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Archive for Mai, 2011

Kniestreicher

Dienstag, Mai 24th, 2011

Der Kniestreicher, gefunden in der in Lübeck im Selbstverlag erschienen Sammlung von Berufsbezeichnungen des Lehrers und Genealogen Heinrich Gerholz, ist nun wahrlich ein Beruf, der vielfältige Assoziationen und Bilder in mir hervorruft. Allerdings bleibe ich als Frühneuzeithistorikerin natürlich realistisch: Das sich damit genauso wenig ein emotional besetzter Beruf der aufkommenden Dienstleistungsgesellschaft verbindet wie beim Süßholzraspler, liegt natürlich auf der Hand. Letzterer raspelte oft genug völlig unromantisch im Armenhaus eben nur das gleichnamige süßstoffhaltige Gewächs, statt liebliche Wörter zu flüstern.

Wenn jedoch der Kniestreicher nicht seine Profession darin fand, anderen Leuten zärtlich über das Bein zu streicheln, womit also verbrachte er also seinen Arbeitsalltag? Verwerfen dürfen wir schnell eine Analogie auf jede Art von Chirurg oder Bader, die sich auf die Behandlung des Knies spezialisierten. Die frühneuzeitlichen Behandlungsmethoden dürften zudem eher als Tätigkeit eines Knochenbrechers denn als -streichler zu klassifizieren sein. Um nicht weiter wild herumzuraten, greifen wir wieder nach unseren im Praxistest so gut bewährten Enzyklopädien und Lexika des 18. und 19. Jahrhunderts:

Tatsächlich: Sowohl Adelung, Grimm wie auch Krünitz kennen den Kniestreicher (alle sorgfältig voneinander abschreibend): Adelung führt durchaus hingebungsvoll aus, es handele sich dabei um sehr filigrane Kardätschen im Dänischen als „Knäkarte“ bezeichnet, mit „subtilsten“ Häkchen versehen, die auf keiner Krämpelbank Platz fanden und daher auf dem Knie befestigt wurden. So richtig weiter hilft das auch noch nicht, gibt aber wenigstens die Richtung vor, da Adelung, Grimm, Krünitz & Konsorten den damit in Verbindung stehenden Berufszweig verraten, der diesen geheimnisumwobenen Apparat nutzte: Die Wollkämmer.

Diese bereiteten die Wolle zum Spinnen vor, indem die Rohwolle zwischen zwei Kämmen mit stählernen Zinken vorbereitet wurde. Erst mit der Erfindung der maschinellen Kämmerei am Ende des 18. Jahrhunderts verlor der Beruf ganz allmählich an Bedeutung. Besondere Anerkennung erfuhren die Wollkämmerer nicht. Das meist nichtzünftige Gewerbe fand seine Ausübung oft in Zucht- und Arbeitshäusern. Aus dieser Perspektive ist es schon fast fragwürdig, warum ausgerechnet der „Süßholzsraspler“ wie auch der „Kniestreicher“ uns heute auf den ersten Blick zwei eher positiv konnotierte Motive nahelegen.

Quellen:

Gerholz-Kartei. Eine Sammlung alter Berufsbezeichnungen, Lübeck 2005, S. 164.
Pierer’s Universal-Lexikon, Bd. 19, Altenburg 1865, S. 343-344 [http://www.zeno.org/nid/20011304715].

Geschlachtwandner, Gewandschlachter oder Schlachtgewanter

Montag, Mai 9th, 2011

Nachdem mich die Leiterin der Marienbibliothek Halle heute zur Mittagspause mit einem schönen Link zum Angebot von einestags zu alten Berufen und ihrer Bebilderung an meine Blogpflichten erinnerte, möchte ich die Pause doch gleich für die Erklärung des Berufes des Geschlachtwandners, Gewandschlachter oder Schlachtgewanter nutzen.

