Agnieszka Stasiewicz-Bieńkowska. Girls In Contemporary Vampire Fiction. Cham, Switzerland: Palgrave Macmillan, 2021, 277.
Marie-Theres Gebhardt
Mit Buffy, die Vampirjägerin (1997–2001), The Vampire Diaries (2009–2017) oder Stephanie Meyers Twilight-Saga (2005–2008) ist die Figur des Vampirs längst in der Gegenwart angekommen und scheint insbesondere junge Frauen anzusprechen. Verschiedene Studien, darunter Mia Franck (2013) und Byron und Deans (2014), führen die Faszination junger weiblicher Heranwachsender an der Figur des Vampirs, der seinerseits als Metapher für Adoleszenz verstanden werden kann, auf dessen Fähigkeit zurück, deren Ängste und Hoffnungen zu adressieren, während sie sich zwischen den Herausforderungen des Erwachsenwerdens und ihrer Suche nach Autonomie, Identität und Zugehörigkeit zurechtzufinden versuchen. Die weiblichen Heldinnen der Vampir-Fiktion bilden dabei Identifikationsfiguren für junge Frauen und können einen entsprechenden Einfluss auf deren mentale Entwicklung im Verlauf des Heranwachsens nehmen. Entsprechend birgt die Analyse vampirischer Heldinnen das Potenzial, Einblicke in die mentalen Dispositionen junger Frauen in westlichen Kulturkreisen zu eröffnen, und sollte daher für verschiedene geistes- wie auch erziehungswissenschaftliche Disziplinen von Interesse sein.
Der literarische Vampir ist bereits aus einer Vielzahl verschiedener Perspektiven erforscht worden. An junge Erwachsene gerichtete Vampirliteratur blieb jedoch lange Zeit von der Forschung unberücksichtigt, obwohl ihr mittlerweile ein entscheidender Beitrag am Wandel des Vampirs von einer Horror- und Schauerfigur zum einem literarischen Helden und idealisierten romantischen Partner zugeschrieben wird. Deborah Wilson Overstreets Not Your Mother’s Vampire: Vampires in Young Adult Fiction (2006) – worin sie sich mit der Darstellung von Menschen und Vampiren in über 20 Young-Adult-Vampir-Romanen, überwiegend aus den 1990er Jahren befasst – blieb lange Zeit die einzige einschlägige Studie zu dem Thema, bevor Vampirliteratur für junge Erwachsene mit Sam Georges und Bill Hughes’ editiertem Sammelband Open Graves, Open Minds: Representations of Vampires and the Undead from the Enlightenment to the Present Day im Jahr 2013 erstmalig weitgehende Anerkennung in der Forschung erfuhr. Auch in der zunehmenden Zahl von Studien zur Repräsentation von jungen Frauen in dystopischen, fantastischen oder mythologischen Young-Adult-Romanen blieben vampirische Heldinnen bisher unberücksichtigt. Studien wie June Pulliams Monstrous Bodies: Feminine Power in Young Adult Horror Fiction (2014) befassen sich vornehmlich mit Teenagerinnen als Geistern, Werwölfen oder Hexen und betonen, dass Frauen in Vampir-Romanen überwiegend menschlich sind, während der übernatürliche Part den männlichen Protagonisten vorbehalten bleibt. Die Politikwissenschaftlerin Agnieszka Stasiewicz-Bieńkowska betritt mit Girls in Contemporary Vampire Fiction (2021) und ihrem Forschungsinteresse an der vampirischen Protagonistin in an Teenagerinnen adressierten Romanen daher weitgehend Neuland.
