erzähler nicht geschildert, in Anbetracht seiner bisherigen Furchtlosigkeit und seines Stolzes auf die eigene Brutalität lässt sich jedoch vermuten, dass sie sich in dieses Schema einreiht und Hagen das Stigma des Mörders erhobenen Hauptes trägt. Somit hätte der Tronjer selbst bei dieser öffentlichen Bloßstellung seine emotionale Dominanz Kriemhild gegenüber gewahrt und sich selbst eine Aura der Unantastbarkeit, den Eindruck einer unangreifbaren Position, gegeben. Während das Burgundenland in tiefster Trauer um den erschlagenen Drachentöter liegt, zeigt Hagen seine Überlegenheit durch einen verächtlichen Zynismus und durch den ungeheuren Schmerz, den er Kriemhild voller Stolz zugefügt hat.

Auch in der Folgezeit offenbart sich die umfangreiche Aktionsdominanz, die Hagen am Hofe der Burgunden aufgebaut hat. So ist er es, der die Versöhnung Gunthers mit Kriemhild initiiert, bleibt dieser jedoch bewusst fern, um ihren Erfolg nicht zu gefährden (vgl. NL, 1104; 1110, 3f.).[27]Doch schon kurze Zeit später nutzt er seinen Aktionsfreiraum, um Kriemhild erneuten Schaden zuzufügen und ihr Bedrohungspotenzial zu minimieren. Es ist Hagen, der in Kriemhilds unermesslichem Reichtum eine Gefahr sieht, und nachdem er Gunther nicht in seine Pläne zum Raub des Schatzes einspannen kann, diesen eigenhändig ausführt. Dabei bietet er sich offen als Sündenbock an (lât mich den schuldigen sîn, NL, 1128, 4), was zum einen seine Aufopferungsbereitschaft für seinen König, zum anderen seine Furchtlosigkeit vor der entmachteten Kriemhild ausdrückt. Gleichfalls wird die anschließende Versenkung des Nibelungenhortes vom Erzähler als Alleingang des finsteren Hagen dargestellt (vgl. NL, 1333f.).[28] Beide Missetaten Hagens führen zu ernsthaften Verstimmungen mit den Königsbrüdern, so sehr, dass Giselher den Tronjer am liebsten töten würde (vgl. NL, 1130) und Hagen schließlich temporär die Hofgesellschaft verlässt (vgl. NL, 1136, 2).[29] Für den helt von Tronege (NL, 1104, 1) scheinen mögliche Strafen jedoch nicht von Belang zu sein, und letzten Endes bleiben seine Taten ohne längerfristige Folgen für seine Stellung am Hof. Ihm geht es nur um das rücksichtslose Erreichen seiner Ziele, ohne Furcht vor etwaigen Konsequenzen, möglicherweise auch, da er seiner Umgebung und den Königsbrüdern im Besonderen nicht die nötige Durchsetzungsfähigkeit zugesteht, ihm ernstzunehmende Bestrafungen auferlegen zu können. Erneut beweist sich Hagens Konzeption als vorchristlicher Heros, der jenseits einer modernen Moral von Gut und Böse agiert.[30] Durch den Mord an Siegfried verlässt Hagen seine höfische Rolle als Untergebener und tritt nun als wahre Führungsperson am Wormser Hof auf. Zeitgleich gelingt es ihm, durch seine demonstrierte Hartherzigkeit eine emotionale Dominanz aufzubauen.

Hagen als Führungsperson

Zu Beginn der zweiten Hälfte des Nibelungenliedes verfügt Hagen wieder über seine angestammte Rolle als wichtigster Berater seiner Könige. Nach dem Tode Siegfrieds ist es erneut Hagen, der seinen Herren mit Expertenwissen über fremde Menschen und Länder zur Verfügung steht (vgl. NL, 1174f.; 1428f.; 1717f.), eine Rolle, die der Tronjer für den Rest des Liedes behalten wird. Seine Autorität ist jedoch nicht unbegrenzt, und sowohl bei der Entscheidung zur Vermählung Kriemhilds mit dem Hunnenfürsten als auch bei dem Beschluss zur Reise nach Wien scheitert Hagens Durchsetzungskraft, in letzterem Falle teilweise an ihm selbst, da sein übertriebener Stolz es ihm nicht gestattet, kleinste Anzeichen von Angst und Schwäche zuzulassen (vgl. NL, 1459ff.).[31]

Auf der Reise zum Etzelhof agiert Hagen, bedingt durch sein Expertenwissen über die Landschaft Ostfrankens, als Anführer des burgundischen Zuges. Ihm steht die vorderste Position zu und er tritt für die Burgunden (vom Erzähler mittlerweile als Nibelungen bezeichnet) als ein helflicher trôst auf (NL, 1523, 2). Mit Gunthers autoritären Auftritt nach dem Kampf gegen die bayerischen Markgrafen wird die standesgemäße Befehlskette für einen kurzen Moment wiederhergestellt; Hagens Status als Anführer manifestiert sich jedoch unmittelbar darauf erneut, als er die Rolle des Fährmanns übernimmt und ohne Hilfe 10.000 Mann über den Fluss rudert (vgl. NL, 1524; 1622; 1570).[32]

Ebendiese Rolle als Anführer und trôst der Nibelunge[33] setzt sich in Hagens Auftreten am Hof des Hunnenfürsten durch. Nach Giselhers Bedenken über die Sicherheit im Nachtquartier ist es Hagen, der seinen König beruhigt und freiwillig, mit triuwen (NL, 1829, 4), die Nachtwache übernimmt (vgl. NL, 1824f.).[34] Diese triuwe ist es auch, die Hagens Verantwortungsbewusstsein stützt, wenn er den unruhigen Volker von der Verfolgung der herumschleichenden Hunnen abhält, um so den Schutz der Schlafenden nicht zu riskieren (vgl. NL, 1840f.). Die Rolle als Fürsorger für die Burgunden kulminiert in Hagens Empfehlung an diese, einen letzten Kirchgang inklusive Beichte vorzunehmen, um ihnen so eine innere Vorbereitung auf den baldigen Tod zu erlauben (vgl. NL, 1849, 4–1853, 4). Als Anführer ist es nun der sonst so zynische Hagen, der die seelsorgerischen Aufgaben des aus der Handlung entfernten Kaplans übernehmen muss.[35] Dabei empfiehlt Hagen das Mitführen von Rüstung und Waffen, um die ihm Folgenden so jederzeit in Kampfbereitschaft zu halten.

