Anika Assfalg und Kerstin Pasemann
In einer Welt, in der beinahe alles erforscht und hinterfragt wird, sollten auch Laien Wissenschaft verstehen können. Doch was ist, wenn die Zielgruppe Menschen mit Lernschwierigkeiten sind, denen das Verstehen der komplexen deutschen Sprache schwerfällt?
Wie kann Wissenschaft das Leben erleichtern, wie können sich Forschungen auf den Alltag auswirken und was kann die Technik der Zukunft bringen? Das sind nur ein paar der Fragen, die der Wissenschaftsjournalismus beantwortet. Dabei sollte der Anspruch an den Journalismus sein, dass die Aussage eines Textes verstanden werden kann, ohne Fremdwörterberge und Satzgiganten überwinden zu müssen. Hier hat der Journalist oder die Journalistin den Otto-Normal-Verbraucher als Leser vor Augen, doch das schließt einen Teil der Menschen aus: Menschen mit Lernschwierigkeiten. Wie würde für diese Leser ein Text ohne Barrieren aussehen?
In Wohnungen, an Bushaltestellen oder Bordsteinkanten ist Barrierefreiheit schon angekommen, nur in der Sprache spiegelt sie sich noch lange nicht wieder. Mit „Leichter Sprache“ soll dies gelingen. Sie folgt einem Regelwerk für ein besonders einfach verständliches Deutsch. Informationen werden so verpackt, dass Personen, die Probleme im Verständnis der deutschen Sprache haben, Texte nach ihren Möglichkeiten verstehen können. Die Zielgruppe der „Leichten Sprache“ ist schwammig und nur schwer zu definieren. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben diese Art der Sprache zwar ins Leben gerufen, doch zur Zielgruppe können ebenso funktionale Analphabeten, Nicht-Muttersprachler oder Menschen mit Behinderungen zählen — einfach jeder, der durch die „Leichte Sprache“ etwas besser verstehen kann. Einige Angebote, vor allem im Internet, bieten „Leichte Sprache“ schon an. Behördenseiten und Ämter müssen ihre Internetseiten zusätzlich in „Leichter Sprache“ gestalten, wie zum Beispiel das Bundesministerium für Bildung. Aber bis jetzt gibt es nur wenige journalistische Angebote dieser Art – und wenn, dann schon gar nicht im Radio.
Dabei ist das Medium Radio einfach zugänglich – leicht bedienbar und unter vielen Lebensumständen nutzbar. Doch ist „Leichte Sprache“ im Radio überhaupt sinnvoll? Klare Regeln, z.B. von Inclusion Europe geben vor, wie ein Text in „Leichter Sprache“ aussehen soll. Eine Aussage pro Satz, keine Verneinung, keine Fremdwörter sind nur ein paar der Vorgaben. Im Rahmen eines Bachelor-Projektes wurde der Versuch zu der Frage, wie Wissenschaft im Radio neu erzählt werden kann, gestartet. Als einem von drei Ansätzen stellten sich Anne Bäurle, Kerstin Pasemann und Anika Assfalg dieser Aufgabe und produzierten eine Radiosendung in „Leicht“. Doch „Leichte Sprache“ im Medium Radio hat auch seine Tücken.
Gehen Radio und „Leichte Sprache“ zusammen?
Wie überträgt man „Leichte Sprache“ aus der Schriftsprache in eine funktionierende gesprochene Sprache? Denn „Leichte Sprache“ für das Radio kann nicht ohne Veränderungen in die Radiowelt übertragen werden. Das auditive Medium Radio ist viel flüchtiger als ein geschriebener Text. Gehörtes wird viel leichter vergessen, daher muss die „Leichte Sprache“ vereinfacht werden. Eine Erweiterung der Leichten-Sprache-Regeln für das Gesprochene schien sinnvoll. Mehr Wiederholungen, Erklärungen und längere Pausen, sowie Vergleiche sollten die „Leichte Sprache“ für den Hörfunk optimieren.
Ohne Geräusche oder Hintergrundatmosphäre musste das gelingen. Denn die Richtlinien von Inclusion Europe, einer der Hauptregelwerke der „Leichten Sprache“, empfehlen keine ablenkenden Töne zur Untermalung der Inhalte. Die Vermittlung in „Leicht“ musste also allein die Sprache gewährleisten. Mehrere Male wurden die Texte neu strukturiert, weitere Wörter vereinfacht oder „nicht leichte” herausgenommen, bis letztendlich die Manuskripte für die Sendung fertig waren. Hier der Einstieg zur Sendung:
Hallo liebe Hörer und Hörerinnen. Wir sind drei Frauen. Wir heißen: Anne, Kerstin und Anika. Wir wollen Informationen einfach machen. Informationen, die jeder versteht. Wir machen eine Radio-Sendung in Leichter Sprache. Wir sind Journalistinnen. Das sind Leute, die über wichtige Sachen erzählen. Wir erzählen über Wissenschaft. Über neue Dinge. Wir wollen erklären: Wie Dinge sind. Und warum Dinge so sind. Unsere Sendung hat ein Thema. Wir reden über Roboter...
Es war ein langer Weg, bis die Texte fertig waren, und dann folgte der schwierigste Teil des Ganzen: das Einsprechen. Denn Erfahrungswerte für das Radio waren hier gleich null und so standen drei unerfahrene Sprecherinnen vor den Aufnahmegeräten — ohne einen Leitfaden. Entstanden sind letztlich unterschiedliche Versionen. Sie variierten in der Geschwindigkeit und der Betonung. So konnte das Experiment Aufschlüsse geben, was denn nun gut oder schlecht verstanden wird. Die Sendung wurde dann schließlich im Wohnzimmer einer betreuten Wohngruppe von Jugendlichen und bei einer Nicht-Muttersprachlerin vorgespielt und auf die Probe gestellt.