Entsprechend ihres Interesses an der Verflechtung von Vampir-Sein und Teenagerin-Sein fokussiert Stasiewicz-Bieńkowska ihre Analysen auf vier Romanserien, deren Heldinnen Vampire oder Halbvampire sind oder zumindest das für Vampirromane stereotype Muster des verwundbaren, hilfsbedürftigen Mädchens, welches sich in den machtvollen, es beschützenden männlichen Vampir verliebt, herausfordern. Der engere Korpus Stasiewicz-Bieńkowskas besteht dabei aus P.C. und Kristen Casts House of Night (2009 – 2014) und deren Fortsetzung House of Night: Other World (ab 2017) sowie Richelle Meads Vampire Academy (2007 – 2010) und deren Fortsetzung Bloodlines (2011 – 2015) – Romanserien, die sich in den letzten Jahren großer Beliebtheit sowie einer wachsenden Fangemeinde erfreuten. Ihren auf den Inhalt der Romane fokussierten Analysen voran geht ein Überblick über einschlägige Forschung aus Kulturwissenschaft, Soziologie, Gender Studies. Überdies ergänzt sie ihre Analysen durch Forschungsergebnisse zu bereits untersuchter Vampir-Fiktion, insbesondere der bereits vielfach analysierten Twilight-Saga und der TV-Serien The Vampire Diaries und Buffy, und hebt so einerseits die Komplexität des Genres, andererseits den Bruch, den die von ihr ausgewählten Romanserien mit Genremustern (zumindest teilweise) vollziehen besonders hervor. Ihre Ergebnisse bindet sie schließlich in den kulturwissenschaftlichen Forschungskontext ein, sodass eine aussagekräftige Darstellung der kulturellen Bedeutung vampirischer Heldinnen in Young-Adult-Fiktion in der Formung von Denkmustern entsteht.
Im ersten Kapitel Vampire Fiction, Girls and Shame: Introduction begründet Stasiewicz-Bieńkowska ihr Forschungsinteresse und stellt eine detaillierte Übersicht über bisher existierende Forschung zu Young-Adult-Vampir-Fiktion zusammen.
Das zweite Kapitel Writing (on) Girls’ Bodies: Vampires and Embodied Girlhood befasst sich mit den Körpern der literarischen Heldinnen. Ausgangspunkt der Analysen bildet die Beobachtung, dass der vampirische Körper westliche Schönheitsideale von Makellosigkeit und ewiger Jugend repräsentiert – und so gesellschaftliche Erwartungen an die Körper junger Frauen widerspiegelt. Neben der Bedeutung von Tätowierungen als Markierung einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe wie auch als Zeichen weiblicher Emanzipation thematisiert Stasiewicz-Bieńkowska vor allem die Darstellung westlicher Schönheitsideale wie Schlankheit, Makellosigkeit und Jugend durch die Körper der Protagonistinnen, ihre Rolle als Konsumentinnen und die Bedeutung von Mode in der Identitätsfindung und Identifizierung mit bestimmten Gruppen. Besonders deutlich zeigen die Analysen, dass unrealistische Körperideale in den untersuchten Romanen weitgehend beibehalten und reproduziert werden. In diesem Zusammenhang weist Stasiewicz-Bieńkowska auf eine Öffnung des Genres für die Thematisierung der Auswirkungen unrealistischer Körperideale auf die Psyche junger Frauen hin, wobei sich Richelle Meads Vampire Academy und Bloodlines stärker darin zeigen als P.C. und Kristen Casts House of Night und House of Night: Other Worlds.