Weiterhin ist es Hagen, der durch seinen brutalen Mord an Ortlieb und dessen Erzieher beim Festessen das Massaker im Festsaal initiiert und so als willentlicher Auslöser der Katastrophe die Führung über das Geschehen an sich reißt (vgl. NL, 1958, 1ff.).[36] Vor der Tötung des Hunnenprinzen hält Hagen eine kurze Ansprache, Er nimmt dabei eine Position ein, die an einen Heerführer oder König, der den Angriff seiner Männer eröffnet, erinnert (vgl. NL, 1957). Ebenso ist es Hagen, der bei der Bekämpfung des von Kriemhild gelegten Saalbrandes die Führungsrolle übernimmt und seinen Männern Anweisungen zum Überstehen der Flammenwut gibt (vgl. NL, 2116, 1ff.).

Hagens Dominanz wirkt als sozialer Mobilisator, und durch sie gelingt es dem Heros, sich aus seiner höfischen Umgebung heraus emporzuheben, die ihm aufgelegten Rollenzuweisungen zu durchbrechen und sich schließlich zum handlungsbestimmenden Akteur und faktischem Herrscher der Burgunden aufzuschwingen.

Physische und emotionale Dominanz

Hagens kommandierende Art zeigt sich nicht nur in seiner sozialen Führungsposition, sondern wird zusätzlich durch seine physische und emotionale Überlegenheit gegenüber seinen Mitmenschen akzentuiert. Zwar ist im Nibelungenlied, wie auch in anderen Texten der Heldenepik, kein Mangel an übermenschlich starken Kämpfern vorhanden, Hagens große Kampfeskraft sticht jedoch heraus und hilft so, eine den Helden von Tronje umgebende Aura der Dominanz zu konstruieren, die nicht mehr durch Siegfried überstrahlt wird. Bereits vor dem Ausbruch des Gemetzels am Etzelhof offenbart sich Hagens große physische Stärke. So ist Hagen die einzige Figur des gesamten Werkes, deren Äußeres vom Autor näher beschrieben wird; er ist wol gewahsen und grôz was er zen brusten (NL, 1731, 1ff.). Seine Kraft zeigt sich bereits in der Begegnung mit dem Fährmann an der Donau, dessen plötzlicher Angriff am Kopf, einer der verwundbarste Stellen des Körpers, lediglich zum Zersplittern der Tatwaffe führt. Hagen zeigt sich hiervon unbeeinträchtigt, enthauptet den Fährmann, fängt trotz Zerbrechens des Ruders das abtreibende Boot ein und setzt dann als neuer Fährmann alle 10.000 Burgunden an einem Tag über (vgl. NL, 1557–1562). Auch mit der Weigerung Hagens und Volkers, den Hunnen auf dem Weg zur Messe den Weg freizumachen, gelingt es Hagen, sich seine Umwelt unterzuordnen (vgl. NL, 1863f.). Die einzige Ausnahme in dieser Hinsicht stellt das Gefecht gegen die bayerischen Markgrafen dar, in dem ein überraschend schwach erscheinender Hagen auf die Intervention Dankwarts angewiesen ist (vgl. NL, 1609ff.).

Ihren Höhepunkt erreicht Hagens Stärke in den Kämpfen am Etzelhof. Wiederholt macht er mühelos Scharen von Gegnern nieder, und als er im Laufe der Kämpfe seinen Schild wegsteckt und sich somit vollends auf eine rücksichtslose Offensive konzentriert, konstatiert der Erzähler dô heten sîne vîande zem lebene deheiner slahte wân (NL, 1977, 4). Selbst als der grimmige Recke im Kampf gegen Iring eine Kopfwunde erleidet, beflügelt dies nur seinen Zorn und führt schließlich zum Tod Irings (vgl. NL, 2059ff.), welcher mit seinen letzten Worten warnt, dass der Kampf gegen Hagen den sicheren Tod bedeute (vgl. NL, 2065,4).[37] Sogar Hildebrand, der den bisher unbesiegbar scheinenden Volker im Zweikampf erschlug und vom sterbenden Wolfhart vor Hagen gewarnt wird, unterliegt der Kampfkraft des Tronjers und muss verwundet die Flucht antreten (vgl. NL, 2298, 3f.; 2303; 2304.).

Es ist die oben beschriebene physische Dominanz Hagens, die auch zu seiner emotionalen Dominanz beiträgt. Da kaum jemand imstande ist, sich mit Hagen im Kampf zu messen, versetzt ihn dies, zusammen mit dem Schutz durch seine mächtigen Herren, in die Lage, anderen gegenüber betont schroff und sogar beleidigend aufzutreten. Dies zeigt sich bereits in der zynischen Zuschaustellung seiner Täterschaft im Mord an Siegfried, mit welcher er Kriemhild quält und ihr Elend noch vergrößert (siehe oben).

