Clara Schöttler
Fackeln im Baumwollfeld
Ein ganz gewöhnlicher Lucky-Luke-Comic?
Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahr 1946, feiert die Comic-Reihe Lucky Luke mittlerweile ihren 78. Geburtstag. In diesem Zeitraum von 78 Jahren ergaben sich einige Veränderungen rund um die Comic-Reihe. Von Verlagswechseln über neue Autoren bis zum Tod ihres Schöpfers Morris[1] blieb es nicht aus, dass sich die Reihe auch für das Publikum merklich wandelte, was sich besonders in den letzten Bänden und den Hommagen widerspiegelt. Neben stilistischen Änderungen fallen dabei vor allem inhaltliche Entwicklungen auf: So ist Lucky Luke mittlerweile Nichtraucher, verlässt hin und wieder seine Heimat, den Wilden Westen, und gebraucht seine Waffe auch nicht mehr zum Töten, sondern höchstens, um seine Gegner zu entwaffnen.
Comic-Reihen folgen gewissen Leitlinien und haben einen gesetzten Rahmen für mögliche Anspielungen oder ‚Gags‘, jedoch unterliegen sie, gerade wenn sie über mehrere Jahre fortgeführt werden, dem jeweils aktuellen Zeitgeist. Comics sind genau wie Bücher oder Filme ein Abbild ihrer Entstehungszeit und haben entsprechende Anforderungen der zeitgenössischen Gesellschaft zu bewältigen — ein möglicherweise entscheidender Grund für die oben erwähnten Modulationen der Hauptfigur. Dennoch war es in den Allgemeinwerken zu Comics[2] bisher gang und gäbe, Lucky Luke ebenso wie andere Comic-Reihen als gesamtes Werk einem bestimmten Genre zuzuordnen. Ob dieses pauschale Vorgehen angesichts der Wandelbarkeit eines solchen Gesamtwerkes sinnvoll erscheint, ist infrage zu stellen.
Möchte man die Lucky-Luke-Comics einem Genre zuordnen, so fällt die erste Assoziation vermutlich auf den Western. Dass damit jedoch einhergeht, dass der Stoff auf einem Stück wahrer Zeitgeschichte beruht, ist im ersten Moment häufig nicht so präsent, weil die Klischeebilder dieses Genres gedanklich überwiegen. Der Umstand, dass in Lucky Luke jedoch regelmäßig historische Personen und Ereignisse aufgegriffen werden, lässt die Frage nach dem Genre und damit einhergehend die Frage nach dem Anspruch auf historisch-empirische Triftigkeit (ich benutze diesen Begriff in Abgrenzung zum Begriff der „historischen Authentizität“, weil mir dieser – angesichts der Tatsache, dass rekonstruierte Geschichte niemals die Anforderungen richtiger Authentizität erfüllen kann – irreführend erscheint) vielschichtiger werden. Das wohl bekannteste Beispiel für den Rückgriff auf historische Figuren in dieser Comic-Reihe dürfte die Bande der Daltons darstellen. Darüber hinaus finden sich im Comic Personen wie Calamity Jane oder Billy the Kid, und es wurden auch schon historische Fixpunkte unserer Zeitgeschichte wie zuletzt etwa der Bau der Freiheitsstatue (Bd. 97: Ein Cowboy in Paris) verarbeitet.
Geschichtscomics (nach der Definition von Mounajed)[3], die sich historischen Ereignissen oder Personen widmen, sind als Subgenre der Kunstgattung Comic besonders beliebt. Beispiele hierfür wären etwa Spiegelmans Maus oder Uderzos Asterix und Obelix. Diese zwei Beispiele greifen zwar historische Ereignisse auf, dennoch wäre es nicht stimmig, beide dem gleichen Typus innerhalb der Comics mit historischem Inhalt zuzuordnen. Entsprechend gibt es in der Diskussion um Comics, die Rückgriffe auf historische Ereignisse vornehmen, eine Reihe von Genreabgrenzungen. Ausschlaggebend für die Einordnung eines Comics ist dabei seine Verarbeitung des historischen Stoffs.
Eine Genrezuordnung von Lucky Luke wurde in der Forschung schon mehrfach durchgeführt: In Comics und Graphic Novels wird die Reihe beispielsweise in der Liste der wichtigsten ‚Funnies‘ in Amerika und Europa aufgeführt.[4] Das Genre Funny enthält Abel und Klein zufolge „eine humoristische Handlung“ und zeichnet sich durch eine „cartooneske Figurendarstellung“ aus.[5] In Pandels geschichtsdidaktischem Kategorien-Modell heißt es zudem, dass Funnies „in sehr unbestimmter Weise Bezug auf die Vergangenheit“ nehmen und „ihre Referenz auf Historie […] in klischeehaften Verweisen“ besteht.[6]
Munier definiert Lucky Luke als ‚Geschichtsgroteske /-parodie‘. Ihm zufolge leben die Comics zwar „vom Sinnbezug auf historisch Überliefertes“,[7] sie sind jedoch „kaum je ernsthaft auf historische Realität im Detail bezogen“. Nach Mounajeds Typologie wäre die Reihe vermutlich in den „Geschichts-Fantasiecomics“ zu finden. Auch in diesem Typus ist Unterhaltung die zentrale Absicht, Quellenrecherchen sind meist nicht Teil des Entstehungsprozesses. In Bezug auf historisches Lernen als „Zuwachs von Sachkompetenz“ sei diese Comic-Art nicht zu gebrauchen.[8] Mounajed schlägt als gegenteilige Kategorie die „Geschichts-Sachcomics“ vor, die den Anspruch haben, Geschichte historisch triftig zu erzählen, wofür eine Recherche unabdingbar ist. Darüber hinaus nennt er den „Geschichts-Romancomic“ als Mischform, „die sowohl unterhalten als auch historisch triftig erzählen [will]“.[9] Durchgehend wird Lucky Luke hinsichtlich der geschichtlichen Aufarbeitung im unernsten/parodistischen Bereich eingeordnet. Ob besagte Definitionen allerdings auch in Bezug auf den 99. Band Fackeln im Baumwollfeld (im Original Un cow-boy dans le cotton) zutreffen, soll am Ende dieser Arbeit diskutiert werden. Der 2020 erschienene Band – getextet von Julien Lucien Berjeaut (Künstlername Jul), illustriert von Hervé Darmenton (Künstlername Achdé) und übersetzt von Klaus Jöken – zeichnet sich durch seinen besonderen Umgang mit historischen Quellen aus und positioniert sich auffällig politisch in zeitgenössischen Diskursen: Dafür spricht insbesondere der erstmalige Aufgriff eines Schwarzen[10] Cowboys sowie die Darstellung von Rassismus und Gewalt. Hierbei erscheint auch die Beobachtung aufschlussreich, dass der Kampf der zwei zentralen Parteien des Werkes (Ku-Klux-Klan gegen ehemals Versklavte) nicht in einem eindeutigen Sieg der Unterdrückten endet, sondern durch ein Naturereignis unterbrochen und dadurch zufallsbedingt entschieden wird.
Vor diesem Hintergrund soll in dieser Arbeit folgende Frage untersucht werden: Werden die Termini der Comic-Forschung ‚Funny‘, ‚Geschichtsparodie‘ oder ‚Geschichtsgroteske‘ dem zu behandelnden Comic gerecht oder ist er vielleicht ein Ausnahmewerk in der eigenen Reihe? Für die Beantwortung dieser Frage soll die Behandlung folgender Nebenfragen als Stütze dienen: Bewegt sich der Comic nur an der Oberfläche der Historie, indem historische Figuren nur des Gags wegen auftauchen, oder geht er so in die Tiefe, dass er schon geschichtliches Wissen vermitteln kann? Was vermittelt einem der Comic in Bezug auf den (aktuellen) Umgang mit Rassismus und lässt sich anhand dessen eine Positionierung der Lucky-Luke-Reihe innerhalb der gegenwärtigen politischen Debatte herausstellen?
