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Kniestreicher

Mai 24th, 2011 by Katrin Moeller

Der Kniestreicher, gefunden in der in Lübeck im Selbstverlag erschienen Sammlung von Berufsbezeichnungen des Lehrers und Genealogen Heinrich Gerholz, ist nun wahrlich ein Beruf, der vielfältige Assoziationen und Bilder in mir hervorruft. Allerdings bleibe ich als Frühneuzeithistorikerin natürlich realistisch: Das sich damit genauso wenig ein emotional besetzter Beruf der aufkommenden Dienstleistungsgesellschaft verbindet wie beim Süßholzraspler, liegt natürlich auf der Hand. Letzterer raspelte oft genug völlig unromantisch im Armenhaus eben nur das gleichnamige süßstoffhaltige Gewächs, statt liebliche Wörter zu flüstern.

Wenn jedoch der Kniestreicher nicht seine Profession darin fand, anderen Leuten zärtlich über das Bein zu streicheln, womit also verbrachte er also seinen Arbeitsalltag? Verwerfen dürfen wir schnell eine Analogie auf jede Art von Chirurg oder Bader, die sich auf die Behandlung des Knies spezialisierten. Die frühneuzeitlichen Behandlungsmethoden dürften zudem eher als Tätigkeit eines Knochenbrechers denn als -streichler zu klassifizieren sein. Um nicht weiter wild herumzuraten, greifen wir wieder nach unseren im Praxistest so gut bewährten Enzyklopädien und Lexika des 18. und 19. Jahrhunderts:

Tatsächlich: Sowohl Adelung, Grimm wie auch Krünitz kennen den Kniestreicher (alle sorgfältig voneinander abschreibend): Adelung führt durchaus hingebungsvoll aus, es handele sich dabei um sehr filigrane Kardätschen im Dänischen als „Knäkarte“ bezeichnet, mit „subtilsten“ Häkchen versehen, die auf keiner Krämpelbank Platz fanden und daher auf dem Knie befestigt wurden. So richtig weiter hilft das auch noch nicht, gibt aber wenigstens die Richtung vor, da Adelung, Grimm, Krünitz & Konsorten den damit in Verbindung stehenden Berufszweig verraten, der diesen geheimnisumwobenen Apparat nutzte: Die Wollkämmer.

Diese bereiteten die Wolle zum Spinnen vor, indem die Rohwolle zwischen zwei Kämmen mit stählernen Zinken vorbereitet wurde. Erst mit der Erfindung der maschinellen Kämmerei am Ende des 18. Jahrhunderts verlor der Beruf ganz allmählich an Bedeutung. Besondere Anerkennung erfuhren die Wollkämmerer nicht. Das meist nichtzünftige Gewerbe fand seine Ausübung oft in Zucht- und Arbeitshäusern. Aus dieser Perspektive ist es schon fast fragwürdig, warum ausgerechnet der „Süßholzsraspler“ wie auch der „Kniestreicher“ uns heute auf den ersten Blick zwei eher positiv konnotierte Motive nahelegen.

Quellen:

Gerholz-Kartei. Eine Sammlung alter Berufsbezeichnungen, Lübeck 2005, S. 164.
Pierer’s Universal-Lexikon, Bd. 19, Altenburg 1865, S. 343-344 [http://www.zeno.org/nid/20011304715].

One Response to “Kniestreicher”

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