Hagens Hohn gegenüber Kriemhilds Leiden setzt sich bei ihrem Wiedersehen am Etzelhof fort. Bereits bei der Ankunft und anschließenden Begrüßung durch Kriemhild legt er dieser seine Antipathie offen und spottet über ihren Verlust des Nibelungenhortes; kein Gold, sondern den tivel (NL, 1741, 1) werde er ihr bringen. Selbst als Kriemhild ihn mit einer 460 Mann starken Schar an Kämpfern mit seinen Taten konfrontiert, zeigt er sich unbeeindruckt. Anstatt vor der Königin und Gastgeberin aufzustehen, bleibt er demonstrativ sitzen (vgl. NL, 1778f.), Siegfrieds Schwert auf seinem Schoß zur Schau gestellt, was an die Haltung eines Richters erinnert. Voller Verachtung gesteht er den Mord an Siegfried, für welchen er die Schuld Kriemhild zuweist, und prahlt sogar mit seiner Tat und dem großen Leid, das er der Königin zugefügt hat. Ihr Versuch, Hagen einem moralischen Urteil zu unterziehen, schlägt gänzlich fehl, denn Hagen zeigt ihr, dass nur der, der über Macht – das Schwert – verfügt, richten kann.[38] Schließlich fordert er die Anwesenden sogar offen heraus, sein Verbrechen zu rächen (vgl. NL, 1788, 3). Dies alles führt zum Zurückweichen der Hunnen, welche Angst vor der Grimmigkeit und Kampfkraft Hagens und Volkers bekommen. Kriemhild hingegen bleibt zweifach gedemütigt zurück, zum einen durch Hagens Worte und zum anderen durch den Rückzug ihrer Männer (vgl. NL, 1781, 3f.; 1796, 2). Selbst zu einem späteren Zeitpunkt während der Kämpfe findet Hagen Gelegenheit, den König der Hunnen über dessen Untätigkeit zu verspotten und Kriemhild vor der gesamten Gefolgschaft zu beschimpfen. Diese wiederholt ihren Aufruf zum Kampf gegen Hagen, doch als sich erneut kein Hunne zu trauen scheint, ist sie bis zum Auftauchen Irings dem Spott Volkers und einer erneuten Erniedrigung ausgesetzt (vgl. NL, 2017–2023). Hagen hingegen kann einen Nimbus der Unantastbarkeit aufbauen. Er besitzt über das ganze Werk hinweg bis hin zur Endsequenz eine emotionale Dominanz gegenüber Kriemhild.

Doch auch andere Personen sind vor dem verächtlichen Zynismus des grimmigen Tronjers nicht sicher. So verstört dieser beim Festessen alle Anwesenden mit seiner kalten Voraussage von Ortliebs baldigem Tod, unmittelbar nachdem Etzel seinen Stolz auf seinen Sohn kundgetan hat (vgl. NL, 1915). Die Nachricht von Blödels Ableben wird vom ihm spottend kommentiert, da dies ein schade kleine sei (NL, 1951, 1) und sein als unrühmlich aufgefasster Tod keine große Trauer auslösen werde. Somit schockiert Hagen in unmittelbarer Abfolge die Anwesenden, indem er vor der Hofgesellschaft zwei direkte Verwandte des Königs und Gastgeber öffentlich diskreditiert. Während der Kämpfe im Festsaal schlägt Hagen dem Spielmann Wärbel im Blutrausch die Hand ab. Dessen Klagen und Unschuldsbeteuerungen können den Tronjer jedoch zu keiner Antwort bringen (vgl. NL, 1962, 1). Das durch ihn verursachte Leid anderer, sofern sie nicht seine Freunde oder Herren sind, lässt ihn kalt. Ähnliches lässt sich aus seinem Verhalten nach dem fehlgeschlagenen Mordversuch am Kaplan ableiten. Die wütenden Reaktionen Gernots und Giselhers (vgl. NL, 1573f.), der beiden eindeutig positiv besetzen Könige, können Hagen keine Antwort oder gar ein Einlenken abringen, und es zeigt sich seine Ignoranz gegenüber christlichen Moralvorstellungen, die eine Rechtfertigung für diese Tat verlangen würden.[39] Vielmehr signifiziert Hagens wiederholt verletzendes und rücksichtsloses Verhalten und die sich hieraus ableitende Dominanz seine Verortung im germanisch-heidnischen Heldensystem, dem dichotomische Auffassungen von Gut und Böse fremd sind. Hagens Missachtung moralischer Normen spiegelt sich weiterhin in seinem Vorschlag, das Blut der Toten zur Stillung des Durstes zu trinken, wider (vgl. NL, 2111, 1ff.), und nach seinem Triumph im Kampf gegen Hildebrand verspottet Hagen diesen in Gegenwart Dietrichs wiederholt, wodurch Hildebrand in einem erniedrigenden Kontrollverlust von seinem König zur Zurückhaltung gezwungen werden muss (vgl. NL, 2342, 3f.).

Es gibt jedoch noch eine weitere Seite von Hagens emotionaler Dominanz, die sich insbesondere in seiner ersten Begegnung mit Siegfried zeigt. Hagen geht auf dessen wiederholte Provokationen nur sehr bedacht ein. Sein langes Schweigen erzürnt sogar Gunther, bis Hagen schließlich Siegfried mit diplomatischem Tonfall für dessen Beleidigungen tadelt (vgl. NL, 119). Der helt von Tronege tritt also nicht nur als rücksichtsloser Zyniker auf, sondern ist auch zu kontrollierter Zurückhaltung und diplomatischen Ausdrücken imstande.[40]