Der Stoff und sein historischer Hintergrund
Im nun folgenden Teil wird ein spezifischer Blick auf den Einsatz historischer Personen, Schauplätze und Ereignisse geworfen. Hier soll zunächst der jeweilige historische Hintergrund sowie dessen Umsetzung im Comic erläutert werden. Im Zentrum steht die Haupthandlung rund um Lucky Luke: Dieser gerät durch die unerwartete Erbschaft einer Baumwollplantage in den Südstaaten der USA in einen Konflikt zwischen ehemaligen Sklaven und einigen Plantagenbesitzenden. Durch seine Solidarisierung mit den Unterdrückten wird Lucky Luke Zielscheibe des Ku-Klux-Klans, aus dessen Gefangenschaft er sich nur mit fremder Hilfe, unter anderem einem Naturereignis, befreien kann. Auf Letzteres soll später genauer eingegangen werden. Die parallele Nebenhandlung der Daltons wird ausgeklammert, da sich ihr Inhalt auf geschichtliche Hintergründe abseits des Bürgerkrieges und der Sklaverei-Thematik fokussiert, die einer eigenen Arbeit bedürften.
Bass Reeves
Der erste Schauplatz des Geschehens ist das kleine Dorf Nitchvoga in Kansas. Wir befinden uns also in gewohntem Territorium, dem Wilden Westen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Klischeebedienend, so wie man es aus Hollywoodwestern kennt, dargestellt mit Saloons, Pferden und später auch Kutschen. Lucky Luke trifft dort in einer Kneipe auf seinen alten Freund Bass Reeves. Die Figur basiert auf dem gleichnamigen Schwarzen Marshall, der zwischen 1838 und 1910 lebte. Der historische Bass Reeves wurde in Arkansas als Sklave geboren, seine Familie unterstand William Reeves.
Mutmaßlich brach bei einem Kartenspiel ein Streit zwischen dem Sklaven und seinem Herrn aus und der junge Reeves flüchtete sich in ein ‚Indianerreservat‘.[11] Bei den indigenen Völkern lernte er Muscogee, die Sprache der Creeks und Seminolen, und auch mit den anderen fünf Stämmen, die das Gebiet bewohnten, konnte er sich einigermaßen gut verständigen.[12] Diese Kenntnisse führten dazu, dass er im Jahr 1875 zum Deputy Marshal ernannt wurde und für 32 Jahre als Gesetzeshüter in verschiedenen Reservaten tätig war. Burton zufolge war Reeves zwar nicht „the only African American deputy who worked the Indian and Oklahoma territories, but he became the most famous of them all during his lifetime“.[13] Afroamerikaner wurden als Hilfsmarshalls im Territorium der Indigenen eingestellt, weil sie (Burton zufolge) mit den Sprachen und Bräuchen dieser vertraut waren.[14]
Im 99. Band von Lucky Luke nimmt Bass Reeves eine besondere Rolle ein, denn er ist es, der im entscheidenden Moment gegen Ende des Comics als rettende Instanz auftritt. In seiner ersten Handlung im Comic schreitet er mit ruhiger Miene, die gefesselten Daltons voran, zum Tresen des Saloons, womit er gleich zu Beginn einen bleibenden Eindruck bei den Lesenden hinterlässt. Der echte Bass Reeves war tatsächlich einmal auf der Jagd nach der Dalton-Bande – genauer gesagt nach den Brüdern Grattan, Bob und Emmett – nachdem diese am 1. Juni 1892 den Santa-Fe-Zug in Red Rock bei Oklahoma überfallen hatten.[15] Insofern kann dieser Szene ein gewisses Maß historischer Triftigkeit zugesprochen werden.
Während sich Bass kurz darauf mit seinem Freund Luke unterhält, erklärt der Wirt einem erstaunten Gast, dass es sich bei dem „Schwarzen Sheriff“ um den „beste[n] Marshalwestlich des Mississippi“[16] handle. Er beschreibt ihn zudem als „erstklassige[n] Schütze[n], der schon tausende Banditen verhaftet hat“. Auch diese Aussage stimmt mit den Daten Bass Reeves’ überein: Im Laufe seiner Amtszeit verhaftete der Deputy über 3000 Gesetzlose. Aus dem darauffolgenden Gespräch mit einem Cherokee geht außerdem hervor, dass der Hilfsmarshall die Sprache dieses Stammes versteht, woraufhin Luke von Reeves’ Aufenthalt bei den Cherokee und Seminolen erzählt, was ebenfalls mit der Biographie der historischen Figur übereinstimmt. Als das Thema der Erbschaft aufkommt, weist der Schwarze Cowboy auf die Wirtschaft mit Baumwolle sowie die Nachwirkungen des Bürgerkrieges im Süden hin. Er betont hier, dass ihn „keine zehn Pferde zurück in die Südstaaten“ bringen würden. Der Bürgerkrieg sei zwar vorbei und die Sklaverei abgeschafft, aber die Narben seien noch frisch (F, 7). Abgesehen von seiner Zeit bei George Reeves und seinem Aufenthalt im nördlichen Cherokee Territorium ist nicht eindeutig zu sagen, welche Rolle Bass Reeves im Bürgerkrieg einnahm. Eventuell diente er Burton zufolge als Sergeant in der Unionsarmee.[17]
Blickt man auf den gesamten Comic, so liegt hier jedoch ein grundsätzlicher Anachronismus vor: Luke erfährt in einem Gespräch mit den Angestellten, dass die Sklaverei „vor fünf Jahren abgeschafft wurde“ (F, 17) – folglich findet die Handlung des Comics (geht man vom Datum des 13. Verfassungszusatzes, dem 31. Januar 1865, aus) um 1870 statt. Dieses Jahr steht im Einklang mit der ersten Wirkungsphase des Ku-Klux-Klans, der ebenfalls Eingang in diesen Comic gefunden hat. Der historische Klan trat zunächst zwischen 1866 und 1872 auf. Bass Reeves wurde allerdings erst 1875 zum Hilfsmarshall ernannt. Somit ist die Comicfigur Bass Reeves ihrem historischen Vorbild voraus.
Der Gesamteindruck, den die Adaption des historischen Bass Reeves’ bei den Lesenden hinterlässt, ist positiv: Sein erster Auftritt besteht aus einer Verhaftung der Daltons, den prominentesten Schurken der Lucky-Luke-Comics, was bei der Leserschaft vermutlich für Beliebtheit sorgt. Auch seine bildliche Darstellung deutet auf einen Charakter der ‚guten‘ Seite hin: Er wird vorwiegend mit lachendem Mund und geschlossenen Augen dargestellt. In den Dialogen mit Lucky Luke werden außerdem seine Kompetenzen und sein Wesen hervorgehoben: Man nimmt ihn als bestimmten, gesetzestreuen, jedoch bescheidenen Mann wahr, der viel Wissen und Erfahrung vorweisen kann, etwa im Gespräch mit dem Cherokee oder in seiner Erzählung über „das weiße Gold“ (F, 5 f.) und die anhaltenden Krisen in den Südstaaten. Auch als er Lucky Luke aus den Fängen des Ku-Klux-Klans befreit, tritt er gelassen auf. Mit drei gezielten Schüssen befreit er Luke von seinen Fesseln und entwaffnet sowohl den Antagonisten ‚QQ‘ (so wird der Plantagenbesitzer Quincy Quaterhouse von den ehemaligen Sklaven genannt [F, 18 & 20]) als auch Joe Dalton. Mit erhobenem Kinn schreitet er aus dem Gebüsch und bestimmt: „Die Party ist vorbei. Alle brav nach Hause“ (F, 39). Hier sei jedoch angemerkt, dass es Lucky Luke und Bass Reeves bei der finalen Auseinandersetzung selbst mit der Unterstützung der ehemaligen Sklaven und der Daltons nicht gelingt, die Ku-Klux[18] zu besiegen. Erst der Ausbruch eines Hurrikans als eine Art Deus ex Machina [19] kann den Konflikt lösen und die Helden können fliehen.
Sezessionskrieg
In Form einer ‚Rückblende‘ werden die Lesenden mit dem historischen Kontext der Handlung vertraut gemacht. Zu sehen sind Szenen aus dem Süden der USA und die Geschehnisse des Bürgerkrieges in Form von Blocktexten und additiv illustrierenden Panels (F, 8): geschwächte Soldaten und verfallene Häuser (das Panel ist ganz in Grautönen gehalten), „reiche, weisse Familien, die einen aristokratischen Lebensstil pflegen“ (F, 8), Schwarze Arbeiter auf Tabakfeldern sowie befreite Sklaven.
