Ein Blog für Aufsätze des Germanistischen Institutes der MLU Halle

Gezwungene Mörderinnen? – Annalena Harter

Annalena Harter

Gezwungene Mörderinnen?

Zur Funktion der Wassersymbolik bei der Konzeption von Frauen in Clemens Brentanos Lureley und Friedrich de la Motte Fouqués Undine

Einleitung

Es ist ein Fluss ohne Ende und riesig breit, der so durch die Literaturen fließt. Immer wieder: die Frau aus dem Wasser, die Frau als Wasser, als brausendes, spielendes, kühlendes Meer, als reißender Strom, als Wasserfall, als unbegrenztes Gewässer, […]; die Frau als lockende (oder gefährliche) Tiefe […].[1]

Klaus Theweleit spricht in seiner Publikation Männerphantasien von der Frau und ihrer Verbindung zum Wasser als einem Thema, das immer wieder in verschiedenen Variationen in der Literatur auftaucht. So sind auch Lureley von Clemens Brentano sowie Undine von Friedrich de la Motte Fouqué nur zwei Beispiele allein aus der deutschen Romantik, in welchen die Frauenfiguren in gewisser Beziehung zu dem Element Wasser geschaffen wurden. Gewiss sind jedoch die Konzeptionen von Frauen in verschiedenen Werken, seien sie auch der gleichen Epoche zugehörig, nicht zwingend kongruent. Gleichermaßen weisen auch Lureley und Undine als Figuren gleichsam Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in ihren Eigenschaften und ihrer Relation zum Wasser auf, welche die Basis für die weiterführenden Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit sein sollen, die sich mit der Verbindung von Frauen und Wasser in der Literatur beschäftigt. Als leitende Fragestellungen zu diesem Thema sollen dazu einerseits die Fragen dienen, welcher genaue Zusammenhang von Wassersymbolik und literarischer Konzeption der Frau sich beobachten lässt, das heißt, welche poetologische Funktion das Wasser bei der Darstellung der Frauenfiguren erfüllt.

In diesem Kontext ist es ebenfalls interessant zu betrachten, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser Verbindung in Brentanos Lureley und Fouqués Undine in Bezug auf Geschlechterverhältnisse ergeben. Damit einhergehend wird untersucht, inwiefern die Wassersymbolik dem männlichen* Blick, mit welchem die Autoren die Frauenfiguren konstruieren, widerstrebt. Diese Fragestellungen werden exemplarisch anhand der bereits genannte Werke Lureley von Brentano und Undine von Fouqué, welche beide eine solche „Wasserfrau“ enthalten, beantwortet.

Dazu werden sowohl Brentanos Gedicht als auch Fouqués Erzählung zuerst in Bezug auf die Frau als Figur und dann bezüglich des Motivs Wasser inhaltlich analysiert. Mit der folgenden Analyse arbeite ich dabei auf die Thesen hinaus, dass zum ersten das Wasser als literarisches Symbol das Element darstellt, das die bestehenden menschlich-männlichen* Gesellschaftsordnungen von Grund auf umkehrt. Dadurch verleiht es den Frauen, die in Verbindung mit diesem stehen, sowie mit ihm agieren und welche nur durch Ausgrenzung aus der menschlichen Gesellschaft zu autonom handelnden Subjekten werden können, die dafür nötige Handlungsmacht. Zum zweiten soll dargelegt werden, dass die Frauen Brentanos und Fouqués nicht nur auf literarischer Ebene durch andere Figuren ausgegrenzt werden, sondern selbst die männliche* Perspektive der textexternen Autoren die (literarische) Unterdrückung der Frauen unterstützt.

Darüber hinaus wird im Verlauf der Arbeit noch eine neue Leseart der behandelten Werke etabliert, welche die Frauen – entgegen der gängigen Leseart– insofern als ‚unschuldig‘ betrachtet, als sowohl Lureley als auch Undine unfreiwillig verführend agieren, sowie durch äußere Zwänge todbringend sind.

Die vorliegende Arbeit hat nicht das Ziel, die Kategorie „Geschlecht“ als kulturelle Größe zu analysieren, sondern vielmehr die Auswirkungen der Verbindung Frau und Wasser auf die Geschlechterverhältnisse zwischen besagten Wasserfrauen und Männern ihrer Umgebung kritisch zu untersuchen. Denn – so Köppe und Winko – die Ausgrenzung von Frauen als Figuren in Texten ist nur eine Art, eine männlich geprägte Literatur(–wissenschaft) zu erhalten.[2] Aus diesem Grund werden Begriffe wie „weiblich“ oder „männlich“ – sofern sie nicht Teil eines direkten oder indirekten Zitates sind – in dieser Arbeit immer mit * geschrieben. „Weiblich“ oder „männlich“ sollen dadurch nicht in ihrer alltäglichen, Stereotypen transportierenden Verwendungsweise begriffen werden.

Clemens Brentanos „Lureley“

Clemens Brentanos Gedicht Lureley erscheint erstmals 1802 im Roman Godwi oder das steinerne Bild der Mutter und besteht formal aus 25 Strophen, sowie den vier Endversen „Lureley/ Lureley/ Lureley./ Als wären es meiner drei!“[3], die theoretisch zur letzten Strophe gehören, hier allerdings extra genannt werden, da sie sich formal deutlich vom restlichen Gedicht absetzen.[4] Die Lureley ist eine Art Zauberin, die am Gewässer des Rheins zu Hause ist, und scheinbar aufgrund ihrer Schönheit zahlreiche Männer verführt. Diese Verführten finden jedoch alle ihren Tod. Ein Bischof, der deshalb auf sie aufmerksam wird, ist selbst von ihr betört und beachtet ihr Flehen, sie sterben zu lassen, nicht. Er trägt ihr stattdessen auf, eine Nonne zu werden. Während der Reise der Lureley zum Kloster – begleitet von drei Rittern – gelingt es der Lureley jedoch, durch eine List an den Rand der Klippen am Rhein zu gelangen und sich schließlich in diesen zu stürzen.

Die Figur der Lureley

Im Folgenden soll Brentanos Lureley primär als Frauenfigur nach den Aspekten „wesentliche Eigenschaften“, „todbringende Verführung und Wille“, sowie „Religion“ und „Konzeption der Frau“ untersucht werden. Der Aspekt des Wassers und wie die Lureley in Verbindung zu diesem steht, soll erst im nächsten Kapitel thematisiert werden. Auch arbeite ich im Folgenden zunächst heraus, wie sich das Machtgefälle zwischen der Lureley und dem Mann gestaltet, wenn die Lureley nicht in Verbindung mit dem Element Wasser steht.

Eine wesentliche Eigenschaft der Lureley ist ihre Schönheit, so wird sie direkt zu Beginn in V. 3 als Zauberin beschrieben, die „so schön und feine“ (L, 115) ist, dass sogar der Bischof als geistlicher Würdenträger ihrer Schönheit erliegt. Zu beachten ist dabei auch, dass die Lureley als „Zauberin“, und nicht etwa als „Hexe“ bezeichnet wird, was deutlich negativer konnotiert wäre. Die Lureley selbst beschreibt in den Versen 21-22 ihre Augen als zwei Flammen und ihren Arm als einen Zauberstab (L, 116). Weshalb gerade der Arm der Zauberstab sei, bleibt unklar. Möglich wäre die Deutung, dass die Lureley den Männern zuwinkt und diese Handlung sich in das gesamte Bild der Lureley als Verführerin integriert. Zu beachten ist dabei auch die Mehrdeutigkeit in der metaphorischen Verwendung von Flammen als Flammen der Liebe und Leidenschaft, oder als Zeichen von Gefahr. Das Aussehen der Lureley ist gleichzeitig die Erklärung dafür, wie ihr Zauber, mithilfe dessen sie Männer hinreißt, funktioniert: Die Lureley verführt schlichtweg mit betörender Schönheit. So erklärt sie dem Bischof in den Versen 45-48: „Die Blicke sanft und wilde,/ Die Wangen rot und weiß,/ Die Worte still und milde,/ Die sind mein Zauberkreis“ (L, 116). Kurz gesprochen verführt die Lureley nicht, weil sie ein beispielsweise komplexes oder intelligentes Wesen ist, sondern einzig und allein, weil sie eine betörend schöne Frau ist. Brentano reduziert die Frauenfigur Lureley also primär auf ihr Aussehen.

