Nora Anett Steinki
Rezension „Dreaming Data“
Kaufmann, Manuel: „Dreaming Data. Aspekte der Ästhetik, Originalität und Autorschaft in der künstlichen Kreativität“. Chronos-Verlag Zürich, Januar 2022. 160 Seiten.
Der Traum von einer künstlichen Intelligenz scheint in den letzten Jahren Wirklichkeit geworden – längst lassen sich diverse Programme nutzen, um mit einem Klick Fotos zu überarbeiten oder durch eine kurze Wortbeschreibung ein verbales oder grafisches Kunstwerk entstehen zu lassen. Während die einen die immer besser und vielfältiger arbeitenden KI-Programme als Schritt in die Zukunft feiern, sind die anderen skeptisch eingestellt und befürchten, unsere Kreativität an Maschinen abzutreten.
Mit dieser Problemlage beschäftigt sich auch der 1989 geborene Manuel Kaufmann. Nach dem Studium der Kulturanalyse und Populäre Kulturen in Zürich wirkte er 2022 als kuratorischer Assistent bei der Ausstellung „Planet Digital“ mit. Im Januar 2022 erschien beim Chronos-Verlag das 160-seitige Bändchen Dreaming Data als Teil der Schriftenreihe „Populäre Literaturen und Medien“. Der Text basiert auf Kaufmanns Masterarbeit, wurde für die Publikation jedoch erweitert und überarbeitet. Der Band knüpft an ein Thema an, das auch Gegenstand anderer aktueller Veröffentlichungen ist, wie beispielsweise in Marcus Sautoys Der Creativity-Code von 2021. Kaufmann widmet sich einem aktuellen Thema, welches er breitgefächert und unter einer bisher ungewöhnlichen Fragestellung diskutiert: So will Dreaming Data nicht die Frage beantworten, ob, sondern wie KI kreativ sein kann. Dabei untersucht Kaufmann drei Punkte: ästhetische Eigenschaften, Originalität und die Frage der Autorenschaft. Um sich diesen Punkten zu nähern, geht es zunächst um eine Definition von Kreativität, bei der Kaufmann sich an Margaret Boden orientiert, die Kreativität eher allgemein als etwas beschreibt, das neu, überraschend und wertvoll ist. Um der Vagheit des Begriffs etwas entgegenzusteuern entscheidet sich Kaufmann für ein exploratives Vorgehen: Vier Beispiele werden vorgestellt, bei denen mithilfe von KI Kunst erzeugt wird; diese werden dann hinsichtlich der Fragestellung, wie KI hier kreativ wird, untersucht. Kaufmann hat sich dabei für den von einer KI geschriebenen Film Sunspring, das Computerspiel AI Dungeon, das KI-Kunstwerk The Next Rembrandt und das Musikprojekt Biocomputer Music entschieden. Ausschlaggebend für die Auswahl war dabei, dass diese Werke unterschiedliche Richtungen der Kunst einschlagen und so die Ausgangsfrage in vielfältiger Hinsicht besprochen werden kann. Zur Veranschaulichung enthalten die Unterkapitel verschiedene Bildmaterialien, wie etwa Ausschnitte des Drehbuchs von Sunspring oder des Chatverlaufs bei AI Dungeon.
Beim ersten Beispiel, Sunspring, handelt es sich um einen Kurzfilm, dessen Drehbuch von einer KI namens Benjamin geschrieben wurde. Kaufmann erklärt zunächst die technischen Details von Benjamins Programmierung, um dann zur Handlung und Umsetzung des Films überzugehen. Diese hat sich als schwierig gestaltet, da einige der von der KI entworfenen Regieanweisungen und Dialoge für die an der Produktion Beteiligten Rätsel aufgaben. Aber genau dieses Zusammenspiel zwischen menschlichen Akteuren und KI-Programm ist laut Kaufmann wesentlicher Bestandteil des kreativen Aspektes des Projekts: „Denn auch ein inkohärenter und bizarrer Text ist interpretierbar und kann emotional erfahrbar gemacht werden.“ (30) Die Interpretation des Drehbuchs als menschlicher Teil der Aufgabe verknüpft menschliche und maschinelle Vorstellungskraft und schafft somit ein Werk, das nicht ohne den menschlichen Anderen hätte entstehen können. Die Autorenschaft gebührt also sowohl der KI wie den menschlichen Akteuren. Damit lösen erstere die letztere nicht ab, sondern fördern Kreativität. Die KI zwingt den Menschen – hier etwa bei der Auslegung Drehbuchs – aus bekannten Denkmustern auszubrechen, und kann so kreative Blockaden überbrücken. Die Frage nach der Ästhetik und Originalität lässt sich dabei allerdings nicht eindeutig beantworten: Das Drehbuch stellt ein intertextuelles Flickwerk dar, das zwar originell, aber doch aus den Daten von über 150 Drehbüchern entstanden ist. Entsprechend ist die Ästhetik des Films nicht neu, sondern fundiert auf vergangenen Filmästhetiken des Genres.