Bei dem dargestellten Krieg handelt es sich um den Sezessionskrieg zwischen 1861 und 1865. Amerika war Mitte des 19. Jahrhunderts mehr gespalten als vereinigt. Während die Nordstaaten zunehmend durch die Industrie profitierten, florierte der Süden hauptsächlich durch Land- und insbesondere Plantagenwirtschaft, wo die Versklavung zwangsverschleppter Afroamerikaner im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung des Nordens gestattet und zudem sehr verbreitet war. Die Plantagen waren im Besitz einer selbst zugeschriebenen und als solche stilisierten ‚südlichen Pflanzeraristokratie‘[20], vorwiegend bestehend aus Großgrundbesitzern. 1850 arbeiteten annähernd 2,8 Millionen Sklaven auf Farmen- und Plantagen, davon etwa 1,8 Millionen auf Baumwollplantagen, die übrigen waren hauptsächlich beim Anbau von Tabak, Reis und Zuckerrohr beschäftigt.[21] „Das Wachstum der Sklavenbevölkerung auf nahezu 4 Millionen im Jahr 1860 belegt eindrucksvoll den Grad, in dem die Sklaverei in den Südstaaten fest verwurzelt war.“[22] Im Süden herrschten Gesetze, die jeden Lebensbereich der Sklaven regelten, festgehalten im sogenannten „Sklavenkodex“, dessen Grundhaltung lautete: „Ein Sklave ist keine Person, er ist Eigentum.“[23] Dieser Sklavenkodex bestand zum Großteil aus vielen Einschränkungen für Versklavte, „um den größtmöglichen Schutz der weißen Bevölkerung zu gewährleisten und die Disziplin unter den Sklaven aufrechtzuerhalten“.[24]
Einen ersten Ansatz zur Abschaffung der Sklaverei gab es bereits zum 1. Januar 1863 in der Emanzipationsproklamation, durchgesetzt wurde sie allerdings erst am 31. Januar 1865 mit dem 13. Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten. Bezogen auf die Diskriminierung der Schwarzen Bevölkerung sah der Nachkriegssüden dem Vorkriegssüden Ibram Kendi zufolge „zum Verwechseln ähnlich“:[25] „[D]a der 13. Verfassungszusatz die Sklaverei verbot, ,außer als Strafe für ein Verbrechen‘, ersetzte nun das Gesetz den Herrn.“ Weil die weißen Südstaatler außerdem um ihre Herrschaft über die Schwarzen fürchteten, entstanden unter Präsident Johnson neue Gesetze zur Kontrolle der ehemaligen Sklaven. „Diese Gesetze, Black Codes genannt, wiesen verblüffende Übereinstimmungen mit der Sklavengesetzgebung (Sklavenkodex) der Vorkriegszeit auf […]“.[26]Die Jim-Crow-Gesetze, die zu dieser Zeit verabschiedet wurden, besiegelten die Trennung zwischen Schwarz und weiß schließlich vorerst.
Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Szene aus Fackeln im Baumwollfeld lesen: Lucky Luke hindert zwei Männer, die sich als Handlanger des Antagonisten (QQ) herausstellen, an der Schikane eines Schwarzen Jungen und schlägt sie in die Flucht. Dabei empören sich die Angreifer darüber, dass ihre Niederlage genau wie im Konflikt mit dem Norden nur an mangelnder Ausrüstung gelegen habe, was sich mit den Ereignissen des Krieges deckt.[27] Bei seinem geerbten Grundstück, der Pinkwater Plantage, kommt Luke ins Gespräch mit Socrates, einem ehemals Angestellten der Erblasserin. Von ihm erfährt der Cowboy, dass in den letzten Tagen mehrere Schwarze aus der Gemeinde getötet wurden, woraufhin Luke die Fassung verliert und diese Vorfälle „abscheuliche Verbrechen“ (F, 16) nennt.
Auch das Thema Religion wird nicht ausgespart. Aufgrund seiner solidarischen Haltung mit den ehemaligen Sklaven wird Lucky Luke als Außenstehender, als er seine Erbschaft zum ersten Mal besucht, zuerst Mistrauen entgegengebracht. Die Angestellte Angela wirft ihm gar vor, sich wie ein Heiliger aufzuführen, der den ehemaligen Sklaven sein Evangelium vortragen will. Ein Vorwurf, der nicht von irgendwo kommt, schließlich versuchten Plantagenbesitzer auch die Kirche zur Aufrechterhaltung der Institution der Sklaverei zu benutzen. Was ihnen auch gelang – sie wurde in den letzten drei Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg zu einem der stärksten Verbündeten der Sklavenhalter.[28] So heißt es bei Moss zur Situation der Schwarzen: „[…] die Sklaven, die Zuflucht und Trost in der Unterweisung im Glauben bei weißen Geistlichen gefunden hatten, hatten nun allen Grund zu meinen, daß sie von einem Feind in die Falle gelockt worden waren, der ihnen vorher seine Freundschaft angeboten hatte.“[29]
Im Comic erkennt Lucky Luke die angespannte Stimmung und verspricht, das Land unter den Angestellten aufzuteilen, womit die unverhältnismäßige Landverteilung im Krieg und seiner Folgezeit aufgegriffen wird: Wann immer es in den ersten Jahren des Krieges um die Verteilung von Grund und Boden ging, wurden weiße, kriegführende Konföderierte im Gegensatz zu Schwarzen Zivilist:innen bevorzugt:[30] „[s]eit die amerikanische Regierung 1863 begonnen hatte, konfisziertes und aufgelassenes Land an Privatleute zu verkaufen, waren über 90 Prozent an Weiße der Nordstaaten gefallen – gegen den verbreiteten Protest der ortsansässigen Schwarzen.“[31]
Rassismus
Die Klasse der Plantagenbesitzer wird im Comic in stereotypischer Form durch Quincy Quaterhouse repräsentiert. Dieser trägt Frack und Hut, hält einen Gehstock mit Goldknauf und erscheint in einer Kutsche. Aus einer Unterhaltung mit Lucky Luke geht hervor, dass der Plantagenbesitzer eine bestimmte Vorstellung bezüglich der Landverteilung und Eigentumsverhältnisse zwischen Schwarz und weiß hat. Er meint Luke gegenüber: „So ein schönes Anwesen darf man nicht der Anarchie der Schwarzen überlassen“ und betont: „Wir konnten uns keinen besseren Erben wünschen. Einen tatkräftigen Mann, der nicht davor zurückschreckt, von der Waffe Gebrauch zu machen“ (F, 19). Während er diese Worte spricht, tauscht Luke böse Blicke (gekennzeichnet durch einen Blitz) mit einem der Handlanger QQs, mit dem er am selben Tag schon die Auseinandersetzung wegen des kleinen Jungen hatte. Für die Lesenden bestätigt sich der Verdacht, dass QQ rassistisch und gewalttätig handelt, als Luke von Socrates erfährt, dass der Plantagenbesitzer seinen Sklaven die eigenen Initialen „mit glühenden Eisen in die Haut gebrannt“ (F, 20) hat. Auch hier bewegt sich der Comic nah an der bezeugten Historie, denn um die wirksame Durchsetzung und Ausführung des Sklavenkodex zu sichern, wurde in den USA ein umfassender Mechanismus in Gang gesetzt. Manche Staaten regelten die Regelverstöße ihrer Sklaven durch Gerichte, woanders wurden zur Kontrolle sogenannte Sklaventribunale eingerichtet. Eine gängige Strafe für kleinere Vergehen war die Peitsche, Brandmarkung wurde hingegen bei schwereren Vergehen eingesetzt.[32] So wie vor Quincy Quaterhouse gewarnt wurde und wie Socrates ihn beschreibt, klingt es allerdings, als würde QQ seine Initialen ausnahmslos jedem seiner Sklaven einbrennen.