Im Folgenden soll eine Leseart des Lureleygedichtes vorgestellt werden, die der üblichen Leseart, welche die Lureley als willentliche Verführerin, also als eine Art Femme fatale, begreift, widerspricht, sogar das Gegenteil behauptet. Es soll gezeigt werden, dass es wenig sinnvoll ist, die Lureley bezüglich der Aspekte „Verführung“ und „todbringend“ als Schuldige zu begreifen. Stattdessen wird dargelegt, dass die Frau bei Brentano, wenn überhaupt, nur sehr passiv und unwillentlich verführend sowie daraus resultierend nur gezwungenermaßen todbringend ist. 

Die Femme Fatale wird – ich gehe hierbei vom biblischen Kontext aus – unter anderem als eine hypersexualisierte Frau mit wahnsinniger Leidenschaft,[5] oder als eine „fearless prostitute with insatiable erotic appetites“[6] dargestellt. Charakteristisch für die Femme Fatale als „todbringende Verführerin“[7] ist nach Urte Helduser auch die Verbindung zum Dämonischen.[8] Brentanos Lureley hingegen fleht den Bischof an, sie sterben zu lassen. Mit den Versen 17-20 „Herr Bischof laßt [sic] mich sterben,/ Ich bin des Lebens müd,/ Weil jeder muß [sic] verderben/ Der meine Augen sieht.“ (L, 116) wird der kausale Zusammenhang von Lureleys Todeswunsch und dem Verführen klar. Eben weil sie der Grund für das Sterben der Männer ist, und sie dies nicht mehr aushalten kann, will sie den Tod für sich selbst. Dies lässt auch für die Deutungsmöglichkeit Raum, dass die Lureley gegen ihren Willen Männer verführt und tötet, heißt, sie sich nicht anders aktiv gegen den Zauber wehren kann, der scheinbar über ihr liegt, außer sich selbst zu töten. Es wäre wesentlich inkonsistenter, anzunehmen, dass a) die Lureley willentlich und damit aktiv Männer verführt, und b) gleichzeitig über den Umstand, dass Männer ihretwegen ins Verderben geraten, so bekümmert ist, dass sie sich den eigenen Tod wünscht, wie es im Gedicht beschrieben wird (siehe oben genannte V. 17-20).[9]

Im Kontext des Verführens der Lureley schreibt nun Anna Maria Stuby, der gängigen Leseart entsprechend:

Drittens: löse ich [die Lureley] bei den Männern ‚rings umher‘ Begehren aus, das ich nicht zu stillen vermag, weil mein eigenes Verlangen bereits fixiert ist, füge ich diesen Männern ein Leid zu.[10]

Nach Stuby ist das Verführen und das In-den-Tod-Reißen der Männer also eine aktive und willentliche Handlung der Frau. Die Lureley wäre dann nichts weiter als eine Femme Fatale, die aus rein erotischem Interesse Männer verführt und verdirbt. Bosse dagegen meint, die Lureley sei verdammt, von allen Männern begehrt zu werden, da sie den nicht besitzen könne, den sie selbst begehrt.[11] Dies impliziert, dass die verdammte, meint, zu gewissem Handeln unweigerlich gezwungene Frau nicht aktiv die Entscheidung trifft, Männer zu verführen und zu töten. Er charakterisiert sie damit eben nicht als Femme fatale.[12] Ich empfinde die Deutung Bosses als eine deutlich fundiertere Leseart des Lureley-Gedichtes, da diese mit den oben genannten Textstellen konsistent ist, die beschreiben, dass die Lureley zwar Männer verführt und damit auch tötet, aber über diesen Umstand bestürzt ist, und deshalb den Tod für sich verlangt. Stubys Ansicht dazu steht deshalb eher im Konflikt mit dem Brentanotext und erscheint weniger plausibel. So lässt sich auch die These dieser Arbeit herleiten, dass die Frauenfigur Lureley (ebenso wie die der Undine) nur in einem indirekten Sinn verführend agiert und gezwungen, aber nicht intendiert todbringend ist.

Weiterhin ist ein wichtiger Punkt in der Betrachtung von Brentanos Lureley, dass die Frau eindeutig kein unchristliches Wesen ist. So verlangt sie in Vers 53–54: „Drum laßt [sic] mein Recht mich finden,/ Mich sterben wie ein Christ“ (L, 117). Weiterhin befiehlt der Bischof, die Lureley solle eine Nonne werden (L, 117), er hält es also durchaus für möglich, dass ihr die christliche Erlösung zuteilwerden kann. Der Auftrag, die Lureley solle eine Nonne werden, kann entweder als Versuch, die Lureley als anderes Wesen in die Gemeinschaft der Menschen einzugliedern, gesehen werden, oder aber als Maßnahme des Bischofs, die Lureley mit dem Kloster ins Exil, und damit aus der menschlichen Gesellschaft zu verbannen. Es stellt sich die weiterführende Frage, ob Religion hier als – letzte – Rettung der Frau dargestellt wird.

Zum Aspekt der „Konzeption der Frau“, beziehungsweise dem Frauenbild im Gedicht lässt sich zuerst festhalten, dass die Frau bei Brentano eine bevormundete Frau ist. So geht der Bischof, da er ihr selbst verfallen ist, nicht auf ihren Todeswunsch ein, sondern meint, dass sie in ein Kloster gehen und Nonne werden solle (L, 117). Der Diminutiv „Nönnchen“ (L, 117) in Vers 62, bei welchem das sprachliche Kleinmachen das tatsächliche Kleinmachen der Frau zum Ziel hat, unterstreicht das Machtgefälle von Mann-Frau im Gedicht, in welchem der Mann eine Position über der Frau einnimmt. Stuby bezeichnet in diesem Kontext den Freitod der Lureley sehr treffend als Versuch „im Akt der Selbsttötung etwas von der verloren gegangenen Entscheidungsfreiheit über sich selbst zurückzugewinnen“.[13] Jedoch räumt Stuby im gleichen Atemzug ein, dass dieser Tod vielmehr der heroische als der feminisierte Freitod sei.[14] Weiterhin ist bezüglich des Frauenbildes anzumerken, dass der Bischof nicht davon ausgeht, dass die Lureley von Grund auf böse ist, sondern dass sie dem Verführen in irgendeiner Art und Weise selbst verfallen ist, beziehungsweise sie durch fremde Hand zu solchem Handeln verleitet worden wäre. So bedauert er sie sogar und fragt in Vers 14–16: „Du arme Lore Lay./ Wer hat dich dann verführet/ Zu böser Zauberei.“ (L, 115). Für das Bild der Frau in Brentanos Gedicht scheint es also konstitutiv zu sein, dass diese nicht intrinsisch böse oder dämonisch ist.

Des Weiteren liegt die Äußerung in Vers 55–56 der Lureley selbst vor: „Denn alles muß [sic] verschwinden/ Weil er mir treulos ist.“ (L, 117). Dies scheint zu implizieren, dass die Frau nur in Verbindung mit einem Mann zusammen existieren kann oder darf, beziehungsweise die Existenz der Frau in irgendeiner Weise notwendig an die des Mannes geknüpft, oder gar von ihm abhängig ist. Zur Frage, ob es der Lureley schlichtweg um den Lebenswillen, oder sogar um das Recht zu leben geht, kann Vers 37-38 „Ich darf nicht länger leben,/ Ich lieb kein Leben mehr“ (L, 116) herangezogen werden. Die Formulierung „darf“ legt nahe, dass es der Lureley tatsächlich um ihr Recht zu leben geht. Jedoch steht dieser Anspruch an sich selbst im Gedicht wiederum nicht explizit in Zusammenhang mit der Existenz eines Mannes, den sie liebt. Eine genaue Aussage über die Verbindung vom Lebensrecht der Frau und der Existenz eines Mannes, den sie liebt oder lieben kann, kann also auf Grundlage des Gedichtes allein nicht getroffen werden.

Bezüglich der Lureley als Frau lässt sich also feststellen, dass Brentanos Konzeption der Frauenfigur insofern durchaus problematisch ist, als der männliche* Blick des Autors auf die Frau diese lediglich auf ihre Schönheit reduziert. Dabei ist die Lureley bei Brentano aufgrund der Textgrundlage noch am besten als unfreiwillige Verführerin zu beschreiben, um den aktiven, beziehungsweise freiwilligen Aspekt des Wortes Verführerin zurückzuweisen. Gleichermaßen ist die Lureley nur in einem sehr weiten Sinn todbringend. Da sie unfreiwillig verführt, und die Verführung notwendig im Tod endet, ist sie in gleicher Weise unfreiwillig, also gezwungen todbringend. Zentral für die Charakterisierung der Lureley ist ebenfalls, dass sie als Menschenfrau von einem männlichen* Gegenüber bevormundet wird, und sich somit in einem Machtverhältnis mit und unter diesem befindet.