Hagen und das Schicksal

Der Aspekt des Schicksals[41] ist im Nibelungenlied stark an die Prophezeiung der Meerfrauen (vgl. NL, 1536–1539) gekoppelt, die dem finsteren Tronjer den unvermeidlichen Tod aller mit ihm Reisenden, mit Ausnahme des Kaplans, voraussagt. Doch bereits vor dieser Offenbarung des Untergangs zeigt sich Hagens Umgang mit dem Schicksal. Als die Königsmutter Ute im Traum sieht, wie alle Vögel in Burgund sterben, deutet sie dies als Allegorie für die anstehende Reise der Burgunden und bittet diese deswegen, nicht aufzubrechen. Hagen jedoch schmettert ihre Sorgen ab, denn swer sich an troume wendet […],/ der enweiz der rehten mære niht ze sagene,/ wenn es im ze êren volleclichen stê (NL, 1507, 1ff.). Für ihn ist die Beachtung von vermeintlichen Prophezeiungen „nicht vereinbar mit der ritterlichen Ehre“.[42] Hagen wird von der Angst um den Ehrverlust, der ihm vermeintlich droht, wenn er seine Könige ohne ihren treuesten Gefolgsmann in eine Falle reiten lässt, angetrieben. Ebendiese Furcht ist Hagens Motivation, seine eigenen Vorbehalte bezüglich der bösen Intentionen Kriemhilds beiseitezulassen und der Reise energisch zuzustimmen. Daher ignoriert er die ihm offensichtlichen Gefahren und bevorzugt es, dem eventuellen Ende mutig entgegenzutreten und dabei gegebenenfalls an der Seite seiner Könige zu fallen. Er verkündet eine Unvermeidbarkeit der Reise, die die Burgunden durchführen müezen (NL, 1508, 3); er erhebt sie zum Schicksal. Dass der Besuch am Etzelhof nur im Blutvergießen enden kann, ist für Hagen eine Tatsache, die er bereitwillig annimmt, denn ê sol von mînen handen ersterben manic man/ in Etzelen landen (NL, 1527, 3f.). Er zeigt keinerlei Furcht, sondern eine unerschütterliche Kampfbereitschaft ob des unvermeidlich scheinenden Gemetzels, in dem er die Chance auf noch größere Kriegertaten sieht.[43]

Am Ufer der Donau kommt es zu der Begegnung des königlichen Beraters mit den Meerfrauen. Nur kurz zweifelt Hagen die Vorhersage der Wasserfrauen an, und mit dem Verweis, dass er seine Könige trotzdem nicht von einer Umkehr überzeugen könne, setzt er eine untrennbare Verbindung zwischen seinem eigenen Schicksal und dem seiner Könige (vgl. NL, 1540, 2f.). Die Überquerung über die Donau ist somit als Übersetzen ins Reich des (baldigen) Todes anzusehen; Hagen ist der Fährmann Charon, der die Burgunden über den Fluss Styx setzt.[44] Schließlich unternimmt der tapfere Recke einen letzten Versuch, das prophezeite Ende abzuwenden. Sein Mordversuch am Kaplan scheitert jedoch, und somit sein Bemühen, das Schicksal auszutricksen. Stattdessen entscheidet er sich, die Unvermeidlichkeit des Schicksals zu einer Tatsache zu erheben, indem er durch die Zerstörung des Bootes eine Umkehr unmöglich macht (vgl. NL, 1572–1576; 1673, 3).[45] Die Prophezeiung kontrolliert sein Handeln, und doch ist er entschlossen, dem Schicksal gegenüber souverän aufzutreten und durch eine aufrechte Haltung dem Tod gegenüber Dominanz in dieser Welt zu erreichen. Das Schicksal bestimmt seinen Weg und dennoch schafft es Hagen, stets in Kontrolle über das menschlich Beherrschbare zu bleiben, mit einem unablässigen Dominanzstreben als Handlungsmotivator.

Nachdem es nun keine Möglichkeit zur Umkehr mehr gibt, offenbart Hagen den ihm Folgenden ihr unvermeidliches Ableben. Hagen stimmt jedoch nicht in die große Trauer der Ritter ob dieser Schreckensnachricht ein. Es folgt kein Moment des Innehaltens, sondern ein grimmiges Vorbereiten auf die anstehenden Kämpfe und ein Appell zur Bewaffnung (vgl. NL, 1585). Hagens mangelnde Furcht vor dem Tod zeigt sich auch in seinen Reaktionen auf die Warnungen Eckewarts und Dietrichs vor der zu erwartenden Feindschaft am Hunnenhof, welche er beide verharmlost, vermutlich, um seine souveräne Ausstrahlung zu wahren (vgl. NL, 1633; 1722). Verwirrend scheint zudem seine konsequente Weigerung, Etzel von den blutigen Racheplänen seiner Gemahlin zu unterrichten und so eventuell das Gemetzel zu verhindern.[46] Selbst seine eigenen Könige versucht Hagen, nachdem diese seine Bedenken in Worms noch abgewiesen haben, nicht von der ihnen drohenden Gefahr zu überzeugen.

Der stolze Tronjer möchte dringlichst vermeiden, als wankelmütig zu gelten – sowohl vor seinen Königen wie auch vor dem Schicksal. Wenn das Ende in all seiner Grausamkeit schon nicht abzuwenden sei, dann sollen die Burgunder ihm geschlossen entgegentreten. Hagens Aufforderung an die Burgunden, sich vor dem Kirchgang zu bewaffnen (vgl. NL, 1850f.), ist nicht nur ein Rüsten für den Kampf gegen die Hunnen, sondern auf einer abstrakten Ebene auch für den Kampf gegen das Schicksal selbst.