Als Lucky Luke beim Empfang auf der Sycamore Plantation auf die führenden Familien Louisianas trifft, wird deutlich, wie extrem das rassistische Gedankengut im Leben der wohlhabenden Südstaatler:innen verankert ist. So lautet die erste Frage an den Cowboy: „Haben Sie viele Rothäute getötet?“. Dabei schwirren der jungen Frau, die diese Frage stellt, kleine Herzchen um den Kopf (vgl. F, 29). Kurz darauf schildert ihm ein schnauzbärtiger Mann namens Trevor entrüstet und abfällig von einer Begegnung mit einem Schwarzen, der sich am Bahnhof in denselben Waggon wie er setzen wollte und ihn sogar gegrüßt hatte, bevor er angesprochen wurde. Eine dabeistehende Frau kommentiert die Erzählung mit „Entsetzlich!“ und „Zum Fürchten!!“. Dabei wird durch die graphische Darstellung in gewisser Weise kurz der Fiktionsrahmen durchbrochen, denn die Frau blickt geradewegs aus den Seiten heraus. Es scheint, als würde sie ihre Erschütterung mit den Lesenden teilen wollen. Dadurch, dass eine zweite Frau diese Furcht im nächsten Atemzug mit den ‚Gefahren des Wilden Westens‘ vergleicht, wirkt die Szenerie auf absurde Weise komisch. QQ kommentiert das Ganze mit dem Wunsch nach Gesetzen zur Trennung von Weißen und Schwarzen – eine Anspielung auf die Jim-Crow-Gesetze, die in den 1870ern verabschiedet wurden und bis in die 1960er Jahre anhalten sollten.[33]
Trevor lenkt die Unterhaltung nun heiter wieder zu dem Vorfall am Bahnhof. Seinem Bericht zufolge sei der Schwarze verprügelt worden und habe den Zug verlassen. Eine danebenstehende Frau greift die Erzählung auf. Sie fände es „unerträglich, wenn gelyncht wird“. Das hielte immer so lange auf. Dabei lassen ihre Körperhaltung und ihr Gesichtsausdruck darauf schließen, dass sie der Gewalt, von der sie spricht, mit Gleichgültigkeit begegnet. Das Lynchen, bzw. die Lynchjustiz ist eine Form der Selbstjustiz, bei der die Opfer spontan und ohne Gerichtsurteil, meist von einer Menschenmasse, hingerichtet oder misshandelt wurden. Mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte dieser Gewaltakt eine Hochphase.[34] Indem Lucky Luke an dieser Stelle starkes Missfallen mit dem Rassismus der feinen Gesellschaft zum Ausdruck bringt, zieht er deren Zorn auf sich. Von Quaterhouse einberufen, erscheinen am gleichen Abend vermummte Personen auf Lukes Anwesen.
Der Ku-Klux-Klan
Der Ku-Klux-Klan war und ist ein rassistisch-terroristischer Geheimbund, der erstmals im Zeitraum der Reconstruction zwischen 1866 und 1871/72 agierte. In dieser Zeit tötete er hunderte Schwarze Südstaatler und deren weiße Unterstützer[35], missbrauchte hunderte Schwarze – männlich wie weiblich – sexuell, vertrieb tausende Schwarze Familien aus ihrer Heimat und von ihrer Arbeit und eignete sich überdies in großem Umfang deren Land, Ernten, Waffen, Vieh und Lebensmittel an.[36] Der Klan verschwand seitdem nie vollständig, vereinzelt trat er auch nach 1872 noch auf. Seine zweite Hochphase erlebte er erst Jahrzehnte später – in der Zeit des ersten Weltkriegs. Tatsächlich war der Klan nicht die einzige Gruppierung, die sich in der Nachkriegszeit gründete, um unter dem Vorsatz der ‚Überlegenheit der weißen Rasse‘ Gewalt gegen Schwarze auszuüben.[37] Die Gewalt wurde außerdem durch die Angst der weißen vor einem Machtverlust befeuert: „After the war […] whites feared that black southerners, in small ways or large, would overpower them and demand resources and rights“.[38]
Der Klan nimmt im Comic eine tragende Rolle ein. So wird beispielsweise ein Treffen der Geheimgesellschaft, bestehend aus Teilnehmern des Empfangs, ausgiebig geschildert: An der Wand eines Raumes mit großem Tisch blickt man auf das Portrait eines bärtigen Mannes. Es trägt die Überschrift „Unser erster Großer Hexenmeister“ und ist mit dem Namen „Nathan B. Forrest“ versehen — der Name des mutmaßlichen Gründers des ersten Ku-Klux-Klans.[39] Das Gemälde ist an eine reale Fotografie seiner Person angelehnt:
Im Comic ist Quincy Quaterhouse, der Anführer des Ku-Klux-Klans, auch Besitzer einer Baumwollplantage. Wenn man bedenkt, dass die Abschaffung der Sklaverei besonders Plantagenbesitzer:innen betraf, könnte man glauben, dass sich der Klan vorwiegend aus jenen rekrutierte. Tatsächlich wurde er aber nicht von Plantagenbesitzern aus dem Süden gegründet, sondern stattdessen von politisch gemäßigten, eher kosmopolitischen Berufstätigen aus den Grenzstaaten. Diese jungen Männer, die mit dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruch des Südens nach dem Krieg konfrontiert waren, entwickelten den Klan als Ablenkung.[41] Folglich ist die Besetzung eines Plantagenbesitzers als Anführer des Klans ausgehend von dem Fakt, dass die Sklaverei abgeschafft wurde, eher klischeehaft geschlussfolgert als realitätsnah. Im Vergleich zwischen der fiktiven Version des Klans mit seinem realen Vorbild erscheint die Organisationsstruktur in der Realität zudem weniger ausgefeilt als im Comic. Zwar ist bekannt, dass Mitglieder an konspirativen Treffen teilnahmen und über ein gewisses Netzwerk verfügten, eine ausgeklügelte Organisation der lokalen Gruppen ist jedoch nicht eindeutig belegt. Auch über die Mitglieder ist wenig bekannt: Einzelne Briefe und Listen existieren zwar, doch um das gesellschaftliche Bild zu legitimieren, müsste es mehr Material geben.[42]
Die Ku-Klux tragen in den Panels allesamt weiße Gewänder mit gelb-goldenen Kreuzen darauf – alle bis auf QQ. Dieser trägt ein rotes Gewand, an dessen Kutte Bart, Augenbrauen und Nase befestigt sind (siehe Abb.4). Auf der spitzen Kapuze prangt ein umgedrehtes Kreuz, darüber steht die Kurzform des Klans mit den drei K. Heutzutage verbindet man den Ku-Klux-Klan häufig mit weißen Roben und spitzen Kapuzen. Tatsächlich waren die Kostüme des ersten Klans aber weitaus individueller – es ist die zweite Formation des Ku-Klux-Klans, die eher uniform auftrat. In der Zeit der Reconstruction verkleideten sich die Ku-Klux unter anderem sogar als Tiere oder zogen Frauenkleider an: „Costumes ranged from lavish gowns and headpieces with matching disguises for horses to a piece of cheap cloth over the face. Some Ku-Klux wore pants with short jackets or a normal suit of men’s clothing turned inside out.“[43] Unter anderem kamen falsche Bärte, Quasten, reflektierendes Metall, Tierfell, rote Mützen und Strümpfe oder Hörner zum Einsatz.[44] Dass die Daltons den Klan für „Indianer“ (F, 37) halten, ist auch nicht allzu abwegig, denn auch indigene Völker wurden von den Mitgliedern gemimt.[45] Von der Individualität der Verkleidungen sieht man im Comic jedoch nicht sonderlich viel. QQ ist der einzige mit einem gefärbten und aufwendig präparierten Kostüm.[46] Nur vereinzelte Kostüme der übrigen Ku-Klux weisen Hörner auf.
Dass der Klan einen nächtlichen Überfall auf Luke plant, ist nicht weit hergeholt, denn ein „private nighttime attack […] would be the form of collective violence most closely associated with the Reconstruction era.“[48] In Fackeln im Baumwollfeld gestaltet sich dieser nächtliche Überfall in Form einer Geiselnahme und Entführung. Anschließend sollen Angela und Luke auf einer Lichtung, in dessen Mitte ein brennendes Kreuz steht, auf einem Scheiterhaufen brennen. Auch hier liegt ein Anachronismus vor, denn die cross-burning ceremony etablierte sich erst mit der zweiten Entstehung des Ku-Klux-Klans.[49]
Intermediale Bezüge
Abgesehen von historischen Persönlichkeiten und Gruppierungen der Nachkriegszeit werden in Fackeln im Baumwollfeld zahlreiche intermediale und zeitübergreifende Anspielungen gemacht. Bereits der (deutsche) Titel „Fackeln im Baumwollfeld“ ist eine sprachliche Allusion, die sich auf die Serie Fackeln im Sturm aus den 1980ern bezieht. Die Serie thematisiert die Ereignisse zweier Familien rund um den amerikanischen Bürgerkrieg. Mit diesem Vorwissen und der entsprechenden Assoziation werden die Rezipierenden in den historischen Kontext eingeführt. So liest sich auch das Cover als Ankündigung der folgenden Geschichte: Lucky Luke und ein Schwarzer Cowboy stehen bewaffnet in einem Baumwollfeld. Im Hintergrund sind vier Gestalten mit weißen, spitzen Kostümen, Fackeln und Gewehren auszumachen — Mitglieder des Ku-Klux-Klans.
