Sophie: Eine Zeitreise

Die Exkursion nach Sarajevo, Jajce und Banja Luka im Rahmen des Kurses „Welche Rolle spielt das Erbe von Titos Jugoslawien im heutigen Bosnien und Herzegowina?“ sollte uns die Möglichkeit geben, über das Land mehr zu erfahren, mit dortigen Studenten in Kontakt zu treten, Museen und besondere Orten zu besuchen aber auch durch Interviews von einigen ausgewählten Persönlichkeiten Meinungen und Erlebnisse zu erfahren. Dabei sollten diese Erfahrungen dazu beitragen die Rolle des Erbes Titos in diesem Land zu erörtern.

Die Person, die ich gemeinsam mit weiteren 4 Studierenden aus Sarajevo und Novi Sad zum Interviewen wählte, ist der in Čajniče geborene Fotograf Milomir Kovačević. Kovačević ist über seine Heimatgrenzen durch die Bilder, die er während der vierjährigen Belagerung der Stadt Sarajevo von 1992 bis 1996 machte, bekannt. Unter anderem fotografierte er Kinder, wie sie während des Krieges unter schwierigen Lebensbedingungen lebten und wie sie trotz dieser Bedingungen spielten und sich vergnügten. In anderen Bildern hielt er die Musikszene während dieser Belagerungszeit fest. Für seine Bilder inspirierten ihn jedoch nicht nur die Menschen in ihrem Alltag. Als jemand, der seit seiner Kindheit mit Tito und seiner Ideologie des Zusammenlebens im ehemaligen Jugoslawien indoktriniert wurde, versuchte er den Wandel dieser Zeit in Bezug auf die Haltung gegenüber Tito in seinen Bildern zu bearbeiten. Hierfür fotografierte er in Ruinen von Gebäuden, welche Spuren der Krieg auf Titos Portraits hinterlassen hat, die noch vor dem Krieg staatlich „geschützt“ und allgegenwärtig als Symbol Jugoslawiens waren. Die Figur Titos in unzähligen Portraits sollte von ihm dann später in der Fotoserie „Tito in War“ dargestellt werden.

Für eine Ausstellung ist Milomir Kovačević, genannt Strašni, aus seiner Wahlheimat Paris gekommen und wir können ihn in einem gemütlichen Tee-Laden in Sarajevo interviewen. Am Anfang des Interviews fragt uns Milomir Kovačević nach einigen aus Deutschland stammenden Musikern, die keinem von uns bekannt waren. Jetzt fragen wir ihn, wie er sich an die Periode mit Tito erinnert und warum er sich genau für dieses Motiv in seinen Fotografien entschied. 

Die Antwort auf diese Frage sollte zunächst mit seiner Erzählung, wie er aufwuchs, anfangen. Er nimmt uns auf eine interessante Zeitreise mit. Wir erfahren dabei, dass Milomir Kovačević in Titos Zeit geboren wurde und aufgewachsen ist. Sein ganzes Leben wurde er mit der Idee des einheitlichen Jugoslawiens erzogen und ausgebildet. Dazu zählten Brüderlichkeit und Zusammengehörigkeit. Tito war für ihn ein Symbol dessen, was sie hatten und ein Anführer.

Erst als Pionier dann als kommunistischer Jugendlicher war er schon in jungen Jahren sehr aktiv und musste dort einen Eid leisten. Für die Exkursionen oder die Treffen der Fotoclubs ist er sehr viel durch Jugoslawien gereist. Als Kinder und Jugendliche waren er und seines Gleichen im Geiste demzufolge so erzogen, dass sie alle Brüder und Freunde waren, dass sie sich lieben und mögen sollten und sie auch etwas Neues aufbauen sollten. 

Die Fotografie hat er sehr gemocht und hat sich deshalb damit sehr gerne beschäftigt. Mit Dankbarkeit erzählt er ebenso davon, dass ihm und seiner Gruppe von Gleichgesinnten die Stadt genügend Raum zur Verfügung stellte, damit sie ihrem Hobby unbeschwert nachgehen konnten. Ohne diese Unterstützung wäre er als Fotograf nicht soweit gekommen. 

