LEKTION 6: DER INTERKULTURELLE MASTER OF MEMES
Interkulturelle Kompetenz. Ob in der Studienordnung, in der Vorlesung, für ein Auslandsprogramm oder in der Ausschreibung eines Jobangebotes – die meisten ist der Ausdruck der Interkulturellen Kompetenz bestimmt schon mal irgendwo zu Ohren gekommen. Doch was ist damit eigentlich genau gemeint und wie hängt alles mit den Memes zusammen? Dieser Frage widmen wir uns in der abschließenden Lektion 6. Für den Einstieg solltest du dir das untenstehende Video ansehen, das dir einen Überblick über das Fachgebiet der Interkulturellen Kompetenz gibt.
INTERKULTURELLE KOMPETENZ
Jede Kultur folgt also ihrem typischen Orientierungssystem, durch welches ihre Mitglieder eine kulturelle Prägung erhalten. Aus diesem Grund sind wir schnell dabei, wenn es um das Beurteilen anderer anhand unserer eigenen Werte und Normen geht, z.B. wenn wir uns darüber amüsieren, dass Spanier “immer gleich das ganze Dorf einladen müssen, wenn es etwas zu feiern gibt” oder Inder uns „naiv erscheinen, wenn sie annehmen, dass ihr Leben vorherbestimmt ist“. Durch unsere selektierte Wahrnehmung kann es passieren, dass wir uns unbekannte Situationen fehlinterpretieren (oder auch umgekehrt, andere Kulturen unsere Handlungen missverstehen) und verurteilen. Was das ganze mit Memes zu tun hat und wie sie uns dabei helfen können, solchen verurteilenden Gedanken entgegenzutreten, klären wir jetzt.
Gehen wir an den Ausgangspunkt zurück, wie Memes überhaupt entstehen, so geht es dabei grundsätzlich um die Übertragung einer Idee von einem Individuum auf das andere. Dafür braucht es in jedem Fall einen ganz entscheidenden Faktor: Kommunikation. Auch für die Entstehung von Kultur, der Übertragung von z.B. Regeln und Werten geht es nicht ohne Kommunikation, um eine grundsätzliche Verbindlichkeit für unser Orientierungssystem zu erlangen. Ohne Kommunikation gebe es auch keine Kultur (vgl. Reimann 2017, S. 23).
MEMES UND INTERKULTURELLE KOMPETENZ
Wir haben bereits festgestellt, dass Memes in verschiedenen Kulturen unterschiedlich funktionieren. Alleine durch sprachliche Barrieren kann die thematisierte Zweideutigkeit und der Witz der einen Kultur nicht ohne Weiteres in einer anderen Kultur verstanden werden. Nicht nur dadurch entsteht das Verständnisproblem, sondern auch die kulturellen Stereotype, die in zahlreichen Memes verwendet werden, führen zur Kritik an dem Phänomen. Interkulturelle Kompetenz und Memes passen daher auf den ersten Blick nicht wirklich zusammen. Dass Memes trotz aller Vermutungen auf ihre Weise zu Interkultureller Kompetenz beitragen können, soll im Folgenden gezeigt werden.
WAS IST ÜBERHAUPT INTERKULTURALITÄT?
Interkulturalität beschreibt den Vorgang, sich wechselseitig auszutauschen, zu interagieren, sich zu verständigen, zu interpretieren, zu konstruieren, aber auch irritiert zu sein, wenn Kulturen als Gruppen, Einzelpersonen oder in Form von Symbolen miteinander in Kontakt kommen und keine einheitliche Grundlage von Wertorientierungen, Bedeutungssystemen und Wissensbeständen haben.
“Inter” bedeutet soviel wie “zwischen” oder “miteinander” und bringt die Neuartigkeit des Vorgangs zum Ausdruck. Solche interkulturellen Umstände sind gekennzeichnet durch Eigendynamik, wodurch die beteiligten Personen sowohl Kommunikations- als auch Verhaltensregeln neu aufbauen. Von einer kulturellen Überschneidungssituation kann man aber erst sprechen, sobald Eigenes und Fremdes als bedeutsam eingeordnet wird (vgl. Barmeyer 2012, S. 81f.).