Der Rhein als Gewässer der Lureley und dessen Verbindung zur Lureley

Im Nachfolgenden soll kurz – da das Wasser bei Brentano kaum sprachlich gestaltet beziehungsweise kaum im Gedicht erwähnt wird – die Funktion und Charakteristik des Wassers in seinem Gedicht erläutert werden. Direkt zu Beginn der Ballade wird die Lureley als Frau vorgestellt, die „Zu Bacharach am Rheine“ (L, 115) lebt. Bosse bezeichnet sie ebenfalls als am Wasser angesiedelt,[15] und charakterisiert sie im selben Moment ex negativo; nämlich – wie im Vorangegangenen bereits erwähnt – gerade nicht als Femme Fatale und vor allem nicht als Frau, die der menschlichen Gesellschaft zugehörig ist.[16]  Das Wasser ist, als Lebensraum – aber nicht expliziter Herkunftsort – der Lureley, damit primär das distinktive Attribut, welches sie vom Menschen abgrenzt.

Im Vorangegangenen wurde schon die Möglichkeit aufgeworfen, den Auftrag des Bischofs, die Lureley in ein Kloster zu bringen, als Versuch zu deuten, die Lureley als Wasserfrau (und damit von den Menschen verschiedenes Wesen) in die menschliche Gesellschaft zu integrieren. Dieser Versuch der Integration wäre dann allerdings mit dem Freitod der Lureley, den sie im Rhein findet, also dem Element, mit welchem sie auch die ihr verfallenen Männer ins Verderben stürzt, gescheitert.

Bosse merkt an, dass die Lureley auf zwei verschiedene Arten töte. Er äußert dazu: „Sie tötet nicht physisch, sondern mit Hilfe der Natur – der Natur des Wasserlaufs, der Natur des Begehrens“.[17] Dass Bosse hierbei mit zwei verschiedenen Sinnen des Begriffs Natur arbeitet, die beide unterschiedliche Implikationen aufweisen, soll in dieser Arbeit nicht weiter thematisiert werden. Wichtig ist, dass die erste Art von Natur, die Natur des Wassers, also das Element Wasser an sich meint, welches wesentlich eine gewisse Naturgewalt aufweist, die der Mensch nicht bezwingen kann. Diese Natur des Wassers bleibt damit eine Bedrohung für ihn.[18] Das Wasser – mit welchem die Lureley den verführten und damit hilflosen Mann tötet und somit über diesem steht – stellt jedoch nicht einfach nur eine unbestimmte Bedrohung für den Menschen dar: Es ist vielmehr das Element, welches als das gewisse Subversive die menschlichen/patriarchalen Ordnungen verwirft und ein neues, der alten Ordnung konträr gegenüberstehendes Machtverhältnis zwischen Menschen und der Natur, zu welcher sich die Lureley als Wasserfrau auch zuordnen lässt, aufstellt.

Das Wasser, genauer genommen die Zugehörigkeit der Lureley zum Naturelement Wasser, die sie dadurch erlangt, dass sie Bosse zufolge mithilfe des Wassers tötet und am Fluss Rhein ‚wohnt‘ hat also primär die Funktion und zugleich die Folge, sie von den Menschen abzugrenzen, sowie, das patriarchale Machtgefälle umzukehren: das Wasser ist das Element, welches durch seine subversive Charakteristik der Lureley als Wasserfrau – nicht Menschenfrau – eine Position über den Menschen, vor allem aber über den Männern, welche sich ihrer ‚Verführung‘ nicht erwehren können, sichert. Die Natur, mithilfe welcher sie (vermutlich) unfreiwillig tötet, ist von den Menschen nicht in Gänze bezwingbar und hat daher auch immer ein gewisses Bedrohungspotenzial. Ob dieses, durch das subversive Element des Wassers, neue etablierte Machtverhältnis allerdings als matriarchal im engen Sinn beschrieben werden kann, ist fraglich, denn der Begriff matriarchal impliziert, dass Machthabende und Bemächtigte zu ein und derselben Gesellschaft gehören, dies ist bei Clemens Brentano allerdings nicht der Fall. Die Menschen sind eben Menschen und die Lureley ist Wasserfrau.

Friedrich de la Motte Fouqués ‚Undine‘

Die Undine ist eine romantische Erzählung Friedrich de la Motte Fouqués, welche erstmals 1811 erschien. Die Geschichte handelt von der Wasserfrau Undine – zu Beginn der Erzählung noch bei ihren Adoptiveltern, der Fischersfamilie zu Hause – und dem Ritter Huldbrand, der sich während eines Aufenthaltes bei der Familie in Undine verliebt, und sie darum nach einiger Zeit heiratet. Das Leben des Ehepaars auf Huldbrands Burg Ringstetten ist jedoch von einigen Schwierigkeiten gekennzeichnet, die nicht zuletzt auf Huldbrands Interesse an Bertalda beruhen – einer Herzogstochter, die das Ehepaar während ihrer Reise zur Burg Ringstetten kennenlernt. Undine, die Huldbrands Gefühlen nicht im Weg stehen will, verlässt die beiden, indem sie in ihr Element, das Wasser, zurückkehrt. Huldbrand will nun, da ihm Undine nicht mehr im Weg steht, Bertalda zur Frau zu nehmen – da dieser Bund jedoch durch ein Gesetz der Wassergeister verboten ist, wird Huldbrand schlussendlich von der trauernden Undine getötet.

Der eigentlichen Erzählung geht ein Gedicht, die „Zueignung“, voran. Das lyrische Ich, das gleichzeitig in Vers 15–16 seine Identität als Erzähler der nachfolgenden Geschichte preisgibt,[19] gibt so einen ersten männlichen* Blick[20] auf die Figur der Undine. Auffällig ist die Infantilisierung dieser („Ein halb verwöhnt, halb scheues Kind!“ (U, 5, Vers 8)), sowie ihre Wahrnehmung als Bild („Undine, liebes Bildchen du“ (U, 5, Vers 1)) — Umgangsformen, die sich nicht nur auf die vorangestellte „Zueignung“beschränken, sondern sich durch die gesamte Erzählung ziehen.

Die Figur der Undine

Die Figur der Undine wird im Folgenden nun ebenfalls nach den Aspekten „wesentliche Eigenschaften“, „Religion“, „Konzeption der Frau“ und „todbringende Verführung und Wille“ betrachtet.

Wesentlich für die Undine ist in erster Linie die bereits genannte Infantilisierung. Undine lebt zum Zeitpunkt der Erzählung gerade „ihr achtzehntes Jahr“ (U, 11), jedoch häufen sich die Bezeichnungen ihrer als Kind sowie die Umschreibungen ihres Handels oder ihrer Körpermerkmale als kindlich. Die Pflegeeltern „der Kleinen“ (U, 29) werden mit „Kindereien“ (U, 10) geärgert und Verniedlichungen wie „Füßchen“ (U, 12) und „Händchen“ (U, 26) unterstreichen die sprachlichen und realen Verkleinerungen der Undine. Weiterhin ist auffällig, dass Undines Wesen und Betragen nahezu ausschließlich als gottähnlich beschrieben und auch Charaktereigenschaften ihrer in einer Art grenzenloser Ausprägung vorliegen. So verfügt sie über „seeblaue[n] Augenhimmel[n]“ (U, 17) und „unsäglich[e] Anmut“ (U, 22), ist sowohl „so unendlich anmutig und rührend“ (U, 42), als auch „engelmild und sanft“ (U, 45). Die Beschreibungen der Undine gleichen damit fast einer Verehrung.