Im dritten Kapitel A Love So Strong that It Aches: (Re-)Writing Vampire Romance liegt der Fokus auf der Darstellung romantischer Beziehungen in Young-Adult-Vampir-Romanen, wobei sich durch die Analysen die Ambivalenz zwischen versuchtem Bruch mit genretypischen Erzählmustern und deren Verstärkung offenbart. So werden Klischees wie das der Vorherbestimmtheit oder Seelenverwandtschaft, nach dem es nur einen perfekten Partner für jede Person gibt, in den untersuchten Romanen weitgehend verworfen. Gleichzeitig weisen die Analysen darauf hin, dass verschiedene gesellschaftliche Normen, wie beispielsweise die der monogam-heterosexuellen Beziehung, verstärkt werden. So zeigt Stasiewicz-Bieńkowska, dass – trotz Akzeptanz von Homosexualität durch die Figuren – homosexuelle Paare lediglich am Rande existieren und größtenteils stereotyp besetzt sind. Auch der Versuch P.C. und Kristen Casts polygame Beziehungen in der matriarchalen Gesellschaft des House of Night-Universums als eine Möglichkeit, glückliche Beziehungen zu führen, zu etablieren, weist diese Beziehungsform als nicht langfristig funktional aus, sodass monogam-heterosexuelle Beziehungen in den Romanen letztendlich als chancenreichste Form einer glücklichen Beziehung präsentiert werden. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Einbezug der Reaktionen der Fangemeinde auf die polygamen Beziehungen der weiblichen Charaktere in House of Night, aus denen Stasiewicz-Bieńkowska die gesellschaftlichen Doppelstandards aussagekräftig herausarbeitet.
Daran anknüpfend befasst sich das vierte Kapitel Pangs of Pleasure, Pangs of Guilt: Girls, Sexuality and Desire mit der Darstellung junger Frauen und der Entdeckung ihrer Sexualität. Wie auch im dritten Kapitel ist die Ambivalenz zwischen einem Versuch, mit Stereotypen und Denkmustern zu brechen, und deren Aufrechterhaltung in den untersuchten Romanserien durch Stasiewicz-Bieńkowskas Ausführungen unverkennbar. So hebt die Autorin einerseits die starke Gewichtung gegenseitigen Einverständnisses zu sexuellen Handlungen sowie die Präsentation junger Frauen, die offen und selbstbewusst mit ihrer Sexualität umgehen, positiv hervor. Andererseits weisen die Analysen auf eine starke Betonung der Unterdrückung weiblicher Sexualität als Ausdruck weiblicher Tugend hin. Ebenso zeigt die Autorin wie der weibliche Umgang mit Sexualität in der Praxis des Slut-Shamings mit charakterlicher Schwäche verknüpft und dieses Denkmuster in Young-Adult-Vampir-Fiktion – hier insbesondere in House of Night – reproduziert wird. Die Analysen in diesem Kapitel offenbaren entsprechend eindeutig, dass der weibliche Umgang mit Sexualität weiterhin mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Tabus verbunden ist, deren Auflösung auch in der Literatur nur langsam vollzogen wird.
Ebenfalls bezeichnend sind Stasiewicz-Bieńkowskas Ausführungen zur Darstellung von Gewalt gegen und Vergewaltigung von Frauen in Vampir-Fiktion in Kapitel 5 Save Your Butt from Getting Raped: Girls, Vampires, Violence. In diesem Kapitel bindet die Autorin Analysen zur Twilight-Saga und der TV-Serie The Vampire Diaries verstärkt ein und verdeutlicht, dass sich Vampir-Fiktion in erschreckender Häufigkeit des Motivs der Beziehung zwischen einem Gewalttäter und dessen Opfer bedient, wobei der männliche Vampir die Rolle des Aggressors einnimmt, während die weibliche (meist menschliche) Protagonistin in die Rolle des von ihm abhängigen Opfers gedrängt wird und die Aufgabe zugeschrieben bekommt, das Monster zu zähmen. Belohnt wird sie schließlich mit einem geläuterten Gewalttäter, der ihr nicht nur ein materiell besseres Leben als zuvor bietet sondern zusätzlich als ihre einzig wahre Liebe in Erscheinung tritt – ein Schema, das jungen Leserinnen die Botschaft vermittelt, Frauen hätten männliche Gewalt zu akzeptieren, gar gewalttätige Männer vor sich selbst zu retten, ihnen anschließend zu vergeben und sie zu lieben.