Milomir Kovačević erzählt uns „Ich muss auch sagen, dass ich jetzt nicht so sehr ideologisch geprägt in Jugoslawien war. Ich lebte das normalste Leben, das man in Jugoslawien leben konnte“ und er spricht auch davon, dass es eine Zeit war, in der nicht nach nationaler Zugehörigkeit unterschieden wurde. Es war eher der Fall, dass man jemanden als Anhänger von Punk oder Rock unterschied, jedoch die Menschen nach ihrem Charakter schätzte und nicht nach ihrer Nationalität. Gerne fügt er hinzu, dass es mit Tito anders war als heute, zwar nicht perfekt aber vergleichsweise besser. Er spricht von der damaligen Möglichkeit zu reisen und der Sicherheit. So sagt er, dass diese Zeit nicht nur etwas Besonderes für ihn war, sondern auch etwas, dass sich nie wieder wiederholen kann. Dabei erwähnt er die Freiheit, die Gleichheit und die Menschenrechte. Er spricht nicht nur das Gute, sondern auch das Schlechte dieser Zeit an z.B., dass für religiöse Menschen der Posten als Parteisekretär verwehrt wurde, was sich allerdings bis heute nicht verändert hat. Milomir Kovačević sagt jedoch auch, dass er sich damals nicht sehr für die Politik interessierte und sich eher um seine Arbeiten kümmerte.

Er spricht auch von seiner Familie. Sein Vater hatte ihm und seinen Geschwistern – dank seiner Arbeit – die Möglichkeit einer guten Bildung geben können und zur gleichen Zeit noch ein Haus bauen können. 

Dies sei heute nicht mehr möglich, da man nur im damaligen System vieles ohne Bezahlen wie Kranken- und Sozialversicherung und die Ausbildung für Kinder erreichen konnte. Weiterhin konnten damals die Kinder nicht vermögender Familien kostenfrei in besonderen Einrichtungen Urlaub machen. Die Philosophie des damaligen Staates war, „dass alle Menschen aus unterschiedlichen Landesteilen zusammenkommen, es sei denn, sie waren Nationalisten oder verachteten andere Völker und dies auch laut verkündeten sowie gewiss diejenigen, die im Zweiten Weltkrieg auf der Verliererseite waren. Diese mussten das Land verlassen.“

Milomir Kovačević spricht in seinen Schilderungen ebenfalls die Befreiung Sarajevos im Jahr 1945 an. So sagt er, dass diese am 6. April gefeiert wird und 1989 ging er selbst mit den Pionieren auf einen Ausflug. Dort sah man, was Kinder der letzten Generation, die vor etwa 30 Jahren in diesem jugoslawischen Geiste erzogen wurde, zeichneten. Am 29. November desselben Jahres wurde das erste Mal der Tag der Republik Jugoslawiens nicht gefeiert. In seiner Fotoserie unter dem Namen „29. November“ sind jedoch viele Leute zu sehen, die entweder aus Gewohnheit oder aus Liebe und Hochachtung zum ehemaligen Präsidenten nach wie vor Titos und sozialistische Bilder in die Schaufenster stellten.

Während seiner ausführlichen Erzählungen ist es unverkennbar, dass Milomir Kovačević von Tito schwärmt. Seine Erzählungen sind sehr interessant und informativ und uns wird klar, welche Gründe ihn zur Fotoserie „Tito in War“ bewegten.
Trotz der Sprachbarriere war Milomir Kovačević mit seiner Art sehr angenehm. Für uns hatte er auch ein paar Kataloge von seinen Serien als Anschauungsmaterial mitgebracht, um seine Erzählungen zu illustrieren.

Anschließend sind wir gemeinsam zu einem nahegelegenen Restaurant gegangen und haben gemeinsam gespeist. Währenddessen und noch Tage danach, beschäftigten uns weiterhin die Bilder, die sich dank seiner Erzählungen in unseren Köpfen eingeprägt hatten. 

Wir sagen Danke, dass wir diese kurze Zeitreise mit Ihnen, Milomir Kovačević, machen durften.

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