Während die Lureley ‚nur‘ mit ihrer äußeren Erscheinung verzaubert, liegt der Zauber der Undine zusätzlich noch in ihrem Verhalten gegenüber den Menschen, welches nicht selten von übermäßigem Anstand und Demut geprägt ist. Wenn sie erzürnt ist, ist sie dies „alles mit solch einem drollig anmutenden Anstande“ (U, 12), dass die Menschen sie einfach lieben müssen. Wenn sie dem Menschen (Mann) ergeben ist, so ist sie dies auf eine „still[e], freundlich[e] und achtsam[e]“ (U, 45), und damit auf definitiv keine rebellische Weise. Der Erzähler beschreibt sie als „ein Hausmütterlein, und ein zart verschämtes, jungfräuliches Wesen zugleich“ (U, 45). Auch der Priester als geistlicher Würdenträger kann sich ihrem Wesen nicht ‚widersetzen‘ und handelt nach ihrem Willen, steht doch „die Kleine […] so hübsch geschmückt und holdselig“ (U, 18) vor den Menschen. In diesen Beschreibungen zeigt sich erneut das Kleinmachen der Frau, sowie die Verharmlosung der weiblichen* Wut durch die Verwendung von Diminutiven und die zu erfüllende Rollenerwartung durch die Zuteilung von weiblich* codierten Aufgaben.

Die Undine als Frau soll Mutter, sowohl im familiären als auch häuslichen Sinn, und eine Jungfrau sein. Die Reduktion der Frau auf ihre sexuelle Unberührtheit hin ist weiterhin Ausdruck unterdrückender Machtstrukturen, die durch den Blick der männlichen* Erzählinstanz sowie des textexternen männlichen* Autors sichtbar werden. Die Frau in Fouqués Erzählung wird also primär auf ihre sexuelle Unberührtheit und ihr demütiges Verweilen im eigenen Heim reduziert – dies sind Anforderungen an eine Frau, die in einer patriarchalen Gesellschaft als weiblich* codiert betrachtet werden können. So wird, auch durch den Umstand, dass dieser Zustand, der letztendlich auch wieder Ausdruck des Machtgefälles zwischen Mann und Frau ist, in der Erzählung der gewünschte und gelobte Zustand ist, ein von den Männern idealisiertes Bild der Frau geschaffen, die als Menschenfrau keinen Widerstand zu leisten vermag. Darüber hinaus wird Undine bemerkenswert oft mehr als ‚Bild‘, als als Frau gesehen. So redet zum Beispiel sowohl der Ritter Huldbrand sie als „du schönes Bildchen an“ (U, 12) als auch der Priester, der in Undine ein „so herrliches Bild“ (U, 35) sieht.

Zu Recht spricht man von einer Geschichte des Frauen–Bildes in der europäischen Literatur und einer Geschichte der Männer, die es machten. Dieses Bild lebt irgendwie im Wasser […].[21] [Hervorhebung im Original]

Theweleit spricht im Zusammenhang von der Frau als Bild auch davon, dass das Bild der Frau männergemacht ist, entsprechend werden auch die Bezeichnungen der Undine als Bild immer von außerhalb, von Männern, an sie herangetragen. Die Betrachtung der Frau einzig als ideelles Bild ist damit ein weiterer Ausdruck des männlich*-objektifizierenden Blickes bei Fouqué. Zudem beruhigt sich der Ritter Huldbrand im fünften Kapitel damit, dass seine Pause von ritterlichen Aktivitäten gerechtfertigt ist, sei doch Undine „gar keine Fischers-Tochter, sei vielmehr, aller Wahrscheinlichkeit nach, aus einem wundersamen, hochfürstlichen Hause der Fremde gebürtig“ (U, 31). Die Idealisierung der einfachen Frau Undine zu einer hohen Prinzessin ist genau Ausdruck davon, dass der Mann die Frau teilweise nicht als die reelle, sondern als eine ideelle Frau sieht. Zwar ist es durchaus wahr, dass Undine eigentlich Tochter eines „mächtig[en] Wasserfürst[en] des Mittelländischen Meere[s] ist“ (U, 48), jedoch ändert dies nichts an der Betrachtungsweise der Frau, denn Undines wahre Herkunft kennt Huldbrand zu diesem Zeitpunkt der Geschichte nicht.

Bezüglich des zu untersuchenden Aspekts der religiösen Zugehörigkeit Undines lässt sich festhalten, dass sie einerseits mit dem Christentum unvereinbare Werte vertritt: Ihre Äußerung „jeder ist sich doch selbst der Nächste und was gehn einen die andern Leute an“ (U, 33) steht im Gegensatz zum christlichen Gebot der Nächstenliebe, welches besagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst […].“[22] (3. Mose 19, 18). Andererseits sieht sie sich selbst aber als ein von Gott geschaffenes Wesen (vgl. U, 17) und ist damit wie die Lureley kein per se antichristliches Wesen.

Wenn bei Brentanos Lureley nicht klar ist, ob die Lureley schon immer eine Wasserfrau, oder zu einer bestimmten Zeit noch Mensch war, ist dies bei Undine sehr viel eindeutiger. Undine gehört dem Geschlecht der Wassergeister an, die in Seen, Strömen und Bächen zuhause, (vgl. U, 46) und nach Undines Eigenaussage „gar hold und lieblich anzuschauen, meist schöner, als die Menschen sind“ (U, 47). Über ihr Geschlecht teilt Undine weiterhin mit: „Darum haben wir [die Wassergeister] auch keine Seelen; das Element bewegt uns, gehorcht uns oft, solange wir leben, zerstäubt uns immer, sobald wir sterben“ (U, 47). Zwar nennen sich die Wassergeister selbst „Menschen“, (vgl. U, 47) jedoch weisen sie im Gegensatz zu den ‚eigentlichen‘ Menschen keine Seele auf, da sie als Elementargeister unter dem Einfluss der Natur stehen und diese selbst in gewissen Maßen auch beherrschen können. Eine Seele kann ein Wassergeist nur „durch den innigsten Verein der Liebe mit einem eures [Huldbrands] Geschlechtes gewinnen“ (U, 48), was Undine zu dem Ausruf „Nun bin ich beseelt, dir dank ich die Seele, o du unaussprechlich Geliebter“ (U, 48) verleitet. Dies verdeutlicht, dass die Frau Undine als Menschenfrau bei Fouqué insofern unmittelbar von einem Mann abhängig ist, als sie in der menschlichen Gesellschaft nicht ohne einen Mann existieren kann – dies führt jedoch auch dazu, dass sie aufgrund dieser Abhängigkeit immer eine Position unter selbigem einnimmt.

In diesem Zusammenhang ist jedoch anzumerken, dass das Streben Undines nach einer Seele nicht von Undine selbst, sondern von ihrem (leiblichen) Vater ausgeht. In dieser Hinsicht ist die Undine also wie die Lureley auch eine fremdbestimmte Frau. Für Stuby ist der Umstand, dass es Undines Vater ist, der eine Seele für sie erstrebt, ein Hinweis darauf, dass es nicht um eine Seele für Wassergeister im Allgemeinen geht, sondern „um eine spezifisch weibliche“.[23] Unter Beachtung des christlichen Kontextes der Erzählung, in welchem die Seele als nach dem Tod bestehende Substanz einen essenziellen Platz einnimmt, rückt die Konstruktion der (von Natur aus) seelenlosen Wasserfrau, welche die Seele nur durch Heirat mit einem Menschen–Mann erhalten kann, überdies den Mann in die Rolle einer Art des ‚Retters‘. Dies ist ein neuer Aspekt von Machtverhältnissen, der des Seelenheils und damit der Möglichkeit der Erlösung für die (Wasser-)Frau. Er übersteigt gewissermaßen noch den Aspekt der Entscheidungsfreiheit der Frau und Fremdbestimmung durch den Mann, welcher bei der Lureley zum Tragen kommt.

Hervorzuheben ist bei der Undine allerdings auch, dass sie sich selbst mit dem Element Wasser teils eindeutig identifiziert und teils ihre Beziehung zu diesem entschieden ablehnt. So setzt sie sich im dritten Kapitel, also zu Anfang der Erzählung in einem vierzeiligen Gedicht mit einer Welle gleich, (vgl. U, 22) was doch recht deutlich eine Identifikation mit dem Element Wasser nahelegt. Stuby stellt bei einem Vergleich der Undine-Figur vor und nach der Hochzeit jedoch fest, dass Undine ihrem Mutterelement beim Eintritt ins zivilisierte Eheleben bei Hofe auf immer Adieu sage.[24] Zugleich identifiziert sich die Undine trotz Ehe mit einem Menschen und menschlicher Seele nicht mit den ‚eigentlichen‘ Menschen: „Ihr Leute, […], ach Gott, ich wusste von euern törichten Sitten und eurer harten Sinnesweise nichts, und werde mich wohl mein Lebelang nicht drin finden“ (U, 61). Mit dieser Abgrenzung von den Menschen befindet sich die Undine an dieser Stelle der Erzählung bis zu ihrer Rückkehr in ihr Element, ihrem Verströmen in den Fluten, (vgl. U, 85) in einer Position, in der sie weder dem Element Wasser (und damit der Natur), noch der Menschenwelt zugehörig ist.