Ein weiterer intermediale Bezug findet sich auf den Seiten acht bis neun: Auf seinem Weg in den Süden trifft Lucky Luke zwei Jungen namens Huckleberry Finn und Tom Sawyer, die das Ziel verfolgen, jemanden zu finden, der ihre Abenteuer erzählt. Sie sind eine Anspielung auf die zwei gleichnamigen Protagonisten aus dem Roman von Mark Twain, erschienen im Jahr 1876.
Auch in der darauffolgenden Szenerie rund um die Daltons gibt es in nur einem Panel zahlreiche Anspielungen auf literarische Werke, die vorwiegend rund um die 1860er und 70er Jahre entstanden sind, wie etwa Onkel Toms Hütte, „eines der erfolgreichsten populärkulturellen Produkte des Abolitionismus“[50] von Harriet Beecher Stowe, erschienen im Jahr 1852.[51] Nach dem erfolgreichen Überfall der Daltons auf einen Kutscher, wird dieser auf dem Schlusspanel auf dem Rücken liegend gezeigt. Seine bedauernswerte Situation bezeichnend, liegt Schillers Die Räuber aufgeklappt auf seinem Gesicht:
Auf Seite 32 nimmt der Comic intramedial Bezug auf sich selbst, genauer gesagt auf ältere Comic-Bände der Lucky-Luke-Reihe. Abgebildet sind vier Portraits des einsamen Cowboys, die jeweils mit einer Jahreszahl versehen sind. Sie zeigen, wie sich die Darstellung des Cowboys im Laufe der Comic-Produktion verändert hat. Damit die Bilder jedoch zeitlich zu den Ereignissen in Fackeln im Baumwollfeld passen, wurden die echten Jahreszahlen (1946, 1951, 1957, 1963) um 100 Jahre vorverlegt.
Gegen Ende des Werkes, als sich der Hurrikan gelegt und Lucky Luke das Versprechen gegeben hat, die Plantage den Angestellten zu überlassen, geht es um die Zukunftsphantasien der Arbeiterkinder. Darunter befinden sich ein kleines Mädchen namens Oprah und ein kleiner Junge namens Barack. Sie möchte Journalistin, er Präsident der Vereinigten Staaten werden – ein klarer Verweis auf den 44. Präsident der Vereinigten Staaten sowie die Moderatorin Oprah Winfrey.
Dieser Bezug auf zwei gegenwärtige Persönlichkeiten leitet den letzten zeitübergreifenden Verweis ein. Während Luke und Bass in den Sonnenuntergang reiten, erzählt der Hilfsmarshall seinem Freund, dass er einen Traum über ein gerechtes Zusammenleben von Schwarzen und weißen gehabt habe. Sein kleiner Monolog ist eine Hommage an die Rede von Martin Luther King, die er 1963 im Zuge des Marschs auf Washington hielt.
Die bisherige Analyse zeigt, dass die historischen Ereignisse in der Zeit nach dem Sezessionskrieg überwiegend authentisch bzw. empirisch triftig dargestellt werden, dennoch offenbaren sich Momente, in denen die geschichtlichen Daten und Fakten der Handlung untergeordnet sind. Es werden nicht nur Personen oder Werke aufgeführt, die erst nach 1870 zutage treten, sondern auch Anspielungen gemacht, die bis in die Gegenwart reichen oder klischeehafte Vorstellungen der heutigen Zeit auf die Personenkonstellationen der damaligen Zeit übertragen.
Gestalterische Mittel des Comics
Von einer Erzählinstanz, wie man sie etwa aus einem epischen Roman kennt, kann bei einem Comic nicht die Rede sein, da sich dieser stark durch seine Bildlichkeit auszeichnet. Die Narration im Comic erfolgt somit über zwei Stimmen, genauer gesagt Instanzen. Groensteen folgend können diese als reciter und monstrator bezeichnet werden. Während der monstrator für die Umsetzung der Geschichte auf bildlicher Ebene verantwortlich ist, bildet der reciter die äquivalente Instanz auf erzählerisch-textlicher Ebene.[52] In diesem Kapitel soll es um die schriftsprachliche Umsetzung des Comics gehen. Dazu gehören u.a. auch Onomatopoetika, lautmalerische Begriffe wie ‚quiek‘ oder ‚ächz‘. Diese werden in Fackeln im Baumwollfeld nur partiell eingesetzt, meist im Kontext mit physischer Gewalt. Ist eine Person sehr aufgewühlt, wird die Schrift immer fetter und es kommen mehr Frage- und/oder Ausrufezeichen dazu.
Bei Schauplatzwechseln oder Zeitsprüngen wird zur Orientierung häufig Blocktext eingebracht, im Fall von Lucky Luke gelbe Textkästen. Betrachtet man diese ‚Voice-Over-Kommentare‘ isoliert als Erzähltexte, so kann durchaus von einer Erzählinstanz der oben genannten Art gesprochen werden. Der reciter äußert sich in diesem Fall in Form einer auktorialen Erzählinstanz nach Franz Stanzel, die nicht an eine Person, einen Zeitpunkt oder einen Schauplatz gebunden ist. Der Stil in Fackeln im Baumwollfeld ist zwar dokumentarisch, dennoch finden sich hin und wieder Sätze oder Ausdrücke, die die Vergangenheit nicht nur schildern, sondern auch bewertend kommentieren: In seinen Schilderungen über den Bürgerkrieg auf Seite 8 spricht der reciter von einem „mörderischen Krieg“, einer „gewaltsamen Unterdrückung“ und einer „endlich“ entdeckten Freiheit der Schwarzen; durch sein Resümee, dass sich eine rassistisch geprägte Gesellschaft „nicht so leicht verändern“ ließe, ordnet er die historischen Geschehnisse schließlich ein und spricht sich für die Entwicklung zur Gleichberechtigung aus. Ausgenommen von diesen auktorialen Passagen ist der erste Blocktext auf Seite 5, denn an dieser Stelle kann der gesprochene Text einer konkreten Figur zugeschrieben werden: dem Notar. Der Grund für die dortige Verwendung des Blocktextes liegt an der grafischen Szenerie, die parallel zu der Erzählung des Notars über Constance Pinkwater zu sehen ist – ein erzählerischer Sprung in Zeit und Raum. Hier wird der Notar kurzzeitig zum Binnenerzähler: Er schildert, was aus dem letzten Willen der Erblasserin Constance Pinkwater hervorgeht.
Die Text-Bild-Beziehung gestaltet sich in normalen Dialogen vorwiegend korrelativ. Durch Farbgebung und Seitenarchitektur werden jedoch auch ohne Text die wesentlichen inhaltlichen Aspekte und Verhältnisse der Figuren untereinander unterstützt.
Die Stimme des monstrators
In erster Linie wird in Comics bildlich erzählt und theoretisch käme ein Comic auch ganz ohne die sprachliche Komponente aus. Darum soll es im Folgenden um die bildliche Erzählinstanz gehen – den monstrator. Dieser äußert sich nicht in sprachlichen Zeichen, sondern in Strichen und Farben. Bewegungslinien kommen nur gelegentlich vor, in den meisten Fällen werden dynamische Figurenpositionen (vgl. McCloud, 69) eingesetzt: die Bewegung einer Figur wird gewissermaßen in einem Standbild ‚eingefroren‘. Kommen Linien vor, signalisieren sie die plötzliche Gemütsveränderung einer Figur wie etwa Überraschung oder Schock. Häufig gehen sie mit Onomatopoetika einher. Dies geschieht besonders bei sehr hektischen Handlungen wie dem Ausführen eines Schlags, einem Aufprall oder einer schnellen Fortbewegung.