Hagens Scheitern: Ende am Etzelhof

So kommt es schließlich zur letzten Konfrontation Hagens, in welcher er und Gunther sich nun Dietrich von Bern gegenübersehen. Erneut zeigt sich Hagens Verbissenheit, das ihm heraufbeschworene Schicksal zu provozieren. Der finstere Tronjer schließt Dietrich gegenüber jegliche Kapitulation aus (vgl. NL, 2235), ez ensî, daz mir [Hagen] zebreste daz Nibelunges swert (NL, 2344, 3) und geht bereitwillig den Zweikampf mit diesem ein. Auffällig ist hierbei die Missachtung der normativen Rangfolge, denn es ist Hagen alleine, der die Kapitulation ausschlägt, eine Entscheidung, die ihm als Untergebenen nicht zustünde; nun ist es der Vasall, der trotz Erschöpfung und Verwundung den letzten Kampf der Burgunden beschließt. Neben der triuwe ist für den stolzen Recken von Tronje die êre die höchste Tugend, und diese möchte er durch einen Sieg gegen den weithin bekannten Dietrich erringen oder zumindest durch einen heldenhaften Kampfestod bewahren; er besitzt ein „Ineinander von Todesbereitschaft und unbezwingbarem Lebens- und Kampfeswillen“.[47] Eine Kapitulation würde nicht nur das Eingeständnis von Unsicherheit und Unterlegenheit bedeuten, sondern auch einen ‚unehrenhaften‘ Tod außerhalb des Kampfes riskieren. Seinem eigenen Ableben möchte Hagen keine Dominanz einräumen, sondern dieses stattdessen als perfekten, letzten Akt inszenieren, weswegen er dem unvermeidlichen Tod gegenüber frei von Furcht ist.

Trotz Hagens mächtiger Hiebe und seines aggressiven Kampfstils unterliegt sein hitziges Gemüt dem klugen, defensiven Kampfstil Dietrichs. Entgegen seiner arroganten Ankündigung, dass nur ein Zerbrechen des Schwertes ihn vom Kampf abhalten könne (vgl. NL, 2344, 3),[48] wird Hagen nun gefesselt und somit jeglichen Handlungspotenzials beraubt. Der stolze Tronjer wird durch die Niederlage, die nicht im Heldentod, sondern einer Demütigung endet, faktisch zum Zuschauer degradiert. Er kann nur wehrlos zusehen, wie sein König ebenfalls im Kampf unterliegt, gefesselt und schließlich mit ihm zusammen vor Kriemhild gebracht wird. Das Leben Hagens und seines schutzbefohlenen Königs ist nun dem Willen seiner Todfeindin schutzlos ausgeliefert.

So muss Hagen hilflos miterleben, wie sein König vor seinen Augen enthauptet wird. Der Schutz Gunthers war nach außen Hagens zentrales Handlungsmotiv für große Teile der Handlung, und an dieser für ihn heiligen Aufgabe ist er nun gescheitert.[49] Sein Versagen wird ihm in Form von Gunthers abgeschlagenem Kopf wortwörtlich vor die Augen gehalten, womit die Demütigung maximiert wird. Hier findet sich die zweite Stelle im Nibelungenlied (neben Volkers Tod), in der Hagen durch einen persönlichen Verlust großen Schmerz empfindet, dô wart im leide genuoc (NL, 2366, 4), er also aus seiner zynischen, verächtlichen Haltung herausbricht. Sein Leid zeigt seine Verwundbarkeit und den Machtwechsel in der Handlung. Den Part der das Geschehen dominierenden Person füllt nun Kriemhild aus, eine Figur, die den Großteil der Handlung nicht nur dominiert wurde, sondern konkret unter Hagens Dominanz zu leiden hatte. Trotzdem gelingt es letzterem, die Konversation zu kontrollieren und erneut auf Kriemhilds Schmerz zu lenken; „Hohn und Spott sind Waffen des zum Untergang Verurteilten und Bereiten“.[50] So gelingt ihm ein letzter Triumph, indem er der vâlendinne (NL, 2368, 4) trotzig verkündet, dass er das Geheimnis um den Nibelungenhort mit ins Grab nehmen werde. Kriemhild möge vielleicht ihren Racheakt vollziehen, doch eine Wiedergutmachung ihrer enormen Verluste wird nie erfolgen, da sowohl ihr Mann wie auch der Schatz für immer verloren sind. So erringt Hagen ein letztes Mal die emotionale Dominanz über Kriemhild, die sich durch das gesamte Werk zieht.

Interpretationen, nach denen Hagen als ‚Sieger‘ aus dem Konflikt mit Kriemhild hervorgehen würde, sind jedoch zurückzuweisen.[51] Zwar preist Etzel ihn nach seinem Ableben als aller beste degen (NL, 2371, 2) und Hildebrand lobt seine Tapferkeit (vgl. NL, 2373, 4), jedoch ist Hagens Tod kein heldenhafter, sondern die Hinrichtung eines Machtlosen; ihm bleibt „die Erfüllung seiner heldischen Existenz versagt“.[52] Dieser Aspekt der Hinrichtung verdeutlicht sich durch die Art der Tötung: wie ein wehrloser, zu richtender Verbrecher wird er geköpft, noch dazu durch Kriemhild (vgl. NL, 2370, 2f.). Diese Enthauptung ist nicht nur Kriemhilds Rache, sondern indirekt auch Siegfrieds, der durch das Richtwerkzeug, sein Schwert Balmung, ebenfalls präsent ist und Genugtuung erfährt. Durch seinen Tod verfehlt Hagen auch seine dritte Leitlinie, Kriemhilds Rache zu vermeiden, und wird für seine Taten zur Rechenschaft gezogen, da die Hinrichtung durch Kriemhild gleich einer durch einen König beorderten Exekution als Urteil für schwerste Vergehen zu lesen ist. Die Schmach in Hagens Exekution wird maßgeblich durch die Person des Richters verstärkt: Kriemhild, deren Rache er unbedingt verhindern wollte, und die als Frau sowohl im heroisch-germanischen wie auch im christlich-höfischen Wertesystem weder als große Kämpferin, noch als juristische Autorität auftreten kann.[53] Kurzum: Kriemhild besaß nicht den Rang, Hagen zu richten, und die Exekution durch eine derart untergeordnete Person, deren Demütigung und Degradierung zentrale Motivation für große Teile seines Handelns waren, beraubt Hagen jeglicher Dominanz. Es ist ein dreifacher Kollaps von Hagens Macht zu konstatieren, welcher zwar sich selbst treu geblieben ist, aber in all seinen anderen persönlichen Leitlinien, der Vermeidung von Kriemhilds Rache, dem Schutz seiner Könige und dem Erlangen eines heldenhaften Todes, gänzlich versagt hat.[54] Der helt von Tronege stirbt zwar standhaft und selbstbehauptend, doch ist sein Triumph, Kriemhild die Wiedergutmachung zu verwehren und ihre anschließende Zerstückelung durch Hildebrand, in seinem Ausmaß zu schwach, um sein Scheitern auszugleichen. Hagens Scheitern in der durch ihn verursachten Tragödie ist das Scheitern des nach Dominanz strebenden, germanisch-heidnischen Helden, und anstelle von Bewunderung erklingt eine grenzenlose Klage.[55]