Für die genauere Betrachtung von Undine im Hinblick auf ihre Rolle als Verführerin soll nun die Terminologie von Helduser als Ausgangspunkt dienen: Sie bezeichnet die Undine als ein Beispiel für eine der „‘unschuldige[n]‘, […] Verführerinnen“[25]. ‚Unschuldig‘ sei die Undine, weil sie lediglich das Sinnliche symbolisiere, allerdings die für Verführerinnen charakteristische Nähe zum Dämonischen nicht aufweise,[26] was durchaus plausibel ist. Jedoch impliziert das Wort Verführerin trotzdem eine gewisse Aktivität, als wäre es eine willentlich getroffene Entscheidung der Undine, einen Mann zu verführen. Dabei ist auch zu beachten, dass der Wunsch nach einer Seele, der ein Motiv für willentliches Verführen wäre, nicht von der Undine selbst, sondern, wie im Vorangegangenen schon erwähnt, von ihrem Vater stammt.

Dabei gehen aus dem Text keine wesentlichen Verführungsbestrebungen oder -handlungen der Undine hervor, es werden lediglich die zahlreichen anhimmelnden Äußerungen zu Huldbrand erwähnt.[27] Es könnte argumentiert werden, dass eine Verführung durch die Undine – wie auch die Verführungen der Lureley – ebenfalls von ihrer Schönheit und zusätzlich von ihrer anständigen und demütigen Verhaltensweise ausgeht. Wenn allerdings die respektvolle, fast schon unterwürfige Verhaltensweise einer Frau als Verführung von Männern gewertet wird, ist das nicht mehr, als Ausdruck eines androzentrischen Weltbildes, in dem alles, was die Frau tut, sich unweigerlich auf den Mann als Zentrum bezieht. Da die Undine aber abgesehen davon nichts für ihr überdurchschnittlich schönes Aussehen kann (welches sowieso charakteristisch für Wasserfrauen ist) ist es fraglich, inwieweit die Undine überhaupt als willentlich-aktive Verführerin bezeichnet werden kann. Es scheint schlüssiger, die Undine ebenso wie die Lureley als eher unfreiwillig Verführende zu lesen.

Des Weiteren sollte diskutiert werden, inwieweit die Undine dem Konzept der todbringenden Verführerin[28] entspricht. Todbringend ist die Undine in dem Sinn, als sie Huldbrand tötet. Dass sie Huldbrand töten muss, geht allerdings aus den Gesetzen, die unter den Wassermenschen herrschen, hervor. Ihr Onkel Kühleborn erinnert sie: „Und doch, Nichte, seid Ihr unseren Elementar-Gesetzen unterworfen, und doch müsst Ihr ihn richtend ums Leben bringen, dafern er sich wieder verehelicht, und Euch untreu wird“ (U, 91). Die Ursache für Huldbrands Tod ist also, dass es unter Wassergeistern ein Elementargesetz gibt, welches besagt, dass der Ehemann einer Wasserfrau umgebracht werden muss, sofern er untreu ist. Anlass für Huldbrands Tod ist jedoch dessen eigene Untreue und nicht etwa irgendeine Handlung der Undine. Da Undine allerdings an der Untreue Huldbrands ebenso wenig Schuld wie an den bestehenden Elementargesetzen der Wassermenschen trägt, ist sie nur in einem sehr weiten Sinn „todbringend“. Huldbrands Tod ist kein Resultat irgendeiner Mordlust der Frau, was als aktiv todbringend gälte, sondern Folge seines eigenen Handelns. Dass die Undine ebenso wie die Lureley mehr gezwungen todbringend ist, wird auch durch Undines Trauer über ihre Pflicht, Huldbrand zu töten, unterstrichen.[29] Dass die Undine willentlich verführt und Tod bringt, jedoch gleichzeitig über den Tod ihres Ehemanns bitterlich weint (vgl. U, 95), ist ebenso inkonsistent, wie die Annahme, die Lureley tötete mit Absicht und würde zugleich aufgrund ihres Tötens der Männer sterben wollen.[30]

Bezüglich der Konzeption der Frau sei noch angemerkt, dass, während der Lureley keine Vorwürfe entgegengebracht werden, Huldbrand überzeugt ist, Undine sei eine Hexe, und sie mit den Worten „So hast du denn immer Verbindung mit ihnen? Bleibt bei ihnen in aller Hexen Namen mit all deinen Geschenken, und lass uns Menschen zufrieden, Gauklerin du“ (U, 85) aktiv von sich weist. Dass er sie gerade mit dem Wort ‚Hexe‘ beschreibt, welches deutlich negativer als ‚Zauberin‘ konnotiert ist, scheint Ausdruck davon zu sein, dass der Mann die Frau nur dann verehrt, wenn sie (als Menschenfrau) in einer Position unter dem selbigen steht und bleibt. In dem Moment, als aber das Element Wasser – welchem Undine ja eigentlich zugehörig ist, und mit welchem sie immer wieder (erfolgreich) rebellisch agiert und Huldbrand schließlich tötet – subversiv die (patriarchale) Ordnung der Menschen ins Wanken bringt, wird aus dem idealisierten Frauenbild eine reale Gefahr für den Mann.

Die Gewässer der Undine

Während bei Lureley nur eine Erscheinungsform des Wassers, der Rhein als Fluss, vorkommt, manifestiert sich das Wasser in Undine auf gleich mehrere Weisen. So taucht das Wasser im Kontext des Sees auf, der als „Flut“ (U, 85) beschrieben wird, als Fluss (Donau) (vgl. U, 10), als „schäumend[es] Bächlein“ (U, 8) im Wald, als Meer (vgl. U, 90) oder auch als „prächtige[r] Brunnen“ (U, 69) auf Burg Ringstetten. Ebenso wird das Wesen des Wassers als sehr ambig dargestellt. So kann das Wasser beispielsweise, wie bei Huldbrands erstem Aufenthalt im Wald, rettend (vgl. U, 26) oder auch für die menschliche Haut sehr wohltuend sein (vgl. U, 49).

Gleichzeitig ist das Wasser aber in vielfacher Weise ein für den Menschen gefährliches Element. Es birgt als „zischende[] Wogen“ (U, 79) und „riesige Welle“ (ebd.) die Gefahr des Ertrinkens, und ist als Träne verantwortlich für den Tod Huldbrands – Undine begreift: „Ich habe ihn totgeweint.“ (U, 97) Ebenso wird das Wasser zu Anfang der Erzählung als „bläulich klare[], wunderhelle[] Flut“ (U, 7) beschrieben, die in absoluter Harmonie mit der Erde/dem Land lebt. Andererseits präsentiert sich das Wasser ebenso als „reißende[r] Strom“ (U, 20), oder als „wachsende[] Flut“ (U, 79) was eindeutig mit Gefahr oder auch Disharmonie verbunden ist.

Des Weiteren ist das Wasser in der Erzählung eindeutiger Lebensraum der Wassergeister, und damit auch der Undines. Dass sie beim Verlassen Huldbrands in die Fluten verströmt, (vgl. U, 85) kann dabei als Ausdruck der Zugehörigkeit Undines zum Wasser gedeutet werden, sozusagen als Rückkehr in ihr eigenes Element.

Als Element der Natur ist das Wasser dazu Ausdruck der erhabenen, und damit andersartigen Naturgewalt, gegen die sich der Mensch in der Geschichte zuletzt nicht durchsetzen kann. Huldbrand kann gegen die Elementargesetze der Wassergeister nichts ausrichten. Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache von Interesse, dass die Undine am Todestag Huldbrands als „weiße Wanderin“ (U, 96) beschrieben wird. Die Farbe Weiß steht nach Daniela Gretz unter anderem für Macht, genauer: für die Macht „der ungezähmten Natur über den Menschen“.[31] Da nun Undine als Wesen der Natur den Menschen Huldbrand tötet, scheint auch in dieser Erzählung der Mensch als Wesen dargestellt zu werden, der sich der Kraft, und damit Macht der Natur nicht widersetzen kann.