Interkulturalität: Gegenseitiger Prozess des Austauschs, der Interaktion, der Verständigung, der Interpretation, der Konstruktion, aber auch der Überraschung und der Irritation [...], der dann relevant wird, wenn Kulturen auf der Ebene von Gruppen, Individuen und Symbolen in Kontakt miteinander kommen und nicht über dieselben Wertorientierungen [...] verfügen.
(vgl. Thomas 2003, S. 46)
WAS IST INTERKULTURELLE KOMPETENZ?
Interkulturelle Kompetenz bedeutet also die Fähigkeit zu besitzen, in interkulturellen Kontaktsituationen erfolgreich zu handeln, sodass keine Missverständnisse entstehen oder sie zumindest als solche zu erkennen. Getreu dem Motto “Man lernt nie aus” gilt das auch für interkulturelle Kompetenz. Da es im Leben immer wieder zu neuen Begegnungen interkultureller Art kommen wird, die unsere Handlungskompetenzen herausfordern, gibt es keinen Idealzustand.
Bei der interkulturellen Kompetenz geht es gleichzeitig nicht darum, seine Regeln und Normen einem anderen Kulturkreis vollständig anzupassen und seine eigenen Prinzipien “über Bord zu werfen”. Viel wichtiger ist es, die eigene Weltansicht und eigene Verhaltensweisen gegenüber anderen Kulturkreisen einzuordnen statt “Fremdes” zu verurteilen. Dafür muss natürlich ein Bewusstsein für unsere Denkweise vorhanden sein, um auch z.B. durch die Kulturmodelle Unterschiede zwischen dem eigenen kulturellen Kontext und anderen zu erkennen (vgl. Reimann 2017, S. 23).
DREI KOMPONENTEN DER INTERKULTURELLEN KOMPETENZ
Kognitive Kompetenz bezeichnet bestimmtes Wissen über andere Kulturen zu verfügen, sei es über bestimmte Länder im allgemeinen oder spezifische Kulturen. Auch kulturtheoretisches Wissen und Selbstreflexivität gehören dazu. So gilt zum Beispiel das Wissen über die Kulturdimensionen wie das Raum- oder Zeitverhalten ebenfalls als kognitive Kompetenz. Neben Kulturdimensionen und Landeskunde ist es außerdem relevant, sich mit dem kulturellen System einer Zielkultur auseinanderzusetzen.
Als affektive Kompetenz lässt sich ein gewisses Interesse und Offenheit gegenüber anderen Kulturen beschreiben. Dazu zählt auch die Fertigkeit und der Wille, sich in andere Personen hineinzuversetzen. Sie beschreibt persönliche Eigenschaften und Einstellungen. Besonders wichtig sind die emotionalen Einstellungen gegenüber der Eigen- und Fremdkultur.
Zuletzt meint die pragmatisch-kommunikative Kompetenz den Einsatz von kommunikativ geeigneten Mustern sowie den Einsatz von wirkungsvollen Strategien zur Konfliktlösung. Interkulturelle Kompetenz wird nur dann erreicht, wenn die jeweiligen Kenntnisse kombiniert und umgesetzt werden können (vgl. Reimann 2017, S. 27f.).
Diese drei Komponenten stehen dabei in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander und ergänzen sich. Wenn du an ihnen arbeitest und lernst, sie in Situationen einzusetzen, in denene unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen, steigt deine Interkulturelle Kompetenz!
Dabei ist zwischen allgemein-kulturellen und der kulturspezifischen interkulturellen Kompetenz zu unterscheiden.
Allgemein-kulturelle interkulturelle Kompetenz:
… beschreibt eine allgemeine Besserung, d.h. die erfolgreichere Kommunikation (basierend auf gegenseitigem Verständnis) mit Menschen, die einer beliebigen Kultur angehören.
Kulturspezifische interkulturelle Kompetenz:
… meint die auf eine spezifische Kultur festgelegte Handlungs- oder Kommunikationskompetenz. Diese kann beispielsweise für ein bestimmtes Land wie China gelten und enthält auch jeweiliges Wissen über das kulturelle Werte- und Regelsystem.
Sind die fremdsprachlichen Kenntnisse jedoch nicht ausreichend, ersetzt auch die interkulturelle Kompetenz diese nicht, was umgekehrt genauso gilt: fehlt die interkulturelle Kompetenz, helfen auch hervorragende Sprachkenntnisse oftmals nicht.