Im zweiten Teil bespricht Kaufmann AI Dungeon, ein textbasiertes Programm, das den Nutzer:innen ermöglicht, eine Art Rollenspiel, geführt von der KI, zu erleben. Hier können Charaktere erstellt und dann in einer vorgefertigten Welt Abenteuer erlebt werden, durch die die KI führt. Kaufmann geht zunächst auch hier ins Detail der Programmierung und der Vorläufer der Textadventures, um dann zur Oralität und Literarizität überzugehen: AI Dungeon steht in der Tradition der mündlich erzählten Geschichten, da diese vom Zusammenspiel zwischen Erzähler und Zuhörerschaft lebt, welche direkten Einfluss auf die Handlung nimmt. Daher ist es schwierig, der KI die alleinige Autorenschaft zuzuschreiben, da die Geschichten nicht ohne das Einwirken der Nutzer:innen entstehen kann. Gerade durch dieses Zusammenspiel erfüllt AI Dungeon allerdings wiederum die Voraussetzungen, um als kreativ zu gelten. Schwieriger wird es im Bereich der Ästhetik und hier konkret der Partizipation. So entsteht der Eindruck, es sei die KI, die die Geschichten schreibe, während die Nutzer:innen lediglich versuchen würden, sie in die von ihnen gewünschte Richtung zu schieben. Die Nutzer:innen scheinen eher ein interpassives Verhalten aufweisen, heißt, der Spaß an der KI liegt darin, ihr beim Geschichtenerzählen zuzusehen.
Ein drittes Beispiel bildet das Kunst- bzw. Werbeprojekt The Next Rembrandt. Hier wurde eine KI mit Datenmaterialien zur Kunst Rembrandts gefüttert, um schließlich ein neues Werk im Stil des Malers zu erschaffen. Dieses wurde mithilfe eines 3D-Druckers erzeugt, um auch die Oberflächenbeschaffenheit möglichst originalgetreu zu gestalten. Kaufmann geht neben der Herstellung des Gemäldes auch auf den originalen Rembrandt und dessen Kunst ein, ehe er sich der Frage zuwendet, wie die KI hier kreativ gewirkt habe. Auch wenn sie lediglich Kunstwerke Rembrandts ausgewertet und ein laut Datenanalyse typisches Gemälde (weißer Mann mittleren Alters, gekleidet in schwarz) in seinem Stil erzeugt hat, ist das Gemälde dennoch neu. Das Projekt hat große Außenwirkung erzielt und die Debatte entfacht, ob eine Maschine die Kunst eines Menschen reproduzieren kann, sprich: inwiefern Künstler, seine Persönlichkeit, Leben, und geschaffene Kunst zusammenhängen. Kaufmann kommt zu dem Schluss, dass das Genie Rembrandts nicht reproduzierbar ist, der Ausdruck dieses Genies allerdings schon. Dies führt in einen Exkurs zur digitalen Reproduzierbarkeit und zum Wandern der Aura. Die Authentizität eines Werkes ist verbunden mit der Vorstellung der Präsenz des Künstlers, womit The Next Rembrandt in den Bereich einer Ästhetik der Fälschung fällt. Die Schaffung eines neuen Kunstwerkes eines toten Meisters bedeute allerdings nicht dessen analogen Tod, sondern seine virtuelle Unsterblichkeit. „Die Originalität verschwindet also nicht durch die Reproduktion, sondern vermehrt sich.“ (97) Ein Problem von The Next Rembrandt ist jedoch, dass es impliziert, der Künstler zeichne sich durch einen objektiv erfassbaren und reproduzierbaren Stil aus, wohingegen in der Kunstrezeption nicht von einem solchen Idealtypus ausgegangen wird. Damit ist The Next Rembrandt nicht originell genug, um als eigenständige Kunst gesehen werden zu können und gleichzeitig zu originell, um Rembrandt sein zu können.