Zu den asymmetrischen Machtverhältnissen zwischen Frau und Mann, wie sie schon in Brentanos Lureley zum Tragen kommen, kommt in Undine noch der spannungsreiche Konflikt von Natur und Mensch. Trotz dieser angedeuteten Opposition, ist der Charakter des Wassers bei Fouqué oftmals eher ambig und lässt sich nicht per se als das Gegenüber des Menschen oder als das, worüber der Mensch zwingend Macht erlangen muss, darstellen. Darüber hinaus ist das Wasser, genauer genommen der Bach im Wald, die Instanz, welche explizit derartige Grenzen überschreitet und so als subversives, die menschengemachte Ordnung verwerfendes Element agiert. Das Übertreten des Baches während Huldbrands Aufenthalt dort grenzt gleichzeitig ihn, sowie die auf der Landinsel hinter dem Wald lebende Fischersfamilie vom Rest der Welt ab (vgl. U, 7). Das Wasser hat somit einerseits eine entgrenzende Funktion, indem der Bach aus seinem natürlichen Lauf austritt, sowie zugleich begrenzende Funktion. Andererseits spiegelt der „wild über seine Ufer hinausgerissen[e] Bach“ (U, 19) gleichsam die Gewalt der Natur wider, gegen welche der Mensch nach Gretz eine gewisse Ohnmacht, aber gleichzeitig auch einen totalen Herrschaftswillen hege.[32]

Aus der Verbindung von Frau und Wasser resultierende Implikationen

Die (Wasser-)Frau, die nach Stuby durch ihre Teilhabe an Natur und Kultur eine Zwitterposition bekleidet, nehme zugleich eine Mittlerfunktion ein, denn „von ihr wird erwartet, zwischen den Gegensätzen auszugleichen, wenn deren extremer Dualismus die Harmonie des Sozialgefüges zu zerstören droht“.[33] Die Lureley ist im Gegenzug zur Undine weniger Vermittlungsinstanz zwischen Natur und Kultur. Allein der Gegensatz von Natur und Kultur ist im Lureley-Gedicht nicht so konflikterzeugend, wie in Undine. Undine hingegen tritt zum Beispiel in Kapitel 14, bei Kühleborns Versuch, Huldbrand und Bertalda zu ertränken, als Rettende und Frieden-Stiftende zwischen den Parteien „Mensch/Kultur“ und „Natur“ hervor, sodass niemand Schaden erleidet (vgl. U, 80). Stuby schlussfolgert, ausgehend von der Zwitter-und Mittlerfunktion der Wasserfrau: „Die Position des Weiblichen ist also eine zweideutige, doppelgesichtige, janusköpfige. Die weiblichen Erscheinungsbilder sind die der beherrschten und der rebellierenden Natur“.[34]

Es bietet sich in diesem Kontext an, über Stubys Verwendungsweisen, beziehungsweise begrifflichen Sinn von Natur zu reflektieren. Dass die Frau sowohl in einigen Aspekten ‚beherrscht‘, als auch ‚rebellierend‘ ist, ist anhand der Lureley und Undine gut nachzuweisen. Lureley beispielsweise wird durch den Bischof bevormundet, indem er ihr nicht – wie sie es wünscht – den Tod zukommen lässt, sondern sie beauftragt, Nonne zu werden. Dies kann als der ‚beherrschte‘ Aspekt betrachtet werden. Als rebellierend kann die Lureley in dem Sinn bezeichnet werden, als sie sich gegen des Bischofs Anweisung in den Tod stürzt (vgl. L, 118). Die Undine hingegen ist in einem wesentlich subtileren Kontext ‚beherrscht‘. Das Beherrscht sein, genauer genommen Unterordnen drückt sich bei ihr darin aus, dass sie einerseits die wachsende Untreue ihres Mannes ohne jegliches Handeln hinnimmt, andererseits, dass von ihr erwartet wird, sich ihrem Ehemann anzupassen: Der Priester legt ihr nahe, ihre „Seele beizeiten so zu stimmen, dass sie immer die Harmonie zu der Seele Eures [Undines] angetrauten Bräutigams anklingen lasse“ (U, 41). Als ‚rebellierend‘ können erstens die „Ungezogenheiten“ (U, 10) Undines bezeichnet werden, die sich nicht nach dem Willen ihrer menschlichen Eltern richten. Zweitens ist die Undine als Naturwesen in einer Art rebellierend, als sie schließlich ihren eigenen Verhaltensregeln — dem Gesetz der Wassergeister, und damit der Natur — folgt, indem sie Huldbrand tötet.

Die Undine und Lureley bekleiden also beide eine ambige Position. Als Menschenfrauen, also als Frauen, die in der Gesellschaft der Menschen agieren,[35] sind sie dem Mann notgedrungener Weise ‚untergeordnet‘, sie werden durch ihn fremdbestimmt, bevormundet. Als Frauen der Natur[36] hingegen stehen sie über dem Mann und damit auch dem Menschen, was scheinbar Ausdruck der Ordnung zwischen Natur und Mensch ist, in welcher sich der Mensch der Natur und ihrer Kraft gegenüber nicht behaupten kann. Bei Stubys Formulierung der beherrschtenNatur muss es sich also um die Natur der Menschenfrau handeln, das heißt: ihre Zugehörigkeit zu Gattung Mensch. Der Terminus der rebellierendenNatur hingegen scheint Ausdruck der Position zu sein, die die Frau einnimmt, wenn sie als Wasserfrau, als Teil der Natur auftritt. Diese Ambiguität in der Stellung der Frau nennt Stuby treffend auch die „Grenzsituation des Weiblichen“, was die literarische Ausgrenzung auf sprachlicher Ebene und Handlungsebene, aber auch die schwankende Stellung der Frau zwischen Natur und Kultur bei Brentano und Fouqué untermalt.

Durch diese Konstruktion der Frau, die primär nicht der menschlichen Gesellschaft, sondern der Natur, dem Wasser zugehörig ist, ergibt sich nach Theweleit eine Art der Unterdrückung in der Literatur:

Ich glaube, es ist eine besondere (historisch relativ neue) Form der Unterdrückung der Frauen und eine besondere unterschätzte Form dazu; eine Unterdrückung durch Überhöhung, durch Entgrenzung und Entwirklichung zu einem Prinzip, dem Prinzip des Fließens, der Weite, der unbestimmten unendlichen Lockung.[37]

Gerade die Überhöhung der Frau findet sich in der Undine, wie im Vorangegangenen schon festgestellt wurde, in den sich häufenden Beschreibungen der Undine als gottähnlich, oder in der (hier positiven) Absolutheit mancher ihrer Charakterzüge – wie beispielsweise ihrer Demut. Auch das gewisse ‚Entgrenzte‘ taucht bei Undine zum Beispiel in ihrem ursprünglich sehr launischen und sprunghaften Wesen auf,[38] welchem die Menscheneltern nicht Einhalt gebieten konnten,[39] und welches sich parallel zu dem übergetretenen Waldbach zu verhalten scheint. Das Phänomen der Entwirklichung findet sich jedoch nicht nur in Undine, sondern auch in Lureley: Die Lureley wird mehr zu dem Prinzip entwirklicht, was Theweleit als Prinzip „der unbestimmten unendlichen Lockung“[40] beschreibt. Sie zeichnet sich eben nicht durch Eigenschaften wie große Weisheit, oder einen besonders tugendhaften Charakter aus, sondern einzig durch ihre betörend-lockende Schönheit aus, welcher die Männer verfallen.

Die Entwirklichung der Undine kann zwar auch als Entwirklichung zu einem Prinzip bezeichnet werden, jedoch eignet sich der Ausdruck des Ideals möglicherweise besser. Wie bereits herausgearbeitet, wird die Undine oft mit einem Bild verglichen, oder als Bild angeredet. Dies, sowie die teils göttlich-perfekte Beschreibung ihrer Charaktereigenschaften legen nahe, dass die Konstruktion der Figur Undine bei Fouqué auch in gewisser Weise eine Konstruktion von einem Idealtyp einer Frau ist. Nämlich dem Ideal einer Frau, die sich mit Demut und Ergebenheit, schlichtweg allen Eigenschaften, die dem Mann dienlich sind, selbigem unterordnet.