Time is Up!
INTERKULTURELLE TRAININGS
Interkulturelle Kompetenz gilt heutzutage in der globalen Arbeitswelt als sogenannte Schlüsselqualifikation. Für Unternehmen kann es von Vorteil sein, wenn die Mitarbeitenden über Interkulturelle Kompetenz verfügen, um Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz zu haben (vgl. Bannenberg 2011, S. 86). Denn wermit vielen Kulturen erfolgreich kommunizieren kann, kann sich ein größeres Netzwerk aufbauen.
Um diese Fähigkeiten zu erwerben, gibt es beispielsweise Angebote für interkulturelle Trainings. Durch verschiedene Methoden und Szenarien lernen TeilnehmerInnen, sich ihre Denkmuster selbst zu hinterfragen und in interkulturellen Kontaktsituationen adäquat zu reagieren. So eignen sich auch Memes dafür, indem sich Rezipienten ihrer Muster, z.B. ihrer typisch deutschen Gewohnheiten bewusst werden, darüber zu lachen und im besten Fall offen damit umgehen können, wenn sie erkennen, dass diese Art in anderen Kulturkreisen anders – jedoch nicht besser oder schlechter – gehandhabt wird. Auch während eines Auslandsaufenthaltes haben wir die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnen kann, einen Blick in die „lokalere“ Memekultur zu werfen, um mehr über das Selbstbild der Kultur zu lernen – worüber dieser Menschen lachen können, was ihre (politische) Einstellung zu manchen Themen ist oder welche aktuellen Aufhänger sie beschäftigen.
Interkulturelle Kompetenz ensteht auch auf der Metaebene, in der Kommunikation über Memes! Wir haben bereits definiert, dass Memes überwiegend über das Internet verbreitet werden. Einerseits dient das Internet als eine Art Ressourcenpool, um sich verschiedenes kulturspezifisches und interkulturelles Wissen anzueignen. Andererseits dient das Internet auch dazu, um interkulturelle Interaktionen durchzuführen.
Bolten unterscheidet zwischen verschiedenen Übungstypen und Aufgaben zum Erlernen von Interkultureller Kompetenz:
Distributive oder instruktive Methoden
Bei dieser Lernmethode wird das Internet als ebensolcher Ressourcenpool verwendet. Vor allem die Wissenserweiterung steht hier im Vordergrund. Ein Beispiel sind kulturtheoretische Vorlesungen oder Lernmodule.
E-Learning by interacting
Ist das Lernverhältnis bei distributiven Methoden eher einseitig (also von Dozierenden zu Lernenden), ist es beim E-Learning by interacting interaktiver und wechselseitiger gestaltet, sodass die Lernenden auch Eigeninitiative zeigen. Zum Beispiel bilden sie gemeinsam Arbeitsgruppen.
E-Learning by collaboration
Das E-Learning by collaboration nutzt bereits vorhandene Tools und verändert sie. „Gefordert ist dabei die Bereitschaft des Einzelnen, mit anderen Usern zusammenzuarbeiten und selbst als Impulsgeber aktiv zu werden.“ (Bolten 2010, S.101ff.). Beispielsweise Zoom als Treffpunkt für ein gemeinsames Gespräch.
In diesem Sinne stellen Memes eigentlich kein speziell zum Lernen von Interkulturalität erstelltes E-Learning dar. Eine Kommentarfunktion in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram kann aber beispielsweise dazu führen, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen in den Austausch über das Meme treten. Auch dadurch kann sich in einigen Fällen Interkulturelle Kompetenz bilden!
Im theoretischen Teil haben wir festgestellt, dass Fremdsprachenkenntnisse allein noch nicht ausreichen, um interkulturell kompetent zu sein. Angenommen wir würden alle Sprachen der in Lektion 2 aufgelisteten Memes fließend sprechen und verstehen, so hieße das noch lange nicht, dass wir auch alle Inhalte der Memes verstehen können, solange uns die Interkulturelle Kompetenz fehlt.
Doch wie erreichen wir die Interkulturelle Kompetenz und wie können wir letztlich auch die kulturellen Memes verstehen?
