Radio-Anmutung – ein Phänomen.
Radio-Anmutung – ein Begriff, der bislang fast nur von Praktiker_innen gebraucht wird und theoretisch noch nicht unterlegt ist.
Radio-Anmutung – die klangliche Gesamterscheinung eines Senders, Formats oder Programms, die bei Hörer_innen einen spontanen, unreflektierten Eindruck, eine gefühlsmäßige Interpretation bzw. Bewertung erzeugt und sie (im besten Falle) einlädt weiterzuhören.
Radio-Anmutung – der Gegenstand des gerade erschienenen Sammelbands Radio, Sprache, Klang in dem Zwischenergebnisse interdisziplinärer Forschungen zur „Radio Ästhetik – Radio Identität“ präsentiert werden [1].
Ziel dieser Forschungen ist es, formatspezifische, zeitgeschichtliche und kulturelle Eigenheiten von Klangkonzepten des Radios aufzudecken und die Beziehungen zwischen Klangdesign und individueller Nutzung von Radio zu untersuchen. Dabei werden mehrere Perspektiven miteinander verknüpft – kommunikations- und medienwissenschaftliche, sprechwissenschaftliche, linguistische sowie kulturwissenschaftliche. Dieser interdisziplinäre Ansatz ermöglicht die Entwicklung eines umfassenden Analyseinstrumentariums, mit dem wesentliche Qualitätsmerkmale der Anmutung von Radiosendern und ‑formaten differenziert und präzise beschrieben und bewertet werden können.
Der Sammelband Radio, Sprache, Klang umfasst insgesamt elf Artikel, die sich auf unterschiedliche Weise dem Thema ‚Anmutung im Radio‘ nähern:
Im ersten Artikel Forschungen zur Anmutung des Radios stellen Ines Bose (Herausgeberin des Bandes) und Golo Föllmer zunächst überblicksartig die Verwendung des Anmutungs- und Sound-Begriffs dar und diskutieren rhetorische, ästhetische und identitätstheoretische Aspekte der Radio-Anmutung. Im Anschluss präsentieren sie einen Überblick über das Forschungsprojekt “Radio Ästhetik – Radio Identität”, das quantitative und qualitative Programmanalysen und die Entwicklung geeigneter analytischer Beschreibungskategorien ebenso umfasst wie die Rekonstruktion der Perspektive von Radiomachern und Radionutzern.
Es folgen zehn Artikel zu einzelnen Untersuchungen des Projekts “Radio Ästhetik – Radio Identität”:
1. Phonetische und linguistische Analysen mit einem quantitativen sowie ethnomethodologisch-qualitativen Paradigma zu ausgewählten Radioprodukten (Radioshows, Nachrichten, Berichte)
- Tom Leonhardt (Halle): Dialogorientiertes Storytelling als Inszenierungsstrategie — Analysen zum Media Talk bei WNYC Radiolab.
- Jessica Leuchte (Halle): Radionachrichten für Kinder. „Kinder wünschen sich Nachrichten. Aber welche, die sie verstehen — und die sie wirklich interessieren“ (André Kudernatsch).
- Anna Schwenke / Helen Barthel, Maximilian Rose (Halle): Was macht Radionachrichten verständlich(er)? — Phonetische Analysen von langsam gesprochenen Nachrichten der Deutschen Welle.
- Clara Luise Finke (Halle): ́KEIner (-) DURFte (-) ́die ‑HALle (-) mehr ver ́LASsen ; Untersuchung zur sprecherischen Umsetzung von Berichten im Hörfunk.
- Sven Grawunder (Leipzig) / Sonja Kettel (Halle): Anmoderieren / Überleiten / Antexten — Was passiert zwischen Meldung und Bericht in Hörfunknachrichten?
2. Rekonstruktionen von Produktions- und Rezeptionsprozessen
- Jakob Mücksch (Halle): Stimmen im Radio — Programmchefs berichten.
- Maria Luise Gebauer (Halle): «Wenn du so auf der Autobahn unterwegs bist und den Sender dann wieder reinkriegst und diese bekannten Stimmen hörst, das ist ein Stück Heimat» Beschreibungen von Morningshow-Moderationen zweier Radiosender aus Sicht der Hörer.
- Grit Böhme (Halle): «He’d just keep blabbering on if they don’t stop him» — Was Hörer über Radiomoderatoren sagen.
3. Quantitativ-qualitative Testmethoden zur Untersuchung von Radiowirkungen
- Angela Unger / Maximilian Altstadt / Maria Luise Gebauer (Halle): Messung kontinuierlicher Hörerbewertungen mit dem CRDI.
- Katharina Pritzkow (Halle) / Heiner Apel (Aachen): Radio hört man nebenbei: Über die Konzeption realitätsnaher Behaltenstests von Radionachrichten.
Durch eine Vielfalt und Verknüpfung von Methoden und Perspektiven wird im Forschungsprojekt „Radio Ästhetik – Radio Identität“ ein umfassender und differenzierter Zugriff auf das komplexe Phänomen ‚Anmutung‘ gewährleistet. Instrumentarium und Ergebnisse der Untersuchungen sind gleichermaßen interessant für Radioforscher_innen (Bereitstellung intersubjektiv nachvollziehbarer Kriterien für den Vergleich unterschiedlicher Radiokonzepte), Radiomacher_innen (Gestaltung, Bewertung und Veränderung des eigenen Programms) und Radionutzer_innen (Erwerb kritischer Medienkompetenz).
[1] Bose, Ines (Hg.) (2015): Radio, Sprache, Klang. Forschungen zur Radioästhetik und Radioidentität. (= SPIEL Neue Folge. Eine Zeitschrift zur Medienkultur. Jg.1 (2015), Heft 1/2). Frankfurt/Main.
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