Fazit

Zu Beginn des Werkes fungiert Hagen von Tronje als wichtigster Berater und Beschützer seiner Könige. Aus diesem Hintergrund heraus vermag er es, großen Einfluss auf das Geschehen am Wormser Hof zu nehmen. Seine herausragenden Charaktereigenschaften sind über die Grenzen Burgunds hinaus bekannt. Schließlich kommt es jedoch zum Verlust seiner dominanten Position an den übermenschlich erscheinenden Siegfried von Xanten. Erst mit einer Intrige gelingt es ihm, auf äußerst brutale und kaltherzige Art seine Dominanz wiederherzustellen und permanent zu festigen. Von nun an agiert Hagen zunehmend im Vordergrund. Er ist nicht mehr nur Initiator, sondern immer häufiger Hauptakteur, was schließlich zu einer offenen Führungsrolle im zweiten Teil des Werkes führt. Hagen ist nur noch dem Namen nach Untergebener, in Wirklichkeit beherrscht er jedoch seine Umgebung und seine Könige.

Der helt von Tronege führt und kontrolliert die Menschen um ihn herum, entmutigt seine Feinde durch eine überlegene Kampfkraft und setzt beißenden Spott ein, um diese emotional zu verletzen, während ihn das Leid Dritter kalt lässt. Letzteres tritt besonderes in seinem Verhalten Kriemhild gegenüber hervor, welche er nach dem Mord an ihrem Ehemann bei nahezu jeder Gelegenheit mit seinem Zynismus peinigt. Als klassischer, wenn nicht gar überspitzter germanischer Heros empfindet er für keine seiner Taten Schuld oder gar Reue, da er sein Handeln mit dessen Erfolg in einem auf triuwe und êre ausgelegten Wertesystem begründet, welches sich nicht nur von heutigen Moralvorstellungen löst, sondern auch damalige Vorstellungen von Tugend und Ritterlichkeit ablehnt.[56] All dies erlaubt ihm, sein Umfeld zu unterwerfen und sich selbst über dieses emporzusetzen. Dem ihm prophezeiten Tod begegnet er nicht mit Furcht, sondern erkennt in diesem die Möglichkeit eines ruhmreichen Endes.

Doch all diese Größe und Dominanz können sein Scheitern nicht verhindern. Es ist Hagens unzerstörbarer Stolz, der diesen größten aller Helden geradewegs und erhobenen Hauptes in seinen Untergang schreiten lässt, einen Untergang, in den er auch seine Könige und damit die gesamte Gefolgschaft hineinführt.[57] Am Hunnenhof gelingen ihm große Taten im Kampf, die Hagen den Nimbus eines unaufhaltbaren Anführers in der Abwehr schier unendlicher Wellen von Gegnern verleihen. Hagens Dominanz hat die Handlung des Nibelungenliedes bestimmt und ihn zur beherrschenden Figur des Werkes emporgehoben, bevor sie in sich selbst kollabierte. Sein Stolz ist ungebrochen, doch am Ende steht neben der Katastrophe der Burgunden auch der vollständige Kontrollverlust und somit das Scheitern des grimmigen Mannes von Tronje.


[1]Vgl. Helmut de Boor, Richard Newald, Geschichte der deutschen Literatur. Teil 3, München 31957, 156.

[2]Zur Gattungszugehörigkeit und den jeweiligen Gattungsmerkmalen im NL, siehe vgl. De Boor, Newald, Geschichte der deutschen Literatur, 159–164; Otfrid Ehrismann, Erwartung und Erfüllung. Unzuverlässiges im Nibelungenlied, in: Volker Gallé (Hg.), Schätze der Erinnerung. Geschichte, Mythos und Literatur in der Überlieferung des Nibelungenliedes, Worms 2009, 19–40, hier 22; Francis G. Gentry, Hagen and the Problem of Individuality in the Nibelungenlied, in: Monatshefte, 68(1976)1, 5–12, hier 5; Edward R. Haymes, Das Nibelungenlied, München 1999, 91f.

[3]Vgl. Haymes, Nibelungenlied, 99.

[4]Zur wissenschaftlichen Rezeptionsgeschichte in der Hagens siehe vgl. Sabine B. Sattel, Das „Nibelungenlied“ in der wissenschaftlichen Literatur zwischen 1945 und 1985. Ein Beitrag zur Geschichte der Nibelungenforschung, Frankfurt/Main (u.a.) 2000, 376f. und Jan-Dirk Müller, Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, 7–11. Zur populären Rezeptionsgeschichte siehe vgl. Müller, Spielregeln, 6ff.

[5]Vgl. Holger Homann, The Hagen Figure in the Nibelungenlied. Know Him by His Lies, in: Modern Language Notes, 97(1982)3, 759–769, hier 759f.; Elisabeth Lienert, Können Helden sich ändern? Starre Muster und flexibles Handeln im Nibelungenlied, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 144(2015)4, 477–491, hier 478; Elmar Schilling, Konzepte und Inszenierungen des Heroischen im Nibelungenlied, Dortmund 2021, 111.

[6]Haymes, Nibelungenlied, 111.