Der Stil des Comics ist karikaturesk. Morris hat in seiner Schaffenszeit regelmäßig reale Persönlichkeiten aus seinem Umfeld, der Vergangenheit oder aber fiktive Gestalten aus Film und Fernsehen karikiert. Besonders gut zu erkennen ist dieser Stil im Comic an den Personen Bass Reeves und Nathan B. Forrest, die, wie schon veranschaulicht, realen Vorbildern nachempfunden sind. An dem karikierenden Stil hat sich auch mit der Übernahme Achdés nichts geändert.
Die Farben
Besonders eindrücklich wird in Fackeln im Baumwollfeld mit Farbe gearbeitet. Zum einen dient sie dazu, unterschiedliche Schauplätze zu kennzeichnen. So ist die Szenerie rund um die Daltons im Bayou etwa in ein dunkles Grün getaucht. Innenräume, wie der Saloon in Kansas oder das Chalet der Cajuns sind in erdfarbenen Tönen gehalten. Ganz im Gegensatz dazu stehen zum Teil das Pinkwater-, insbesondere jedoch das Quarterhouse-Anwesen. Die Panels vom Empfang bei Quaterhouse sind hier sehr farbenfroh gehalten. Die Wiesen erstrahlen in einem frischen Grün, die Menschen sind bunt und vielfältig gekleidet. Einfachheit und Prunk stehen sich hier gegenüber. Die freundlich bunte Darstellung der aristokratischen Gesellschaft konterkariert dabei auf ironische Weise deren nächtliche Aktivitäten und verschleiert — womöglich mit Absicht — die wahre Gesinnung der südlichen Oberschicht: Mit der nächtlichen Transformation der Männer zu ‚uniformierten‘, weißgekleideten Schemen gehen jetzt die Farben der Zerstörung einher – Rot und Gelb. Diese Farben spielen im Comic eine besonders zentrale Rolle. Beide werden zum Beispiel regelmäßig als Hintergrundfarben eingesetzt. Sie dienen dazu, die agierende Figur oder den gesprochenen Text in den Vordergrund zu rücken und sind ein Indiz für eine emotional aufgeladene Spannung. Nahezu auf jeder Doppelseite befindet sich mindestens ein Bild dieser Art.
Gelb ist in den meisten Fällen ein Ausdruck der Überraschung, des Unmuts oder von beidem. Als Luke etwa auf Socrates trifft und ihm die Hand schüttelt, ist der ehemalige Sklave hoch erstaunt über das Verhalten des weißen ihm gegenüber. Hier baut sich die Überraschung auf, indem die Hintergrundfarbe im ersten Panel zunächst in einem blassen, im zweiten Panel dann in einem kräftigeren Gelb erscheint. Abgesehen von seiner Funktion als Hintergrundfarbe wird der nächtliche Lichtschein eines Lagefeuers auch mit gelb dargestellt. Ist es dämmrig oder sogar Nacht, werden die Panels von einem Blau-Grau dominiert. Dieses Blau-Grau kommt auch dann zum Einsatz, wenn Personen abseits oder weiter hinten im Panel stehen. Die Farbe wird also auch perspektivisch genutzt.
Rot in seiner kräftigsten Ausprägung (bis auf die Verwendung beim Innenraum des Pinkwater-Anwesens) kommt ausschließlich zum Einsatz, wenn Zorn, Gefahr oder Gewalt überhandnimmt. Ist die Atmosphäre besonders angespannt, werden sowohl Hintergrund als auch Person koloriert – häufig korrelieren Ärger und Überraschung. Dann stehen rote Personen vor gelben Hintergründen oder andersherum. Beispielhaft lässt sich dies an der Szene veranschaulichen, in der Luke von den rassistischen Verbrechen an den Schwarzen hört (F, 16). Weitere Beispiele finden sich auf Seite 8 (mögliche Gefahr/Wachsamkeit), Seite 11 (Zorn & Gefahr/Bedrohung), Seite 13 (Zorn), Seite 18 (Warnung/Gefahr), Seite 22 (Zorn), Seite 27 (Zorn) und auf den Seiten 36–41 (Gefahr, Zorn, Bosheit, Gewalt). Zweimal wird zudem Orange als Hintergrundfarbe eingesetzt. In beiden Fällen spricht Luke davon, dass er die Plantage den ehemaligen Sklaven überlassen will (F, 18 & 44). Es ist anzunehmen, dass die Kolorierung in diesem Fall also nicht von Gefahr oder Ärger, sondern von positiver Überraschung geprägt ist.
Der eindrücklichste Farbwechsel vollzieht sich wahrscheinlich mit dem Wechsel von Seite 34/35 auf Seite 36/37, die den nächtlichen Überfall der Ku-Klux auf Lucky Luke erzählen. Der ganze Raum ist, kennzeichnend für die Nacht, in einem kühlen, bläulichen Grau gehalten – die einzige Ausnahme bildet ein rotes Ausrufezeichen im Gespräch zwischen dem Protagonisten und Angela. Es ist womöglich ein kleines Vorzeichen auf das, was die Lesenden auf der nächsten Seite erwartet, denn diese wird dominiert von einem kräftigen Rot und einem intensiven Gelb. Die farbliche Andeutung von Gefahr durch Signalfarben unterstützt hier in Extremform die reale Gefahr für die Figuren der Geschichte. Diese Strategie der Gestaltung wirkt sich zudem spannungssteigernd auf die Leseerfahrung aus. Auch die folgenden Seiten gestalten sich vorwiegend in rot und gelb. Besonders extrem ist die Färbung, wenn es zum Kampf zwischen den Angestellten, dem Klan, den Daltons sowie Luke und Bass Reeves kommt. Alle Hintergründe sind rot, die Personen fast alle gelb koloriert.
Seitenarchitektur und Panelgröße
Am Übergang der oben erwähnten Sequenzen (Bilderfolgen)[53] lässt sich ablesen, dass die Seitenarchitektur in Fackeln im Baumwollfeld rhetorisch konzipiert wurde. Das bedeutet, dass „das Seitenlayout nach den Erfordernissen der Geschichte funktionalisiert und eingerichtet“ wird.[54] Bei dem Wechsel von Seite 34/35 zu Seite 36/37 wirken Farbverwendung, Seitenarchitektur und Variation der Panelgröße in Kombination zusammen und bringen die veränderten Verhältnisse in der Handlung besonders zur Geltung:
Wie auf Seite 36 wird in dem Comic gelegentlich ein sogenanntes splash panel,[55] — ein besonders großes Panel, das meistens eine ganze Seite oder einen Großteil davon einnimmt — eingesetzt. Neben seiner Funktion einen neuen Schauplatz anzukündigen, dient es dazu, einem Bild mehr Tiefe (im Sinne von Raum für mehr Ebenen) zu verleihen, beim Vorkommen vieler Personen (F, 27/28) oder um die gewaltige Größe eines Objektes (F, 15/16/32 Anwesen) bzw. einer Szenerie (F, 36/41/42) zu veranschaulichen. Insbesondere die Gewaltigkeit der Anwesen der Plantagenbesitzenden kommt hierdurch zur Geltung. Auch der Wechsel auf Seite 42 ist besonders eindrücklich: Eine Seite zuvor bahnt sich der Hurrikan in einem splash panel an. Eine Seite später ziert er in Form eines split panels eine ganze Seite: Er ist verteilt auf drei Panels, die vertikal nebeneinanderstehen. Dabei knüpfen die Panels in der Bildkomposition unmittelbar aneinander an, sodass sie zusammen gesehen ein Bild ergeben. Die Panelstruktur hat hier eine Wirkung auf mehreren Ebenen: Das Bild ist sowohl zerrissen als auch zusammen. Die Zerrissenheit unterstützt dabei die Inhaltsebene – das Bild ist geprägt von Chaos und Zerstörung. Zudem ist der zeitliche Unterschied an der beschriebenen Stelle verschwindend gering, wenn überhaupt vorhanden. Als Rezipient:in ist man es gewohnt, dass mit einem Panelwechsel auch immer erzählte Zeit vergeht. Zeit und Raum gehen im Comic miteinander einher. Es hängt dabei vom Kontext der Geschichte und der Vorstellung der Lesenden ab, wie viel Zeit im Spalt zwischen den Panels, dem gutter einer Sequenz, verstreicht.
Ein historisierender, gesellschaftskritischer Lucky Luke
Zu Beginn dieses Beitrages wurde die Frage gestellt, ob es sich bei Fackeln im Baumwollfeld um mehr als einen sich oberflächlich mit der Historie beschäftigenden Funny oder eine Geschichtsparodie handelt.
