Im Februar 1967 feierten einige Studierende des zweiten Studienjahres im Fach Physik Fasching. Dabei lief aber nicht alles reibungslos ab, sondern es wurden Schmierereien und anstößige Bilder an den Wänden entdeckt, und einige der Studierenden erschienen in unangebrachten Verkleidungen. So wurde es zumindest in einer Märzausgabe der Unizeitung der MLU berichtet. Dort hieß es, dass es einfach nicht akzeptabel sei, in einer US-Rangeruniform zur Faschingsfeier aufzutauchen.[1] Auch in späteren Ausgaben der Zeitung wurde das Thema Physiker-Fasching immer wieder aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass solche „Abweichungen von der sozialistischen Moral“ unwürdig seien.[2] Als Lösung solcher Probleme wurde die Erziehung der Studenten im Sinne der SED angesehen.[3] Die Unizeitungen der Martin-Luther-Universität Halle interessierten sich also offensichtlich stark für die Ereignisse dieser Faschingsfeier, da dieses Thema immer wieder aufgegriffen wurde.
Doch warum war dem so? Waren die Ereignisse der Feier Teil einer breiteren Protestbewegung, die es zu unterbinden galt? Gehörten sie zu einer „68er-Bewegung“ in der DDR? Gab es diese überhaupt? Beim Gedanken an das Jahr 1968 kommen zuerst die Ereignisse des Westens in den Sinn, bei denen sich eine Protestbewegung gegen das System und seine Repräsentanten, gegen „faschistische“ Strukturen und gegen den Kapitalismus richtete. Träger dieser Proteste waren vor allem Studierende. Ob es solche Proteste bzw. eine vergleichbare Bewegung in der DDR überhaupt gab, ist in der Forschung umstritten. So konstatiert beispielsweise Mareike Witkowski: „Während es in Westeuropa und in den USA zu heftigen Konflikten zwischen Teilen der Studentenschaft und der Staatsmacht kam und in der Tschechoslowakei durch reformsozialistische Ideen eine Aufbruchstimmung herrschte, blieben die Jugendlichen in der DDR ruhig. Einzige Ausnahme bildeten vereinzelte Proteste, vor allem von jungen Arbeitern, gegen den Einmarsch in Prag, die aber nur wenige Tage anhielten. ‚1968‘ schien in der DDR nicht stattgefunden zu haben.“[4]
Der Eindruck, den die Unizeitungen der MLU Halle-Wittenberg vermitteln, bestätigt diese Einschätzung. Eine genauere Analyse dieser Zeitungen zeigt aber auch, wie durch die Darstellung der damaligen Ereignisse im Westen und in anderen Ländern des Ostblocks die Leser und Leserinnen in der DDR, hier also die Studierenden in Halle, beeinflusst wurden. Der Titel dieses Textes – „Kopfdressur“ – ist von einem gleichnamigen Buch von Henrik Eberle übernommen, in dem es um die Propaganda der DDR-Regierung geht.[5] Die Unizeitungen in der DDR waren nämlich genau das: Propaganda der Partei. In einer offiziellen Definition von 1978 hieß es, Propaganda sei die „systematische Verbreitung und gründliche Erläuterung politischer, philosophischer, ökonomischer, naturwissenschaftlicher ua. Ideen.“[6] Dies bedeutete nicht Aufklärung, sondern sozialistische Erziehung. Darauf waren auch die Unizeitungen ausgerichtet, auf die Verbreitung des Marxismus-Leninismus und der Lehren des Sozialismus. Dies zeigte sich an ihren diversen Inhalten in den Jahren des Protestes: An Berichten über auffälliges Verhalten, die internationalen Konfliktzonen des Kalten Krieges oder die Protestbewegungen des Westens.
Ausgewertet wurden unter der skizzierten Perspektive die Unizeitungen der MLU Halle-Wittenberg aus den Jahren 1966 bis 1970 und die Unizeitung der Technischen Hochschule für Chemie „Carl Schorlemmer“ Leuna-Merseburg, das THC Echo, aus dem gleichen Zeitraum – beide sind heute im Universitätsarchiv Halle überliefert.
Zum Weiterlesen: Kopfdressur
[1]Universitätszeitung UZ der Martin-Luther-Universität (im Folgenden: UZ), 2. März 1967, S. 5.
[2]UZ, 16. März 1967, S. 6.
[3]UZ, 13. April 1967, S. 7.
[4] Witkowski, Mareike: Die SED und die APO – Rezeption der Studentenbewegung in der Presse der DDR, Oldenburg 2008 (= Oldenburger Beiträge zur historisch-politischen Bildung, Bd. 10), S. 9 und 11.
[5] Eberle, Henrik: Kopfdressur – Zur Propaganda der SED in der DDR, Asendorf 1994 (= Blaue aktuelle Reihe, Bd. 26).
[6] Ebd., S. 15.