ÜBUNG: DEIN WEG ZUR INTERKULTURELLEN
MEME-KOMPETENZ
Suche dir aus der Lektion 2 zunächst ein Meme aus, das du aufgrund der Sprache oder dem kulturellen Inhalt nicht verstehst. Im Grunde sind nun die drei Komponenten der Interkulturellen Kompetenz notwendig, um auch interkulturell Memes zu verstehen.
Prinzipiell hast du bereits durch den Besuch dieser Seite und durch die Tatsache, dass du dich mit Interkultureller Kompetenz und generell verschiedenen Kulturen befasst, den ersten Schritt erledigt. Du zeigst dich offen und interessiert gegenüber anderen Kulturen. Stelle dir vor, du gehörst der jeweiligen Kultur deines ausgewählten Memes an. Was könntest du über bestimmte Dinge denken?
Setze dich intensiv mit der Zielkultur deines Memes auseinander. Informiere dich über die Fremdsprache und versuche das Meme mithilfe von Übersetzungstools zu übersetzen. Beschäftige dich mit dem kulturtheoretischen Wissen. Als Hilfsmittel kann dir dabei das Country Comparison Tool dienen, mit dem du das Zielland nach den jeweiligen Kulturdimensionen von Hofstede untersuchen kannst. Reflektiere die gewonnenen Erkenntnisse auch mit deiner eigenen Kultur.
Jetzt musst du dein erlerntes Wissen nur noch anwenden! Kombiniere dein theoretisches Wissen mit deiner affektiven Kompetenz. Kannst du das Meme verstehen? Sei nicht enttäuscht, wenn es nicht sofort geklappt hat. Interkulturelle Kompetenz zu erreichen geht in den meisten Fällen nicht von jetzt auf gleich. Den wichtigsten Schritt hast du alleine durch diese Übung schon gezeigt. Tausche dich eventuell mit Menschen aus, die der jeweiligen Kultur angehören. Wenn man also ein Meme nicht versteht, kann das zu Missverständnissen führen oder aber auch zum Austausch. “Wie ist der Kontext hinter diesem Meme denn gemeint, was findest du daran witzig?” Es erfolgt eine Interaktion zwischen Kulturen, Mitglieder einer Lebenswelt treten mit Mitgliedern einer anderen Lebenswelt in Kontakt und handeln gemeinschaftlich. Durch solche Erfahrungen zu wachsen und zu lernen, das stärkt auch interkulturelle Kompetenz.
PERSÖNLICHES BEISPIEL ZUR INTERKULTURELLEN KOMPETENZ: POLEN
Die vorhergehende Übung hat gezeigt, dass Interkulturelle Kompetenz leider nicht immer mit sofortiger Wirkung funktioniert. Dass Interkulturelle Kompetenz meist nur über einen längeren Zeitraum erreicht werden kann, zeigt ein persönliches Beispiel.
Ein Jahr lang habe ich 2016 in Polen gelebt. Ich habe dort unter anderem die Grundlagen der Sprache erlernt. Durch das alltägliche Leben vor Ort habe ich aber auch einen Einblick in die Kultur erhalten. Ich meine einschätzen zu können, wie Pol*innen in bestimmten Situationen reagieren oder handeln. Auch aus sprachlicher Perspektive hilft ein Auslandsaufenthalt im Vergleich zu einem klassischen Sprachkurs enorm, um zum Beispiel umgangssprachliche Ausdrücke zu erlernen. Um das obige Meme zu verstehen, war bei mir diese Grundlage gegeben.
So weiß ich, dass “w Żabce!” bedeutet, zu einem kleinen typisch polnischen Geschäft namens “Żabka” zu gehen und “browary” umgangssprachlich soviel wie Bier bedeutet. Durch meine alltäglichen Erfahrung weiß ich auch, dass auch Pol*innen gerne Geld sparen und Schnäppchen jagen. Die Bedeutung des Memes: “Wenn du hörst, dass es bei Żabka zwei Biere zum Preis von einem gibt” erschließt sich mir somit. Ohne meine gesammelten Erfahrungen auf sprachlicher sowie kultureller Ebene, könnte ich dieses Meme zuerst auf sprachlicher und schließlich auch auf kultureller Ebene nicht verstehen.
LITERATURVERZEICHNIS
Barmeyer, Christoph 2012: Taschenlexikon Interkulturalität. Göttingen.