Damit sich die Frau in Brentanos und Fouqués Werken jedoch vor allem dem Mann gegenüber behaupten kann, muss sie zuerst aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt werden – sie tritt als Frau auf, die primär dem Element Wasser zuzuordnen ist und aus diesem Element ihre Handlungsmacht schöpft. Diese Darstellung der Ermächtigung von Frauen ist jedoch problematisch: Die Möglichkeiten der weiblichen* Figuren für selbstbestimmtes Handeln lassen sich in den beiden Werken wie folgt beschreiben: Sofern die Frau als Person sich emanzipieren/ermächtigen will und autonom verhalten und handeln will, kann sie dies tun, muss aber, um dies zu verwirklichen, aus der menschlichen Gesellschaft ausgegrenzt werden, beziehungsweise selbst aktiv aus dieser ‚austreten‘.

Bezüglich der Verbindung von Frau und Natur nennt Helduser weiterhin die „kulturelle Analogisierung des Weiblichen mit Natur“,[41] welche „die Frau zum Symbol natürlicher Harmonie und Einheit werden“[42] lässt. Dass die Wasserfrauen von Brentano und Fouqué Symbol natürlicher Harmonie und Einheit sind, ist diskutabel, jedoch in dieser Arbeit nicht weiter diskutierbar. Wichtig ist jedoch die von Helduser angebrachte Analogisierung von Frau und Natur. Indem die Frau zur Allegorie für die Natur wird, was im Kontext der Lureley und Undine, die beide Wasserfrauen verkörpern,[43] sehr plausibel ist, eröffnet dies einen vollkommen neuen Bereich für Konflikte, sowie Spannungen.

Der Konflikt im Werk zwischen Undine und Huldbrand, als Ausdruck von Spannungen zwischen Frau und Mann, ist so eingebettet in den übergeordneten Konflikt zwischen Mensch (vertreten durch Huldbrand) und Natur (vertreten durch Undine). Gerade bei Fouqué spricht auch Gretz von einer „Engführung“ von Wasser als Element und der Natur des Weiblichen, da – so Gretz – sowohl das Wasser als auch das Weibliche „dem männl. Herrschafts- und Kulturwillen unterworfen werden müssen“.[44] Die Lureley von Brentano ist dagegen wohl weniger Ausdruck der Spannungen zwischen Mensch und Natur. Vielmehr scheint Lureley, exemplarisch durch die Bestrebung des Bischofs, die Lureley zur Nonne zu machen, den zusätzlichen Aspekt der Ausbreitung des Christentums, also eine religiös motivierte Komponente zu erhalten. Die Frage nach Geschlechterverhältnissen und der scheinbar angestrebten generellen Bevormundung der Frau durch den Mann, mündet schließlich darin, dass der Frau eine bestimmte Religion auferlegt werden soll, was durchaus unter den Begriff des männlichen* Kulturwillens, wie ihn Gretz geprägt hat, fällt.

Schlussbetrachtung

Mit der Analyse der Frauenfiguren bei Brentano und Fouqué wurden einige Gemeinsamkeiten beider Werke deutlich. Erstens wurde gezeigt, dass beide Frauen einer Objektifizierung durch den Mann ausgesetzt sind als sie zu einem Großteil nur aufgrund rein äußerlicher Kriterien bewertet werden. So ist die Schönheit sowohl der Lureley als auch der Undine Grund dafür, dass ihnen Männer verfallen. Zweitens ist es eine interessante Gemeinsamkeit beider Werke, dass der textexterne Blick der Autoren, sowie der textinterne Blick der Erzählinstanz und des lyrischen Ichs, die Wasserfrauen als nicht aktiv schuldig darstellen: Brentanos Gedicht, wie auch Fouqués Erzählung legen einer Leseart der Texte nahe, in denen die Frauen nur unfreiwillig verführen und deshalb nur gezwungenermaßen todbringend sind, sie demnach auch nicht als Femme Fatale bezeichnet werden können. Sowohl Lureley als auch Undine sind letztendlich beide dem Wasser zugehörig. Die Zugehörigkeit der Undine zum Element Wasser zeichnet sich dadurch aus, dass es sich bei ihr explizit um einen Wassergeist handelt, der im Wasser zuhause ist, sowie gewissen Elementargesetzen untersteht. Dies ist bei der Lureley weniger deutlich. Von ihr weiß man lediglich, dass sie als Zauberin am Fluss Rhein zuhause ist, jedoch nicht, unter welcher Art von Gesetz oder Fluch sie steht. Die Darstellung des Wassers tritt bei der Lureley recht weit in den Hintergrund, in der Undine wird das Wasser hingegen sehr ausführlich und gleichzeitig ambivalent dargestellt. So ist es einerseits den Menschen zuträglich, kann jedoch gerade aufgrund seiner Naturgewalt, deren der Mensch weder gewachsen noch mächtig ist, eine Bedrohung verkörpern.

Ein Unterschied beider Werke ist jedoch, dass die Frau als Allegorie der Natur in Undine ein wesentlich stärkeres Thema ist, genau wie der Konflikt zwischen Mensch und Natur, und damit der Frage, ob nun der Mensch die Natur beherrscht (und beherrschen sollte), oder vice versa. In Fouqués Erzählung scheint also die Frage nach den Machtverhältnissen von Frau und Mann in die größere Frage nach den Machtverhältnissen von Natur und Mensch eingebettet zu sein, während bei Brentano erstere Frage eher im (übergeordneten) Spannungsfeld der christlichen Religion situiert scheint.

Gemeinsam ist allerdings, dass beide Frauen teils fremdbestimmt sind, in einer Position unter dem Mann stehen, sich teils aber in einer Position befinden, in welcher sie eine gewisse Macht über den Mann haben. Als zentrale Erkenntnis der Untersuchung kann weiterhin gelten, dass die Ambiguität in der Stellung der Frauen jedoch gerade aus der Verbindung derselben mit dem Wasser resultiert. Denn wo die Frauen in menschlicher Gesellschaft in einem untergeordneten Machtverhältnis zu dem Mann stehen, in welchen sie eine untergeordnete Stellung einnehmen, stehen sie als Wasserfrauen hingegen in einer Position, in denen der Mann keine Macht, und damit Kontrolle über sie erlangt. Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall. Als Wasserfrauen üben eher die Lureley und die Undine eine Macht über den Mann aus. Erstere durch den Zauber ihrer Schönheit, Letztere durch die Gesetze der Wassermenschen, die scheinbar über denen der Menschen stehen, als auch durch ihre Schönheit und ihr Verhalten.

Jedoch tritt in diesem Kontext direkt die Problematik der Entwirklichung der Frau auf. Brentanos Lureley-Figur wird mit ihrer ‚lockenden‘ Schönheit zu einem auf dem Äußeren der Frauen basierten sexuellen Prinzip reduziert. Die Undine hingegen, die mit Aussehen und Anstand verzaubert, wird dabei mehr als ein Ideal dargestellt — ein Ideal der sich dem Mann unterordnenden, bis in alle Maßen demütigen Frau, über die der Mann Kontrolle haben kann.

Die poetologische Funktion des Wassers als Attribut der Frauenfiguren ist in erster Linie, die Machtverhältnisse und Ordnungen, in welchen sich die Frauen in den menschlichen Gesellschaften befinden, in das Gegenteil umzukehren.

Schlussendlich kontribuiert das Element aber auch insofern zu der Konzeption von Frau, wie Brentano und Fouqué sie entwerfen, als die Ansiedlung der Frau am Wasser Raum zur Ausgrenzung der Frau vom Menschlich–Kulturellen bietet. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Ausgrenzung ‚nach unten‘, vielmehr um eine idealisierende Ausgrenzung ‚nach oben‘, welche trotz des Umstandes, dass die Frauen schlussendlich mit dem Wasser (passiv) töten, auch von den Autoren nicht zwingend kritisiert wird. Nichtsdestoweniger ist die Konzeption der Frauenfiguren und ihre Verhältnisse zu anderen, vor allem männlichen* Subjekten in den Werken, sowie die Aussagen, welche die Texte Brentanos und Fouqués vermitteln, durchaus problematisch: Wenn die Frau ein eigenständiges, handlungsfähiges, ermächtigtes Subjekt werden soll, das nicht in einem Machtgefälle unter einem Mann steht, kann sie dafür allerdings keinen Raum in der männlich* geprägten Menschengesellschaft bekommen, sondern muss sich erst von dieser aus- und abgrenzen, um dies verwirklichen zu können. Die Werke Brentanos und Fouqués lassen doch, obgleich sie auf literarischer Ebene patriarchale Ordnungen mit in einem sehr weiten Sinn matriarchalen Ordnungen ersetzen, keinen Raum für eine Leseart, die die möglicherweise ‚Fortschrittlichkeit‘ dieser Werke behauptet, sondern zeugen von der Abwesenheit, ja Unvorstellbarkeit einer egalitären Vision der Geschlechterbeziehung. Die Frau muss, um ihr als emanzipiertes Subjekt die nötige Handlungsmacht zuzugestehen, erst aus der menschlichen, männlich* geprägten Gesellschaft ausgegrenzt werden.