[7]Die Figureninterpretation und damit auch Psychologisierung der Figuren ist ein Angebot, welches der Autor den Rezipierenden durch die Leerstellen des Textes unweigerlich macht, vgl. Ursula Schulze, Das Nibelungenlied, Stuttgart 1987, 115; Winder McConnell, The Nibelungenlied. A Psychological Approach, in: Winder McConnell (Hg.), A Companion to the Nibelungenlied, Columbia 1998; Hermann Reichert, Das Nibelungenlied. Text und Einführung, Nach der St. Gallener Handschrift, Berlin–New York 2005, 529.

Zur Problematik einer Psychologisierung des Nibelungenliedes siehe vgl. Müller, Spielregeln, 201f.

[8]Vgl. De Boor/Newald, Geschichte der deutschen Literatur, 156.

[9]Vgl. Sattel, Das „Nibelungenlied“ in der wissenschaftlichen Literatur, 404; Otfrid Ehrismann, Nibelungenlied. Epoche, Werk, Wirkung, München 11987, 59; Jean Firges, Das Nibelungenlied. Ein Epos der Stauferzeit. Annweiler am Trifels 2001, 21.

[10]Eine Auswahl: vgl. Müller, Spielregeln, 292; Werner Hoffmann: Das Nibelungenlied, Frankfurt 1987, 86, 89ff.; Werner Schröder, Die Tragödie Kriemhilts im Nibelungenlied, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 90(1960)2, 123–160, hier 124.

[11]Vgl. Sattel, Das „Nibelungenlied“ in der wissenschaftlichen Literatur, 392; Siegfried Grosse, Kommentar, in: Ursula Schulze (Hg.), Nach der Handschrift B hrsg. von Ursula Schulze, Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 2011. 689–987, hier 824; Ursula R. Mahlendorf, Frank J. Tobin, Hagen. A Reappraisal, in: Monatshefte 63(1971)2, 125–140, hier 134; Schilling, Konzepte und Inszenierungen des Heroischen, 114.

[12]Vgl. Haymes, Nibelungenlied, 11; Homann, The Hagen Figure, 764; Lienert, Können Helden sich ändern?, 477; Hermann Reichert, Das Nibelungenlied. Text und Einführung, Nach der St. Gallener Handschrift, Berlin–New York 12005, 529; Mahlendorf, Tobin, Hagen, 139.

[13]Zur Begründung dieser Zweiteilung in der Wissenschaft siehe vgl. Haymes, Nibelungenlied, 92–96.

[14]Siehe beispielsweise vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 51976, 28; Byung-Chul Han, Was ist Macht? Stuttgart 2015, 11–18.

[15]Vgl. Hanna Feichel Pitkin, Wittgenstein and Justice. Berkeley–Los Angeles 11972, 276; Gerhard Göhler, Macht. II. Politiktheoretische Perspektiven, in: Staatslexikon8 online; https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Macht [letzter Zugriff 06.03.2023].

[16]Vgl. Dominanz, in: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Band 5 CRO-DUC, Leipzig u.a. 2001, 610; Werner Stangl, Dominanzverhalten, in: Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik; https://lexikon.stangl.eu/15133/dominanzverhalten [letzter Zugriff 03.03.2023].

[17]Grosse, Kommentar, 719; vgl. Gentry, Hagen, 7.

[18]Im Folgenden mit der Sigle NL abgekürzt. Für diesen Aufsatz wird die Verszählung von Ursula Schulze übernommen, vgl. Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, nach der Handschrift B hrsg. von Ursula Schulze. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 2011.

[19]Vgl. Grosse, Kommentar, 717.

[20]Vgl. ebd., 711; Ehrismann, Nibelungenlied, 47.

[21]Vgl. Firges, Nibelungenlied, 16f.

[22]Vgl. Hoffmann, Nibelungenlied, 75f.

[23]Hagens Kontrolldrang zeigt sich u. a. in NL, 404; 528; 694f.; 1475; 1617; 1742,3–1743, 4.

[24]Zwar vergehen zwischen Siegfrieds Abreise aus Xanten und seiner Rückkehr 13 Jahre, in denen Hagen wahrscheinlich wieder die Position des obersten Berater eingenommen hat, doch sorgt die Rückkehr Siegfrieds für eine erneute Störung.

[25]Siegfrieds Übermacht wird durch die Symbolik der Waffen verstärkt: Ist der Schild eigentlich ein Werkzeug der Defensive gegen frontale Angriffe, wird er nun genutzt, um einen aus dem Hinterhalt angreifenden Meuchelmörder beinahe zu töten, vgl. Grosse, Kommentar, 782.

[26]Vgl. ebd., 782.

[27]Vgl. Hoffmann, Nibelungenlied, 80.

[28]Die Rolle der drei Könige ist bei diesen Taten widersprüchlich geschildert, wenn auch von einer Beteiligung auszugehen ist, vgl. Grosse, Kommentar, 793; Müller, Spielregeln, 287.

[29]Es ist gut möglich, dass die Verbannung Hagens nur eine symbolische war, um so durch die Illusion einer Bestrafung Kriemhild milde zu stimmen und die eigene Rechtsordnung aufrecht zu halten, vgl. Müller, Spielregeln, 207. Letztendlich kühlt das Verhältnis zu den Königen nur temporär ab, vgl. Hoffmann, Nibelungenlied, 82.

[30]Vgl. Firges, Nibelungenlied, 21.

[31]Hagens Motive für die Entscheidung zum Antritt der Reise sind seine unzerbrechliche Vasallentreue und sein enormes Ehrgefühl, das ihm den Vorwurf der Feigheit nicht gestattet, vgl. Walter Haug, Montage und Individualität im Nibelungenlied, in: Walter Haug (Hg.), Strukturen als Schlüssel zur Welt. Kleine Schriften zur Erzählliteratur des Mittelalters, Tübingen 1989, S. 326–338, hier 334f.

[32]Auch wenn die Rolle des Wegführers östlich der Donau an den mit der Umgebung vertrauten Volker fällt, vgl. NL, 1583, 4.