Für einen herkömmlichen Funny (nach dem Modell von Pandel) greift der Comic historische Ereignisse schlichtweg zu umfangreich und zu genau auf. Erwähnt werden der Sezessionskrieg und damit einhergehend die Abschaffung der Sklaverei, die Plantagenwirtschaft in den Südstaaten, Lynchmorde sowie die Auseinandersetzung der ehemaligen Sklaven mit dem Ku-Klux-Klan. Darüber hinaus referiert der Comic auf den historischen Bass Reeves, den als ‚ersten großen Hexenmeister‘ bekannt gewordenen Nathan Bedford Forrest und greift zahlreiche literarische Werke auf, die vorwiegend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen sind. All diese Aufgriffe weisen darauf hin, dass die Autoren des Comics versucht haben, die Ereignisse und den Gesellschaftszustand jener Zeit in ihrer Komplexität weitestgehend abzubilden. Trotzdem finden sich auch einige Anachronismen. Basierend auf der Aussage der Figur Angela spielt der Comic im Jahr 1870. Das Jahr ist kompatibel mit der ersten Wirkphase des Ku-Klux-Klans und jeder als Buch abgebildeten Literatur, jedoch nicht mit der Rolle, die Bass Reeves zukommt und auch nicht mit der Tatsache, dass Tom Sawyer und Huckleberry Finn am Geschehen teilnehmen. Bass Reeves wurde erst 1875 zum Deputy ernannt und Mark Twains Buch erschien erst im Jahr 1876.
Des Weiteren können auch mehrere zeitübergreifende Bezüge hergestellt werden. Es kommen Themen oder Personen zur Sprache, von denen die beteiligten Personen noch gar nichts wissen, sie maximal vermuten können, wie beispielsweise die Jim-Crow-Gesetze. Bass Reeves verweist zudem auf Martin Luther King, der Mitte des 20. Jahrhunderts wirkte und Oprah Winfrey sowie Barack Obama sind Anspielungen auf gegenwärtige Persönlichkeiten.
Die Geschehnisse werden teilweise auch klischeehaft dargestellt – wie etwa bei der Realisierung typischer Aspekte des Westerns. Die heutige Vorstellung dieser Epoche ist geprägt durch Karl May und das Hollywoodkino des 20. Jahrhunderts, und natürlich auch durch die bisherigen Lucky-Luke-Comics. Achdé und Jul bedienen sich wie auch schon Morris und Goscinny einer überwiegend klischeehaften Darstellung der Epoche. So ist über die Identität der historischen Ku-Klux zwar wenig bekannt, es zeigt sich jedoch, dass die frühen Mitglieder vorwiegend keine Plantagenbesitzer waren. Die Kostüme sind zudem nur bedingt historisch triftig abgebildet; Nathan B. Forrest war eventuell nur ‚Aushängeschild‘ des Klans und die cross-burning ceremony ist erst bei der zweiten Wirkungsphase des Klans belegt.
Das Abbild Bass Reeves’ am Ende (F, 47) suggeriert zwar: Das hier ist eine Geschichte nach wahren Begebenheiten,[56] doch Lucky Luke ist eine fiktionale Figur. Dementsprechend ist klar, dass jede Konversation zwischen ihm und Bass Reeves frei erfunden ist. Und trotz alledem ist es nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass ein derartiges Szenario um 1870 stattgefunden haben könnte.
Der Comic vermittelt kein differenziertes, wertfreies Geschichtswissen. Das scheint auch nicht das erwünschte Ziel zu sein, ganz im Gegenteil: Die Farbgebung, die kommentierenden Blocktexte, der Aufgriff von historischen Zitaten oder Personen sowie die Darstellung bestimmter Personengruppen werden ganz bewusst als Mittel zur Kommentierung verwendet. An den Stellen, an denen man vielleicht faktenbasiertes Geschichtswissen aus dem Comic ziehen kann, wird der Blocktext verwendet, dessen reciter die Geschehnisse allerdings nicht wertfrei schildert, und eine positive Haltung gegenüber der Entwicklung zur Gleichberechtigung von Schwarz und weiß einnimmt. Vielmehr geht es darum, die Geschichte vom Rassismus in Amerika zu portraitieren. Darum werden auch nicht nur ‚zeitgenössische‘, sondern auch zeitübergreifende Elemente aufgegriffen. In dieser Hinsicht bietet einem die anachronistische Sichtweise in Fackeln im Baumwollfeld auch die Chance, den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen und sich zu fragen, was sich im Laufe der Jahrzehnte verändert hat.
Um möglichst ‚authentische‘ Geschichtsvermittlung geht es demnach nicht, sondern darum, das ‚ungefähre‘ Geschichtsbewusstsein zu fördern, das Interesse für die damalige Zeit zu wecken und im besten Fall zur Eigenrecherche zu bewegen. Darum werden Handlungsaspekte gelegentlich auch zugunsten der Geschichte ‚angepasst‘. Im Fokus steht, was die Rezipierenden vermittelt bekommen sollen, nämlich: Bei dem Thema Rassismus schlägt sich der Held der Geschichte auf die Seite der Unterdrückten. Diese Positionierung stellt ihn vor so herausfordernde Gegner, dass der Titelheld sie dieses Mal nicht aus eigener Kraft bewältigen kann: Selbst mit Unterstützung seitens der ehemals Versklavten sowie den Daltons (im Kampf gegen Rassismus werden sogar die Schurken zu Verbündeten) kann die Lösung des Konflikts erst durch einen Deus ex Machina herbeigeführt werden. Der Kampf gegen die Ungerechtigkeit wird somit nicht aus eigener Kraft gewonnen, es ist Zufall, dass ausgerechnet die Guten in der Geschichte überleben.
Dieser Ausgang kann als Sinnbild dafür gelesen werden, dass der Kampf um Gleichberechtigung auch heute noch währt. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, dass der Comic gegen Ende des Jahres 2020 erschienen ist — das Jahr, in dem der Mord an George Floyd für einen Wiederaufschwung der Black-Lives-Matter-Bewegung gesorgt hat. Dieses Timing war zwar zufallsbedingt – die Recherchen zu dem Thema begannen wohl vier Jahre vor der Veröffentlichung –[57] dennoch zeigen die neuesten Bände, dass gegenwärtige Diskurse einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Comic-Produktion der Lucky-Luke-Reihe zu haben scheinen.[58] Insofern bietet der Comic auch das Potential, das Geschichtsbewusstsein der Künstler näher zu untersuchen. Davon abgesehen sticht der Comic durch seine Thematik ein wenig aus der eigenen Reihe heraus, denn es wird selten thematisiert, dass wirklich jemand zu Schaden kommt oder gar stirbt. Hier wird jedoch zu Beginn schon von Morden berichtet und auch die Mitglieder des Klans kommen am Ende mutmaßlich nicht mit dem Leben davon. Dadurch kommt die Ernsthaftigkeit der Thematik noch mehr zur Geltung.
In die gängigen Subgenres des Comics, in die Lucky Luke bisher eingeordnet wurde, passt Fackeln im Baumwollfeld demnach aus genannten Gründen nicht ohne Vorbehalte. Ein herkömmlicher Funny ist es nicht, genauso wenig wie eine schlichte Parodie der Geschichte und auch Dolle-Weinkauffs oben erwähnter Beschreibung der Geschichtsgroteske lässt sich größtenteils widersprechen. Diese Definitionen werden der Art der Geschichtsverhandlung dieses Comics nicht gerecht. Eine Möglichkeit wäre vielleicht, die Kategorie ‚Funny‘ nochmal in ‚fiktional orientiert‘ und ‚faktual orientiert‘ zu unterteilen. Nach dieser Unterteilung könnte der Comic als faktual orientiert beschrieben werden. Gleichwohl könnte man Mounajeds Mischform Geschichts-Romancomic in Erwägung ziehen, als sowohl unterhaltendes wie auch historisch triftiges Narrativ. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es auch möglich, wenn nicht sogar wünschenswert, den Comic-Band mit interdisziplinären Bezügen zur Comic-Forschung und Narratologie im Geschichts- oder Politikunterricht einzusetzen, wie von Mounajed vorgeschlagen.[59]
An Fällen wie George Floyd zeigt sich die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Aufarbeitung von Rassismus. Dafür lohnt es sich, innovative Zugänge jenseits des Geschichtsbuches anzubieten, denn der Satz des reciters auf Seite 8 im Comic — „Eine von Rassismus und Sklaverei geprägte Gesellschaft lässt sich nicht so leicht verändern […].“— enthält auch 150 Jahre nach den beschriebenen Ereignissen viel Wahrheit.