In ihrer weiteren Analyse zeigt Stasiewicz-Bieńkowska allerdings, dass sich sowohl House of Night, House of Night: Other Worlds, Vampire Academy als auch Bloodlines deutlich von diesem Erzählschema abgrenzen. In diesem Zusammenhang beleuchtet sie die Metapher des vampirischen Blutkonsums sowie die Darstellung von physischer und psychischer Gewalt gegen junge Frauen, das daraus entstehenden Trauma und den Umgang der Opfer mit diesem und hebt dabei besonders die Emanzipation der Protagonistinnen hervor. Zugleich verdeutlichen Stasiewicz-Bieńkowskas Analysen die Problematik der Erklärungsmythen für Gewalttaten von Männern gegen Frauen, welche trotz starker Abgrenzung der Romane von benanntem Erzählschema nicht vollständig verschwinden, sodass auch dieses Kapitel die sich bereits in den vorangegangenen Kapiteln abzeichnende Schwierigkeit, mit etablierten Denkmustern zu brechen, bestätigt.
Im sechsten Kapitel Biting into Books: Supernatural Schoolgirls and Academic Performance ihres Buches widmet sich Stasiewicz-Bieńkowska den Themen Schule und Unterricht in Young-Adult-Vampir-Fiktion. Ihre Analysen heben dabei die Prägung der Bildungsthematik durch Stereotype hervor, welche besonders am Fächerkanon der Vampirschulen, die auf geisteswissenschaftlich-künstlerische Bereiche ausgelegt sind, sowie an der Differenzierung zwischen männlicher Bildung als Ergebnis eigener Fähigkeiten und weiblicher Bildung als Geschenk höherer Mächte – insbesondere in House of Night –, deutlich wird. Besonders stellt die Autorin in diesem Kapitel die Bedeutung der Protagonistinnen als Identifikationsfiguren für junge Leserinnen heraus und kritisiert den Mangel an naturwissenschaftlich interessierten weiblichen Charakteren.
In ihrer Conclusion widmet sich Stasiewicz-Bieńkowska der Bedeutung literarischer Narrative als Möglichkeit zur Beeinflussung gesellschaftlicher Denkmuster. Dabei rekapituliert sie ihre Analysen und kommentiert ihre Ergebnisse im Hinblick auf deren gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung. Sie weist überdies erneut auf die Komplexität des Genres Vampir-Fiktion in der Gegenwart hin und konstatiert, dass dieses einerseits Genderstereotype stark reproduzierte, die in Girls in Contemporary Vampire Fiction analysierten Werke jedoch auf einen Wandel innerhalb des Genres hindeutete und jungen Leserinnen neue Sichtweisen auf Weiblichkeit und Frau-Sein eröffnen. In diesem Zusammenhang betont sie die Bedeutung der Darstellung der weiblichen Heldinnen als aktiv Handelnde, die ihre eigene Geschichte schreiben und erzählen. Stasiewicz-Bieńkowska gelingt es in beeindruckender Weise, einen übersichtlichen und zugleich ausführlichen Einstieg in die Thematik vampirischer Heldinnen in Young-Adult-Fiktion darzubieten. Besonders gelungen erscheint dabei die Einbindung kulturwissenschaftlicher Forschung in die Roman-Analysen. So stechen besonders die Verknüpfungen zu Studien auf den Gebieten der Gender Studies hervor und verdeutlichen die Komplexität und Ambivalenz der sich in der Literatur widerspiegelnden Denkmuster über Weiblichkeit und Teenagerin-Sein in der westlichen Welt. Stasiewicz-Bieńkowska zeigt dabei auf, inwiefern literarische Vampire verschiedene gesellschaftliche Stereotype forcieren und zum Erhalt patriarchaler Gesellschaftsstrukturen beitragen können. Gleichzeitig verdeutlichen ihre Analysen gegenwärtige Entwicklungen im untersuchten Genre und offenbaren Tendenzen, innerhalb derer versucht wird mit bekannten Denkmustern zu brechen, sodass die Autorin zu dem Ergebnis kommt, dass vampirische Heldinnen das Potenzial bergen, jungen Frauen die Möglichkeit zu eröffnen, gängige Narrative und Denkmuster zu hinterfragen und neu zu definieren.