Christoph Weigel, Abbildung und Beschreibung der Gemein-Nützlichen Hauptstände, Tuchmacher, SLUB Dresden

Christoph Weigel, Abbildung und Beschreibung der Gemein-Nützlichen Hauptstände, Tuchmacher, SLUB Dresden

Im Internet hat dieser alte Beruf schon eine kleine Deutungsgeschichte hinter sich gebracht und mutierte dabei etwa zum „Geschlachtswanderer„, einer vermuteten Art von mobilen Metzger. Auch wenn die direkte Übertragung des Wortteils „Geschlacht“ solche Schlüsse nahelegen könnte, mit dem Tipp des Fleischers liegt der Ratende leider deutlich, wenn auch nicht völlig daneben. Allerdings repräsentiert das Metzgerhandwerk Vertreter eines „ungeschlachten“ Berufszweiges. Man bewegt sich also im Bereich der Antonyme zum Wort „geschlacht“. Während jedoch das Wort „geschlacht“ aus unser heutigen Sprache mit Ausnahme einiger weniger Dialekte verschwunden ist, blieben Bezeichnungen für „ungeschlacht“ in einigen Formen und Bedeutungen erhalten: Eben auch in der Berufsbezeichnung des Schlachters.

Schaut man in einem einschlägigen Wörterbuch nach, so findet man im Grimmschen Wörterbuch etwa den Verweis auf das althochdeutsche Wort „gislaht“ oder mittelhochdeutsch „geslaht“, was so viel wie „Geschlecht“ bedeutet. Aber natürlich haben wir es hier auch nicht mit einem Geschlechtswandner oder etwa Geschlechtswandler im wortwörtlichem Sinn zu tun! Dennoch wandete der gesuchte Beruf Geschlechter. „Geschlacht“ bedeutet nach Grimm so viel wie „von Natur und Art eigen“ oder „angemessen“. Adelung und Krünitz verweisen eher auf die Wortbedeutung „wohlgestaltet“ und „von guter Art“.

Der zweite Wortteil „wandner“ ist einfacher zu erschließen. Das Gewand ist bis heute eine wenn auch nicht mehr allzu moderne, so doch durchaus gängige Bezeichnung für Bekleidung aus Stoffen aller Art. Eine umfängliche etymologische Herleitung des erst im 12. Jahrhundert auftauchenden Begriffes legte bereits vor mehr als hundert Jahren H. Wunderlich vor.

Zusammengesetzt ergibt der Beruf also die Tätigkeit eines „Feintuchmachers“ oder „Feintuchwebers“. Es handelte sich, im Gegensatz zur Berufsgruppe der Loder (Grobtuchmacher), also um die Spezialisten bei der Verfertigung edler und hochwertiger Stoffe. Welche Stoffe von welchem Geschlecht bzw. Stand zu tragen waren, regelten vor allem die zahlreichen Kleiderordnungen der Frühen Neuzeit bis ins kleinste Detail. Von daher wäre also selbst die Vorstellung eines „Geschlechtsgewandners“ nicht grundverkehrt. Die Zunft der Feintuchmacher bzw. Geschlachtwander ist aus vielen Städten als häufig einflussmächtige Berufsgruppe bekannt. 1555 nennt der Augsburger Reichsabschied sie als eine der wichtigsten Zünfte des Tuchmacherhandwerks, die relativ frühzeitig zur gewinnorientierten Produktion übergingen und daher in dieser Quelle reglementiert wurden.

Quellen:

Abschied der Röm[isch] königl[ichen] Majestät und gemeiner Stände auff dem Reichs-Tag zu Augsburg auffgericht, im Jahr 1555, § 136, Digitale Quelle in: Internetportal Westfälische Geschichte [http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=739&url_tabelle=tab_quelle].

Adrian Beier, Allgemeines Handlungs- Kunst- Berg- und Handwercks-Lexicon, Jena 1722, S. 146 [Google.Buchsuche: http://books.google.de/books?id=goRHAAAAYAAJ&dq].

Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Teilbänden, Leipzig 1854-1961, hier Bd. 5, Sp. 3896 sowie Bd. 6, Sp. 5237, [http://dwb.uni-trier.de/Projekte/WBB2009/DWB/wbgui_py?bookref=5,3896,65&mode=&prefix=ges&patternlist=].

Wilfried Reininghaus, Gewerbe in der frühen Neuzeit, München 1990, S. 25f.

H. Wunderlich, Gewand und Gewaete, in: Indogermanische Forschungen. Zeitschrift für Indogermanische Sprach- und Altertumskunde 14, 1903, S-. 406-420, [Reprint Online: De Gruyter: [http://www.reference-global.com/doi/pdf/10.1515/9783110242560.406]], S. 406-420.