[33]Dietrich verleiht Hagen diesen Titel in NL, 1723, 4.

[34]Gemäß NL, 1829, 4 ist Hagens Motivation für das Halten der Nachwache die triuwe zu seinen Herren.

[35]Vgl. Ehrismann, Erwartung und Erfüllung, 36ff.; Hoffmann, Nibelungenlied, 88f.

[36]Zwar wird Hagens Aktion erst durch den von Kriemhild veranlassten Überfall auf die Knappen und Dankwart ausgelöst, es ist jedoch Hagen, der die Kämpfe von einem Überfall auf das Gefolge zu einem blutigen Gemetzel unter allen anwesenden Helden eskaliert, in welchem Kriemhild sich ohne die Intervention Dietrichs einem sicheren Tod ausgesetzt sah.

[37]Vgl. Helmut K. Krausse, Die Darstellung von Siegfrieds Tod und die Entwicklung des Hagenbildes in der Nibelungendichtung, in: GRM 21 (1971), 245–257, hier 249.

[38]Vgl. Haug, Montage und Individualität, 335; Müller, Spielregeln, 292.

[39]Vgl. Müller, Spielregeln, 137f.

[40]Vgl. Hoffmann, Nibelungenlied, 75; Ehrismann, Nibelungenlied, 47.

[41]Zwar herrscht in der Forschung Konsens, dass es sich beim Untergang der Burgunden weniger um eine Unvermeidlichkeit des Schicksals und vielmehr um die Folge von individuellen Fehlentscheidungen und starren Handlungskonzepten handelt, aufgrund der expliziten Nutzung des Konzeptes durch den Autor sowie der Natur der Prophezeiung wird der Begriff in dieser Arbeit trotzdem für Hagens Umgang mit dem ihm vorhergesagten Untergang verwendet, vgl. Lienert, Können Helden sich ändern?, 477–491; Hoffmann, Nibelungenlied, 101f., hier 106.

[42]Grosse, Kommentar, 823.

[43]„Die furchtlose Haltung angesichts des Todes ist eine Kardinaltugend des germanischen Helden“, Krausse, Die Darstellung von Siegfrieds Tod, 253.

[44]Vgl. Ehrismann 1987, 38; Firges 2001, 20; Haymes 1999, 103.

[45]Vgl. Reichert, Nibelungenlied, 529.

[46]Während dies zu Beginn des Aufenthaltes am Hunnenhof noch mit der Angst vor einer Brüskierung Etzels begründet werden kann, so kann ein Verschweigen des nächtlichen Angriffsversuchs durch Kriemhilds Männer und die Lüge, dass die Bewaffnung der Burgunden zu Hofe deren Brauchtum sei, in dieser Hinsicht nicht gerechtfertigt werden. Vgl. Hoffmann, Nibelungenlied, 89.

[47]Krausse, Die Darstellung von Siegfrieds Tod, 248.

[48]Vgl. Hoffmann, Nibelungenlied, 93.

[49]Friedrich Maurer, Das Leid im Nibelungenlied, in: Friedrich Maurer (Hg.), Angebinde. John Meier zum 85. Geburtstag am 14. Juni 1949, Lahr 1949, 80–115, hier 86.

[50]Schröder, Die Tragödie Kriemhilts, 124. Siehe außerdem vgl. Schilling, Konzepte und Inszenierungen des Heroischen, 209; Günther Serfas, Kriemhilds Widerfahrnis – Hagens letzte Finte. Zur Deutung der Schlussszene der 39. Aventiure im Nibelungenlied, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 94 (2020), 445–463, hier 455.

[51]Allgemein scheint es in der Forschung doch weit verbreitet, hier von einem Sieg Hagens auszugehen. Dass dem im Angesicht all seiner Niederlagen in der Schlussâventiure nicht zuzustimmen ist, haben beispielsweise bereits vgl. Krausse, Die Darstellung von Siegfrieds Tod, 247 und Mahlendorf/Tobin, Hagen, 135 hervorgehoben.

[52]Krausse, Die Darstellung von Siegfrieds Tod, 247.

[53]Vgl. Grosse, Kommentar, 872; Asya A. Sarakaeva, Gunther’s Head and Hagen’s Heart. Royal Sacrifice in the Lay of Nibelungs, in: Corpus Mundi 1(2020)1, 135–152, hier 140; Schröder, Die Tragödie Kriemhilts, 156.

[54]Von einem Sieg Kriemhilds zu sprechen wäre jedoch ebenso inkorrekt. Kriemhild vermag es, Rache zu nehmen und ihre Peiniger zu richten, doch weder kann sie so erlittenes Leid wiedergutmachen, noch kann sie diesen Triumph auskosten. Die brutale Art, mit der Hildebrand sie zur Strafe für ihren Mord an Hagen tötet, zeigt die „Falschheit“ ihres Handelns. Mangels fehlender juristischer Autorität sowie aufgrund mehrfachen Eidbruchs, Hagen und Gunther am Leben zu lassen, hat Kriemhild eine unverzeihliche Schuld auf sich geladen, vgl. Grosse, Kommentar, 873.

[55]Vgl. Albrecht Classen, Siegfried’s Self-Destruction and the End of Heroism in the „Nibelungenlied“, in: German Studies Review 26(2003)2, 295–314, hier 308.

 Hoffmann, Nibelungenlied, 106; Serfas, Kriemhilds Widerfahrnis, 449f.; Mahlendorf, Tobin, Hagen, 139.

[56]Vgl. Firges, Nibelungenlied, 21.

[57]Mahlendorf/Tobin, Hagen, 139. Siehe auch die Anmerkung Krausses, dass Hagen letzten Endes nicht für seine Könige und seine Leute stirbt, sondern dass diese Schutzbefohlenen für ihn sterben, vgl. Krausse, Kommentar, 253.