Verstehen Menschen mit Lernschwierigkeiten Radio in „Leicht“?
In der betreuten Wohngruppe leben Menschen mit Lernschwierigkeiten, die gesprochene Sprache unterschiedlich gut verstehen. Nachdem sie die Sendung gehört hatten, füllten sie einen Fragebogen zum Verständnis in „Leichter Sprache“ aus. Das Ergebnis dieser kleinen Stichprobe: Viele von ihnen (8 von 9 Befragten) hat die Sendung gefallen und die Mehrheit (7 von 9 Befragten) hat viel verstanden. Viele Aussagen lassen sich davon nicht ableiten. Aber dass so viele der Testgruppe die Sendung verstanden haben und mögen, zeigt, dass das Experiment nicht ganz verkehrt war.
Dazu sollte noch eine Nicht-Muttersprachlerin die Sendung in „Leichter Sprache“ hören, da sie zu den Personen zählt, die ebenfalls davon profitieren können. Im qualitativen Interview sagte sie, dass die langen Pausen halfen, die Inhalte besser zu verstehen. Sie fand das am langsamsten eingesprochene Stück am verständlichsten. „Leichte Sprache“ kann also auch mehr Menschen als der ursprünglichen Zielgruppe helfen.
Ist ein Radio in „Leicht“ sinnvoll?
Nachdem nun das Experiment erste Erfahrungen geliefert hat, stellen sich viele weitere Fragen: Wie sieht eine sinnvolle Zielgruppe der gesprochenen „Leichten Sprache“ aus und wie sollten Nachrichten in „Leicht“ am besten eingesprochen sein? Bei der weiteren Optimierung kann es gut sein, dass der Weg sich weiter von den Regeln der geschriebenen „Leichten Sprache“ entfernen wird. Denn vielleicht können Klänge und Geräusche doch helfen, Inhalte zu verstehen und eine angenehme und natürliche Höratmosphäre zu schaffen. Schließlich soll „Leichte Sprache“ auch Spaß machen und nicht nur trocken und starr sein. Wichtig ist also Forschung zur Hörverständlichkeit der Zielgruppe, um die Beiträge besser auf die Zielgruppe anzupassen.
Mut machen bestehende Nachrichtenformate wie nachrichtenleicht.de. Hierbei handelt es sich um ein Angebot in komplexerem Deutsch, als es die „Leichte Sprache“ vorgibt. Dennoch ist es ein Versuch, Inhalte einfach und ohne das Stützen auf Vorkenntnisse zu vermitteln. Und das Angebot wird angenommen und genutzt. Das zeigen die Nutzerzahlen. Auch die gesprochenen Beiträge sind gefragt, so Tanja Köhler, Redakteurin von nachrichtenleicht.de, und daher möchte sie das Portal des Hörangebots erweitern (Köhler im Interview mit Assfalg 2015[1]). Für mehr Inklusion scheint es sinnvoll, Radio in „Leichter Sprache“ oder ähnliche Angebote im Radio weiterzuentwickeln. Am Ende bleibt die Frage, wie viel Energie wir in die einfache Vermittlung von Wissen und Informationen stecken und was für eine Gesellschaft wir letztendlich sein wollen: Eine elitäre Gesellschaft, die Wissen für sich behält, oder eine Gesellschaft, die Wissen mit anderen teilt (Neubert im Interview mit Assfalg 2015[2]).
Anika Assfalg, Jahrgang 1992, hat im Juli 2015 ihr Studium im Bereich Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt abgeschlossen. Ihre Bachelor-Arbeit schrieb sie zum Thema: Ist “Leichte Sprache” für den Wissenschaftsjournalismus im Radio sinnvoll? Dafür erarbeitete sie in Zusammenarbeit mit Kerstin Pasemann und Anne Bäurle ein in drei Sendungen aufgeteiltes Radio-Dossier zum Thema “Mensch und Maschine”. Anika Assfalg war dabei verantwortlich für die Sendung in „Leichter Sprache“.
Kerstin Pasemann, Jahrgang 1984, ist Diplom-Biologin und hat im Juli 2015 ihr Bachelorstudium Wissenschaftsjournalismus mit der Bachelor-Arbeit neue Wege für Wissenschaftsjournalismus im Radio abgeschlossen. Ihre Sendung im gemeinsamen Radio-Dossier beschäftigte sich mit der Schnittstelle Wissenschaft und Kultur. Sie arbeitete an der Sendung in Leichter Sprache von Anika Assfalg mit.
[1] Assfalg, Anika (2015): Ist “Leichte Sprache” für den Wissenschaftsjournalismus im Radio sinnvoll?. Bachelorarbeit Darmstadt, S. 34 (Anhang I. Fragen an Redakteurin bei nachrichtenleicht.de).
[2] Assfalg, Anika (2015): Ist “Leichte Sprache” für den Wissenschaftsjournalismus im Radio sinnvoll?. Bachelorarbeit Darmstadt, S. 42 (Anhang II. Transkript des Interviews mit Mitarbeitern des CBF Darmstadt, Über Erfahrungen im verbalen Gebrauch vereinfachter Sprache und die Möglichkeiten der Leichten Sprache).
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