[1]Klaus Theweleit, Männerphantasien, Berlin 2019, hier 349–350.

[2]Vgl. Tilmann Köppe / Simone Winko, Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart–Weimar 2013, hier 201.

[3]Clemens Brentano, Werke. Hrsg. von Wolfgang Frühwald, Bernhard Gajek und Friedhelm Kemp. München 1968, hier 118. Künftig im Fließtext mit Sigle L und Seitenzahl zitiert.

[4]Mit der Deutung der Schlussverse hat sich Heinrich Bosse beschäftigt. Er stellt dabei die naheliegende Frage, wer die Sprecher:inneninstanz dieser Abschlussverse ist. Dabei legt Bosse vier Deutungsmöglichkeiten zugrunde: Entweder, so lautet die erste Deutung, sind die Sprecher des Lieds die drei Ritter, welche Lureley in das Kloster bringen, oder, dies stellt die zweite Deutung dar, der Geliebte der Lureley ist der Singer, der zugleich Urheber des Fluches ist. Zuletzt erwägt Bosse, dass es auch die Lureley selbst sein könnte, welche „daraus einen selbstmörderischen Zauber entfacht“, oder die sprechende Instanz ist der Schiffer des Schiffs, welches die Lureley kurz vor ihrem Tod auf dem Rhein entdeckt. Vgl. Heinrich Bosse, Die Loreley, ein romantischer Mythos, in: Katerina Karakassi / Stefan Lindinger / Mark Michalski (Hrsg.), Deutsche Romantik. Transformationen und Transgressionen. Frankfurt/Main 2014 (Hellenogermanica 4), 78–79.

[5]Vgl. Caroline Blyth / Dan W. Clanton (Jr), / et al., Femme fatale. In: Encyclopedia of the bible and Its Reception Online (2010). https://www.degruyter.com/database/EBR/entry/key_4a849aab–0d69–4f92–8444–4b3ce4ecec6a/html#MLA (26.12.2022).

[6]Ebd.

[7]Urte Helduser, Frau / Jungfrau, in: Günter Butzer / Joachim Jacob (Hrsg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole.  3., erweiterte und um ein Bedeutungsregister ergänzte Auflage. Berlin 2021, hier 198.

[8]Vgl. Ebd., 198.

[9]Um dennoch für Stubys Aussage zu argumentieren, könnte angenommen werden, dass in einer früheren Zeit die Lureley aktiv und aus eigenem Willen heraus getötet hat, diesem nun überdrüssig ist, und daher den Todeswunsch, sowie Reue hegt. Jedoch ist diese Annahme, die eine mögliche Vergangenheit im Gedicht annimmt, beziehungsweise voraussetzt, mehr spekulativ und geht eben so nicht aus dem Text hervor.

[10]Anna Maria Stuby, Liebe, Tod und Wasserfrau. Mythen des Weiblichen in der Literatur, Opladen 1992 (Kulturwissenschaftliche Studien zur deutschen Literatur), hier 188. Hervorhebung A. H.

[11]Vgl. Bosse, Loreley, 78.

[12]Vgl. Ebd., 76.

[13]Stuby, Wasserfrau, 188.

[14]Vgl. Ebd. 188.

[15]Bosse, Loreley, 76.

[16]Vgl. Ebd., 76.

[17]Bosse, Loreley, 76.

[18]Vgl. Daniela Gretz, Wasser, in: Günter Butzer / Joachim Jacob (Hrsg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole.  3., erweiterte und um ein Bedeutungsregister ergänzte Auflage. Berlin 2021, hier 696.

[19]Vgl. Friedrich de la Motte Fouqué, Undine. Eine Erzählung, Stuttgart 2022 (Reclams Universal–Bibliothek 491), hier 5. Künftig im Fließtext mit Sigle U und Seitenzahl zitiert.

[20]Das lyrische Ich bezeichnet sich in Vers 26 selbst als Ritter. Vgl. U, 5.

[21]Theweleit, Männerphantasien, 337.

[22]Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments nach der deutschen Uebersetzung Dr. Martin Luthers, Stereotyp–Ausgabe, Berlin 1853, hier 108.

[23]Stuby, Wasserfrau, 91.

[24]Vgl. Stuby, Wasserfrau, 94.

[25]Helduser, Frau / Jungfrau, 198.

[26]Vgl. Ebd., 198.

[27]Siehe beispielsweise in Kapitel drei die Schmeichelei „hübscher Freund“ (U, 21.).

[28]Mit Verführerin ist hier die unfreiwillig, eher passiv Verführende gemeint, da im Vorangegangen ja schon festgestellt wurde, dass die Undine ebenso wie die Lureley keine Verführerin im engen (aktiv–willentlichen) Sinn ist.

[29]Siehe Kapitel 18: „Vorüber aber zog die Jammernde, schwer, gezwungen, zögernd, wie zum Hochgericht.“ [Hervorhebung A. H.] (U, 95).

[30]Auch Undines Heirat kann als Versuch angesehen werden, die Wasserfrau in die Gemeinschaft der Menschen zu integrieren, jedoch scheitert auch dieser Versuch. Grund für das Scheitern des Versuchs liegt jedoch nicht nur – wie bei der Lureley in der Frau (durch ihren Freitod) – sondern, wie bereits erwähnt, sowohl in der Untreue des Mannes, als auch in Undines eigener Abgrenzung von der menschlichen Gemeinschaft und den menschlichen Sitten. 

[31]Daniela Gretz, Weiß, in: Günter Butzer / Joachim Jacob (Hrsg.), Metzler Lexikon literarischer Symbole, 3., erweiterte und um ein Bedeutungsregister ergänzte Auflage, Berlin 2021, hier 704.

[32]Vgl. Gretz, Wasser, 696.

[33]Stuby, Wasserfrau, 66.

[34] Stuby, Wasserfrau, 66.

[35]Bei der Lureley wäre das der Aufenthalt mit dem Bischof und den Rittern, bei der Undine die Ehe und das Leben mit Huldbrand.

[36]Frau der Natur ist die Lureley, wenn sie zusammen mit ihrem Element, dem Wasser, auftritt, also tötet. Ebenso ist die Undine Frau der Natur, wenn sie als Herrscherin über Wassermassen fungiert.

[37]Theweleit, Männerphantasien, 350.

[38]Undines Stimmung wechselt schnell von fröhlich und verspielt zu zornig. (vgl. U, 11–13).

[39]Auf das Geschimpfe des Fischers reagiert Undine nicht mit Reue, sondern nimmt trotzig Reißaus (vgl. U, 13).

[40]Theweleit, Männerphantasien, 350.

[41]Helduser, Frau / Jungfrau, 199.

[42]Ebd., 199.

[43]Dazu ist weiterhin anzumerken, dass die Analogie von Frau und Natur in der Lureley durch dessen Töten mithilfe der Natur (Wasser) (dazu vgl. Bosse, Loreley, 76.), und bei der Undine beispielsweise durch die Parallelisierung ihrer Stimmung mit dem Verhalten des Flusses zum Ausdruck kommt. So, wie beispielsweise in Undines Augen Ergebenheit liegt, so ist auch der ehemals ausgebrochene Bach wieder in seinen ursprünglichen Verlauf zurückgekehrt. Vgl. U, 45.

[44]Vgl. Gretz, Wasser, 696. Zum Konflikt von Mensch und Natur, und welche Partei wen beherrschen, beziehungsweise welcher Partei das Primat zukommen sollte, siehe auch Kapitel 13 der Undine, in welchem Bertalda zum Ausdruck bringt, das Wasser sei nur als Spiegel für Menschengesichter erschaffen (vgl. U, 69. Weiterhin: Huldbrand bezeichnet den Wassergeist Kühleborn als schwächlichen Elementargeist, was ebenfalls als Ausdruck des Menschenverständnisses gelesen werden kann, dass der Mensch der Natur gegenüber der ‚Stärkere‘ ist (vgl. U, 76).