[1]Weil sich die Lucky-Luke-Autoren überall mit ihren Künstlernamen präsent zeigen, wird im weiteren Verlauf der Arbeit auf diese zurückgegriffen.
[2]Diese Arbeit orientiert sich an der Definition von Scott McCloud, die lautet: „Zu räumlichen Sequenzen angeordnete, bildliche oder andere Zeichen, die Informationen vermitteln und/oder eine ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen sollen.“ (Scott McCloud, Comics richtig lesen, übers. von Heinrich Anders, Hamburg 1994, 17).
[3]René Mounajed, Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von Geschichtscomics im Geschichtsunterricht, Frankfurt/Main 2009, 46.
[4]Vgl. Julia Abel, Christian Klein (Hg.), Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, Stuttgart 2016, 191.
[5]Ebd., 182.
[6]Hans-Jürgen Pandel, Comics. Gezeichnete Narrativität und gedeutete Geschichte, in: Hans-Jürgen Pandel, Gerhard Schneider (Hg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, Schwalbach 1999, 339-364, hier 360.
[7]Gerald Munier, Geschichte im Comic. Aufklärung durch Fiktion? Über Möglichkeiten und Grenzen des historisierenden Autorencomic der Gegenwart, Hannover 2000, 103. — An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Reihe zu dem Zeitpunkt erst 72 Bände zählte.
[8]Mounajed, Geschichte in Sequenzen, 118.
[9]Ebd.
[10]Anmerkung: Da es bei den Begriffen ‚schwarz‘ und ‚weiß‘ in Bezug auf Menschen nicht einfach um die Hautfarbe, sondern um Machtverhältnisse und Identitäten geht, wird in dieser Hausarbeit ‚schwarz‘ groß und ‚weiß‘ klein sowie kursiv geschrieben.
[11]Vgl. Arthur T. Burton, Black Gun Silver Star. The Life and Legend of Frontier Marshal Bass Reeves, Lincoln 2006, 23.
[12]Vgl. ebd., 24.
[13]Burton listet im Zuge dieser Feststellung eine Reihe weiterer Schwarzer Deputies auf. (vgl. 4)
[14]Vgl. ebd., 6.
[15]Vgl. Burton, Black Gun Silver Star, 13.
[16]Jul, Achdé, Fackeln im Baumwollfeld. Lucky Luke, übers. von Klaus Jöken, Berlin 2020, Bd. 99, 4; im Folgenden nachgewiesen mit Sigle F.
[17]Vgl. Burton, Black Gun Silver Star, 24.
[18] So werden die einzelnen Mitglieder des Klans genannt. Vergleiche hierzu ebd. (6, 20).
[19] eine im richtigen Augenblick auftretende, unerwartete Lösung einer Schwierigkeit)
[20]Aristokratie meint hier nicht den klassischen Adelsstand. Die Gesellschaft der Plantagenbesitzenden stellte sich allerdings gerne so dar und nahm sich auch feudalaristokratische Vorbilder aus Europa. Die Begriffe ‚Aristokratie‘ und ‚aristokratisch‘ eignen sich insofern zur Beschreibung der Plantagenbesitzenden, da sie den sozialen Status, den Lebensstil sowie die Machtposition dieser Gruppe effektiv zum Ausdruck bringen. Vgl. dazu Michael Hochgeschwender, Der amerikanische Bürgerkrieg. München 2010, 18f.
[21]Vgl. John Hope, Franklin u. Jr. Alfred A. Moss, Von der Sklaverei zur Freiheit. Die Geschichte der Schwarzen in den USA, Berlin 1999, 185.
[22]Franklin, Moss, Von der Sklaverei zur Freiheit, 180.
[23]Ebd., 181f.
[24]Ebd., 182.
[25]Ibram X. Kendi, Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika, München 2017, 254.
[26]Franklin, Moss, Von der Sklaverei zur Freiheit, 324.
[27]Der Norden produzierte zehnmal mehr Güter als der Süden, bei der Eisenproduktion war er im Verhältnis 20:1, bei der Produktion von Feuerwaffen sogar 32:1 überlegen. (vgl. Hochgeschwender, Der amerikanische Bürgerkrieg, 55f.)
[28]Vgl. Franklin, Moss, Von der Sklaverei zur Freiheit, 198f.
[29]Ebd., 199.
[30]Vgl. Kendi, Gebrandmarkt, 249f.
[31]Ebd., 250.
[32]Vgl. Franklin, Moss, Von der Sklaverei zur Freiheit, 183.
[33]Vgl. Kendi, Gebrandmarkt, 17, 297.
[34]Vgl. Franklin, Moss, Von der Sklaverei zur Freiheit, 280.
[35]„Für den Klan war das einzige, was noch schlimmer war als ein Neger, ‚ein weißer Radikaler‘“ (Kendi, Gebrandmarkt, 269).
[36]Vgl. Elaine Parsons, Ku-Klux. The Birth of the Klan during Reconstruction, Chapel Hill 2015, 6.
[37]Nennenswerte Gruppen nennt Parsons in Ku-Klux auf Seite 5f.
[38]Ebd., 2.
[39]Parsons schreibt über ihn, es gäbe keinen eindeutigen Beweis dafür, dass Forrest schon vor 1868 mit dem Klan in Verbindung stand. Abgesehen davon sei auch nicht erwiesen, dass Forrest jemals irgendwelche Führungsaufgaben übernommen hat, und nicht nur „Aushängeschild“ des Klans war. (ebd., 50)
[40]http://www.americancivilwar.com/south/Nathan_Bedford_Forrrest.html [letzter Zugriff 15.12.2021].
[41]Vgl. Parsons, Ku-Klux, 21.
[42]Vgl. ebd., 19.
[43]Ebd., 81.
[44]Vgl. ebd., 81.
[45]Vgl. ebd., 84.
[46]Als Inspiration diente hier wahrscheinlich das Cover einer Ausgabe des Buchs „Ku-Klux. The Birth of the Klan during Reconstruction“ (linkes Bild).
[47]Linkes Bild: https://blackthen.com/costume-appearance-first-ku-klux-klan-terror-group-reconstruction/ [letzter Zugriff 08.06.2023];
Rechtes Bild: http://www.georgiaencyclopedia.org/articles/history-archaeology/ku-klux-klan-reconstruction-era [letzter Zugriff 08.06.].
[48]Parsons, Ku-Klux, 4.
[49]Vgl. ebd., 305.
[50]Hochgeschwender, Der amerikanische Bürgerkrieg, 37.
[51]An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch Onkel Toms Hütte rassistisches Gedankengut enthält. Kendi erläutert, wie sich dieser „rassistische Abolitionismus“ in dem Roman widerspiegelt. (Kendi, Gebrandmarkt, 210–214)
[52]Vgl. Thierry Groensteen, Comics and Narration, übers. von Ann Miller, Jackson 2013, 86ff.
[53]Vgl. Julia Abel, Christian Klein (Hg.), Comics und Graphic Novels. Eine Einführung, Stuttgart 2016, 78f.
[54]Ebd., 89.
[55]Ebd., 91f.
[56]Dieses Mittel erinnert an den Abspann eines Films, wenn Fotografien der realen Vorbilder mit einem beschreibenden Text gezeigt werden.
[57]Vgl. Deutsche Welle, Lucky Luke. Ein Kult-Cowboy ganz aktuell; https://learngerman.dw.com/de/lucky-luke-ein-kult-cowboy-ganz-aktuell/l-55650207/lm [letzter Zugriff 08.06.23].
[58]In Band 101 Rantanplans Arche etwa steht das Thema Tierschutz im Vordergrund. In einem Interview mit Jul wird der Bezug zur Gegenwart explizit angesprochen; vgl. Josha Duhme, Comicautor Jul im Interview über Lucky Luke und Tierschutz. „Unser Interesse sollte darauf abzielen, Tiere zu bewahren“; https://www.duunddastier.de/ausgabe/jul/ [letzter Zugriff 08.06.23].
[59]René Mounajed, Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von Geschichtscomics im Geschichtsunterricht, Frankfurt/Main 2009, 19.