Zuletzt widmet sich Kaufmann dem Projekt Biocomputer Music, bei dem Eduardo Miranda, Professor für Computermusik, gemeinsam mit einem Pilzorganismus Musik erzeugt. Mithilfe von elektronischen Spannungsimpulsen, die Miranda sendet, wird dessen gerade gespielte Klaviermusik an einen Schleimpilz weitergeleitet, der wiederum mit Impulsen antworten kann, woraufhin dieser sozusagen das Klavier übernimmt. Zusätzlich stehen dem Pilz auch noch Perkussionsinstrumente zur Verfügung. „Die Implikation ist hier, dass die Natur in keiner Weise nachgeahmt wird, sondern, innerhalb gewisser Schranken, selbst zu Wort kommt; eingebettet in den Schaltkreis der PhyBox posiert das Natürliche hier als Künstliches, wo das Künstliche sich gemeinhin im Gewand des Natürlichen zu präsentieren versucht.“ (116f.) Es handelt sich um Kunst, bei der der Mensch mit dem Material agiert, anstelle sich über seine Umwelt zu erheben. Hier tritt Kreativität als ein Phänomen der Interaktion und Kommunikation auf, wobei Mensch und Pilz gleichermaßen beteiligt sind. Kaufmann geht in diesem Kapitel auch näher auf das Phänomen der Emergenz ein, da bei Biocomputer Music aus verschiedenen Komponenten etwas völlig neues entsteht, dessen neuartige Eigenschaften nicht linear nachvollziehbar sind. Während Computern die Fähigkeit, emergent sein zu können, abgesprochen wird, schafft Miranda einen Biocomputer, der genau das kann. Der größte Unterschied zu konventionellen KIs besteht darin, dass diese ihren Input auf Muster untersuchen und daraus etwas schaffen, dabei aber nur schwer aus einem Muster ausbrechen können. Das Zusammenspiel von Mensch und Pilz wird als Symbiose beschrieben, die dennoch Einschränkungen unterliegt, da der Pilz nicht freiwillig teilnimmt und ein Machtgefälle besteht, da Miranda vorgibt, wann der Pilz einsetzt. Dieses Projekt führt damit auch zu ethischen Diskussionen und muss im Zusammenhang mit der Frage betrachtet werden, wie der Mensch mit seiner Umwelt umgehen darf.
Kaufmann resümiert, dass der Mensch durch die Beteiligung von KIs keineswegs aus dem kreativen Prozess scheidet. Es handelt sich vielmehr um menschlich-künstliche Kollaboration, bei der der Mensch die Vorgaben setzt, sein Zutun jedoch variabel ist. Die KI-Projekte thematisieren sich dabei explizit selbst, und zwar insofern es sich um neue, erklärungsdürftige Methoden handelt, die gleichzeitig eine mediale Selbstreflektion besitzen. KI-Projekte sind Teamleistungen, wobei die KI als gleichwertiger Kollaborateur zum Menschen zu verstehen ist. Kaufmann schließt damit, dass der Mensch nicht Gefahr läuft, maschinell ersetzt zu werden, sondern höchstens die Gefahr besteht, dass Menschen blind gegenüber den Möglichkeiten sind, wie KIs den Menschen unterstützen können. „Die Frage, wie sich die genannten Trends auf die Kunst auswirken, wird schlussendlich auch weiterhin davon abhängen, wie der Mensch mit seinen technologischen Errungenschaften umgeht.“ (43)
KIs werden von Kaufmann als Bestandteil unserer Zeit betrachtet, ohne dass gegen sie angeschrieben wird; eher wird hier ihr Potential dargelegt, wobei das Fazit, KIs würden den Menschen nicht ersetzen, sondern ihn voranbringen, eine positive Zukunftsprognose stellt. Die Ausgangsfrage, wie KIs kreativ sind, wird für jedes Beispiel beantwortet, wobei allerdings nicht jeder der genannten Aspekte – Originalität, Ästhetik und Autorenschaft – an jedem Beispiel deutlich herausgearbeitet wird; die Darlegung der Ergebnisse hätte hier stärker hervorgehoben werden können. Der Text ist von zahlreichen Exkursen geprägt, beispielsweise zur genauen Funktionsweise einer KI oder diversen Diskursen um gewisse Begriffe, die zwar nicht uninteressant, aber mit dem Thema doch nur lose verknüpft sind. Hier hätte es sich unter Umständen angeboten, die Ausführungen etwas einzukürzen. Dies ist besonders im Kapitel um The Next Rembrandt auffällig, in dem verschiedenste Begriffe und Diskurse der Kunstrezeption dargelegt werden, sodass die Frage, wie die KI nun kreativ wirkt, in den Hintergrund zu rücken scheint.
Auch wenn Kaufmann zweifelsfrei die Einsetzung von KIs befürwortet und in ihnen Potential vermutet, so entwickelt er seine Meinung doch stets überzeugend und nah am Beispiel. Kaufmann benutzt eine klare Sprache und Satzstruktur, legt wertfrei differenzierte Positionen dar und ermöglicht es somit auch einem fachfremden Publikum, den Ausführungen zu folgen und sich ein eigenes Bild zu machen. Dreaming Data ist somit ein lesenswerter Beitrag, der den Diskurs um die Kreativität von KIs und deren Zukunft in unserer Gesellschaft und unserer Kunst durch seine wohlüberlegten, gut abgewogenen Erkenntnisse bereichert. Mit der Fragestellung nach dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine im Kreativitätsprozess, der KI positiv bewertet, entwirft Kaufmann eine neue Perspektive auf ein vieldiskutiertes Thema.